Havertz: Die Zukunft im Blick

So früh so gut wie Kai Havertz war kaum einer in der Geschichte des deutschen Fußballs. Für Bayer Leverkusen ist der 20-Jährige unverzichtbar, in der Nationalmannschaft hat er diesen Status vor dem Länderspiel gegen Argentinien am Mittwoch (ab 20.45 Uhr, live bei RTL) noch nicht erreicht. Havertz ist geduldig, unter Deutschlands Besten sieht er sich als Lernender. Noch.

So dunkel hier, kalt, eng, viel Metall. Wo ist das Licht, wo die Sonne, wo der Rasen? Kai Havertz fühlt sich unwohl, er will weg, raus hier. Verwirrt ist er, weiß nicht genau, wie er an diesen Ort gekommen ist. Schuld ist sein früherer Mannschaftskollege Tin Jedvaj. Keine Bange, die Szene ist nicht real, sie existiert nur in der Vorstellung von Jedvaj und das auch nur, wenn man ihn wörtlich nimmt. Denn Jedvaj hatte Havertz nicht einsperren, sondern ihm ein großes Lob zollen wollen. Oft sind es ja die Mannschaftskollegen, die die Fähigkeiten eines Spielers am besten einschätzen können. Augsburgs Jedvaj war lange Mitspieler von Havertz, es zeugt also von Kompetenz, wenn der kroatische Vizeweltmeister von 2018 über Havertz sagt: "Einen wie ihn muss man wie Gold behandeln und in einen Schweizer Tresor stecken, so wertvoll ist er."

Die Sache mit dem Gold dürfte beim Bundestrainer keinen vehementen Widerspruch auslösen, das mit dem Tresor hingegen schon. Joachim Löw hat schließlich noch einiges vor mit Havertz. Und er weiß, dass der Fußballer Kai Havertz sich am wohlsten in seinem natürlichen Lebensraum fühlt – dem Fußballplatz. Um die Verwendung von Havertz hatte es zuletzt ja Diskussionen gegeben. Wenn die deutsche Nationalmannschaft Fußball spielte, fand sich Havertz mitunter an einem Ort wieder, der zumindest begrifflich in eine Richtung deutet, die den Jedvaj‘schen Gedanken aufnimmt. Auf der Bank. Zehnmal gehörte er dem Kader der Nationalmannschaft an, fünfmal stand er auf dem Rasen, zweimal spielte er von Beginn an, noch nie 90 Minuten durch.

Zu wenig für einen Spieler mit seiner Veranlagung? Einen Spieler, in dessen Zusammenhang nicht nur Jedvaj den Begriff Gold verwendet, sondern der auch vom DFB schon ganz real mit diversen Edelmetallen behangen wurde? 2016 erhielt er die Fritz-Walter-Medaille in Silber in der Kategorie U 17-Junioren, 2018 die Fritz-Walter-Medaille in Gold als bester U 19-Junior. Im April 2018 absolvierte er sein 50. Bundesligaspiel im Alter von 18 Jahren und 307 Tagen, so jung war kein anderer bei dieser Marke. Mittlerweile ist Havertz die auffälligste Figur im Spiel von Bayer Leverkusen, 17 Tore und vier Vorlagen standen nach der vergangenen Bundesliga-Saison in seiner Statistik. Kollegen schwärmen, sogar die Gegner verneigen sich. Nach der Spielzeit 2018/2019 wurde Havertz in einer Umfrage des kicker von den Bundesligaspielern zum besten Spieler der Saison gewählt. Havertz, so lässt sich sagen, ist das größte Versprechen des deutschen Fußballs. Ein Spieler, für den die Menschen ins Stadion kommen; ein Spieler, der ein Spiel prägen kann, der Spiele mit einem Pass, mit einer Aktion entscheiden kann, der den Ball haben will, der Räume sieht, den Mitspieler und das Tor. Havertz ist zudem schnell, technisch stark, kopfballstark und nicht auffallend defensivschwach. Ziemlich komplett also, ein Fast-Alleskönner.

Behutsam aufbauen

Findet auch der Bundestrainer. "Ich weiß genau, was Kai Havertz kann und welche Qualitäten er hat. Es macht Spaß, ihm zuzuschauen", sagt Joachim Löw. "Bei ihm geht es uns auch darum, ihn behutsam aufzubauen und zu integrieren. Aber klar ist: Er kann für die Nationalmannschaft ein prägender Spieler sein. Für ihn finden wir einen Platz, auf jeden Fall." Eine ziemlich uneingeschränkte Hymne also, bis hierhin. Wäre da nicht der Zusatz: "In den nächsten Jahren." Denn Löw deutet auch auf die Konkurrenz: auf Kroos, auf Gündoğan, auf Reus, auf Goretzka – alles keine Rumpelfüßler, alles Spieler mit Qualität und Erfahrung. Dennoch ist auch für Löw klar: "Die Zukunft gehört Havertz." 

Wann diese Zukunft zur Gegenwart wird, ist eine der großen Fragen des deutschen Fußballs. Anders als mitunter berichtet, hat Havertz kein Problem damit, dass die Gegenwart die Zukunft noch nicht eingeholt hat. "Ich bin noch relativ neu dabei. Das Standing in diesem Kreis muss ich mir noch erarbeiten", sagt er. In der Nationalmannschaft spiele er mit Spielern, die schon alles gewonnen, alles gesehen haben. Da höre er gerne zu und schaue gerne hin. Und so freue er sich im DFB-Kreis nicht nur auf jedes Spiel, sondern genauso auf jedes Training. "Hier sind Spieler, von denen ich sehr viel lernen kann", sagt Havertz. "Es wird ja oft geschrieben, dass ich mit meiner Rolle in der Nationalmannschaft nicht zufrieden sei. Weil ich der Meinung sei, dass ich mehr spielen müsse. Natürlich bin ich ambitioniert, aber ich bin 20 Jahre alt, ich habe hoffentlich noch viele Jahre in der Nationalmannschaft vor mir."

Erster Assist

Zuletzt gab es den ersten Havertz-Moment für Deutschland. Im Qualifikationsspiel für die EURO 2020 kam Havertz in der 68. Minute ins Spiel. Deutschland tat sich schwer, der 1:0-Vorsprung durch den auffallend schönen Treffer von Marcel Halstenberg hatte nicht für Beruhigung gesorgt. Mit der Einwechslung von Havertz änderte sich die Statik. Direkt nach seiner Einwechslung setzte er einen Kopfball nur Zentimeter neben den linken Pfosten. In der 84. Minute pflückte er den Ball nach einer Flanke von Reus elegant vom Himmel, sein Abschluss wurde jedoch zur Ecke geblockt. Der erste zählbare Havertz-Moment kam spät. In Belfast lief die Nachspielzeit, als Havertz mit dem Ball am Fuß ein paar Meter Richtung Strafraum der Nordiren machte, Serge Gnabry sich löste, von Havertz bedient wurde und mit einem Schuss aus sehr spitzem Winkel zum 2:0 traf. Havertz Zuspiel war nicht die großartigste Aktion in der Fußballgeschichte, eine Aktion aber, die zeigte, dass Havertz seine Fähigkeiten nicht verliert, wenn er das rote Bayer-Trikot gegen das weiße der Nationalmannschaft tauscht. Und so wehte an diesem Abend ein Hauch von "Na, endlich" durch den Windsor Park.

"Na, endlich", dachte Joachim Löw, nachdem mit dem Treffer die letzten Zweifel am Sieg beseitigt waren. "Na, endlich", dachte Serge Gnabry, dem bis dahin tatsächlich kein Treffer gelungen war. Was in seinem Fall ja wirklich eine Besonderheit war, bei nun neun Toren in zehn Spielen für Deutschland. Und "na, endlich", dachte auch Havertz, nachdem mit der Vorlage der erste Scorer-Punkt in seiner Nationalmannschafts-Statistik erscheint. Gesagt hat er etwas anderes, etwas Geschliffeneres. "Für unsere junge Mannschaft war das heute ein wichtiges Spiel, es fehlt uns natürlich noch an Abgezocktheit. Aber solche Spiele bringen uns weiter, weil wir auch noch nicht so oft miteinander gespielt haben." Ist Havertz also voll angekommen im DFB-Team? Oft ist dafür ja ein guter Indikator, wie die Spieler miteinander jubeln und übereinander sprechen. Und manchmal sind Frotzeleien ein Zeichen der Wertschätzung. Nach dem 2:0 in Belfast stemmte Havertz den Torschützen Gnabry in die Höhe, warf ihn über die Schulter, und beinahe wäre Gnabry kopfüber auf den Boden geplumpst, ganz ausbalanciert war die Nummer nicht. Fand auch Gnabry. Auf Twitter schrieb er: "Großer Sieg für uns! Aber ich werde nicht mehr mit Kai Havertz feiern – zu gefährlich."

[sl]

So früh so gut wie Kai Havertz war kaum einer in der Geschichte des deutschen Fußballs. Für Bayer Leverkusen ist der 20-Jährige unverzichtbar, in der Nationalmannschaft hat er diesen Status vor dem Länderspiel gegen Argentinien am Mittwoch (ab 20.45 Uhr, live bei RTL) noch nicht erreicht. Havertz ist geduldig, unter Deutschlands Besten sieht er sich als Lernender. Noch.

So dunkel hier, kalt, eng, viel Metall. Wo ist das Licht, wo die Sonne, wo der Rasen? Kai Havertz fühlt sich unwohl, er will weg, raus hier. Verwirrt ist er, weiß nicht genau, wie er an diesen Ort gekommen ist. Schuld ist sein früherer Mannschaftskollege Tin Jedvaj. Keine Bange, die Szene ist nicht real, sie existiert nur in der Vorstellung von Jedvaj und das auch nur, wenn man ihn wörtlich nimmt. Denn Jedvaj hatte Havertz nicht einsperren, sondern ihm ein großes Lob zollen wollen. Oft sind es ja die Mannschaftskollegen, die die Fähigkeiten eines Spielers am besten einschätzen können. Augsburgs Jedvaj war lange Mitspieler von Havertz, es zeugt also von Kompetenz, wenn der kroatische Vizeweltmeister von 2018 über Havertz sagt: "Einen wie ihn muss man wie Gold behandeln und in einen Schweizer Tresor stecken, so wertvoll ist er."

Die Sache mit dem Gold dürfte beim Bundestrainer keinen vehementen Widerspruch auslösen, das mit dem Tresor hingegen schon. Joachim Löw hat schließlich noch einiges vor mit Havertz. Und er weiß, dass der Fußballer Kai Havertz sich am wohlsten in seinem natürlichen Lebensraum fühlt – dem Fußballplatz. Um die Verwendung von Havertz hatte es zuletzt ja Diskussionen gegeben. Wenn die deutsche Nationalmannschaft Fußball spielte, fand sich Havertz mitunter an einem Ort wieder, der zumindest begrifflich in eine Richtung deutet, die den Jedvaj‘schen Gedanken aufnimmt. Auf der Bank. Zehnmal gehörte er dem Kader der Nationalmannschaft an, fünfmal stand er auf dem Rasen, zweimal spielte er von Beginn an, noch nie 90 Minuten durch.

Zu wenig für einen Spieler mit seiner Veranlagung? Einen Spieler, in dessen Zusammenhang nicht nur Jedvaj den Begriff Gold verwendet, sondern der auch vom DFB schon ganz real mit diversen Edelmetallen behangen wurde? 2016 erhielt er die Fritz-Walter-Medaille in Silber in der Kategorie U 17-Junioren, 2018 die Fritz-Walter-Medaille in Gold als bester U 19-Junior. Im April 2018 absolvierte er sein 50. Bundesligaspiel im Alter von 18 Jahren und 307 Tagen, so jung war kein anderer bei dieser Marke. Mittlerweile ist Havertz die auffälligste Figur im Spiel von Bayer Leverkusen, 17 Tore und vier Vorlagen standen nach der vergangenen Bundesliga-Saison in seiner Statistik. Kollegen schwärmen, sogar die Gegner verneigen sich. Nach der Spielzeit 2018/2019 wurde Havertz in einer Umfrage des kicker von den Bundesligaspielern zum besten Spieler der Saison gewählt. Havertz, so lässt sich sagen, ist das größte Versprechen des deutschen Fußballs. Ein Spieler, für den die Menschen ins Stadion kommen; ein Spieler, der ein Spiel prägen kann, der Spiele mit einem Pass, mit einer Aktion entscheiden kann, der den Ball haben will, der Räume sieht, den Mitspieler und das Tor. Havertz ist zudem schnell, technisch stark, kopfballstark und nicht auffallend defensivschwach. Ziemlich komplett also, ein Fast-Alleskönner.

Behutsam aufbauen

Findet auch der Bundestrainer. "Ich weiß genau, was Kai Havertz kann und welche Qualitäten er hat. Es macht Spaß, ihm zuzuschauen", sagt Joachim Löw. "Bei ihm geht es uns auch darum, ihn behutsam aufzubauen und zu integrieren. Aber klar ist: Er kann für die Nationalmannschaft ein prägender Spieler sein. Für ihn finden wir einen Platz, auf jeden Fall." Eine ziemlich uneingeschränkte Hymne also, bis hierhin. Wäre da nicht der Zusatz: "In den nächsten Jahren." Denn Löw deutet auch auf die Konkurrenz: auf Kroos, auf Gündoğan, auf Reus, auf Goretzka – alles keine Rumpelfüßler, alles Spieler mit Qualität und Erfahrung. Dennoch ist auch für Löw klar: "Die Zukunft gehört Havertz." 

Wann diese Zukunft zur Gegenwart wird, ist eine der großen Fragen des deutschen Fußballs. Anders als mitunter berichtet, hat Havertz kein Problem damit, dass die Gegenwart die Zukunft noch nicht eingeholt hat. "Ich bin noch relativ neu dabei. Das Standing in diesem Kreis muss ich mir noch erarbeiten", sagt er. In der Nationalmannschaft spiele er mit Spielern, die schon alles gewonnen, alles gesehen haben. Da höre er gerne zu und schaue gerne hin. Und so freue er sich im DFB-Kreis nicht nur auf jedes Spiel, sondern genauso auf jedes Training. "Hier sind Spieler, von denen ich sehr viel lernen kann", sagt Havertz. "Es wird ja oft geschrieben, dass ich mit meiner Rolle in der Nationalmannschaft nicht zufrieden sei. Weil ich der Meinung sei, dass ich mehr spielen müsse. Natürlich bin ich ambitioniert, aber ich bin 20 Jahre alt, ich habe hoffentlich noch viele Jahre in der Nationalmannschaft vor mir."

Erster Assist

Zuletzt gab es den ersten Havertz-Moment für Deutschland. Im Qualifikationsspiel für die EURO 2020 kam Havertz in der 68. Minute ins Spiel. Deutschland tat sich schwer, der 1:0-Vorsprung durch den auffallend schönen Treffer von Marcel Halstenberg hatte nicht für Beruhigung gesorgt. Mit der Einwechslung von Havertz änderte sich die Statik. Direkt nach seiner Einwechslung setzte er einen Kopfball nur Zentimeter neben den linken Pfosten. In der 84. Minute pflückte er den Ball nach einer Flanke von Reus elegant vom Himmel, sein Abschluss wurde jedoch zur Ecke geblockt. Der erste zählbare Havertz-Moment kam spät. In Belfast lief die Nachspielzeit, als Havertz mit dem Ball am Fuß ein paar Meter Richtung Strafraum der Nordiren machte, Serge Gnabry sich löste, von Havertz bedient wurde und mit einem Schuss aus sehr spitzem Winkel zum 2:0 traf. Havertz Zuspiel war nicht die großartigste Aktion in der Fußballgeschichte, eine Aktion aber, die zeigte, dass Havertz seine Fähigkeiten nicht verliert, wenn er das rote Bayer-Trikot gegen das weiße der Nationalmannschaft tauscht. Und so wehte an diesem Abend ein Hauch von "Na, endlich" durch den Windsor Park.

"Na, endlich", dachte Joachim Löw, nachdem mit dem Treffer die letzten Zweifel am Sieg beseitigt waren. "Na, endlich", dachte Serge Gnabry, dem bis dahin tatsächlich kein Treffer gelungen war. Was in seinem Fall ja wirklich eine Besonderheit war, bei nun neun Toren in zehn Spielen für Deutschland. Und "na, endlich", dachte auch Havertz, nachdem mit der Vorlage der erste Scorer-Punkt in seiner Nationalmannschafts-Statistik erscheint. Gesagt hat er etwas anderes, etwas Geschliffeneres. "Für unsere junge Mannschaft war das heute ein wichtiges Spiel, es fehlt uns natürlich noch an Abgezocktheit. Aber solche Spiele bringen uns weiter, weil wir auch noch nicht so oft miteinander gespielt haben." Ist Havertz also voll angekommen im DFB-Team? Oft ist dafür ja ein guter Indikator, wie die Spieler miteinander jubeln und übereinander sprechen. Und manchmal sind Frotzeleien ein Zeichen der Wertschätzung. Nach dem 2:0 in Belfast stemmte Havertz den Torschützen Gnabry in die Höhe, warf ihn über die Schulter, und beinahe wäre Gnabry kopfüber auf den Boden geplumpst, ganz ausbalanciert war die Nummer nicht. Fand auch Gnabry. Auf Twitter schrieb er: "Großer Sieg für uns! Aber ich werde nicht mehr mit Kai Havertz feiern – zu gefährlich."

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