Deutschland und Ukraine: Zum ersten Mal Gegner bei einem Turnier

Am Sonntag (ab 21 Uhr, live in der ARD) trifft die deutsche Nationalmannschaft bei der EURO 2016 in Frankreich auf die Ukraine. Der erste deutsche Gegner bei der EM ist noch nie bei einem Turnier auf unsere Mannschaft getroffen. Und doch gibt es zwei Spiele von vergleichbarer Bedeutung, die zudem eine Zäsur in der DFB-Historie bedeuteten: Vor der WM 2002 musste man erstmals in Playoff-Spiele. Sie gingen bekanntlich gut aus für die Völler-Elf und gelten als Schlüsselerlebnis für den Erfolg beim folgenden Turnier, welches das Team bis ins Finale führte. Noch ist Deutschland gegen die Ukraine ungeschlagen, doch in drei von fünf Spielen gab es ein Unentschieden. Ein Rückblick von Historiker Udo Muras.

30. April 1997: Grundstein für die WM-Qualifikation

Erst 1992, kurz nach dem Zerfall der Sowjetunion, hatte sich der junge Staat Ukraine der FIFA angeschlossen. Fünf Jahre später kam es zur ersten Begegnung mit Deutschland, damals amtierender Europameister. In einer Gruppe mit sechs Teilnehmern, darunter wie aktuell übrigens auch die Nordiren, wurden die Frankreich-Tickets ausgespielt. Der Sieger schaffte es direkt, der Zweite musste in die Playoffs. Als die deutsche Mannschaft am 30. April 1997 auf die Ukraine traf, war sie Dritter und empfing den Tabellenführer. Das lag zwar auch an weniger ausgetragenen Spielen, aber das Vogts-Team hatte bereits Federn gelassen und gegen Portugal (0:0) und Nordirland (1:1) nicht gewonnen. Nun mahnte der Bundestrainer Seriosität an und warnte: "Das ist das wichtigste Spiel seit der Europameisterschaft." Bei dem er auf einige Europameister verzichten musste: Matthias Sammer, Stefan Reuter und Andreas Möller. Im Kader standen deshalb gleich vier absolute Neulinge, darunter der heutige Co-Trainer von Joachim Löw, der Stuttgarter Thomas Schneider. Auf den Spielberichtsbogen schaffte er es nicht, im Gegensatz zu Jens Nowotny, Jens Jeremies und dem gebürtigen Südafrikaner Sean Dundee.

Nowotny wurde schon nach 15 Minuten gebraucht, als sich Stürmer Fredi Bobic mit einer klaffenden Platzwunde an der Stirn verabschiedete. Leverkusens Libero rückte ins Mittelfeld und gab ein ordentliches Debüt. "Ich war weder nervös noch übermotiviert, weil die Einwechslung so unverhofft kam." Unerwartet kam auch die "kaum noch für möglich gehaltene Leistungssteigerung" (kicker) des Europameisters, der sich zuvor noch gegen Albanien zu einem glücklichen 3:2 gequält hatte. In Bremen wurde nach der Pause dagegen sogar ein wenig gezaubert. Oliver Bierhoff ließ die 33.000 Zuschauer erstmals jubeln, er verwertete eine Kopfballvorlage von Jürgen Klinsmann aus acht Metern. Dann kam der große Auftritt von Mario Basler. Der Neu-Münchner schloss im alten Stadion eine herrliche Kombination nach doppeltem Doppelpass mit einem gekonnten Schlenzer zum 2:0 (72.) ab. Es war der größte Auftritt in Baslers Länderspielkarriere und er entschied das Spiel. "Mario ist ein Genie und er hat riesige Möglichkeiten", lobte Vogts.

7. Juni 1997: Torlos in Kiew

Schon fünf Wochen später kam es zum Rückspiel. Die erste Ukraine-Reise führte zum 650. Länderspiel der DFB-Historie. Zu Toren führte sie nicht, auch zum Leidwesen von Privatsender SAT.1, der die Live-Übertragung mit großem Aufwand präsentierte. Die Ukraine war immer noch Tabellenführer und doch fürchtete Vogts den Schlendrian, der da womöglich ins deutsche Team einzöge. Denn es wimmelte nur so vor Champions im Kader: Sieben Bayern freuten sich über die Meisterschaft, die in München nach zweijähriger Abstinenz noch etwas mehr bedeutete als heute, zwei Stuttgarter über den DFB-Pokal, drei Dortmunder hatten gerade die Champions League gewonnen und der einzige Schalker, Thomas Linke, durfte sich seit vier Wochen UEFA-Cup-Sieger nennen. Vogts forderte das Ende der "Party-Time", vielmehr sei "Konzentration angesagt, wir sind noch nicht für die WM qualifiziert." 65.000 Zuschauer in Kiew wollten lieber ihre Elf nach Frankreich fahren sehen, entsprechend war die Atmosphäre.

Und so wurde auch dieses Spiel wieder ein harter Kampf, der den Ansprüchen an einen Europameister kaum genügte. Joachim Löw, damals Trainer des VfB Stuttgart, sagte nach dem 0:0: "Insgesamt lief bei der deutschen Elf wenig zusammen. Zum Glück stand unsere Abwehr sehr gut, sodass der Gegner nur wenige klare Chancen hatte." Auch dass der Pfosten da stand, wo er immer steht, hatte in der 43. Minute sein Gutes. Andy Köpke war schon geschlagen nach Rebrows 18-Meter-Schuss, aber der Verbündete aus Aluminium parierte das Geschoss. Da bebte noch die Latte auf der Gegenseite, an der wenige Sekunden zuvor ein Basler-Geschoss abgeprallt war. Diesmal gab es weniger Lob für Basler: "Ein Sprint, ein Freistoß – mehr hatte Basler nicht zu bieten", tadelte der kicker. Fast alle waren sie eine Note schlechter als im Hinspiel, so dass sich keiner über das 0:0 beschweren mochte. Vogts machte es sehr "nachdenklich, dass wir das Tempo der Ukrainer nicht mitgehen konnten. Gerade das war immer eine deutsche Tugend". Das Positive nach einem Spiel ohne Gelbe Karten sah er im Spielplan: "Wenn wir die drei Heimspiele gewinnen, dann sind wir qualifiziert." Gewannen sie - alle. Die Ukraine wurde vor Portugal Zweiter, scheiterte aber in den Playoffs an Kroatien. Aber an denen scheiterten in Frankreich auch die Deutschen

10. und 14. November 2001: Die Playoff-Spiele

Zum ersten Mal überhaupt in der DFB-Geschichte hatte sich die Nationalmannschaft in den Gruppenspielen nicht direkt qualifiziert. Weil sie zwei Matchbälle daheim gegen England (1:5) und Finnland (0:0) vergab, musste sie als Gruppenzweiter in die Relegation. Gegner war die Ukraine, die noch an keiner WM teilgenommen hatte. So war die Auswahl von Rudi Völler vor der Doppelveranstaltung am 10. November in Kiew und am 14. November in Dortmund leichter Favorit, aber nicht gerade von Optimisten umzingelt.

In einer Umfrage des Fachblattes kicker glaubte nur eine knappe Mehrheit von 55,3 Prozent an den Erfolg. Den Ernst der Stunde dokumentierte die Tatsache, dass alle 36 Profiklubs ihre Manager oder Vorstandsvertreter nach Kiew entsandten, um Flagge zu zeigen. In der Mannschaft wurde das registriert, mehr nicht. "Sollen sich doch 120.000 Manager auf die Tribüne setzten, das hilft uns auch nichts. Auf dem Platz müssen wir es zeigen", sagte Christian Ziege von Tottenham Hotspur, einer von damals zwei England-Legionären. Franz Beckenbauer, der Bayern-Präsident, strotzte auch nicht vor Zuversicht. "Wir müssen auf Sieg spielen, damit es wenigstens zu einem Unentschieden reicht." Seine Standortbestimmung des deutschen Fußballs war wenig ermutigend: "Wir sind guter Durchschnitt, mehr nicht." Der Schock über das 1:5 von München gegen Gruppensieger England vom 1. September saß noch immer tief. "Deutschlands Fußball war einst gefürchtet, nun wird er mitleidig verspottet", hatte der kicker nach dem Debakel gespottet.

Nun also musste der dreimalige Weltmeister nachsitzen, um die Tickets für Japan und Südkorea zu bekommen. Marko Rehmer, der rechte Verteidiger in Völlers Elf, erinnerte sich im kicker: "Wir hätten diese Spiele am liebsten vermieden. Die Anspannung war sehr groß. Aber die Relegation hat uns zusammengeschweißt, so dass wir eine vernünftige WM gespielt haben." Eine sympathische Untertreibung, Deutschland zog bekanntlich ins Finale ein und unterlag erst Brasilien (0:2). Davon war die Mannschaft im Herbst 2001 noch weit entfernt. Zu allem Übel fehlten in Sebastian Deisler und Mehmet Scholl zwei kreative Spieler verletzt, Stürmer Oliver Neuville war gesperrt. SAT.1 übertrug die Partie, 13,61 Millionen verfolgten sie am Bildschirm.

Der Abend im in Gelb und Blau getauchten Olympiastadion von Kiew begann schlecht: Schon nach drei Minuten bebte der Pfosten des von Oliver Kahn gehüteten Tores und nach 18 Minuten landete ein Abstauber von Subow im deutschen Netz. 0:1! Dann wurde Marko Rehmer ein Kopfballtor aberkannt, weshalb die Bild fragte: "Wann kommt endlich die Tor-Kamera?" Auf dem Platz wurde derweil ein Retter gesucht. Er erschien in der Gestalt des 25 Jahre alten Leverkuseners Michael Ballack, "der die Gabe hat, das wichtige erste Tor zu machen", wie Rudi Völler stets betont. Es lief die 31. Minute. Gerade fragte SAT.1-Reporter Werner Hansch: "Wo ist eigentlich Ballack?", da war der schon zur Stelle. Als Bayern-Stürmer Alex Zickler eine Ecke verlängerte, traf er mit dem linken Fuß. "Das war das wichtigste Tor in meinem Leben. Es kann nur noch ein wichtigeres geben - wenn ich Deutschland am Mittwoch zur WM schieße", sagte Ballack, so als hätte er schon eine Ahnung. Im Stadion legte er den Finger auf den Mund, um die Kulisse zum Schweigen zu bringen. "Ich wollte sagen: Seid ein bisschen ruhiger, die Deutschen sind auch noch da." Zur Ernüchterung der 85.000 Zuschauer in Kiew war das 1:1 schon der Endstand, die von Jens Nowotny organisierte Abwehr hielt dicht und der gefürchtete Mailand-Legionär Andrej Schewtschenko ging leer aus. Nun reichte im mit 52.400 Zuschauern ausverkauften Dortmunder Westfalenstadion, wie es damals noch hieß, schon ein 0:0.

Die Mannschaft nahm Quartier im Fachwerk-Hotel Lennhof, zum Abendessen gab es eine Martinsgans. Die Laune stieg, die Umfragewerte auch (64 Prozent pro Qualifikation) und Oliver Kahn prophezeite: "Wenn wir durchkommen, wird es dieser Mannschaft einen unglaublichen Schub geben." Der Schub war schon mit Anpfiff da, wie entfesselt begann die mit neuem Sturm (Jancker und Neuville für Zickler/Asamoah) auflaufende Elf um die WM-Teilnahme zu rennen und zu kämpfen. So stand es nach 15 unglaublichen Minuten bereits 3:0. Rehmer weiß noch: "Schon im Hotel und auf der Fahrt im Bus war es so ruhig wie selten. Alle waren so konzentriert, dass es mir klar war, dass wir gut spielen würden." Der Berliner trug wesentlich dazu bei. Nachdem erneut Ballack das erste Tor (4.) geköpft hatte, bereitete Rehmer das 2:0 (11.) von Oliver Neuville mit einem Pfostenkopfball vor und erzielte das 3:0 (15.) per Kopf selbst.

Das Stadion tobte, die Ukrainer waren geschockt "und wir konnten das einfach nur noch genießen", sagt Rehmer. In nur 15 furiosen Minuten war die Aussöhnung mit dem Publikum gelungen. Michael Ballack erhöhte in einem seiner besten Länderspiele überhaupt kurz nach der Pause nach Bernd Schneiders Flanke auf 4:0 (51.) - es war das dritte Kopfballtor des Tages. Zum ersten Mal wurde ein solch wichtiges Spiel sogar ein fußballerischer Genuss, in dem Maße, in dem die Spannung wich, kam die Kunst zur Geltung. Erst in der Nachspielzeit wurde der Ukraine das Ehrentor zum 4:1 durch Schewtschenko gestattet.

Am Jubel über die WM-Qualifikation änderte das nichts und Rudi Völler freute sich, dass sein 500. Arbeitstag als Bundestrainer nicht sein letzter gewesen war. Und das lag nicht nur am Glückspfennig, den ein Bild-Reporter im Stadion von Kiew vergraben und anschließend nach Dortmund mitgebracht hatte. Jedenfalls hielt die stolze Serie, dass Deutschland nie eine WM-Qualifikation verpasst hat.

11. November 2011: Das Testspiel

An einem Freitagabend traten die Deutschen zum ersten Testspiel gegen die Ukraine an. In seiner Ansprache wies Bundestrainer Löw darauf hin, dass die Mannschaft in dem Stadion spiele, in dem sie sieben Monate später wieder antreten wolle - zum EM-Finale. Er verzichtete auf die Münchner Manuel Neuer, Philipp Lahm und Bastian Schweinsteiger, die der Schonung bedurften, Marco Reus (Magen-Darm-Infekt) und Miro Klose (Knieverletzung) sagten ab. So stellten sich die Torwart- und die Kapitänsfrage. Es kam zu zwei Premieren: Hannovers Ron-Robert Zieler hütete das Tor, Bayerns Mario Gomez bekam zur Feier seines 50. Länderspiels die Binde, auch weil er mit 26 Jahren der Älteste war. Außerdem testete Löw die Dreier-Kette in der Abwehr (Boateng-Badstuber-Hummels) und schickte die bis dahin jüngste Elf der Nachkriegs-Historie aufs Feld (23,26 Jahre im Schnitt) - wahrlich ein bemerkenswertes Länderspiel, dafür dass es um wenig ging außer Erkenntnissen für die nahende EM. Die Kulisse von 69.720 Zuschauern in Kiew zeugte jedoch vom Stellenwert, den die Ukrainer dem Spiel beimaßen. Zumal das EM-Stadion eröffnet wurde mit dieser Partie.

Die Fans waren schier begeistert vom Raketenstart ihrer Elf: Jarmolenko (28.), Konoplyanka (36.) und Nazarenko (45.) schenkten Zieler in seiner ersten Länderspielhalbzeit gleich drei Tore ein, Toni Kroos (38.) traf für Deutschland. Löw zog die richtigen Schlüsse und die richtigen Joker. Simon Rolfes (65.) stach 19 Minuten, Thomas Müller (77.) elf Minuten nach seiner Einwechslung. So endete eine unterhaltsame, vor allem aber aufschlussreiche Partie ohne Sieger. Es gab für Experten viel Anlass zur Kritik, Löw aber war jetzt schlauer: "Es hört sich zwar bei einem 3:3 gegen die Ukraine absolut kurios an, aber ich bin absolut zufrieden." Auch über "das große Durcheinander", das der kicker der Abwehr attestierte. Löw: "Ich wollte eine Situation schaffen, in der die Mannschaft ohne jede Vorbereitung auf eine gewisse Situationsveränderung reagieren und sich beweisen muss. Das Recht zu experimentieren nehme ich mir auch weiterhin heraus." Ein Testspiel im Wortsinne. Heute wird’s dann aber richtig ernst.

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Am Sonntag (ab 21 Uhr, live in der ARD) trifft die deutsche Nationalmannschaft bei der EURO 2016 in Frankreich auf die Ukraine. Der erste deutsche Gegner bei der EM ist noch nie bei einem Turnier auf unsere Mannschaft getroffen. Und doch gibt es zwei Spiele von vergleichbarer Bedeutung, die zudem eine Zäsur in der DFB-Historie bedeuteten: Vor der WM 2002 musste man erstmals in Playoff-Spiele. Sie gingen bekanntlich gut aus für die Völler-Elf und gelten als Schlüsselerlebnis für den Erfolg beim folgenden Turnier, welches das Team bis ins Finale führte. Noch ist Deutschland gegen die Ukraine ungeschlagen, doch in drei von fünf Spielen gab es ein Unentschieden. Ein Rückblick von Historiker Udo Muras.

30. April 1997: Grundstein für die WM-Qualifikation

Erst 1992, kurz nach dem Zerfall der Sowjetunion, hatte sich der junge Staat Ukraine der FIFA angeschlossen. Fünf Jahre später kam es zur ersten Begegnung mit Deutschland, damals amtierender Europameister. In einer Gruppe mit sechs Teilnehmern, darunter wie aktuell übrigens auch die Nordiren, wurden die Frankreich-Tickets ausgespielt. Der Sieger schaffte es direkt, der Zweite musste in die Playoffs. Als die deutsche Mannschaft am 30. April 1997 auf die Ukraine traf, war sie Dritter und empfing den Tabellenführer. Das lag zwar auch an weniger ausgetragenen Spielen, aber das Vogts-Team hatte bereits Federn gelassen und gegen Portugal (0:0) und Nordirland (1:1) nicht gewonnen. Nun mahnte der Bundestrainer Seriosität an und warnte: "Das ist das wichtigste Spiel seit der Europameisterschaft." Bei dem er auf einige Europameister verzichten musste: Matthias Sammer, Stefan Reuter und Andreas Möller. Im Kader standen deshalb gleich vier absolute Neulinge, darunter der heutige Co-Trainer von Joachim Löw, der Stuttgarter Thomas Schneider. Auf den Spielberichtsbogen schaffte er es nicht, im Gegensatz zu Jens Nowotny, Jens Jeremies und dem gebürtigen Südafrikaner Sean Dundee.

Nowotny wurde schon nach 15 Minuten gebraucht, als sich Stürmer Fredi Bobic mit einer klaffenden Platzwunde an der Stirn verabschiedete. Leverkusens Libero rückte ins Mittelfeld und gab ein ordentliches Debüt. "Ich war weder nervös noch übermotiviert, weil die Einwechslung so unverhofft kam." Unerwartet kam auch die "kaum noch für möglich gehaltene Leistungssteigerung" (kicker) des Europameisters, der sich zuvor noch gegen Albanien zu einem glücklichen 3:2 gequält hatte. In Bremen wurde nach der Pause dagegen sogar ein wenig gezaubert. Oliver Bierhoff ließ die 33.000 Zuschauer erstmals jubeln, er verwertete eine Kopfballvorlage von Jürgen Klinsmann aus acht Metern. Dann kam der große Auftritt von Mario Basler. Der Neu-Münchner schloss im alten Stadion eine herrliche Kombination nach doppeltem Doppelpass mit einem gekonnten Schlenzer zum 2:0 (72.) ab. Es war der größte Auftritt in Baslers Länderspielkarriere und er entschied das Spiel. "Mario ist ein Genie und er hat riesige Möglichkeiten", lobte Vogts.

7. Juni 1997: Torlos in Kiew

Schon fünf Wochen später kam es zum Rückspiel. Die erste Ukraine-Reise führte zum 650. Länderspiel der DFB-Historie. Zu Toren führte sie nicht, auch zum Leidwesen von Privatsender SAT.1, der die Live-Übertragung mit großem Aufwand präsentierte. Die Ukraine war immer noch Tabellenführer und doch fürchtete Vogts den Schlendrian, der da womöglich ins deutsche Team einzöge. Denn es wimmelte nur so vor Champions im Kader: Sieben Bayern freuten sich über die Meisterschaft, die in München nach zweijähriger Abstinenz noch etwas mehr bedeutete als heute, zwei Stuttgarter über den DFB-Pokal, drei Dortmunder hatten gerade die Champions League gewonnen und der einzige Schalker, Thomas Linke, durfte sich seit vier Wochen UEFA-Cup-Sieger nennen. Vogts forderte das Ende der "Party-Time", vielmehr sei "Konzentration angesagt, wir sind noch nicht für die WM qualifiziert." 65.000 Zuschauer in Kiew wollten lieber ihre Elf nach Frankreich fahren sehen, entsprechend war die Atmosphäre.

Und so wurde auch dieses Spiel wieder ein harter Kampf, der den Ansprüchen an einen Europameister kaum genügte. Joachim Löw, damals Trainer des VfB Stuttgart, sagte nach dem 0:0: "Insgesamt lief bei der deutschen Elf wenig zusammen. Zum Glück stand unsere Abwehr sehr gut, sodass der Gegner nur wenige klare Chancen hatte." Auch dass der Pfosten da stand, wo er immer steht, hatte in der 43. Minute sein Gutes. Andy Köpke war schon geschlagen nach Rebrows 18-Meter-Schuss, aber der Verbündete aus Aluminium parierte das Geschoss. Da bebte noch die Latte auf der Gegenseite, an der wenige Sekunden zuvor ein Basler-Geschoss abgeprallt war. Diesmal gab es weniger Lob für Basler: "Ein Sprint, ein Freistoß – mehr hatte Basler nicht zu bieten", tadelte der kicker. Fast alle waren sie eine Note schlechter als im Hinspiel, so dass sich keiner über das 0:0 beschweren mochte. Vogts machte es sehr "nachdenklich, dass wir das Tempo der Ukrainer nicht mitgehen konnten. Gerade das war immer eine deutsche Tugend". Das Positive nach einem Spiel ohne Gelbe Karten sah er im Spielplan: "Wenn wir die drei Heimspiele gewinnen, dann sind wir qualifiziert." Gewannen sie - alle. Die Ukraine wurde vor Portugal Zweiter, scheiterte aber in den Playoffs an Kroatien. Aber an denen scheiterten in Frankreich auch die Deutschen

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10. und 14. November 2001: Die Playoff-Spiele

Zum ersten Mal überhaupt in der DFB-Geschichte hatte sich die Nationalmannschaft in den Gruppenspielen nicht direkt qualifiziert. Weil sie zwei Matchbälle daheim gegen England (1:5) und Finnland (0:0) vergab, musste sie als Gruppenzweiter in die Relegation. Gegner war die Ukraine, die noch an keiner WM teilgenommen hatte. So war die Auswahl von Rudi Völler vor der Doppelveranstaltung am 10. November in Kiew und am 14. November in Dortmund leichter Favorit, aber nicht gerade von Optimisten umzingelt.

In einer Umfrage des Fachblattes kicker glaubte nur eine knappe Mehrheit von 55,3 Prozent an den Erfolg. Den Ernst der Stunde dokumentierte die Tatsache, dass alle 36 Profiklubs ihre Manager oder Vorstandsvertreter nach Kiew entsandten, um Flagge zu zeigen. In der Mannschaft wurde das registriert, mehr nicht. "Sollen sich doch 120.000 Manager auf die Tribüne setzten, das hilft uns auch nichts. Auf dem Platz müssen wir es zeigen", sagte Christian Ziege von Tottenham Hotspur, einer von damals zwei England-Legionären. Franz Beckenbauer, der Bayern-Präsident, strotzte auch nicht vor Zuversicht. "Wir müssen auf Sieg spielen, damit es wenigstens zu einem Unentschieden reicht." Seine Standortbestimmung des deutschen Fußballs war wenig ermutigend: "Wir sind guter Durchschnitt, mehr nicht." Der Schock über das 1:5 von München gegen Gruppensieger England vom 1. September saß noch immer tief. "Deutschlands Fußball war einst gefürchtet, nun wird er mitleidig verspottet", hatte der kicker nach dem Debakel gespottet.

Nun also musste der dreimalige Weltmeister nachsitzen, um die Tickets für Japan und Südkorea zu bekommen. Marko Rehmer, der rechte Verteidiger in Völlers Elf, erinnerte sich im kicker: "Wir hätten diese Spiele am liebsten vermieden. Die Anspannung war sehr groß. Aber die Relegation hat uns zusammengeschweißt, so dass wir eine vernünftige WM gespielt haben." Eine sympathische Untertreibung, Deutschland zog bekanntlich ins Finale ein und unterlag erst Brasilien (0:2). Davon war die Mannschaft im Herbst 2001 noch weit entfernt. Zu allem Übel fehlten in Sebastian Deisler und Mehmet Scholl zwei kreative Spieler verletzt, Stürmer Oliver Neuville war gesperrt. SAT.1 übertrug die Partie, 13,61 Millionen verfolgten sie am Bildschirm.

Der Abend im in Gelb und Blau getauchten Olympiastadion von Kiew begann schlecht: Schon nach drei Minuten bebte der Pfosten des von Oliver Kahn gehüteten Tores und nach 18 Minuten landete ein Abstauber von Subow im deutschen Netz. 0:1! Dann wurde Marko Rehmer ein Kopfballtor aberkannt, weshalb die Bild fragte: "Wann kommt endlich die Tor-Kamera?" Auf dem Platz wurde derweil ein Retter gesucht. Er erschien in der Gestalt des 25 Jahre alten Leverkuseners Michael Ballack, "der die Gabe hat, das wichtige erste Tor zu machen", wie Rudi Völler stets betont. Es lief die 31. Minute. Gerade fragte SAT.1-Reporter Werner Hansch: "Wo ist eigentlich Ballack?", da war der schon zur Stelle. Als Bayern-Stürmer Alex Zickler eine Ecke verlängerte, traf er mit dem linken Fuß. "Das war das wichtigste Tor in meinem Leben. Es kann nur noch ein wichtigeres geben - wenn ich Deutschland am Mittwoch zur WM schieße", sagte Ballack, so als hätte er schon eine Ahnung. Im Stadion legte er den Finger auf den Mund, um die Kulisse zum Schweigen zu bringen. "Ich wollte sagen: Seid ein bisschen ruhiger, die Deutschen sind auch noch da." Zur Ernüchterung der 85.000 Zuschauer in Kiew war das 1:1 schon der Endstand, die von Jens Nowotny organisierte Abwehr hielt dicht und der gefürchtete Mailand-Legionär Andrej Schewtschenko ging leer aus. Nun reichte im mit 52.400 Zuschauern ausverkauften Dortmunder Westfalenstadion, wie es damals noch hieß, schon ein 0:0.

Die Mannschaft nahm Quartier im Fachwerk-Hotel Lennhof, zum Abendessen gab es eine Martinsgans. Die Laune stieg, die Umfragewerte auch (64 Prozent pro Qualifikation) und Oliver Kahn prophezeite: "Wenn wir durchkommen, wird es dieser Mannschaft einen unglaublichen Schub geben." Der Schub war schon mit Anpfiff da, wie entfesselt begann die mit neuem Sturm (Jancker und Neuville für Zickler/Asamoah) auflaufende Elf um die WM-Teilnahme zu rennen und zu kämpfen. So stand es nach 15 unglaublichen Minuten bereits 3:0. Rehmer weiß noch: "Schon im Hotel und auf der Fahrt im Bus war es so ruhig wie selten. Alle waren so konzentriert, dass es mir klar war, dass wir gut spielen würden." Der Berliner trug wesentlich dazu bei. Nachdem erneut Ballack das erste Tor (4.) geköpft hatte, bereitete Rehmer das 2:0 (11.) von Oliver Neuville mit einem Pfostenkopfball vor und erzielte das 3:0 (15.) per Kopf selbst.

Das Stadion tobte, die Ukrainer waren geschockt "und wir konnten das einfach nur noch genießen", sagt Rehmer. In nur 15 furiosen Minuten war die Aussöhnung mit dem Publikum gelungen. Michael Ballack erhöhte in einem seiner besten Länderspiele überhaupt kurz nach der Pause nach Bernd Schneiders Flanke auf 4:0 (51.) - es war das dritte Kopfballtor des Tages. Zum ersten Mal wurde ein solch wichtiges Spiel sogar ein fußballerischer Genuss, in dem Maße, in dem die Spannung wich, kam die Kunst zur Geltung. Erst in der Nachspielzeit wurde der Ukraine das Ehrentor zum 4:1 durch Schewtschenko gestattet.

Am Jubel über die WM-Qualifikation änderte das nichts und Rudi Völler freute sich, dass sein 500. Arbeitstag als Bundestrainer nicht sein letzter gewesen war. Und das lag nicht nur am Glückspfennig, den ein Bild-Reporter im Stadion von Kiew vergraben und anschließend nach Dortmund mitgebracht hatte. Jedenfalls hielt die stolze Serie, dass Deutschland nie eine WM-Qualifikation verpasst hat.

11. November 2011: Das Testspiel

An einem Freitagabend traten die Deutschen zum ersten Testspiel gegen die Ukraine an. In seiner Ansprache wies Bundestrainer Löw darauf hin, dass die Mannschaft in dem Stadion spiele, in dem sie sieben Monate später wieder antreten wolle - zum EM-Finale. Er verzichtete auf die Münchner Manuel Neuer, Philipp Lahm und Bastian Schweinsteiger, die der Schonung bedurften, Marco Reus (Magen-Darm-Infekt) und Miro Klose (Knieverletzung) sagten ab. So stellten sich die Torwart- und die Kapitänsfrage. Es kam zu zwei Premieren: Hannovers Ron-Robert Zieler hütete das Tor, Bayerns Mario Gomez bekam zur Feier seines 50. Länderspiels die Binde, auch weil er mit 26 Jahren der Älteste war. Außerdem testete Löw die Dreier-Kette in der Abwehr (Boateng-Badstuber-Hummels) und schickte die bis dahin jüngste Elf der Nachkriegs-Historie aufs Feld (23,26 Jahre im Schnitt) - wahrlich ein bemerkenswertes Länderspiel, dafür dass es um wenig ging außer Erkenntnissen für die nahende EM. Die Kulisse von 69.720 Zuschauern in Kiew zeugte jedoch vom Stellenwert, den die Ukrainer dem Spiel beimaßen. Zumal das EM-Stadion eröffnet wurde mit dieser Partie.

Die Fans waren schier begeistert vom Raketenstart ihrer Elf: Jarmolenko (28.), Konoplyanka (36.) und Nazarenko (45.) schenkten Zieler in seiner ersten Länderspielhalbzeit gleich drei Tore ein, Toni Kroos (38.) traf für Deutschland. Löw zog die richtigen Schlüsse und die richtigen Joker. Simon Rolfes (65.) stach 19 Minuten, Thomas Müller (77.) elf Minuten nach seiner Einwechslung. So endete eine unterhaltsame, vor allem aber aufschlussreiche Partie ohne Sieger. Es gab für Experten viel Anlass zur Kritik, Löw aber war jetzt schlauer: "Es hört sich zwar bei einem 3:3 gegen die Ukraine absolut kurios an, aber ich bin absolut zufrieden." Auch über "das große Durcheinander", das der kicker der Abwehr attestierte. Löw: "Ich wollte eine Situation schaffen, in der die Mannschaft ohne jede Vorbereitung auf eine gewisse Situationsveränderung reagieren und sich beweisen muss. Das Recht zu experimentieren nehme ich mir auch weiterhin heraus." Ein Testspiel im Wortsinne. Heute wird’s dann aber richtig ernst.

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