Löw: "Confed Cup ist eine wichtige Etappe"

Frage: Nennen Sie den Confed Cup deshalb Perspektivturnier?

Löw: Ja, das macht für mich den Confed Cup aus, das ist für mich wichtig. Wir haben talentierte Spieler bei uns, in der Bundesliga, in den Vereinen - aber der Maßstab ist für uns nicht nur die Bundesliga, die Messlatte ist die absolute Weltklasse. Messi und Ronaldo. Julian Brandt, Leroy Sané, Joshua Kimmich, Julian Weigl, Leon Goretzka, Serge Gnabry und einige andere Spieler - sie sind hochtalentiert und haben beste Voraussetzungen, aber sie sind eben noch nicht in der Weltklasse. Noch lange nicht! Aber wir brauchen Weltklassespieler, wenn wir Titel gewinnen wollen.

Frage: Wehret dem Stillstand?

Löw: Was ich über die Jahre gelernt habe, ist, dass man Veränderungen braucht - ob man erfolgreich ist oder nicht. Nicht immer abrupt, aber über gewisse Phasen hinweg. Die Zyklen, an denen wir alles ausrichten, sind die Turnierjahre, also alle zwei Jahre. Deshalb ist auch der Confed Cup als Etappe wichtig. Wir sind jetzt vier Wochen zusammen, haben inklusive der beiden vorgelagerten Länderspiele bis zu sieben Spiele. Danach kann ich Spieler anders beurteilen, sehen, woran der eine oder andere noch arbeiten muss.

Frage: Wie schwer ist es Ihnen gefallen, wegen der U 21-EM auf weitere junge Spieler zu verzichten?

Löw: Was mir ein bisschen wehtut, ist die Absage von Leroy Sané. Er hat unheimlich viel Potenzial, so ein Turnier wäre für ihn gut gewesen - egal, ob bei uns oder der U 21. Es gibt Spieler, die hätten beiden Mannschaften gutgetan. Die U 21-EM ist genauso wichtig für uns und absolut in unserem Blickfeld, auch da müssen sich unsere Spieler auf internationalem Parkett beweisen, das ist eine gute Situation für sie.

Frage: Welchen Spielern kommen beim Confed Cup Führungsrollen zu? Ist Julian Draxler der logische Kapitän?

Löw: Julian soll auf jeden Fall eine Führungsrolle übernehmen. Er steht für die Generation nach der Generation 2010 um Manuel Neuer. Wenn die mal aufhört, kann Draxler immer noch in der Nationalmannschaft spielen. Er hat sich in Paris fußballerisch noch mal weiterentwickelt, auch von seiner Persönlichkeit her. Shkodran Mustafi ist ein Spieler, der in jungen Jahren schon gut organisieren kann, sehr kommunikativ ist. Ansonsten muss es sich ein bisschen zeigen, wer von den Jungen Führungsaufgaben übernimmt. Das ist ja auch spannend und schön zu beobachten. 

Frage: Wie sehr schauen Sie vor Ort rechts und links des Platzes, also auch auf die politische Lage?

Löw: Wir sind darüber auch in Austausch mit unserem Präsidenten Reinhard Grindel, der unsere Delegation in Russland anführen wird. Beim DFB beschäftigt man sich sehr intensiv mit der Situation. Ich finde es sehr wichtig, dass man die Gelegenheit nutzt, in einem Land auch hinter die Kulissen zu schauen, sich eine Meinung zu bilden und im Rahmen seiner Möglichkeiten auch die Stimme zu erheben. Bevor wir nach Russland gehen, werden wir unsere Mannschaft einstimmen, so wie wir das auch schon vor den Turnieren in Südafrika und Brasilien gemacht haben. Man sollte nicht vergessen, dass wir Gäste in Russland sein werden und an einem Fußballturnier teilnehmen. Und man sollte vom Fußball auch nicht erwarten, dass er Probleme und Missstände überwindet, die die Politik auch nicht löst. Aber wir werden die Augen sicher nicht verschließen.

Frage: Wie kann das konkret aussehen?

Löw: Wir haben auch in Südafrika oder Brasilien über die Probleme gesprochen, die es gab. Ich sehe es so: Als Mannschaft bietet sich uns die Möglichkeit, auf unserer sportlichen Ebene auf die Menschen zuzugehen. Es geht um Begegnungen, Fußball hat eine riesige integrative Kraft, Fußball verbindet. Unabhängig von Hautfarbe, Herkunft, politischer Gesinnung. Das ist unser Trumpf, und den werden wir auch ausspielen. Unsere Spieler sind weltoffen, sie sollen sich umschauen und sich ihre Meinung bilden. Wir sollten uns öffnen für die Fußballfans im jeweiligen Land, das ist uns wichtig. Ich glaube, dass auch die Russen unheimlich fußballbegeistert sind, das verbindet uns. Das kann unsere Mannschaft beisteuern.



Diese Woche geht es zum Confed Cup nach Russland: Bundestrainer Joachim Löw und der deutschen Nationalmannschaft stehen intensive Wochen mit interessanten Aufgaben bevor. Im Interview auf DFB.de spricht der 57-jährige Weltmeistercoach über seinen recht unerfahrenen Kader, die deutschen Talente, die Vorfreude auf Russland, aber auch abseits des Fußballs auf die politische Situation im Gastgeberland der WM 2018.

Frage: Joachim Löw, wie gut ist der Espresso in Russland?

Joachim Löw: Sagen wir mal so: ordentlich. Ich habe noch keine schlechten Erfahrungen gemacht. (lacht)

Frage: Also freuen Sie sich auf den Confed Cup?

Löw: Ja, sehr sogar. Wir haben jetzt wieder eine längere Phase, in der wir mit der Mannschaft und dem Team hinter dem Team zusammen sind, das ist gut. Ich finde den Confed Cup wirklich spannend für uns, weil wir da gewisse Erfahrungen und Eindrücke sammeln können. Gerade mit diesem Kader...

Frage: ... einem sehr jungen, ohne zahlreiche Weltmeister.

Löw: Über allem steht die WM 2018 und der erneute Titelgewinn, das ist die Vision. Eine Mission auf dem Weg dahin ist die Teilnahme am Confed Cup. Das Ziel für mich ist, drei oder vier, vielleicht sogar fünf Spieler so weit zu bekommen, über dieses Turnier und die nächste Saison, dass sie in der Lage sind, Druck zu machen auf unsere etablierten Spieler, wenn es 2018 um den Titel geht. Wir möchten Spieler auf ein anderes Niveau heben. Das zu schaffen, ist mir wichtig.

Frage: Heißt das, dass Ihr WM-Kader für 2018 zu 80, 90 Prozent steht?

Löw: Das muss es nicht heißen, nein. Wir haben noch zwölf, 13 Weltmeister dabei, etablierte Spieler, von denen ich weiß, dass sie große Erfahrung und große Klasse haben. Wie Manuel Neuer, Toni Kroos, Mats Hummels, Jerome Boateng, Sami Khedira, Thomas Müller, Mesut Özil. Aber das Wichtigste ist, dass man sich immer wieder verändert. Das schafft man, wenn junge Spieler gut sind und sich einen Platz in der Mannschaft erkämpfen wollen. Dann müssen die, die schon viel erreicht haben, ihre Qualität bestätigen. Diese Spieler haben Klasse, aber auch sie brauchen Konkurrenzkampf, um sich ständig neu zu beweisen. Ich will, dass wir wieder hungrig sind.

Frage: Aber die Weltmeister haben einen Vorsprung?

Löw: Ja, klar. Die, die ich genannt habe, spielen noch immer auf höchstem internationalen Niveau, sind in ihren Vereinen Leistungsträger, und ich war mit ihnen auch nach der WM zufrieden. Trotzdem: Wir wollen immer wieder Reize setzen, gerade diese Spieler dürfen nicht zufrieden sein. Sie brauchen wieder Druck durch junge Spieler, damit sie sich weiterentwickeln, noch einen Tick besser werden. Bei der WM muss jeder Einzelne an sein persönliches Limit gehen, vielleicht sogar darüber hinaus. Wenn das nicht der Fall ist, hat es eine Mannschaft schwer.

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Frage: Nennen Sie den Confed Cup deshalb Perspektivturnier?

Löw: Ja, das macht für mich den Confed Cup aus, das ist für mich wichtig. Wir haben talentierte Spieler bei uns, in der Bundesliga, in den Vereinen - aber der Maßstab ist für uns nicht nur die Bundesliga, die Messlatte ist die absolute Weltklasse. Messi und Ronaldo. Julian Brandt, Leroy Sané, Joshua Kimmich, Julian Weigl, Leon Goretzka, Serge Gnabry und einige andere Spieler - sie sind hochtalentiert und haben beste Voraussetzungen, aber sie sind eben noch nicht in der Weltklasse. Noch lange nicht! Aber wir brauchen Weltklassespieler, wenn wir Titel gewinnen wollen.

Frage: Wehret dem Stillstand?

Löw: Was ich über die Jahre gelernt habe, ist, dass man Veränderungen braucht - ob man erfolgreich ist oder nicht. Nicht immer abrupt, aber über gewisse Phasen hinweg. Die Zyklen, an denen wir alles ausrichten, sind die Turnierjahre, also alle zwei Jahre. Deshalb ist auch der Confed Cup als Etappe wichtig. Wir sind jetzt vier Wochen zusammen, haben inklusive der beiden vorgelagerten Länderspiele bis zu sieben Spiele. Danach kann ich Spieler anders beurteilen, sehen, woran der eine oder andere noch arbeiten muss.

Frage: Wie schwer ist es Ihnen gefallen, wegen der U 21-EM auf weitere junge Spieler zu verzichten?

Löw: Was mir ein bisschen wehtut, ist die Absage von Leroy Sané. Er hat unheimlich viel Potenzial, so ein Turnier wäre für ihn gut gewesen - egal, ob bei uns oder der U 21. Es gibt Spieler, die hätten beiden Mannschaften gutgetan. Die U 21-EM ist genauso wichtig für uns und absolut in unserem Blickfeld, auch da müssen sich unsere Spieler auf internationalem Parkett beweisen, das ist eine gute Situation für sie.

Frage: Welchen Spielern kommen beim Confed Cup Führungsrollen zu? Ist Julian Draxler der logische Kapitän?

Löw: Julian soll auf jeden Fall eine Führungsrolle übernehmen. Er steht für die Generation nach der Generation 2010 um Manuel Neuer. Wenn die mal aufhört, kann Draxler immer noch in der Nationalmannschaft spielen. Er hat sich in Paris fußballerisch noch mal weiterentwickelt, auch von seiner Persönlichkeit her. Shkodran Mustafi ist ein Spieler, der in jungen Jahren schon gut organisieren kann, sehr kommunikativ ist. Ansonsten muss es sich ein bisschen zeigen, wer von den Jungen Führungsaufgaben übernimmt. Das ist ja auch spannend und schön zu beobachten. 

Frage: Wie sehr schauen Sie vor Ort rechts und links des Platzes, also auch auf die politische Lage?

Löw: Wir sind darüber auch in Austausch mit unserem Präsidenten Reinhard Grindel, der unsere Delegation in Russland anführen wird. Beim DFB beschäftigt man sich sehr intensiv mit der Situation. Ich finde es sehr wichtig, dass man die Gelegenheit nutzt, in einem Land auch hinter die Kulissen zu schauen, sich eine Meinung zu bilden und im Rahmen seiner Möglichkeiten auch die Stimme zu erheben. Bevor wir nach Russland gehen, werden wir unsere Mannschaft einstimmen, so wie wir das auch schon vor den Turnieren in Südafrika und Brasilien gemacht haben. Man sollte nicht vergessen, dass wir Gäste in Russland sein werden und an einem Fußballturnier teilnehmen. Und man sollte vom Fußball auch nicht erwarten, dass er Probleme und Missstände überwindet, die die Politik auch nicht löst. Aber wir werden die Augen sicher nicht verschließen.

Frage: Wie kann das konkret aussehen?

Löw: Wir haben auch in Südafrika oder Brasilien über die Probleme gesprochen, die es gab. Ich sehe es so: Als Mannschaft bietet sich uns die Möglichkeit, auf unserer sportlichen Ebene auf die Menschen zuzugehen. Es geht um Begegnungen, Fußball hat eine riesige integrative Kraft, Fußball verbindet. Unabhängig von Hautfarbe, Herkunft, politischer Gesinnung. Das ist unser Trumpf, und den werden wir auch ausspielen. Unsere Spieler sind weltoffen, sie sollen sich umschauen und sich ihre Meinung bilden. Wir sollten uns öffnen für die Fußballfans im jeweiligen Land, das ist uns wichtig. Ich glaube, dass auch die Russen unheimlich fußballbegeistert sind, das verbindet uns. Das kann unsere Mannschaft beisteuern.

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Frage: Werden Sie an den von Reinhard Grindel angekündigten Gesprächen etwa mit Oppositionellen teilnehmen?

Löw: Das ist nicht vorgesehen, zumal wir ein sehr straffes sportliches Programm durch den engen Turnierkalender haben. Unser Präsident kann das auch viel besser als ich, er und unser Manager Oliver Bierhoff stehen dazu in ständigem Austausch. Aber ich denke schon, dass die Mannschaft eine Rolle hat und die Delegation ebenso. Wir wollen mit unserer Mannschaft zeigen, wofür wir stehen: Deutschland ist eine Mannschaft, die Toleranz und Offenheit lebt und Freude daran hat, sich im jeweiligen Land zu bewegen, die Kultur und Mentalität der Menschen zu verstehen, sich dem zu öffnen. Das ist mir wichtig.

Frage: Ist die Vorfreude bei Ihnen angesichts von kritischen Meldungen über die FIFA und Gastgeber Russland so groß wie etwa 2016?

Löw: Ja, die Vorfreude ist genauso groß wie auf andere Turniere. Ich bin gespannt auf Russland, bin bislang überaus freundlich aufgenommen worden. Man spürt, dass die Russen uns Deutschen mit viel Respekt begegnen. Wenn es losgeht, blendet man zwar nicht alles andere aus, aber man ist fokussiert auf den Fußball, auf die Mannschaft, auf das Turnier, die Gegner. Die Jungs arbeiten hart für den sportlichen Erfolg und sind gedanklich voll darauf eingestellt. Diskussionen gab es ja auch in anderen Ländern wie in Südafrika oder Brasilien, wo ein Jahr vor der WM Millionen auf den Straßen demonstriert hatten. Das haben wir sehr wohl wahrgenommen und uns damit beschäftigt.

Frage: Welchen Wert hat der Confed Cup an sich?

Löw: Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass der Confed Cup zunächst einmal für den Gastgeber hervorragend ist als Vorbereitung. 2005 hat bei uns viel bewirkt, auch für den Teamgeist. Russland freut sich und nimmt das Turnier unheimlich ernst. Ich als Trainer muss aber einschätzen: Wie groß ist die Belastung bei den Spielern, die ich schon acht oder neun Jahre begleite? Wie verkraften sie so ein Turnier?

Frage: Und?

Löw: Ich weiß, was es heißt, wie 2014 oder 2016 sieben, acht Wochen zusammen zu sein - nach einer harten Ligasaison. Das ist eine hohe körperliche und emotionale Belastung. Dann kommen die Spieler später ins Training, nach zwei, drei Wochen beginnt für sie wieder der Ligaalltag. Das hat zur Folge, dass sich manche immer wieder verletzen, weil sie nicht hundertprozentig fit sind, alles durch die Saison schleppen und immer mehr an Form verlieren. Drei Turniere in drei Jahren halte ich für grenzwertig.

Frage: Sorgen Sie sich vor diesem Hintergrund um Spieler wie Mario Götze oder Jerome Boateng?

Löw: Noch ist es ein bisschen zu früh, um mir Sorgen zu machen. Ich kenne es ja, dass Spieler angeschlagen oder verletzt sind...

Frage:  Auch aufgrund von Verletzungsproblemen waren die deutschen Klubmannschaften in dieser Saison in der entscheidenden Phase schon draußen. Sehen Sie das als Warnsignal?

Löw: In der Champions League, nein. Bayern hätte auch gegen Real weiterkommen können. Die Bayern waren sehr gut und mindestens auf Augenhöhe mit Real, sie sind immer in der Lage, die Champions League auch zu gewinnen. Aber auf diesem allerhöchsten Level entscheiden Kleinigkeiten und einzelne Situationen. Borussia Dortmund hat diesen schrecklichen Anschlag erleben müssen. Sie haben für mich auch eine gute Saison gespielt. In der Europa League hätte ich mir schon gewünscht, dass die eine oder andere Mannschaft ein bisschen weiter gekommen wäre. Schalke hatte es in der Hand.

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Frage: Sind Sie manchmal fußballmüde?

Löw: Nein, vielleicht manchmal drei, vier Wochen nach einem Turnier. Turniere dauern für uns ein halbes Jahr inklusive Vorbereitung mit wahnsinnig intensiven Gesprächen. Ich als Trainer stehe da ständig unter Strom. Wenn dann das Turnier vorbei ist, spüre ich ein paar Tage später Müdigkeit, unabhängig vom Ergebnis. Das ist nach jedem Highlight so. Da kommt ein emotionaler Abfall, und ich sage: Lasst mich mal zwei, drei Wochen in Ruhe, ich will auftanken, andere Dinge genießen.

Frage: Das fällt angesichts der Dauerberieselung durch Fußball schwer.

Löw: Es ist ein gefährliches Spiel, wir dürfen das Rad nicht überdrehen. Man kann schon den Eindruck gewinnen, dass manches sehr aufgebläht worden ist, die Terminplangestaltung ist alles andere als glücklich. Die Spieler gehen nach Saisonende ein paar Tage in den Urlaub, können aber eigentlich gar keinen Urlaub machen, weil sie immer ein Trainingsprogramm haben. Dann müssen sie nach zwei Wochen wieder richtig hochfahren. Das ist dauerhaft nicht gut. Es gibt viele Turniere, die Klub-WM soll aufgestockt werden, die WM wird aufgestockt, die EM ist aufgestockt. Ich denke: Wenn man ein gutes Produkt hat und es noch begehrlicher machen möchte, dann wäre Verknappung vielleicht gut.

Frage: Befürchten Sie einen Overkill?

Löw: Wir sollten sachlich bleiben und keine allzu heftigen Negativszenarien bemühen, es bleibt ja dabei, dass wir alle den Fußball lieben. Aber irgendwann muss man wissen: Gibt es nicht eine Grenze? Die EM war spannend, aber wenn drei Mannschaften in einer Gruppe weiterkommen, drei von vier, finde ich das nicht mehr so beglückend. Wenn eine Mannschaft mit drei Unentschieden weiterkommen kann, ist das gefährlich, weil die etwas kleineren Nationen sich sagen: Lasst uns nur verteidigen, wir müssen ja nicht mehr gewinnen. Die zerstören dann nur noch. Das wirkt sich dauerhaft auf die Qualität des Spiels aus, das verändert das Spiel. Das Spiel lebt aber von der Offensive, vom Agieren, nicht vom Reagieren und davon, sich mit zehn Mann zu verschanzen.

Frage: Ist das nicht frustrierend? Oder erleben Sie auf der Bank noch Glücksmomente?

Löw: Ja, weil ich es als Trainer auch spannend finde, gegen Gegner zu spielen, die sehr defensiv agieren. Wie Nordirland bei der EM. Da haben wir nur 1:0 gewonnen, hatten aber zehn Riesenchancen. Das beglückt mich, wenn unsere Mannschaft in der Lage ist, den Gegner nicht mit Zufallsaktionen auseinanderzuspielen. Aber der Zuschauer, der Fan im Stadion oder am Fernsehschirm, der sagt: Das wird mir langweilig - und wendet sich ab.

Frage: Wie bewerten Sie in diesem Zusammenhang die auch durch das Pokalfinale belebte Diskussion um Kommerzialisierung im Fußball?

Löw: Das Pokalfinale ist ein wunderbarer Schluss- und Höhepunkt einer Saison, so etwas wie ein Feiertag des Fußballs. Und der darf auch einen gewissen Rahmen haben - jung, frisch, modern, fetzig. Dafür steht für mich persönlich übrigens auch Helene Fischer, für die es mir sehr leid tut, dass sie ausgepfiffen wurde. Das hat sie nicht verdient. Ich finde, man pfeift auch nicht die Nationalhymne aus, das ist respektlos. Der DFB-Pokal ist ein toller Wettbewerb, neben der Meisterschaft ist dies der zweitwichtigste Titel, den man in Deutschland holen kann. Die Vereine erhalten eine enorme Plattform und auch hohe Prämien. Dass diese eingespielt werden müssen, ist doch klar.

Frage: Vor allem der DFB als Institution stand dabei - im Gegensatz zu den Klubs - in der öffentlichen Kritik. Zu Recht?

Löw: Ich finde, dass da vieles zu Unrecht auf den DFB projiziert wird. Es ist doch klar, dass man sich mit Sanktionen des Sportgerichts nicht beliebt macht. Aber für mich haben Feuerwerkskörper im Stadion nichts zu suchen, sie sind gefährlich und kein Ausdruck von sogenannter Fankultur. Der DFB leistet so viel Gutes für den Fußball, an der Basis, im sozialen und gesellschaftlichen Bereich. Schade, dass dies in der öffentlichen Diskussion untergeht.

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Frage: Dennoch: Frisst sich der Fußball selbst?

Löw: Die Belastung der Spieler ist wahnsinnig hoch. Ich frage mich: Kann ein Spieler, wie es vor 15, 20 Jahren der Fall war, heute noch zwölf, 13 Jahre international super Leistung bringen, oder wird ein Miroslav Klose die komplette Ausnahme? Können Spieler, die heute 20 sind, mit 30 immer noch besser werden, oder werden sie aufgrund der vielen Belastungen mit 27, 28 schlechter?

Frage: Ist das so?

Löw: Es sind ja nicht nur die Spiele, es sind auch die kurzen Pausen, die kurzen Vorbereitungen, die Turniere, viele Reisen, die Kraft kosten. Da sehe ich bei manchen in relativ jungen Jahren Verschleißerscheinungen.

Frage: Auch deshalb gönnen Sie vielen Stars im Sommer eine Pause.

Löw: Ja. Ich möchte, dass unsere Spieler, die schon viele Turniere gespielt haben, ausgeruht in die kommende Saison gehen und im nächsten Jahr Topleistungen bringen können, denn das müssen sie. Russland wird beim Confed Cup eine junge, engagierte deutsche Mannschaft sehen. Wir freuen uns und nehmen das ernst. Und im nächsten Jahr sehen sie unsere Weltmeister, die diesen Erfolg bestätigen wollen.

Frage: Sollten Sie 2018 den Titel erfolgreich verteidigen - ist ein Abschied dann denkbar?

Löw: Das ist noch wahnsinnig weit weg. Aber ich weiß, dass es beim DFB immer eine vertrauensvolle Zusammenarbeit gibt. Ein Turnier ist immer eine Zäsur, man schaut sich gemeinsam an, wie die Entwicklung war, die Perspektiven sind. Dann fragt man: Passt das noch? Für mich als Trainer ist da wichtig: Habe ich das Gefühl, dass ich die Mannschaft erreiche, dass ich noch was verbessern kann, habe ich noch Ideen? Ich mache das nicht vom nackten Ergebnis abhängig, sondern von der ganzen Situation.

Frage: Hält diese neue, junge Mannschaft für den Confed Cup auch den Bundestrainer frisch?

Löw: Ja, klar. Jetzt müssen wir wieder schauen, dass wir innerhalb von kurzer Zeit eine gewisse Harmonie herstellen, eine gewisse Basis. Dass wir Automatismen einschleifen, zurückgehen zu Grundlegendem, dass die Spieler unsere Philosophie verinnerlichen. Das finde ich auch mal wieder spannend.

Frage: Ist Ihnen Entwicklung dann sogar wichtiger als ein Titel?

Löw: Beides bedeutet mir viel. Entwicklung war mir immer wichtig, ich bin kein Trainer, der nur ergebnisorientiert arbeiten will. Ich möchte sehen, dass die Mannschaft sich spielerisch, fußballerisch und in anderen Dingen entwickelt. Wir wollen immer mit der Zeit gehen. Deutschland ist Gott sei Dank weg davon zu glauben, wenn man rennt und kämpft, kann man alles lösen. Das galt früher mal, das war ja so, und das war unsere große Stärke. Aber alles hat sich verändert, und wir mussten uns fußballerisch weiterentwickeln. Inzwischen gehört auch die Spielfreude zu den deutschen Tugenden.

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