Deutschland gegen Tschechien: Große Duelle

Heute Abend (ab 20.45 Uhr, live bei RTL) treffen die Fußballnationen Deutschland und Tschechien offiziell erst zum siebten Mal aufeinander. Die Länderspielhistorie der beiden einst geteilten Länder ist nicht ganz einfach zusammenzufassen. Für DFB.de hat der Historiker Udo Muras die Archive durchsucht - und fand packende Duelle, die immer wieder in Endspielen bei großen Turnieren ausgetragen wurden.

Reichstrainer Otto Nerz hatte kein gutes Gefühl, sein Kapitän Fritz Szepan auch nicht. Mit ihrem Torwart Willibald Kreß aus Dresden stimmte etwas nicht, er hatte einen fahrigen Eindruck gemacht in den ersten deutschen WM-Spielen anno 1934. Es schien geraten, ihn vor dem Halbfinale gegen die Tschechoslowakei aus dem Tor zu nehmen. Doch in diesen Tagen waren Trainer in erster Linie Übungsleiter, das letzte Wort bei der Aufstellung hatte der Spielausschuss des DFB. Und der ließ Nerz wissen: "Haben Sie noch nie etwas davon gehört, dass man ein siegreiches Team nicht wechseln soll?" Diese englische Fußballweisheit und der Liebeskummer von Kreß kostete Deutschland womöglich den WM-Titel, denn im Halbfinale von Rom war Schluss. 1:3 hieß es im allerersten Länderspiel gegen die Tschechoslowakei und der Sündenbock stand für alle fest.

Der Kicker urteilte hart: "Kreß hat uns dieses Spiel verloren. Dieser Satz liest sich ohne Zweifel hart, aber wir haben gar keine Möglichkeit, irgendeinen Grund für Milde zu finden." So also begann die deutsch-tschechische Länderspiel-Historie, die nicht ganz einfach zusammenzufassen ist. Beide Länder wurden geteilt, nur eines wieder zusammen geführt. Gegen das heutige, seit 1993 unabhängige Tschechien, hat die Bundesrepublik erst siebenmal gespielt, doch gefühlt ging es in den Jahrzehnten davor ja auch immer gegen die "Tschechen", zumal die meisten Spieler aus den führenden Prager Klubs kamen. Zählt man die Spiele gegen die CSSR und das gegen Böhmen-Mähren von 1939 also hinzu, kommt die DFB-Auswahl auf 24 Spiele, von denen 14 gewonnen wurden und fünf verloren – bei fünf Remis.

Legendärer Hoeneß-Fehlschuss

Auch die DDR hat eine positive Bilanz gegen die Tschechen (8-5-4), die ihnen jedoch die WM-Teilnahme 1958 verbauten. Dort traf dann die BRD auf sie und man trennte sich in der Vorrunde 2:2, gefühlt war es ein Sieg, denn Hans Schäfers Tor war irregulär. Das EM-Finale 1976 von Belgrad schrieb Fußball-Geschichte, nicht nur für beide Länder. An jenem 20. Juni, als Franz Beckenbauer als erster Deutscher die 100-Länderspiele-Marke passierte, wurde auch erstmals ein internationales Turnier im Elfmeterschießen entschieden. Übrigens auf Wunsch der Deutschen, die das noch am Abend vor dem Finale bei der UEFA durchgesetzt hatten. Grund: ein Wiederholungsspiel erschien Bundestrainer Helmut Schön als "mörderisch" nach der langen Saison. Dabei hatte die EM nur aus zwei Spielen bestanden, die beide in die Verlängerung gegangen waren.

Im Finale lag die Schön-Elf wieder 0:2 zurück, Dieter Müller verkürzte noch vor der Pause, aber der Ausgleich ließ bis Sekunden vor dem Abpfiff auf sich warten. Dann köpfte Bernd Hölzenbein eine Bonhof-Ecke ein, Tschechen-Keeper Viktor faustete ins Leere. Nach torloser Verlängerung kam es dann zum Shootout am Kreidepunkt und zum wohl berühmtesten Moment in der aktiven Karriere des Uli Hoeneß. Fatalerweise war es ein schwarzer – denn der Sunnyboy der frühen Siebziger, der mit 22 schon alle Titel gewonnen hatte, drosch den vierten deutschen Elfmeter, wie es so süffisant in allen Rückblenden heißt, "in den Nachthimmel von Belgrad". Unkonzentriert und überhastet, er wollte es einfach nur schnell hinter sich bringen. "Normalerweise achte ich auf den Torwart und schiebe den Ball in die Ecke. Weil ich jedoch so ausgelaugt war, wollte ich kein Risiko eingehen und den Ball mit voller Wucht ins Tor jagen." Nur das mit der Wucht haute hin. Als dann der Tscheche Antoni Panenka mit einem dreisten und nicht minder berühmten Schlenzer in die Tormitte Sepp Maier verlud, war es vorbei. Besorgt fragte Hoeneß am nächsten Morgen in die Reporterrunde: "Nun muss ich mich aber wohl nicht hundert Jahre mit Vorwürfen plagen?"

Der höchste Auswärtssieg in der WM-Qualifikation

Schon fünf Monate später gab es in Freundschaft Revanche, beim 2:0 in Hannover schoss der Kölner Heinz Flohe das 1000. deutsche Länderspieltor. Dieser Gegner, so sollte sich zeigen, eignete sich noch öfter, um Marksteine zu setzen. Mit einem 4:3 in Prag begann im Oktober 1978 die Ära des Bundestrainers Jupp Derwall, der Sieg war ein gutes Omen für den kommenden Europameister. Im Juni 1980 war das Eröffnungsspiel der EM dieselbe Paarung wie das Finale von 1976 und Karl-Heinz Rummenigge köpfte das Goldene Tor. Aber nie kamen weniger Zuschauer zu einem deutschen EM-Spiel als in Neapel (10.500). Im April 1985 ging es in Prag um Punkte für die WM-Qualifikation in Mexiko und die verdiente sich die Nationalelf mit rauschendem Fußball – das 5:1 war der höchste Auswärtssieg in der sechsjährigen "Kaiser-Zeit" unter Franz Beckenbauer.

Der Teamchef soll nie schlimmer in der Kabine ausgerastet sein als nach dem 1:0 gegen denselben Gegner im Viertelfinale der WM 1990. Da flogen in Mailand die Eiskübel, und wer konnte, flüchtete vor dem Zorn des "Kaisers" ins Entmüdungsbecken. Den Perfektionisten hatte es fürchterlich aufgeregt, dass seine Mannschaft in Überzahl noch in Gefahr gekommen war. "Ich habe immer gedacht, ich hätte eine intelligente Mannschaft. Aber die habe ich nicht", grollt der Kaiser. Sie wurde dann sieben Tage später Weltmeister.

Bierhoff und das erste Golden Goal der Geschichte

Auch auf dem Weg zum bisher letzten EM-Titel 1996 in England musste die tschechische Hürde genommen werden. Und zwar gleich zwei Mal. Das neue "Tschechien" stand am Anfang und am Ende des Weges der Vogts-Elf. Das Vorrundenspiel wurde weit müheloser gewonnen (2:0) als das Finale (2:1), wo sie wieder mal Fußball-Geschichte schrieben. Die UEFA hatte zur Förderung des Nervenkitzels das "Golden Goal" eingeführt, das eine Verlängerung sofort beendet. Bloß war bis zu jenem 30. Juni noch keines gefallen. Dazu musste erst Oliver Bierhoff kommen. Beim Stand von 0:1 eingewechselt, köpfte er in Wembley zunächst den Ausgleich. Dann, in Minute 93, wickelte er seine 193 Zentimeter um seinen Gegenspieler und schoss von der Strafraumgrenze nicht mal sonderlich fest in die Tormitte. Doch der Tschechen-Keeper Kouba ließ den leicht abgefälschten Ball durch die Hände gleiten, knapp neben dem Pfosten schlug es ein, das erste Golden Goal der Geschichte. Ohne es wäre Oliver Bierhoff womöglich heute nicht Teammanager des Weltmeisters.

Blieben noch zwei Nadelstiche zu vermelden, die die Tschechen den Deutschen versetzten. Im letzten Gruppenspiel der EM 2004 beendete ihre B-Elf in Lissabon die Teamchef-Karriere von Rudi Völler. Das Tor des HSV-Legionärs Marek Heinz warf den Vizeweltmeister raus (1:2) und trieb Völler zum Rücktritt. Wieder so ein Markstein. Weniger folgenreich und doch schmerzhaft war auch das letzte Treffen am 17. Oktober 2007 in München. Die EM-Qualifikation war schon geschafft, was deutlich wurde – die Gäste gewannen mit 3:0. Höher hat Deutschland unter Joachim Löw nie verloren. Ähnliches will der Bundestrainer heute unter allen Umständen vermeiden.

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Heute Abend (ab 20.45 Uhr, live bei RTL) treffen die Fußballnationen Deutschland und Tschechien offiziell erst zum siebten Mal aufeinander. Die Länderspielhistorie der beiden einst geteilten Länder ist nicht ganz einfach zusammenzufassen. Für DFB.de hat der Historiker Udo Muras die Archive durchsucht - und fand packende Duelle, die immer wieder in Endspielen bei großen Turnieren ausgetragen wurden.

Reichstrainer Otto Nerz hatte kein gutes Gefühl, sein Kapitän Fritz Szepan auch nicht. Mit ihrem Torwart Willibald Kreß aus Dresden stimmte etwas nicht, er hatte einen fahrigen Eindruck gemacht in den ersten deutschen WM-Spielen anno 1934. Es schien geraten, ihn vor dem Halbfinale gegen die Tschechoslowakei aus dem Tor zu nehmen. Doch in diesen Tagen waren Trainer in erster Linie Übungsleiter, das letzte Wort bei der Aufstellung hatte der Spielausschuss des DFB. Und der ließ Nerz wissen: "Haben Sie noch nie etwas davon gehört, dass man ein siegreiches Team nicht wechseln soll?" Diese englische Fußballweisheit und der Liebeskummer von Kreß kostete Deutschland womöglich den WM-Titel, denn im Halbfinale von Rom war Schluss. 1:3 hieß es im allerersten Länderspiel gegen die Tschechoslowakei und der Sündenbock stand für alle fest.

Der Kicker urteilte hart: "Kreß hat uns dieses Spiel verloren. Dieser Satz liest sich ohne Zweifel hart, aber wir haben gar keine Möglichkeit, irgendeinen Grund für Milde zu finden." So also begann die deutsch-tschechische Länderspiel-Historie, die nicht ganz einfach zusammenzufassen ist. Beide Länder wurden geteilt, nur eines wieder zusammen geführt. Gegen das heutige, seit 1993 unabhängige Tschechien, hat die Bundesrepublik erst siebenmal gespielt, doch gefühlt ging es in den Jahrzehnten davor ja auch immer gegen die "Tschechen", zumal die meisten Spieler aus den führenden Prager Klubs kamen. Zählt man die Spiele gegen die CSSR und das gegen Böhmen-Mähren von 1939 also hinzu, kommt die DFB-Auswahl auf 24 Spiele, von denen 14 gewonnen wurden und fünf verloren – bei fünf Remis.

Legendärer Hoeneß-Fehlschuss

Auch die DDR hat eine positive Bilanz gegen die Tschechen (8-5-4), die ihnen jedoch die WM-Teilnahme 1958 verbauten. Dort traf dann die BRD auf sie und man trennte sich in der Vorrunde 2:2, gefühlt war es ein Sieg, denn Hans Schäfers Tor war irregulär. Das EM-Finale 1976 von Belgrad schrieb Fußball-Geschichte, nicht nur für beide Länder. An jenem 20. Juni, als Franz Beckenbauer als erster Deutscher die 100-Länderspiele-Marke passierte, wurde auch erstmals ein internationales Turnier im Elfmeterschießen entschieden. Übrigens auf Wunsch der Deutschen, die das noch am Abend vor dem Finale bei der UEFA durchgesetzt hatten. Grund: ein Wiederholungsspiel erschien Bundestrainer Helmut Schön als "mörderisch" nach der langen Saison. Dabei hatte die EM nur aus zwei Spielen bestanden, die beide in die Verlängerung gegangen waren.

Im Finale lag die Schön-Elf wieder 0:2 zurück, Dieter Müller verkürzte noch vor der Pause, aber der Ausgleich ließ bis Sekunden vor dem Abpfiff auf sich warten. Dann köpfte Bernd Hölzenbein eine Bonhof-Ecke ein, Tschechen-Keeper Viktor faustete ins Leere. Nach torloser Verlängerung kam es dann zum Shootout am Kreidepunkt und zum wohl berühmtesten Moment in der aktiven Karriere des Uli Hoeneß. Fatalerweise war es ein schwarzer – denn der Sunnyboy der frühen Siebziger, der mit 22 schon alle Titel gewonnen hatte, drosch den vierten deutschen Elfmeter, wie es so süffisant in allen Rückblenden heißt, "in den Nachthimmel von Belgrad". Unkonzentriert und überhastet, er wollte es einfach nur schnell hinter sich bringen. "Normalerweise achte ich auf den Torwart und schiebe den Ball in die Ecke. Weil ich jedoch so ausgelaugt war, wollte ich kein Risiko eingehen und den Ball mit voller Wucht ins Tor jagen." Nur das mit der Wucht haute hin. Als dann der Tscheche Antoni Panenka mit einem dreisten und nicht minder berühmten Schlenzer in die Tormitte Sepp Maier verlud, war es vorbei. Besorgt fragte Hoeneß am nächsten Morgen in die Reporterrunde: "Nun muss ich mich aber wohl nicht hundert Jahre mit Vorwürfen plagen?"

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Der höchste Auswärtssieg in der WM-Qualifikation

Schon fünf Monate später gab es in Freundschaft Revanche, beim 2:0 in Hannover schoss der Kölner Heinz Flohe das 1000. deutsche Länderspieltor. Dieser Gegner, so sollte sich zeigen, eignete sich noch öfter, um Marksteine zu setzen. Mit einem 4:3 in Prag begann im Oktober 1978 die Ära des Bundestrainers Jupp Derwall, der Sieg war ein gutes Omen für den kommenden Europameister. Im Juni 1980 war das Eröffnungsspiel der EM dieselbe Paarung wie das Finale von 1976 und Karl-Heinz Rummenigge köpfte das Goldene Tor. Aber nie kamen weniger Zuschauer zu einem deutschen EM-Spiel als in Neapel (10.500). Im April 1985 ging es in Prag um Punkte für die WM-Qualifikation in Mexiko und die verdiente sich die Nationalelf mit rauschendem Fußball – das 5:1 war der höchste Auswärtssieg in der sechsjährigen "Kaiser-Zeit" unter Franz Beckenbauer.

Der Teamchef soll nie schlimmer in der Kabine ausgerastet sein als nach dem 1:0 gegen denselben Gegner im Viertelfinale der WM 1990. Da flogen in Mailand die Eiskübel, und wer konnte, flüchtete vor dem Zorn des "Kaisers" ins Entmüdungsbecken. Den Perfektionisten hatte es fürchterlich aufgeregt, dass seine Mannschaft in Überzahl noch in Gefahr gekommen war. "Ich habe immer gedacht, ich hätte eine intelligente Mannschaft. Aber die habe ich nicht", grollt der Kaiser. Sie wurde dann sieben Tage später Weltmeister.

Bierhoff und das erste Golden Goal der Geschichte

Auch auf dem Weg zum bisher letzten EM-Titel 1996 in England musste die tschechische Hürde genommen werden. Und zwar gleich zwei Mal. Das neue "Tschechien" stand am Anfang und am Ende des Weges der Vogts-Elf. Das Vorrundenspiel wurde weit müheloser gewonnen (2:0) als das Finale (2:1), wo sie wieder mal Fußball-Geschichte schrieben. Die UEFA hatte zur Förderung des Nervenkitzels das "Golden Goal" eingeführt, das eine Verlängerung sofort beendet. Bloß war bis zu jenem 30. Juni noch keines gefallen. Dazu musste erst Oliver Bierhoff kommen. Beim Stand von 0:1 eingewechselt, köpfte er in Wembley zunächst den Ausgleich. Dann, in Minute 93, wickelte er seine 193 Zentimeter um seinen Gegenspieler und schoss von der Strafraumgrenze nicht mal sonderlich fest in die Tormitte. Doch der Tschechen-Keeper Kouba ließ den leicht abgefälschten Ball durch die Hände gleiten, knapp neben dem Pfosten schlug es ein, das erste Golden Goal der Geschichte. Ohne es wäre Oliver Bierhoff womöglich heute nicht Teammanager des Weltmeisters.

Blieben noch zwei Nadelstiche zu vermelden, die die Tschechen den Deutschen versetzten. Im letzten Gruppenspiel der EM 2004 beendete ihre B-Elf in Lissabon die Teamchef-Karriere von Rudi Völler. Das Tor des HSV-Legionärs Marek Heinz warf den Vizeweltmeister raus (1:2) und trieb Völler zum Rücktritt. Wieder so ein Markstein. Weniger folgenreich und doch schmerzhaft war auch das letzte Treffen am 17. Oktober 2007 in München. Die EM-Qualifikation war schon geschafft, was deutlich wurde – die Gäste gewannen mit 3:0. Höher hat Deutschland unter Joachim Löw nie verloren. Ähnliches will der Bundestrainer heute unter allen Umständen vermeiden.