Mario Götze: Ein Augenblick für die Ewigkeit

Mario Götze hatte es nicht leicht bei der WM. Als besonders Begabter steht er unter besonderer Beobachtung und in Brasilien fand er nicht immer zu seiner Leistung. Dennoch verließ er die WM als strahlender Sieger: mit dem goldenen Pokal und einem Tor, das in die Fußballgeschichte einging. Ein Tor, das einmal mehr zeigte, was für ein großartiger Spieler der Bayern-Profi ist.

Heute (ab 20.45 Uhr, live im ZDF), bei der Neuauflage des WM-Endspiels gegen Argentinien, werden in Düsseldorf Erinnerungen lebendig an den 13. Juli und jene 113. Minute von Rio.

Die Veranstaltung gehörte schon zur neuen Saison, doch man reiste noch einmal zurück in die alte. Der FC Bayern machte das dramaturgisch perfekt. Als er an einem warmen August-Samstag in der ausverkauften Allianz Arena seine Mannschaft für 2014/2015 vorstellte, sparte er sich seine sechs Weltmeister bis zuletzt auf.

Man spielte noch einmal die bedeutsamen Szenen der WM ein auf den beiden großen Videowänden, und ganz am Schluss – weil es danach keine Steigerung mehr gibt, weil es ein Endpunkt ist – kam das Tor. Mit TV-Originalkommentar: Wie Mario Götze die Flanke von André Schürrle annahm, den Ball von der Brust abtropfen ließ und mit dem linken Fuß am argentinischen Torhüter Sergio Romero vorbei knapp neben den Pfosten ins Tor setzte.

Ein Tor, an dem eine ganze Nation Anteil nahm

Alle im Münchner Stadion schauten hin, auch die Spieler, aufgereiht auf einem Podium, blickten hinauf, wissend lächelnd und doch gebannt. Dann kam noch einmal der Jubel, als wäre es live, wie damals am 13. Juli. Und Mario Götze wirkte fast ein wenig verlegen, als er den Moment nacherlebte, an dem eine ganze Nation Anteil nahm, der aber vor allem der Clou in seiner persönlichen Geschichte war.

Eine Sekunde, die alles veränderte. Götze hatte im WM-Turnier schon ein Tor erzielt, das 1:0 im zweiten Gruppenspiel gegen Ghana, und er hatte die Arme pathetisch ausgebreitet, als lege er es darauf an, wie die Christus-Statue zu wirken, die über Rio wacht. Seinen Kritikern war das nicht entgangen. Es waren zum Teil Kritiker, die ihn das ganze Jahr seit seinem Wechsel vom BVB zum FCB begleitet hatten.

"Es war keine leichte Saison"

Dortmund hatte er verlassen – aber in München war er noch nicht so richtig angekommen. "Es war keine leichte Saison für mich und kein leichtes WM-Turnier", sagte Götze dann auch in Rio, als er resümierte, was so alles hinter ihm lag. Im kompletten Jahr und speziell in den Wochen in Brasilien

In München hing ihm noch die Muskelverletzung aus Dortmund nach, seine neue Mannschaft siegte erst einmal ohne ihn. Und obwohl er in 27 Bundesligapartien mit zehn Toren eine respektable Quote bot, fand er keinen festen Platz im Team von Trainer Pep Guardiola, der doch auch ein Grund gewesen war, aus dem Vertrag mit Borussia Dortmund auszusteigen.

Als mit dem Pokalsieg gegen den BVB dann wenigstens das deutsche Double vollendet war, traute sich Mario Götze, die leise Kritik zu äußern, er hätte sich schon mehr Einsatzzeiten gewünscht. Vor allem in der Champions League: Da blieb der 2:0-Sieg im Achtelfinal-Hinspiel beim FC Arsenal sein einziger 90-Minuten-Einsatz, in den Halbfinals gegen Real Madrid wurde er jeweils erst in der 72. Minute eingewechselt.

Im Finale: wenn, hätte, wäre

Also auf die Weltmeisterschaft hoffen. Nach einer misslungenen ersten Halbzeit im Achtelfinale gegen Algerien – Götze war der deutsche Spieler mit der schwächsten Zweikampfquote – war er draußen. Er durfte noch die letzten sieben Minuten des Viertelfinales gegen Frankreich mitbestreiten, weil man bei einer 1:0-Führung einen brauchte, der die Bälle halten kann, doch er kam nicht zum Einsatz beim historischen 7:1 gegen Brasilien und war nicht vorgesehen fürs große Finale.

Und wenn nicht Sami Khedira kurzfristig hätte passen müssen und Christoph Kramer nicht eine Gehirnerschütterung erlitten hätte, wäre die Wechselpolitik von Joachim Löw vielleicht eine andere gewesen. Doch als sich die Verlängerung abzeichnete, nahm der Bundestrainer noch eine offensive Wechseloption vor: Götze für Miroslav Klose.

Höchste Wertschätzung vom Bundestrainer

Und es kam vor der Verlängerung noch zum Vier-Augen-Gespräch zwischen Trainer und Spieler. Joachim Löw verriet nach dem WM-Gewinn auch bereitwillig, was er zu Götze im Maracanã-Stadion gesagt hatte: "Zeig’ der Welt, dass du besser bist als Lionel Messi." Ein Satz, der bleiben wird. Mario Götze zierte sich ein wenig, auf die Messi-Episode einzugehen. Er fühlte sich schon geschmeichelt genug, ab jetzt in einer Reihe mit den deutschen WM-Siegtorschützen Helmut Rahn (1954), Gerd Müller (1974) und Andreas Brehme (1990) zu stehen, er spürte, dass man ihm das als Größenwahn auslegen würde, wenn er noch mit Messi anfangen würde. Erst als er sicher sein konnte, dass Joachim Löw die Geschichte selbst in Umlauf gebracht hatte, bestätigte er sie: "Ja, der Name Messi ist gefallen."

"Der Mario Götze ist ja so ein Wunderkind", sagte Joachim Löw außerdem. Der Satz drückt höchste Wertschätzung aus, jedoch auch ebensolche Erwartung. Dieses Spannungsfeld erklärt, warum die Deutschen auf den 22-Jährigen in der ganzen Bandbreite von Verehrung bis Ablehnung reagieren. Götze hat sich damit in den Wochen nach dem WM-Gewinn auseinandergesetzt und im ersten Interview nach der Sommerpause zusammengefasst: "Ich finde es schon faszinierend, dass von mir immer und zu jeder Zeit absoluter Perfektionismus erwartet wird. Deshalb überlege ich inzwischen zweimal, was ich sage und wie ich mich verhalte." Er kommt sich bisweilen ungerecht behandelt vor von der Mehrheit, das hört man auch heraus, wenn er vom kleinen Kreis derer erzählt, die ihm die Kraft geben für eine Karriere im Fokus der Öffentlichkeit: "Meine Freundin, meine Familie, mein Freund und Berater Volker Struth."

Toni Kroos hat den FC Bayern verlassen, er spielt nun für Real Ma- drid. Die Münchner haben sich auf diesen Verkauf eingelassen, weil sie erwarten, dass dadurch die Rolle von Mario Götze klarer wird. Das Weltmeister-Tor von Rio (Sportvorstand Matthias Sammer: "Fantastisch" – Vorstandsvorsitzender Karl-Heinz Rummenigge: "Nicht viele hätten das Tor in dieser Weise erzielen können") hat die Münchner Verantwortlichen im Glauben an Mario Götzes Möglichkeiten bestärkt. "Man hat Mario von medialer und von Fanseite immer den Vorwurf gemacht, er sei noch nicht angekommen. Im zweiten Jahr muss er in dieser Richtung durchstarten", sagt Rummenigge, "er wird das Vertrauen, das wir in ihn haben, jetzt auch voll und ganz rechtfertigen. Er wird ein großer Spieler bei Bayern, ein ganz großer." Einen Platz in der deutschen Fußballgeschichte hat er jetzt schon sicher. Für immer.

[gk]

Mario Götze hatte es nicht leicht bei der WM. Als besonders Begabter steht er unter besonderer Beobachtung und in Brasilien fand er nicht immer zu seiner Leistung. Dennoch verließ er die WM als strahlender Sieger: mit dem goldenen Pokal und einem Tor, das in die Fußballgeschichte einging. Ein Tor, das einmal mehr zeigte, was für ein großartiger Spieler der Bayern-Profi ist.

Heute (ab 20.45 Uhr, live im ZDF), bei der Neuauflage des WM-Endspiels gegen Argentinien, werden in Düsseldorf Erinnerungen lebendig an den 13. Juli und jene 113. Minute von Rio.

Die Veranstaltung gehörte schon zur neuen Saison, doch man reiste noch einmal zurück in die alte. Der FC Bayern machte das dramaturgisch perfekt. Als er an einem warmen August-Samstag in der ausverkauften Allianz Arena seine Mannschaft für 2014/2015 vorstellte, sparte er sich seine sechs Weltmeister bis zuletzt auf.

Man spielte noch einmal die bedeutsamen Szenen der WM ein auf den beiden großen Videowänden, und ganz am Schluss – weil es danach keine Steigerung mehr gibt, weil es ein Endpunkt ist – kam das Tor. Mit TV-Originalkommentar: Wie Mario Götze die Flanke von André Schürrle annahm, den Ball von der Brust abtropfen ließ und mit dem linken Fuß am argentinischen Torhüter Sergio Romero vorbei knapp neben den Pfosten ins Tor setzte.

Ein Tor, an dem eine ganze Nation Anteil nahm

Alle im Münchner Stadion schauten hin, auch die Spieler, aufgereiht auf einem Podium, blickten hinauf, wissend lächelnd und doch gebannt. Dann kam noch einmal der Jubel, als wäre es live, wie damals am 13. Juli. Und Mario Götze wirkte fast ein wenig verlegen, als er den Moment nacherlebte, an dem eine ganze Nation Anteil nahm, der aber vor allem der Clou in seiner persönlichen Geschichte war.

Eine Sekunde, die alles veränderte. Götze hatte im WM-Turnier schon ein Tor erzielt, das 1:0 im zweiten Gruppenspiel gegen Ghana, und er hatte die Arme pathetisch ausgebreitet, als lege er es darauf an, wie die Christus-Statue zu wirken, die über Rio wacht. Seinen Kritikern war das nicht entgangen. Es waren zum Teil Kritiker, die ihn das ganze Jahr seit seinem Wechsel vom BVB zum FCB begleitet hatten.

"Es war keine leichte Saison"

Dortmund hatte er verlassen – aber in München war er noch nicht so richtig angekommen. "Es war keine leichte Saison für mich und kein leichtes WM-Turnier", sagte Götze dann auch in Rio, als er resümierte, was so alles hinter ihm lag. Im kompletten Jahr und speziell in den Wochen in Brasilien

In München hing ihm noch die Muskelverletzung aus Dortmund nach, seine neue Mannschaft siegte erst einmal ohne ihn. Und obwohl er in 27 Bundesligapartien mit zehn Toren eine respektable Quote bot, fand er keinen festen Platz im Team von Trainer Pep Guardiola, der doch auch ein Grund gewesen war, aus dem Vertrag mit Borussia Dortmund auszusteigen.

Als mit dem Pokalsieg gegen den BVB dann wenigstens das deutsche Double vollendet war, traute sich Mario Götze, die leise Kritik zu äußern, er hätte sich schon mehr Einsatzzeiten gewünscht. Vor allem in der Champions League: Da blieb der 2:0-Sieg im Achtelfinal-Hinspiel beim FC Arsenal sein einziger 90-Minuten-Einsatz, in den Halbfinals gegen Real Madrid wurde er jeweils erst in der 72. Minute eingewechselt.

Im Finale: wenn, hätte, wäre

Also auf die Weltmeisterschaft hoffen. Nach einer misslungenen ersten Halbzeit im Achtelfinale gegen Algerien – Götze war der deutsche Spieler mit der schwächsten Zweikampfquote – war er draußen. Er durfte noch die letzten sieben Minuten des Viertelfinales gegen Frankreich mitbestreiten, weil man bei einer 1:0-Führung einen brauchte, der die Bälle halten kann, doch er kam nicht zum Einsatz beim historischen 7:1 gegen Brasilien und war nicht vorgesehen fürs große Finale.

Und wenn nicht Sami Khedira kurzfristig hätte passen müssen und Christoph Kramer nicht eine Gehirnerschütterung erlitten hätte, wäre die Wechselpolitik von Joachim Löw vielleicht eine andere gewesen. Doch als sich die Verlängerung abzeichnete, nahm der Bundestrainer noch eine offensive Wechseloption vor: Götze für Miroslav Klose.

Höchste Wertschätzung vom Bundestrainer

Und es kam vor der Verlängerung noch zum Vier-Augen-Gespräch zwischen Trainer und Spieler. Joachim Löw verriet nach dem WM-Gewinn auch bereitwillig, was er zu Götze im Maracanã-Stadion gesagt hatte: "Zeig’ der Welt, dass du besser bist als Lionel Messi." Ein Satz, der bleiben wird. Mario Götze zierte sich ein wenig, auf die Messi-Episode einzugehen. Er fühlte sich schon geschmeichelt genug, ab jetzt in einer Reihe mit den deutschen WM-Siegtorschützen Helmut Rahn (1954), Gerd Müller (1974) und Andreas Brehme (1990) zu stehen, er spürte, dass man ihm das als Größenwahn auslegen würde, wenn er noch mit Messi anfangen würde. Erst als er sicher sein konnte, dass Joachim Löw die Geschichte selbst in Umlauf gebracht hatte, bestätigte er sie: "Ja, der Name Messi ist gefallen."

"Der Mario Götze ist ja so ein Wunderkind", sagte Joachim Löw außerdem. Der Satz drückt höchste Wertschätzung aus, jedoch auch ebensolche Erwartung. Dieses Spannungsfeld erklärt, warum die Deutschen auf den 22-Jährigen in der ganzen Bandbreite von Verehrung bis Ablehnung reagieren. Götze hat sich damit in den Wochen nach dem WM-Gewinn auseinandergesetzt und im ersten Interview nach der Sommerpause zusammengefasst: "Ich finde es schon faszinierend, dass von mir immer und zu jeder Zeit absoluter Perfektionismus erwartet wird. Deshalb überlege ich inzwischen zweimal, was ich sage und wie ich mich verhalte." Er kommt sich bisweilen ungerecht behandelt vor von der Mehrheit, das hört man auch heraus, wenn er vom kleinen Kreis derer erzählt, die ihm die Kraft geben für eine Karriere im Fokus der Öffentlichkeit: "Meine Freundin, meine Familie, mein Freund und Berater Volker Struth."

Toni Kroos hat den FC Bayern verlassen, er spielt nun für Real Ma- drid. Die Münchner haben sich auf diesen Verkauf eingelassen, weil sie erwarten, dass dadurch die Rolle von Mario Götze klarer wird. Das Weltmeister-Tor von Rio (Sportvorstand Matthias Sammer: "Fantastisch" – Vorstandsvorsitzender Karl-Heinz Rummenigge: "Nicht viele hätten das Tor in dieser Weise erzielen können") hat die Münchner Verantwortlichen im Glauben an Mario Götzes Möglichkeiten bestärkt. "Man hat Mario von medialer und von Fanseite immer den Vorwurf gemacht, er sei noch nicht angekommen. Im zweiten Jahr muss er in dieser Richtung durchstarten", sagt Rummenigge, "er wird das Vertrauen, das wir in ihn haben, jetzt auch voll und ganz rechtfertigen. Er wird ein großer Spieler bei Bayern, ein ganz großer." Einen Platz in der deutschen Fußballgeschichte hat er jetzt schon sicher. Für immer.