Didier Deschamps: "Deutschlands Stärke war das Kollektiv"

Weltmeister ist er gewesen, Europameister, Champions-League-Sieger – der Lebenslauf von Didier Deschamps weist kaum weiße Flecken auf. Als Nationaltrainer hat er in diesem Jahr seine erste WM erlebt, mit seinen Franzosen ist er im Viertelfinale an Deutschland gescheitert. Bei DFB.de spricht der 46-Jährige über das Turnier in Brasilien, die EURO in zwei Jahren in seiner Heimat, über Rudi Völler, Manuel Neuer und Pep Guardiola. Und er erklärt, wieso er zu alt ist für seinen Traumjob.

DFB.de: Die EURO 2016, das nächste große Turnier, steigt in Frankreich. Spüren Sie schon jetzt eine besondere Verantwortung als Trainer der "Bleus", Monsieur Deschamps?

Deschamps: Nein, das ist weder eine Verantwortung noch irgendein Druck. Frankreich ist Gastgeber des Turniers, und natürlich herrscht Vorfreude und eine große Erwartung der Zuschauer. Die Europameisterschaft wird auf jeden Fall ein Erfolg. Wenn sie ein großer Erfolg werden soll, dann geht das auch über starke Vorstellungen der "Équipe Tricolore" – dessen bin ich mir bewusst.

DFB.de: Bei Ihrer letzten EM-Teilnahme, im Jahr 2000, feierten Sie mit Frankreich den EM-Triumph, damals als Kapitän. Welches Ziel haben Sie sich für 2016 gesetzt?

Deschamps: Wenn man einen Wettbewerb beginnt, will man auch bis zum Ende kommen, also möglichst weit. Mit dem gleichen Engagement sind wir auch in Brasilien angetreten – auch wenn wir nicht zu den Favoriten des Turniers gehört haben. Diesen Ehrgeiz sollte man immer haben. Und den wer den wir auch bei der EURO 2016 an den Tag legen. Selbst gegen sehr starke Gegner, auf die wir treffen werden. Ein Ziel muss man immer haben.

DFB.de: Als Frankreich zuletzt ein Turnier ausrichtete, wurde es anschließend Weltmeister. Glauben Sie, dass ein solcher Erfolg noch einmal machbar wäre?

Deschamps: Das wäre eine tolle Sache! Aber man weiß im Voraus nie, wie die Geschichte des Turniers geschrieben wird. Der Vorteil als Gastgeber ist, dass einem bei positivem Verlauf die tägliche Unterstützung der Fans sicher ist. Die kann enorm helfen.

DFB.de: 1998 waren Sie im Finale in Vertretung des gesperrten Laurent Blanc Kapitän des französischen Weltmeister-Teams. Welche besonderen Erinnerungen sind Ihnen von damals geblieben?

Deschamps: Es war ein ganz besonderes Privileg, als Kapitän die Treppen im Stade de France hinaufzusteigen, um die wichtigste Trophäe des Weltfußballs in Empfang zu nehmen. Ich habe mir damals richtig Zeit genommen, um jeden Moment zu genießen. Ich hatte schon große Fußballer erlebt, die sich diesen Pokal nach einer WM abholten. Und diesmal war ich es! Es gab nichts Schöneres, wir waren auf dem Gipfel. Weltmeister! Und außerdem war es das erste Mal – ich hoffe, dass es nicht das letzte Mal für Frankreich war.

DFB.de: Bei der zurückliegenden WM in Brasilien unterlag Frankreich im Viertelfinale Deutschland. Gab es Möglichkeiten, das deutsche Team zu besiegen?

Deschamps: Ja, der Unterschied war nicht groß. Wir wurden von der besten Mannschaft des Turniers bezwungen. Sie hatte die größte Erfahrung. Seit 2006 war Deutschland in jedem Turnier im Halbfinale oder im Finale. Ich glaube, die Deutschen waren sehr froh, dass sie uns ausschalten konnten. Sie hatten den Vorteil, ein frühes Führungstor zu machen, und dann sind wir auf einen großen Manuel Neuer gestoßen. Wir hätten ein bisschen mehr Frische und Torgefahr benötigt.

DFB.de: Was war die Stärke der deutschen Mannschaft?

Deschamps: Vor allem das Kollektiv! Die Spieler kennen sich seit vielen Jahren. Sie haben gemeinsame Erfahrungen, sie haben schon gemeinsam eine EM oder eine WM erlebt, zum Teil mehr. Das ist wie eine gut geölte Maschine. Außerdem haben sie große Individualisten. Und sie haben ihre alten Tugenden, die sie schon immer hatten, bewahrt: die Kraft und die Athletik. Dazu haben sie junge Spieler, die Schnelligkeit und Technik einbringen.

DFB.de: Deutschland, ein verdienter Weltmeister in Brasilien?

Dechamps: Ja, das beste Team wurde in Brasilien gekrönt. Ohne Frage!

DFB.de: Wie haben Sie den 7:1-Kantersieg im Halbfinale gegen Brasilien gesehen?

Deschamps: Die Gastgeber haben das sicher als Demütigung empfunden. Das Spiel lief dermaßen in eine Richtung, dass die ohnehin personell geschwächten Brasilianer nichts gegen den Rhythmus und die Schärfe ausrichten konnten. Nach dem 0:5 nach einer halben Stunde war Brasilien nicht mehr existent. Die Seleção hatte nie ein Gegenmittel. Für "La Mannschaft" wird es immer ein historischer Sieg bleiben.

DFB.de: Sie wurden mit 43 Jahren Nationaltrainer, haben gerade Ihre erste WM in diesem Amt hinter sich. Fühlten Sie sich zu Beginn eigentlich erfahren genug für das Amt?

Deschamps: Mir hat man immer gesagt, dass der Job als Nationaltrainer eher etwas für ältere Trainer sei. Aber ich habe Spaß an der Aufgabe. Ich habe die Erfahrung in drei Klubs gesammelt. Ich möchte auf einem möglichst hohen oder sehr hohen Niveau arbeiten. Und da bin ich jetzt.

DFB.de: Wie ist Ihre Philosophie als Trainer?

Deschamps: Das Ziel ist es, den Gegner zu beherrschen und sich durchzusetzen. Alles Weitere ist dann abhängig von der Stärke des Gegners. Ich will ein Team, das die Offensive sucht, das Ballbesitz hat, das sich nicht nach dem Gegner ausrichtet. Klar, wenn man gegen Deutschland oder Spanien spielt, hat man nicht immer so viel Ballbesitz. Aber ich möchte keine Mannschaft, die nur reagiert.

DFB.de: Sie haben in Monaco, bei Juventus Turin und Olympique Marseille gearbeitet. Welches war die schwierigste Station?

Deschamps: Der Trainerjob ist überall schwierig. Aber besonders in Marseille, dort ist alles sehr speziell. Man kommt schnell von einem Extrem ins andere. Ich war drei Jahre dort, wir gewannen sechs Titel, aber die tägliche Arbeit ist anstrengend. Der Süden halt, mit viel Übermut ...

DFB.de: Inwieweit helfen Ihnen die Erfahrungen, die Sie als Spieler in Frankreich, Italien, England und Spanien gesammelt haben?

Deschamps: Sie helfen natürlich, ich habe unterschiedliche Kulturen, Lebensarten, Mentalitäten, natürlich auch unterschiedliche Ligen und Spielweisen erlebt. Meine Vergangenheit bei Juve hat mir viel geholfen, als ich später als Trainer zurückkehrte. Falls ich in der Zukunft mal Trainer eines Klubs in England oder Spanien sein sollte, würde ich genauso profitieren. Immer, wenn man in ein anderes Land geht, muss man sich anpassen. Immer habe ich das als große Bereicherung angesehen, meine Erfahrungen in diesen Ländern gemacht zu haben.

DFB.de: Warum sind Sie eigentlich nie bei einem Klub in Deutschland gelandet?

Deschamps: Ganz einfach: Weil es nie die Gelegenheit dazu gab! Es gab nie ein Angebot. So einfach ist das. Aber ich habe einige deutsche Profis in meiner Karriere kennengelernt. Ich spielte bei Olympique Marseille mit Rudi Völler zusammen, als wir die Champions League gewannen. Ich hatte ein sehr gutes Verhältnis zu ihm – ein Supertyp! Er hatte alle Merkmale eines Topstürmers, war dabei menschlich total jovial. Ein Wettkampf-Typ, aber auch mit viel Humor, mit viel Spaß. Mit seiner Art war er sehr wichtig fürs Team. Ich habe in Marseille auch mit Karlheinz Förster, der Prototyp des deutschen Verteidigers, und mit Klaus Allofs gespielt.

DFB.de: Könnte Sie eine Herausforderung in der Bundesliga interessieren?

Deschamps: Klar, auch wenn ich dafür erst Deutsch lernen müsste. Die anderen Sprachen spreche ich ja schon. Aber ohne Sprachkenntnisse könnte ich das nicht machen. Das ist unabdingbar als Trainer. Ich habe gehört, wie Pep Guardiola sich inzwischen auf Deutsch aus- drückt. Sprachkenntnisse sind unerlässlich, vor allem als Trainer.

DFB.de: Frankreich ist als Gastgeber der EURO 2016 direkt qualifiziert. Ein Vorteil oder eher ein Nachteil?

Deschamps: Wir haben jetzt den Vorteil von Testspielen mit viel Prestige. Wir nehmen sie sehr ernst, wie richtige Punktspiele. Dabei verfolgen wir drei Ziele: Erstens wollen wir in zwei Jahren wettbewerbsfähig sein; zweitens sollen die Spieler weitere Erfahrungen sammeln, auch die Neulinge; drittens wollen wir die Gruppe I gewinnen – so, als sei es für uns ein normaler Wettbewerb.

DFB.de: Sie verfügen über eine sehr junge Mannschaft. Glauben Sie, dass Spieler wie Pogba oder Varane schon 2016 auf ihrem besten Niveau sein werden?

Deschamps: Sie waren schon in Brasilien sehr stark! Einer spielt bei Juventus, der andere bei Real Madrid, also werden sie 2016 noch stärker sein. Schon mit 21 Jahren verfügen sie über eine große Reife. 2016 werden sie noch besser sein, erst recht 2018.

DFB.de: Ihr Vertrag läuft bis 2016. Können Sie sich vorstellen, noch länger im Amt zu bleiben?

Deschamps: Warum nicht? Ich hatte Gespräche mit dem Präsidenten, der verlängern möchte. Also wird man sehen. Mir gefällt der Job sehr, ich habe viel Spaß. Aber natürlich braucht man Ergebnisse, das ist immer so.

DFB.de: Wenn Sie die Wahl hätten: In welchem anderen Land würden Sie gern mal arbeiten?

Deschamps: Die Wahl hätte ich, ein Privileg meiner Karriere als Fußballer. Ich habe da kein spezielles Land im Kopf. Es ist eher die Frage der Möglichkeiten. Man müsste vertragsfrei sein, und ein Klub müsste sein Interesse formulieren. Aber daran denke ich aktuell nicht. Ich bin Nationaltrainer, und das gefällt mir sehr.

DFB.de: Sie wurden mit 17 Jahren Profi-Fußballer. Ist es immer noch ein Traum?

Deschamps: Das schönste Leben ist das eines Fußballers. Das ist sicher, das war mir in meiner Karriere immer bewusst: Ich bin privilegiert! Inzwischen ist es etwas anders. Das Adrenalin ist immer noch da, aber es fehlt das physische Ausleben. Als Aktiver tobt man sich aus. Als Trainer spürt man eher eine mentale Müdigkeit. Aber ich habe mir die Leidenschaft für den Fußball bewahrt. Sollte mir die eines Tages abgehen, hätte ich die Freiheit, aufzuhören.

[dfb]

Weltmeister ist er gewesen, Europameister, Champions-League-Sieger – der Lebenslauf von Didier Deschamps weist kaum weiße Flecken auf. Als Nationaltrainer hat er in diesem Jahr seine erste WM erlebt, mit seinen Franzosen ist er im Viertelfinale an Deutschland gescheitert. Bei DFB.de spricht der 46-Jährige über das Turnier in Brasilien, die EURO in zwei Jahren in seiner Heimat, über Rudi Völler, Manuel Neuer und Pep Guardiola. Und er erklärt, wieso er zu alt ist für seinen Traumjob.

DFB.de: Die EURO 2016, das nächste große Turnier, steigt in Frankreich. Spüren Sie schon jetzt eine besondere Verantwortung als Trainer der "Bleus", Monsieur Deschamps?

Deschamps: Nein, das ist weder eine Verantwortung noch irgendein Druck. Frankreich ist Gastgeber des Turniers, und natürlich herrscht Vorfreude und eine große Erwartung der Zuschauer. Die Europameisterschaft wird auf jeden Fall ein Erfolg. Wenn sie ein großer Erfolg werden soll, dann geht das auch über starke Vorstellungen der "Équipe Tricolore" – dessen bin ich mir bewusst.

DFB.de: Bei Ihrer letzten EM-Teilnahme, im Jahr 2000, feierten Sie mit Frankreich den EM-Triumph, damals als Kapitän. Welches Ziel haben Sie sich für 2016 gesetzt?

Deschamps: Wenn man einen Wettbewerb beginnt, will man auch bis zum Ende kommen, also möglichst weit. Mit dem gleichen Engagement sind wir auch in Brasilien angetreten – auch wenn wir nicht zu den Favoriten des Turniers gehört haben. Diesen Ehrgeiz sollte man immer haben. Und den wer den wir auch bei der EURO 2016 an den Tag legen. Selbst gegen sehr starke Gegner, auf die wir treffen werden. Ein Ziel muss man immer haben.

DFB.de: Als Frankreich zuletzt ein Turnier ausrichtete, wurde es anschließend Weltmeister. Glauben Sie, dass ein solcher Erfolg noch einmal machbar wäre?

Deschamps: Das wäre eine tolle Sache! Aber man weiß im Voraus nie, wie die Geschichte des Turniers geschrieben wird. Der Vorteil als Gastgeber ist, dass einem bei positivem Verlauf die tägliche Unterstützung der Fans sicher ist. Die kann enorm helfen.

DFB.de: 1998 waren Sie im Finale in Vertretung des gesperrten Laurent Blanc Kapitän des französischen Weltmeister-Teams. Welche besonderen Erinnerungen sind Ihnen von damals geblieben?

Deschamps: Es war ein ganz besonderes Privileg, als Kapitän die Treppen im Stade de France hinaufzusteigen, um die wichtigste Trophäe des Weltfußballs in Empfang zu nehmen. Ich habe mir damals richtig Zeit genommen, um jeden Moment zu genießen. Ich hatte schon große Fußballer erlebt, die sich diesen Pokal nach einer WM abholten. Und diesmal war ich es! Es gab nichts Schöneres, wir waren auf dem Gipfel. Weltmeister! Und außerdem war es das erste Mal – ich hoffe, dass es nicht das letzte Mal für Frankreich war.

DFB.de: Bei der zurückliegenden WM in Brasilien unterlag Frankreich im Viertelfinale Deutschland. Gab es Möglichkeiten, das deutsche Team zu besiegen?

Deschamps: Ja, der Unterschied war nicht groß. Wir wurden von der besten Mannschaft des Turniers bezwungen. Sie hatte die größte Erfahrung. Seit 2006 war Deutschland in jedem Turnier im Halbfinale oder im Finale. Ich glaube, die Deutschen waren sehr froh, dass sie uns ausschalten konnten. Sie hatten den Vorteil, ein frühes Führungstor zu machen, und dann sind wir auf einen großen Manuel Neuer gestoßen. Wir hätten ein bisschen mehr Frische und Torgefahr benötigt.

DFB.de: Was war die Stärke der deutschen Mannschaft?

Deschamps: Vor allem das Kollektiv! Die Spieler kennen sich seit vielen Jahren. Sie haben gemeinsame Erfahrungen, sie haben schon gemeinsam eine EM oder eine WM erlebt, zum Teil mehr. Das ist wie eine gut geölte Maschine. Außerdem haben sie große Individualisten. Und sie haben ihre alten Tugenden, die sie schon immer hatten, bewahrt: die Kraft und die Athletik. Dazu haben sie junge Spieler, die Schnelligkeit und Technik einbringen.

DFB.de: Deutschland, ein verdienter Weltmeister in Brasilien?

Dechamps: Ja, das beste Team wurde in Brasilien gekrönt. Ohne Frage!

DFB.de: Wie haben Sie den 7:1-Kantersieg im Halbfinale gegen Brasilien gesehen?

Deschamps: Die Gastgeber haben das sicher als Demütigung empfunden. Das Spiel lief dermaßen in eine Richtung, dass die ohnehin personell geschwächten Brasilianer nichts gegen den Rhythmus und die Schärfe ausrichten konnten. Nach dem 0:5 nach einer halben Stunde war Brasilien nicht mehr existent. Die Seleção hatte nie ein Gegenmittel. Für "La Mannschaft" wird es immer ein historischer Sieg bleiben.

DFB.de: Sie wurden mit 43 Jahren Nationaltrainer, haben gerade Ihre erste WM in diesem Amt hinter sich. Fühlten Sie sich zu Beginn eigentlich erfahren genug für das Amt?

Deschamps: Mir hat man immer gesagt, dass der Job als Nationaltrainer eher etwas für ältere Trainer sei. Aber ich habe Spaß an der Aufgabe. Ich habe die Erfahrung in drei Klubs gesammelt. Ich möchte auf einem möglichst hohen oder sehr hohen Niveau arbeiten. Und da bin ich jetzt.

DFB.de: Wie ist Ihre Philosophie als Trainer?

Deschamps: Das Ziel ist es, den Gegner zu beherrschen und sich durchzusetzen. Alles Weitere ist dann abhängig von der Stärke des Gegners. Ich will ein Team, das die Offensive sucht, das Ballbesitz hat, das sich nicht nach dem Gegner ausrichtet. Klar, wenn man gegen Deutschland oder Spanien spielt, hat man nicht immer so viel Ballbesitz. Aber ich möchte keine Mannschaft, die nur reagiert.

DFB.de: Sie haben in Monaco, bei Juventus Turin und Olympique Marseille gearbeitet. Welches war die schwierigste Station?

Deschamps: Der Trainerjob ist überall schwierig. Aber besonders in Marseille, dort ist alles sehr speziell. Man kommt schnell von einem Extrem ins andere. Ich war drei Jahre dort, wir gewannen sechs Titel, aber die tägliche Arbeit ist anstrengend. Der Süden halt, mit viel Übermut ...

DFB.de: Inwieweit helfen Ihnen die Erfahrungen, die Sie als Spieler in Frankreich, Italien, England und Spanien gesammelt haben?

Deschamps: Sie helfen natürlich, ich habe unterschiedliche Kulturen, Lebensarten, Mentalitäten, natürlich auch unterschiedliche Ligen und Spielweisen erlebt. Meine Vergangenheit bei Juve hat mir viel geholfen, als ich später als Trainer zurückkehrte. Falls ich in der Zukunft mal Trainer eines Klubs in England oder Spanien sein sollte, würde ich genauso profitieren. Immer, wenn man in ein anderes Land geht, muss man sich anpassen. Immer habe ich das als große Bereicherung angesehen, meine Erfahrungen in diesen Ländern gemacht zu haben.

DFB.de: Warum sind Sie eigentlich nie bei einem Klub in Deutschland gelandet?

Deschamps: Ganz einfach: Weil es nie die Gelegenheit dazu gab! Es gab nie ein Angebot. So einfach ist das. Aber ich habe einige deutsche Profis in meiner Karriere kennengelernt. Ich spielte bei Olympique Marseille mit Rudi Völler zusammen, als wir die Champions League gewannen. Ich hatte ein sehr gutes Verhältnis zu ihm – ein Supertyp! Er hatte alle Merkmale eines Topstürmers, war dabei menschlich total jovial. Ein Wettkampf-Typ, aber auch mit viel Humor, mit viel Spaß. Mit seiner Art war er sehr wichtig fürs Team. Ich habe in Marseille auch mit Karlheinz Förster, der Prototyp des deutschen Verteidigers, und mit Klaus Allofs gespielt.

DFB.de: Könnte Sie eine Herausforderung in der Bundesliga interessieren?

Deschamps: Klar, auch wenn ich dafür erst Deutsch lernen müsste. Die anderen Sprachen spreche ich ja schon. Aber ohne Sprachkenntnisse könnte ich das nicht machen. Das ist unabdingbar als Trainer. Ich habe gehört, wie Pep Guardiola sich inzwischen auf Deutsch aus- drückt. Sprachkenntnisse sind unerlässlich, vor allem als Trainer.

DFB.de: Frankreich ist als Gastgeber der EURO 2016 direkt qualifiziert. Ein Vorteil oder eher ein Nachteil?

Deschamps: Wir haben jetzt den Vorteil von Testspielen mit viel Prestige. Wir nehmen sie sehr ernst, wie richtige Punktspiele. Dabei verfolgen wir drei Ziele: Erstens wollen wir in zwei Jahren wettbewerbsfähig sein; zweitens sollen die Spieler weitere Erfahrungen sammeln, auch die Neulinge; drittens wollen wir die Gruppe I gewinnen – so, als sei es für uns ein normaler Wettbewerb.

DFB.de: Sie verfügen über eine sehr junge Mannschaft. Glauben Sie, dass Spieler wie Pogba oder Varane schon 2016 auf ihrem besten Niveau sein werden?

Deschamps: Sie waren schon in Brasilien sehr stark! Einer spielt bei Juventus, der andere bei Real Madrid, also werden sie 2016 noch stärker sein. Schon mit 21 Jahren verfügen sie über eine große Reife. 2016 werden sie noch besser sein, erst recht 2018.

DFB.de: Ihr Vertrag läuft bis 2016. Können Sie sich vorstellen, noch länger im Amt zu bleiben?

Deschamps: Warum nicht? Ich hatte Gespräche mit dem Präsidenten, der verlängern möchte. Also wird man sehen. Mir gefällt der Job sehr, ich habe viel Spaß. Aber natürlich braucht man Ergebnisse, das ist immer so.

DFB.de: Wenn Sie die Wahl hätten: In welchem anderen Land würden Sie gern mal arbeiten?

Deschamps: Die Wahl hätte ich, ein Privileg meiner Karriere als Fußballer. Ich habe da kein spezielles Land im Kopf. Es ist eher die Frage der Möglichkeiten. Man müsste vertragsfrei sein, und ein Klub müsste sein Interesse formulieren. Aber daran denke ich aktuell nicht. Ich bin Nationaltrainer, und das gefällt mir sehr.

DFB.de: Sie wurden mit 17 Jahren Profi-Fußballer. Ist es immer noch ein Traum?

Deschamps: Das schönste Leben ist das eines Fußballers. Das ist sicher, das war mir in meiner Karriere immer bewusst: Ich bin privilegiert! Inzwischen ist es etwas anders. Das Adrenalin ist immer noch da, aber es fehlt das physische Ausleben. Als Aktiver tobt man sich aus. Als Trainer spürt man eher eine mentale Müdigkeit. Aber ich habe mir die Leidenschaft für den Fußball bewahrt. Sollte mir die eines Tages abgehen, hätte ich die Freiheit, aufzuhören.