Berti Vogts: "Ich hoffe, Joachim Löw setzt sich die Krone auf"

Vogts: Ich kann nur den Hut vor Louis van Gaal ziehen und freue mich, dass er meinen Lieblingsklub Manchester United nach der WM übernimmt. Er hat mit seiner Dreier- oder Fünferkette genau das richtige System für die Niederländer gefunden. Schließlich haben sie nur drei wirkliche Top-Spieler: Wesley Sneijder, Robin van Persie und eben Schwalbe.

Frage: Letzterer soll wohl Arjen Robben sein. Darf 'Schwalbe' zitiert werden?

Vogts:: Das können Sie ruhig. Mir hat nicht gefallen, wie er sich in den Zweikämpfen häufig fallen gelassen hat - und protestiert noch, wenn nicht gepfiffen wird. Das hat er eigentlich nicht nötig.

Frage: Zurück zu van Gaal: Sein Torwartwechsel vor dem Elfmeterschießen gegen Costa Rica war phänomenal.

Vogts: Das zeichnet Louis aus, solche Situation vorherzuahnen und dann die richtigen Entscheidungen zu treffen. Schade, dass er aufgrund der personellen Entwicklung im Spiel gegen Argentinien nicht wieder den Elfmeterspezialisten Tim Krul einwechseln konnte. Van Gaal ist ein großer Taktiker, der genau die richtigen Schlüsse gezogen hat, um bei der WM erfolgreich zu sein.

Frage: Sie waren bei der WM als Berater von Chefcoach Jürgen Klinsmann beim US-Team tätig. Gibt es eine Fortsetzung der Zusammenarbeit?

Vogts: Ich habe noch einen Vertrag als Nationaltrainer in Aserbaidschan und bereite die Mannschaft auf die ersten EM-Qualifikationsspiele vor. Wir müssen zunächst gegen Bulgarien, dann in Italien und in Kroatien antreten. Also ganz leichte Gegner (lacht). Dann wird man weitersehen.

Frage: Klinsmann hat in den USA für eine Aufbruchsstimmung gesorgt, Public Viewing während der WM war in den Vereinigten Staaten ein Hit.



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Berti Vogts, Weltmeister von 1974, führte als Bundestrainer die deutsche Nationalmannschaft zum EM-Triumph 1996 in London und damit zum bislang letzten Titel. Im Interview äußert sich der 67-Jährige zum WM-Endspiel zwischen Deutschland und Argentinien am Sonntag, über die Blockbildung im DFB-Team, Bundestrainer Joachim Löw, den Finalgegner und zu seinen Eindrücken bei der WM in Brasilien.

Frage: Herr Vogts, Sie waren als Berater von US-Nationalcoach Jürgen Klinsmann bei der WM in Brasilien. Wie haben Sie die Weltmeisterschaft im Land des Fußballs und des Rekord-Weltmeisters empfunden?

Berti Vogts:: Ich war sehr angetan von der Begeisterung im ganzen Land, in den Stadien, aber auch von der Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft der Menschen in Brasilien. Leider ist das in der deutschen Berichterstattung nicht so rübergekommen. Wirklich beeindruckt war ich von den brasilianischen Kindern, mit welcher Inbrunst sie die Nationalhymne mitsingen. Auch wenn die Musik aufhört und das ganze Stadion weitersingt. Das gehört für mich zu den Highlights dieser WM.

Frage: Deutschland steht im WM-Endspiel gegen Argentinien und hat mit dem 7:1 gegen Gastgeber Brasilien für den Paukenschlag schlechthin dieser WM gesorgt. Hatten Sie mit einem solchen Triumph gerechnet?

Vogts: Überraschend ist ja nicht der Sieg an sich, sondern die Höhe des Ergebnisses. Mir war klar, dass Deutschland oder eine europäische Mannschaft dieses brasilianische Team schlagen würde. Ich hatte vorher auf ein 4:1 getippt, alle haben mich für bekloppt gehalten. Deutschland hat einfach die bessere Mannschaft. Brasilien wurde zudem gut analysiert, die Schwachstellen erkannt und die Mannschaft entsprechend eingestellt.

Frage: Sehr zur Enttäuschung der 200 Millionen Brasilianer ging die Selecao total unter.

Vogts: Es war sehr enttäuschend, wie die brasilianische Mannschaft bei der WM gespielt hat. Was sonst immer Brasiliens Teams ausgezeichnet hat: das schöne Spiel, die Eleganz, die Leichtigkeit - das alles hat man nicht gesehen. Die Schwächen der Brasilianer wurden sehr gut analysiert und die deutsche Mannschaft von Joachim Löw und seinem Team taktisch glänzend vorbereitet. So kam dieses Ergebnis zustande.

Frage: Was zeichnet das deutsche Team bei der WM in Brasilien aus?

Vogts: Die Mannschaft hat sich von Spiel zu Spiel gesteigert. Gegen Algerien hatte man einige Probleme, aber es wurden die entscheidenden mannschaftsinternen Umbesetzungen vorgenommen und Leute auf ihre alte Position gesetzt. Philipp Lahm ist nun mal der weltbeste Rechtsverteidiger. Die Mannschaft hat einen enormen Zusammenhalt, das Umschaltspiel von der Abwehr über das Mittelfeld in den Angriff klappt hervorragend.

Frage: Aber was macht die deutsche Elf in Brasilien sonst noch so stark?

Vogts: Das ist doch ganz einfach: Das ist der Block von Bayern München. Das ist wie bei der WM 1974, als die Bayern auch sechs Spieler gestellt haben. Die Bayern-Spieler sind mental so stark, die gehen auf den Platz und sagen: So, uns müsst ihr erstmal schlagen. Die wissen ganz genau, worauf es ankommt. Der Bayern-Block sorgt für die nötige Stabilität. Die Ergänzung mit den anderen Spielern funktioniert hervorragend. Jammerschade ist, dass Marco Reus, der arme Kerl, verletzungsbedingt nicht dabei ist. Mit ihm wäre die Mannschaft noch stärker.

Frage: Bundestrainer Joachim Löw hat sich zwischenzeitlich Kritik in den deutschen Medien eingehandelt, weil er lange Zeit an Philipp Lahm im defensiven Mittelfeld festgehalten hat. Können Sie diese Kritik nachvollziehen?

Vogts: Ich finde das ungeheuerlich, dass hier Personalentscheidungen kritisch hinterfragt wurden. Joachim Löw macht einen super, super Job. Ich hoffe, dass er sich am Sonntag die Krone aufsetzt. Ich finde zum Beispiel auch die Kritik an Benedikt Höwedes, der auf einer ungewohnten Position links verteidigen muss, ungerecht. Er macht einen guten Job dort im Dienst der Mannschaft.

Frage: Es wäre der erste Titel seit dem EM-Triumph 1996, der unter ihnen als Bundestrainer gelang. Ist es kein Problem für Sie, als letzter Bundestrainer, der einen Titel mit der Nationalmannschaft geholt hat, abgelöst zu werden?

Vogts: Ganz und gar nicht! Ich würde mich unglaublich freuen für Löw, die Mannschaft, das Trainerteam und das Team hinter dem Team. Deutschland muss mal wieder einen Titel gewinnen. Sonntag wäre genau der richtige Tag! Aber es geht wieder bei 0:0 los. Es gibt keinen Grund für Arroganz, es werden harte 90 oder 120 Minuten.

Frage: Sollte Deutschland am Sonntag im Maracana-Stadion von Rio de Janeiro Weltmeister werden, könnte es sein, dass die DFB-Auswahl ähnlich in den nächsten Jahren dominiert wie Spanien es in den letzten Jahren getan hat?

Vogts: Da hat schon mal jemand einen dummen Spruch gemacht, dass wir auf Jahre hinaus unschlagbar seien (Franz Beckenbauer nach dem WM-Triumph 1990, der seinem Nachfolger Vogts damit eine schwere Bürde hinterließ, d.Red.). So etwas werde ich nicht sagen.

Frage: Vor gut zehn Jahren sah es um den deutschen Fußball nicht sonderlich rosig aus. Was ist passiert?

Vogts: Mit der Verpflichtung von Jürgen Klinsmann als Bundestrainer, von Joachim Löw, Hansi Flick und auch von Nationalmannschftsmanager Oliver Bierhoff wurde ein Umbruch eingeleitet. Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) hat ab 2004 alles umgekrempelt und sich neu aufgestellt. Das war wichtig und richtig. Die Liga hat mit ihren Jugend-Akademien viele Talente herausgebracht. Damals wurde die Grundlage für die aktuellen Erfolge gelegt.

Frage: Im Erfolg werden meistens die größten Fehler gemacht. Worauf sollte der deutsche Fußball jetzt achten?

Vogts: Dass die unterschiedlichen Spielertypen auch unterschiedlich behandelt werden müssen. Alle Rechtsverteidiger jetzt so spielen zu lassen wie Philipp Lahm, das geht in die falsche Richtung. Die Spieler müssen individuell ausgebildet und gefördert werden. Das bringt sie entscheidend nach vorne und sichert langfristig den Erfolg, weil sich unterschiedliche Spielertypen entwickeln. Das braucht der Fußball.

Frage: Die Niederlande haben den Sprung ins Endspiel im Elfmeterschießen verpasst, wäre Ihnen Oranje lieber als Argentinien gewesen?

Vogts: Ich glaube, die deutsche Mannschaft hätte sich gegen die Holländer leichter getan. Man kennt die Mannschaft, weiß, wie ein Arjen Robben spielt. Argentinien ist schwerer auszurechnen. Die Niederlande haben das Problem, dass die wenigsten Spieler bei großen Klubs spielen. Da sind Arjen Robben und Robin van Persie die Ausnahme. Die argentinischen Spieler stehen allesamt bei großen Klubs unter Vertrag.

Frage: Ihren Worten entnehme ich eine große Wertschätzung für den niederländischen Bondscoach Louis van Gaal, der sich hier als Taktikfuchs entpuppt hat. Richtig?

Vogts: Ich kann nur den Hut vor Louis van Gaal ziehen und freue mich, dass er meinen Lieblingsklub Manchester United nach der WM übernimmt. Er hat mit seiner Dreier- oder Fünferkette genau das richtige System für die Niederländer gefunden. Schließlich haben sie nur drei wirkliche Top-Spieler: Wesley Sneijder, Robin van Persie und eben Schwalbe.

Frage: Letzterer soll wohl Arjen Robben sein. Darf 'Schwalbe' zitiert werden?

Vogts:: Das können Sie ruhig. Mir hat nicht gefallen, wie er sich in den Zweikämpfen häufig fallen gelassen hat - und protestiert noch, wenn nicht gepfiffen wird. Das hat er eigentlich nicht nötig.

Frage: Zurück zu van Gaal: Sein Torwartwechsel vor dem Elfmeterschießen gegen Costa Rica war phänomenal.

Vogts: Das zeichnet Louis aus, solche Situation vorherzuahnen und dann die richtigen Entscheidungen zu treffen. Schade, dass er aufgrund der personellen Entwicklung im Spiel gegen Argentinien nicht wieder den Elfmeterspezialisten Tim Krul einwechseln konnte. Van Gaal ist ein großer Taktiker, der genau die richtigen Schlüsse gezogen hat, um bei der WM erfolgreich zu sein.

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Frage: Sie waren bei der WM als Berater von Chefcoach Jürgen Klinsmann beim US-Team tätig. Gibt es eine Fortsetzung der Zusammenarbeit?

Vogts: Ich habe noch einen Vertrag als Nationaltrainer in Aserbaidschan und bereite die Mannschaft auf die ersten EM-Qualifikationsspiele vor. Wir müssen zunächst gegen Bulgarien, dann in Italien und in Kroatien antreten. Also ganz leichte Gegner (lacht). Dann wird man weitersehen.

Frage: Klinsmann hat in den USA für eine Aufbruchsstimmung gesorgt, Public Viewing während der WM war in den Vereinigten Staaten ein Hit.

Vogts: Schade, dass die Mannschaft im Achtelfinale gegen Belgien erst wach geworden ist, als es schon 0:2 stand. Vielleicht waren einige mit den Ergebnissen in der Vorrunde in der deutschen Gruppe zufrieden. Es gab so etwas wie eine Blockade. Allerdings fehlte auch in Jozy Altidore ein wichtiger Angreifer. Entscheidend ist, dass jetzt an der Schnelligkeit der Spieler gearbeitet wird.

Frage: Klinsmanns Vertrag läuft noch bis zur WM 2018 in Russland. Er hat schon einiges bewegt in den USA. Wie beurteilen Sie die Situation?

Vogts: Ich hoffe, dass die MLS (Major League Soccer, d.Red.) seine Arbeit auch anerkennt. Die Basis in den USA für den Soccer ist vorhanden. Ich habe noch nie soviele Plätze gesehen wie in den USA, wo Kinder Fußball spielen. Das ist unglaublich, so ähnlich war es nur in den 60er Jahren in Deutschland. Viel bewirkt hat auch sein Team, mit Andreas Herzog. Der Zusammenhalt, der Charakter der Mannschaft hat mir imponiert.