Bernd Stöber: "Wir waren die kompletteste Mannschaft"

Stöber: Wir werden eine erste grobe Auswertung in zwei Wochen beim Kongress des Bundes deutscher Fußballlehrer präsentieren. Dort werden Frank Wormuth und ich ungefähr 90 Minuten über unsere Beobachtungen berichten – unterstützt von Spielszenen. Im Laufe der nächsten vier bis sechs Wochen wird dann eine Broschüre mit DVDs erstellt, die an all die Gruppen weitergereicht wird, die für die Zukunft des Fußballs wichtig sind.

DFB.de: Welche Gruppen meinen Sie?

Stöber: Alle Trainer, die im Nachwuchsbereich arbeiten, in den Leistungszentren und den Verbänden. Aber genauso werden die Ergebnisse einen Einfluss auf die Trainerausbildung haben. Denn auch da möchten wir up to date sein. Deshalb werden wir zusätzlich einen Themenkatalog für unsere Fortbildungsveranstaltungen entwickeln, der in allen Bereichen, in denen Trainerfortbildung stattfindet, eingesetzt werden soll. Angefangen bei der C-Lizenz über die Stützpunkttrainer bis hin zum Fußballlehrer. Dann wird es beispielsweise darum gehen, wie man die Position des Außenverteidigers mehr in den Fokus rücken kann.

DFB.de: Wie schnell ändert der DFB generell seine Schwerpunkte in der Juniorenausbildung?

Stöber: Kurzfristig kann so ein Entwicklungsprozess natürlich nicht laufen. Der Prozess, der durch das Stützpunkttraining eingeleitet wurde, dauerte eine gesamte Spielergeneration. Das ist also eine Sache, die über mehrere Jahre im Fokus stehen muss. Man bekommt nicht heute eine Erkenntnis, morgen achtet man darauf und übermorgen sind dann direkt die Spieler da.

DFB.de: Nach dem WM-Titel herrscht in ganz Deutschland große Begeisterung. Dürfen die Fans der Nationalmannschaft auch in Zukunft feiern?

Stöber: Es werden Talente nachkommen. Junge Spieler, die schon frühzeitig in der Bundesliga Erfahrungen sammeln, woran man merkt, dass unsere langfristig angelegte Strategie in der Talentförderung funktioniert. Da sind wir sehr gut aufgestellt. Verletzte Spieler wie Marco Reus, Ilkay Gündogan oder die Bender-Zwillinge waren in Brasilien ja nicht einmal dabei. Das sind auch noch richtig gute Alternativen. Wir müssen am Ball bleiben – von alleine passiert nichts.

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Bernd Stöber, DFB-Trainer für die Ausbildung, zählte in Brasilien zum Team hinter dem Team. Der 61-Jährige koordinierte ab dem WM-Achtelfinale die Spiel-Beobachtungen. Als er am Dienstag von seiner Scouting-Reise zurückkehrte, war Deutschland um einen WM-Stern reicher. Warum dieser Titel verdient ist, welche Erkenntnisse er bei der WM gewonnen hat und warum ihn die Dreierkette nicht überzeugte, darüber sprach DFB-Mitarbeiter Tim Noller mit Stöber.

DFB.de: Herr Stöber, worin lag der Schlüssel zum deutschen WM-Erfolg?

Bernd Stöber: In der Summe aus Angriffs- und Abwehrverhalten waren wir die kompletteste Mannschaft. Es gab Mannschaften wie Argentinien oder die Niederlande, die sehr gut verteidigt haben, sich im Spiel nach vorne aber auf Einzelaktionen verlassen haben. Von Robben, von Messi oder wenn man an Brasilien denkt, von Neymar. Wir hingegen waren in der Lage, unser Angriffsspiel als Mannschaft vorzutragen. Dass es ein verdienter Titel war, zeigen ja auch die internationalen Pressestimmen.

DFB.de: Wie schwierig war es nach dem kurzfristigen Ausfall von Sami Khedira, eine passende Lösung im defensiven Mittelfeld für das Finale zu finden?

Stöber: Die Position von Sami Khedira im defensiven Mittelfeld war vor allem gegen Argentinien eine sehr wichtige. Denn man konnte davon ausgehen, dass die Argentinier sehr tief spielen und Kontersituationen hervorrufen würden. Da Christoph Kramer diese Position auch im Verein spielt und wir Philipp Lahm im Finale als Rechtsverteidiger benötigt haben, gab es zu Kramer eigentlich keine Alternative.

DFB.de: Wie haben Sie dessen Leistung gesehen?

Stöber: Er ist ein unglaublich laufstarker Spieler, der auf dieser Position für eine Mannschaft sensationell wichtig ist. Im Finale war er nach einem Ballverlust hinten zu finden, aber genauso bei Ballgewinnen sofort wieder vorne. Das sieht man alleine schon am Ort, wo er gefoult wurde. Das war an der gegnerischen Grundlinie. Leider musste er danach ausgewechselt werden.

DFB.de: André Schürrle ersetzte ihn. Welche taktischen Auswirkungen hatte dieser Wechsel?

Stöber: Durch Kramers Auswechslung wurde die Position neben Schweinsteiger oder etwas vor ihm von Toni Kroos übernommen. Nach vorne sind wir dadurch mit Sicherheit stärker geworden, weil Kroos aus dem defensiven Mittelfeld heraus ein sehr guter Passgeber war. Wobei im Finale eher Schweinsteiger den Ton von dieser Position angegeben hat.

DFB.de: Wie bewerten Sie das Finale insgesamt? Was ist Ihnen aufgefallen?

Stöber: Wir waren bemüht, nach vorne zu spielen, haben das Spiel gemacht, waren dominant und wollten das Tor machen – das ist unser Spiel. Dabei sind wir auf eine argentinische Mannschaft gestoßen, die sehr gut verteidigt hat, aber ihre zwei, drei klaren Konterchancen zu unserem Glück nicht genutzt hat.

DFB.de: Sie haben sowohl das Halbfinale Argentiniens, als auch das Finale gesehen. Wie beurteilen Sie die Leistung von Lionel Messi in diesen Partien?

Stöber: Seine Leistungsfähigkeit ist gerade in diesen beiden Spielen nur sporadisch aufgeblitzt. Gegen die Niederlande konnte er sich so gut wie nie entscheidend durchsetzen und setzte lediglich ein paar Nadelstiche. Wenn man weiß, was er kann, hat er seine Leistungsgrenzen im Halbfinale und Finale nicht unbedingt erreicht.

DFB.de: Was aber auch an den gegnerischen Abwehrreihen lag, oder?

Stöber: Natürlich spielt das eine Rolle. Man wusste um die Gefährlichkeit von Messi und versuchte deshalb, ihn gemeinschaftlich zu bremsen. Da reicht kein Eins-gegen-eins, sondern man muss ihn zu zweit oder sogar zu dritt verteidigen. Mit einer guten Strategie und Organisation geht das.

DFB.de: Welche Trends haben Sie generell bei der WM erkannt?

Stöber: Eine WM lässt den Fußball nicht auf einmal in einem anderen Licht erscheinen. Es ändern sich nur Nuancen. Die Bedeutung des Umschaltens nach Ballverlust und nach Ballgewinn ist beispielsweise wieder bestätigt worden. Der Trend geht zu Tempowechseln und einem schnellen Umschaltspiel. Lange Ballzirkulationen, wie man sie von Spanien oder dem FC Barcelona kennt, hat man bei der WM höchstens noch von der deutschen Mannschaft gesehen. Die anderen Teams versuchten hingegen das Mittelfeld schnell zu überbrücken, um schnell zu Torchancen zu kommen.

DFB.de: Falsche Neun oder klassischer Stürmer – diese Diskussion wurde im Vorfeld der WM häufig geführt.

Stöber: Es hat sich, denke ich, die Meinung durchgesetzt, dass man Spiele mit einem echten Stoßstürmer gewinnt. Das hat man an unserer Mannschaft gesehen, in der Miroslav Klose ab dem Viertelfinale gegen Frankreich immer in der Startelf stand. Alle Teams haben mit einem klassischen Stoßstürmer gespielt. Einen Trend zur falschen Neun erkenne ich also nicht.

DFB.de: Stichwort Dreierkette – was ist Ihnen in Bezug auf die Defensivsysteme aufgefallen?

Stöber: In den vergangenen Turnieren stand das 4-2-3-1-System im Vordergrund. Bei dieser WM hingegen haben wir eine große Bandbreite an Systemen gesehen. Nicht nur die Niederlande, auch Costa Rica, Chile oder Mexiko haben mit einer Dreierkette gespielt. Wobei daraus bei gegnerischem Ballbesitz schnell eine Fünferkette wird, so dass dieses System keineswegs zu einer offensiveren Ausrichtung führt. Eher werden die Räume vor dem eigenen Tor noch enger gemacht, was Vorteile in der defensiven Stabilität mit sich bringt. Nachteile habe ich jedoch im Spielaufbau gesehen, in dem die Teams wegen fehlender Anspielmöglichkeiten oft gezwungen wurden, den Ball in der Kette mit Querpässen zirkulieren zu lassen. Überzeugt hat mich diese veränderte Grundordnung bisher jedenfalls noch nicht. Variabilität, was die Grundordnung angeht, ist allerdings eine reizvolle Sache und ergibt für mich durchaus Sinn.

DFB.de: Wohin geht der Trend im Offensivspiel?

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Stöber: Es fanden bei dieser WM nur wenige Positionswechsel statt und wurde mehr aus den Positionen heraus gespielt. Ein Trend hin zu Spezialisten ist also möglich, das muss man abwarten. Auch die vielen Tore durch Standardsituationen waren auffällig. Durch die gute Organisation der Mannschaften wird es generell immer wichtiger, im Umschaltspiel die wenigen Sekunden zu nutzen, in denen die gegnerische Mannschaft unsortiert ist. Entsprechend schwer hatten es konteranfällige Teams, das Achtelfinale zu erreichen.

DFB.de: Nachdem Sie diese Trends aufgespürt haben, wie schnell werden die gesammelten Ergebnisse ausgewertet?

Stöber: Wir werden eine erste grobe Auswertung in zwei Wochen beim Kongress des Bundes deutscher Fußballlehrer präsentieren. Dort werden Frank Wormuth und ich ungefähr 90 Minuten über unsere Beobachtungen berichten – unterstützt von Spielszenen. Im Laufe der nächsten vier bis sechs Wochen wird dann eine Broschüre mit DVDs erstellt, die an all die Gruppen weitergereicht wird, die für die Zukunft des Fußballs wichtig sind.

DFB.de: Welche Gruppen meinen Sie?

Stöber: Alle Trainer, die im Nachwuchsbereich arbeiten, in den Leistungszentren und den Verbänden. Aber genauso werden die Ergebnisse einen Einfluss auf die Trainerausbildung haben. Denn auch da möchten wir up to date sein. Deshalb werden wir zusätzlich einen Themenkatalog für unsere Fortbildungsveranstaltungen entwickeln, der in allen Bereichen, in denen Trainerfortbildung stattfindet, eingesetzt werden soll. Angefangen bei der C-Lizenz über die Stützpunkttrainer bis hin zum Fußballlehrer. Dann wird es beispielsweise darum gehen, wie man die Position des Außenverteidigers mehr in den Fokus rücken kann.

DFB.de: Wie schnell ändert der DFB generell seine Schwerpunkte in der Juniorenausbildung?

Stöber: Kurzfristig kann so ein Entwicklungsprozess natürlich nicht laufen. Der Prozess, der durch das Stützpunkttraining eingeleitet wurde, dauerte eine gesamte Spielergeneration. Das ist also eine Sache, die über mehrere Jahre im Fokus stehen muss. Man bekommt nicht heute eine Erkenntnis, morgen achtet man darauf und übermorgen sind dann direkt die Spieler da.

DFB.de: Nach dem WM-Titel herrscht in ganz Deutschland große Begeisterung. Dürfen die Fans der Nationalmannschaft auch in Zukunft feiern?

Stöber: Es werden Talente nachkommen. Junge Spieler, die schon frühzeitig in der Bundesliga Erfahrungen sammeln, woran man merkt, dass unsere langfristig angelegte Strategie in der Talentförderung funktioniert. Da sind wir sehr gut aufgestellt. Verletzte Spieler wie Marco Reus, Ilkay Gündogan oder die Bender-Zwillinge waren in Brasilien ja nicht einmal dabei. Das sind auch noch richtig gute Alternativen. Wir müssen am Ball bleiben – von alleine passiert nichts.