Gescheitert in "einer anderen Welt"

Das Spiel fand sonntags um 14 Uhr unter ungewöhnlichen Rahmenbedingungen statt. Günter Netzer wusste zu berichten, dass zunächst keiner aus dem Bus steigen wollte, weil man dachte, der Fahrer hätte sich verfahren: “Vor dem Stadion stand kein Auto – und das bei einem Länderspiel! Das wollte nicht in unserer Köpfe rein!” Willi Schulz, damals Abwehrchef, erinnert sich an “breite Straßen, die leer waren, kein Auto fuhr.” Die bettelarme Bevölkerung fuhr Fahrrad, Autos waren Luxusgüter und echte Raritäten. Das Flugzeug, mit dem die Deutschen in Tirana gelandet waren, war eines von drei, das in der Woche an diesem Flughafen landete. Die Deutschen wurden übrigens vom albanischen Nationaltrainer Borici persönlich abgeholt. Die Verpflegung war eintönig für die Gäste. “Das Fleisch-Kombinat war wohl geschlossen, nur das Eier-Kombinat funktionierte”, witzelt Schulz rückblickend im Gedenken an “drei Tage Rühreier von morgens bis abends”. Albanien war eben damals das rückständigste Land Europas. Schulz: “Da war die Zeit um 100 Jahre zurückgedreht.”

Keine Direktübertragung im TV

Darunter litten auch die Medien. Das deutsche Fernsehen hatte keine Direktübertragung bekommen und informierte die Heimat erst in der Nacht zu Dienstag in einer 25minütigen Zusammenfassung. Für die Höhepunkte dieser Partie auf schwer bespielbarem Boden hätten fünf Minuten gereicht, denn die Deutschen brachten trotz Dauerdominanz keine klare Torchance zu Stande, weshalb Albaniens Torwart Dinega triumphierte: “Ich hatte keinen Ball zu halten. Alles war für mich sehr leicht.” Sogar ein Sieg des Außenseiters wäre möglich gewesen, weil Torwart Horst Wolter einen Ball in der 54. Minute wohl erst hinter der Linie zu fassen bekam. Vergeblich protestierten die rund 30.000 Zuschauer, die umgerechnet Eintrittspreise zwischen 60 Pfennig und 1,80 D-Mark bezahlten.

Doch auch das 0:0 war eine Niederlage, die nur einen Sieger kannte: Die Mannschaft Jugoslawiens, die am Radio bangend ihrem Nachbarland die Fahrkarte zur EM 68 verdankte. Die deutsche Presse ging mit ihrer Elf hart ins Gericht. “Was da auf dem Spielfeld stand, war nur dem Namen nach der Vizeweltmeister des Vorjahres, vom Können der damaligen Elf meilenweit entfernt.”, richtete das “Sportmagazin” und “Bild” forderte gleich einen neuen Bundestrainer: “Lasst doch mal den Merkel ran!”. Max Merkel war damals Tabellenführer mit dem 1. FC Nürnberg. Der DFB ließ sich aber nicht zu Aktionismus verführen und der Tross trat den geordneten Rückzug an. Er führte über Rom, wo die Mannschaft einen Abstecher im Vatikan machte. “Der Papst hat uns dann alles verziehen”, sagt Schulz, der heute über die Blamage lachen kann. “Wir haben 90 Minuten auf ein Tor gespielt, doch der Ball wollte nicht ins Tor. Solche Spiele hat es immer gegeben.” Der Kölner Wolfgang Weber sagte es treffend: “Im Prinzip gehört dieses 0:0 wohl zu den unerforschten Geheimnissen dieser Erde.”

Deutschland: Wolter – Patzke, Schulz, Weber, Höttges – Netzer, Overath – Held, Küppers, Meyer, Löhr.

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Direkte Qualifikation oder nervenaufreibende Play-off-Spiele? In Moskau geht es am Samstag (ab 17 Uhr, live im ZDF) gegen Russland für die deutsche Nationalmannschaft um das Ticket zur WM 2010 nach Südafrika.

Es ist nicht das erste Mal, dass eine DFB-Auswahl vor einem so entscheidenden WM-Qualifikationsspiel steht. In einer sechsteiligen Serie erinnert DFB.de-Autor Udo Muras an die spektakulärsten und legendärsten Spiele in der WM- und EM-Qualifikation der DFB-Geschichte.

Teil 2: Albanien - Deutschland, 17. Dezember 1967

Die Aufgabe war ebenso einfach wie gefährlich. Ein läppischer Sieg beim Fußballzwerg Albanien fehlte noch um das Tor zur Europameisterschaft 1968 zu öffnen. Und nichts anderes erwartete die deutsche Öffentlichkeit vom Vize-Weltmeister 1966, als er am 16. Dezember 1967 bei dichtem Nebel in Frankfurt den Flieger nach Tirana bestieg.

War nicht das Hinspiel in Dortmund 6:0 ausgegangen? Und stand der Gegner nicht punkt- und torlos am Ende der Qualifikationsgruppe 4, in der als drittes Land Jugoslawien vertreten war? Nur Bundestrainer Helmut Schön sah die Gefahr der Überheblichkeit und wurde nicht müde, zu betonen: “Es wird an alles gedacht und deshalb soll es mir niemand übel nehmen, wenn ich das kleine Albanien so ernst nehme wie jeden anderen großen Gegner.” Hätte das doch bloß auch für seine Spieler gegolten. Im Kemal Stafa-Stadion von Tirana sollte die Nationalmannschaft eine ihrer schwärzesten Stunden erleben und erstmals überhaupt in einer Qualifikation scheitern.

Ohne Beckenbauer, Müller und Seeler in Tirana

Die Reise in “eine andere Welt”, wie die Bild-Zeitung vor dem Abflug in das kommunistische und politisch isolierte Land titelte, stand schon unter schlechten Vorzeichen. Die Nationalelf befand sich in einem Tief, hatte vier Wochen zuvor in Rumänien mit 0:1 verloren und die Kritiker auf den Plan gerufen. Außerdem hagelte es Ausfälle: Die Stürmer Uwe Seeler und Gerd Müller fehlten verletzt und Franz Beckenbauer sagte unmittelbar vor Abflug wegen der Erkrankung seines Sohnes ab.

Doch unter den 16 Männern, die Helmut Schön in der verschneiten Sportschule Grünberg versammelt hatten, waren noch genügend klangvolle Namen. Wolfgang Overath und Günter Netzer sollten gemeinsam das Spiel lenken, in der Abwehr standen in Willi Schulz und Horst-Dieter Höttges zwei Teilnehmer des Wembley-Finales. Nur der Sturm war merklich ausgedünnt – ohne Müller und Seeler – doch der beste Torjäger der Bundesliga stand im Aufgebot: ein gewisser Peter Meyer aus Gladbach, der in der Vorrunde 19 Treffer erzielt hatte. Schön war fest entschlossen, den “Pitter” in Tirana debütieren zu lassen, und der bekräftigte ihn darin. Zum Gaudium der Kollegen munterte der Rheinländer den latent am Erfolg zweifelnden Schön mit den Worten “Keine Sorjen, Herr Schön. Der Pitter maht dat schon” auf. Er sollte sich irren, so wie sich alle irren sollten über den Verlauf der 90 Minuten.

Das Spiel fand sonntags um 14 Uhr unter ungewöhnlichen Rahmenbedingungen statt. Günter Netzer wusste zu berichten, dass zunächst keiner aus dem Bus steigen wollte, weil man dachte, der Fahrer hätte sich verfahren: “Vor dem Stadion stand kein Auto – und das bei einem Länderspiel! Das wollte nicht in unserer Köpfe rein!” Willi Schulz, damals Abwehrchef, erinnert sich an “breite Straßen, die leer waren, kein Auto fuhr.” Die bettelarme Bevölkerung fuhr Fahrrad, Autos waren Luxusgüter und echte Raritäten. Das Flugzeug, mit dem die Deutschen in Tirana gelandet waren, war eines von drei, das in der Woche an diesem Flughafen landete. Die Deutschen wurden übrigens vom albanischen Nationaltrainer Borici persönlich abgeholt. Die Verpflegung war eintönig für die Gäste. “Das Fleisch-Kombinat war wohl geschlossen, nur das Eier-Kombinat funktionierte”, witzelt Schulz rückblickend im Gedenken an “drei Tage Rühreier von morgens bis abends”. Albanien war eben damals das rückständigste Land Europas. Schulz: “Da war die Zeit um 100 Jahre zurückgedreht.”

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Keine Direktübertragung im TV

Darunter litten auch die Medien. Das deutsche Fernsehen hatte keine Direktübertragung bekommen und informierte die Heimat erst in der Nacht zu Dienstag in einer 25minütigen Zusammenfassung. Für die Höhepunkte dieser Partie auf schwer bespielbarem Boden hätten fünf Minuten gereicht, denn die Deutschen brachten trotz Dauerdominanz keine klare Torchance zu Stande, weshalb Albaniens Torwart Dinega triumphierte: “Ich hatte keinen Ball zu halten. Alles war für mich sehr leicht.” Sogar ein Sieg des Außenseiters wäre möglich gewesen, weil Torwart Horst Wolter einen Ball in der 54. Minute wohl erst hinter der Linie zu fassen bekam. Vergeblich protestierten die rund 30.000 Zuschauer, die umgerechnet Eintrittspreise zwischen 60 Pfennig und 1,80 D-Mark bezahlten.

Doch auch das 0:0 war eine Niederlage, die nur einen Sieger kannte: Die Mannschaft Jugoslawiens, die am Radio bangend ihrem Nachbarland die Fahrkarte zur EM 68 verdankte. Die deutsche Presse ging mit ihrer Elf hart ins Gericht. “Was da auf dem Spielfeld stand, war nur dem Namen nach der Vizeweltmeister des Vorjahres, vom Können der damaligen Elf meilenweit entfernt.”, richtete das “Sportmagazin” und “Bild” forderte gleich einen neuen Bundestrainer: “Lasst doch mal den Merkel ran!”. Max Merkel war damals Tabellenführer mit dem 1. FC Nürnberg. Der DFB ließ sich aber nicht zu Aktionismus verführen und der Tross trat den geordneten Rückzug an. Er führte über Rom, wo die Mannschaft einen Abstecher im Vatikan machte. “Der Papst hat uns dann alles verziehen”, sagt Schulz, der heute über die Blamage lachen kann. “Wir haben 90 Minuten auf ein Tor gespielt, doch der Ball wollte nicht ins Tor. Solche Spiele hat es immer gegeben.” Der Kölner Wolfgang Weber sagte es treffend: “Im Prinzip gehört dieses 0:0 wohl zu den unerforschten Geheimnissen dieser Erde.”

Deutschland: Wolter – Patzke, Schulz, Weber, Höttges – Netzer, Overath – Held, Küppers, Meyer, Löhr.