Letzte Gruppenspiele: Gute und schlechte Erinnerungen

4-3-4 - was wie ein Spielsystem klingt, in das auch der Torwart eingebunden ist, ist vielmehr eine Bilanz. Die der letzten deutschen Gruppenspiele einer EM, die am Sonntag also positiv werden darf. Ein Rückblick auf elf letzte und meist entscheidende Spiele in drei Kapiteln.

DIE SIEGE 

Bei der Heim-EM 1988 traf Deutschland in München am 17. Juni auf Spanien und zog ins Halbfinale ein. Zugespitzt kann man sagen: Rudi Völler schlug Spanien 2:0, denn endlich platzte der Knoten beim so lange torlosen Mittelstürmer. Nach 666 Minuten traf er auf Vorlage von Jürgen Klinsmann (30.). Das 2:0 legte ihm Kapitän Lothar Matthäus per Hacke auf (51.). Die Tore waren glänzend herausgespielt und so weigerte sich Völler standhaft, sich Matchwinner nennen zu lassen.

Vielmehr dankte er Klinsmann, "er hat um mein Innenleben gewusst und mir immer gut zugeredet" und dem Münchner Publikum, das ihn mit "Rudi"- Sprechchören verabschiedete, "obwohl ich hier nicht nur Freunde gehabt habe." Deutschlands beendete die Gruppe ungeschlagen als Sieger und DFB-Präsident Hermann Neuberger lobte das Team von Franz Beckenbauer: "Das war eine weitere ganz enorme Steigerung unserer Mannschaft. Jetzt ist es egal, auf wen wir im Halbfinale treffen."

2008: Ballacks Traumtor gegen Österreich

20 Jahre (!) vergingen bis zum nächsten Sieg im dritten Spiel. Es war ein Sieg, der bitter nötig war. Im Wiener Praterstadion ging es gegen Österreich am 16. Juni 2008 um die Zukunft des deutschen Fußballs und der sportlichen Führung, wie in allen Blättern zu lesen stand. "Jogi - plötzlich geht’s auch um seinen Job", behauptete die Bild-Zeitung. Löw versicherte: "Wir werden nicht ausscheiden."

Ein Punkt hätte gereicht, sein  Kapitän sorgte für drei. In einem lange ausgeglichenen Spiel sorgte Michael Ballack mit einem herrlichen Freistoß aus 25 Metern (49.) für die Entscheidung. Man maß eine Geschwindigkeit von 121 Stundenkilometern. Unmittelbar davor erhielt Kanzlerin Angela Merkel eine SMS, wie ARD-Bilder zeigten. Kommentator Tom Bartels witzelte noch: "Vielleicht steht da ja drauf: 1:0 durch Michael Ballack - es wäre so schön." Joachim Löw saß da schon auf der Ehrentribüne, gemeinsam mit Kollege Josef Hickersberger hatte ihn der spanische Schiedsrichter Gonzalez wegen angeblicher Beleidigung des vierten Offiziellen des Innenraumes verwiesen. Löw wehrte sich: "Ich habe ihm nur gesagt, dass ich und mein Kollege in der Coaching-Zone in Ruhe unseren Job machen wollen."

Vielleicht reichten die Englischkenntnisse des Slowaken nicht aus? Löw landete jedenfalls auf der Tribüne und Assistent Hansi Flick coachte die Elf weiter, auch noch im Viertelfinale gegen Portugal - denn die UEFA sperrte Löw für ein Spiel. Ein Novum der DFB-Historie! Aber alle im DFB-Lager waren froh, dass es überhaupt noch ein Spiel gab. 

2012: Lars Benders großer Moment

Auch beim nächsten Turnier musste noch gezittert werden, obwohl schon sechs Punkte eingefahren waren. Aber darauf konnten Dänen und Portugiesen auch noch kommen. Zur Sicherheit brauchte es am 17. Juni 2012 also einen Punkt gegen Dänemark. Den hielten sie lange in der Hand, aber als die Portugiesen in der 74. Minute in Führung gingen, stand es in Lwiw 1:1 und ein weiteres Dänen-Tor hätte das Aus bedeuten können. Das erste deutsche Tor war auf das Konto von Jubilar Lukas Podolski (100. Länderspiel) gegangen, aber nach Krohn-Dehlis Ausgleich (24.) brauchte es noch einen Helden.

Da schlug die Stunde des Boateng-Vertreters Lars Bender. Der Leverkusener Verteidiger war als Torschütze noch nicht sehr auffällig geworden in seiner Karriere. Nach Pass von Mesut Özil tauchte er dennoch im Strafraum auf und schoss das erlösende 2:1. Löw lobte: "Dieses Tor war so wichtig. Das Spiel stand auf Messers Schneide."

2016: Gomez trifft gegen Nordirland

Das Modell mit der "falschen Neun", die bis zu seiner Auswechslung WM-Held Mario Götze gab, stand 2016 in Frankreich auf dem Prüfstand. Nach zwei Spielen und vier Punkten gab es erst zwei Tore, keines durch Stürmer. Löw brachte also gegen Nordirland am 21. Juni in Paris Brechertyp Mario Gomez und überraschend spielte auf rechts Joshua Kimmich, der erst 23 Bundesligaspiele hatte. Für ihn musste Weltmeister Benedikt Höwedes weichen.

Kimmich schlug mutig Flanken, hatte über 100 Ballkontakte und Gomez schoss das Tor des Tages (30.), das den Gruppensieg sicherte. Löw hatte dennoch keine gute Laune, seine Elf betrieb geradezu Chancenwucher. "Wenn ich fünfmal allein vor dem Torhüter bin, erwarte ich ein Tor." Das lieferten weder Thomas Müller noch Götze, auch Gomez vergab drei Großchancen. Immerhin hatte die Abwehr die Vorrunde ohne Gegentor überstanden, das gab es nur beim Triumph von 1996.

DIE UNENTSCHIEDEN 

Bei der EM 1980 gab es erstmals Gruppenspiele. Deutschland startete mit zwei Siegen und stand vor dem Anpfiff gegen Griechenland am 17. Juni als Finalist fest. Bundestrainer Jupp Derwall reagierte nachvollziehbar: er nahm die von einer Gelbsperre bedrohten Spieler - Bernard Dietz, Bernd Schuster und Klaus Allofs - heraus und gab den Reservisten Bernd Cullmann, Bernd Förster und Caspar Memering eine Chance. Für sie ein besonderer Moment, für alle Beobachter ein Spiel zum Vergessen.

14.000 Zuschauer in Turin bereuten ihr Kommen. Tore fielen nicht, die Griechen trafen in der 70. Minute sogar den Pfosten - sonst wären die Deutschen mit einer Blamage ins Finale eingezogen. Es gab viel Kritik und dafür von den Kritisierten wenig Verständnis. "Menschenskinder, ich glaub ich bin hier auf einer Beerdigung", sagte Jupp Derwall. "Meine Herren, wir stehen im Europameisterschaftsendspiel!"

1996: Nullnummer gegen Italien reicht

1996 in England gab es unter Berti Vogts in den ersten Spielen der Vorrunde zwei Siege mit 5:0-Toren, aber keine Gewissheit. Bei einer Niederlage gegen Italien und einem hohen tschechischen Sieg gegen schon ausgeschiedene Russen wären selbst sechs Punkte zu wenig gewesen. So lag knisternde Spannung in der Luft, als der alte Rivale am 19. Juni in Manchester antrat. Es wurde das erwartet schwere Spiel. Erstmals waren die Deutschen bei dieser EM nicht überlegen, am Ende hieß es 0:0, dank des Torhüters.

Andy Köpke verhinderte einen frühen Rückstand und hielt nach neun Minuten einen Elfmeter von Gianfranco Zola. Nach dem Platzverweis des Babbel-Vertreters Thomas Strunz (59.) verteidigte die DFB-Elf in Unterzahl den ein einen Punkt, den sie letztlich gar nicht brauchte. Italien aber reiste heim, weil die Tschechen gegen Russland 3:3 spielten.

2021: Goretzka trifft fürs Achtelfinale

Bei der Kontinental-EM 2021 war einer Niederlage ein Sieg gefolgt. Die Hoffnung auf bessere Zeiten nach dem 4:2 über Europameister Portugal sollte sich indes als trügerisch erweisen, der medial erwartete Spaziergang gegen die Ungarn wurde ein Höllentrip mit glimpflichen Ende. Das letzte Spiel in München wurde das schlechteste, zweimal gerieten die Deutschen am 22. Juni in Rückstand. Die Rettung kam von der Bank durch die Bayern-Stars Jamal Musiala (18 Jahre), der die Vorlage gab, und Leon Goretzka, der sechs Minuten vor Schluss zum 2:2 traf.

Anschließend formte er die Hände zu einem Herzchen und sendete demonstrative "Liebesgrüße" an den schwarzen Block aus Ungarn, der durch Intoleranz und homophobe Parolen negativ aufgefallen war. Ein Bild dieser EM, das haften blieb! Ebenso wie die in Regenbogenfarben leuchtende Allianz Arena. Immerhin als Gruppenzweiter hinter Frankreich erreichten sie in der Todesgruppe F das Achtelfinale. Das letzte Spiel von Bundestrainer Joachim Löw wurde noch um eine Woche aufgeschoben.

DIE NIEDERLAGEN

1984 reiste Deutschland als Titelverteidiger nach Frankreich - aber gewiss nicht als Favorit nach einer mühsamen Qualifikation. Dort schied erstmals eine DFB-Elf in der Vorrunde eines Turniers aus. Allzu viele Schlagzeilen machte das nicht, denn ausgerechnet während der EM tobte in der Heimat ein Drucker-Streik um die 35 Stunden-Woche. Die Nationalelf wenigstens trat in ihrem letzten Gruppenspiel nicht  in Streik und das ist die Tragik an den Ereignissen des 20. Juni. Im Prinzenpark zu Paris machte sie gegen Spanien ihr bestes EM-Spiel 1984 und wenn sie 3:0 gewonnen hätte, hätten sich die Spanier nicht beschweren können. Doch 3:0 stand es nur nach Aluminiumtreffern. Hans-Peter Briegel köpfte in den ersten 20 Minuten gleich zweimal an die Latte, in der 27. Minute traf Andy Brehme den Pfosten.

Glück hatte sie freilich auch, als es kurz vor der Pause nach einem Stielike-Foul Elfmeter gab. Kurz bevor Carrasco ausführte, flog eine Silvester-Rakete auf den Platz, und der Rauch waberte noch durch den Strafraum, als er anlief. Er schoss schwach, Toni Schumacher hielt und genoss seinen persönlichen Triumph. Wurde er doch in Frankreich wegen des Fouls an Battiston bei der WM 1982 bei jedem Ballkontakt ausgepfiffen. Nach der Pause boten sich Allofs gleich drei Chancen, Deutschland ins Halbfinale zu schießen, wobei ein Punkt gereicht hätte. Spanien auch - bis zur 78. Minute, als Portugals Führung gegen die Rumänen bekannt wurde.

Nun mussten sie gewinnen und Libero Maceda ging mit nach vorne. Ihn hatte offenbar keiner auf der Rechnung, als nach 89 Minuten und 22 Sekunden eine Flanke von Senor in den Strafraum segelte. Maceda köpfte unbedrängt ein - 1:0. 90 Sekunden später war Deutschland ausgeschieden. Karl-Heinz Rummenigge sprach von "einer Schmach für den deutschen Fußball" und dpa stellte fest: "Deutschland ist zwar keine Bananenrepublik des Fußballs geworden, aber international zweitklassig - nun auch offiziell." Bundestrainer Derwall wurde zum Rücktritt überredet, es begann die Kaiserzeit.

1992: Wachmacher gegen Oranje

Nur eine Niederlage hatte keine fatalen Folgen, eher wirkte sie wie ein Wachmacher. Am 18. Juni 1992 traf Deutschland nach 3:1-Punkten zum Start auf Titelverteidiger und Erzrivale Niederlande, der sie noch überholen konnte. Außerdem war die GUS (ehemalige Sowjetunion-Staaten) bei einem Sieg über Schottland dazu in der Lage. Die Schotten waren schon ausgeschieden, aber sie gewannen dem Fair-Play-Gedanken eine Schlacht.

Während der Weltmeister nach einer desolaten Defensivleistung, der Kicker sprach von einer "Abwehr wie ein Hühnerhaufen", den Niederländern 1:3 (Tor: Klinsmann zum 1:1) unterlag, überrannten die Bravehearts zeitgleich die Russen mit 3:0. Im Halbfinale standen Europameister Niederlande und Weltmeister Deutschland - ganz wie es die Experten voraussagten. Aber diesen Verlauf sah dann doch niemand vorher. Vogts brach mit Teilen der Mannschaft, opferte die Frankfurter Manfred Binz (schon zur Halbzeit) und Andreas Möller und erzählte der Presse: "Ich musste leider so laut wie noch nie bei der Nationalmannschaft werden und habe harte Worte gebraucht, die ich National-spielern gegenüber nicht gerne benutze." Damit schrie er sie bis ins Finale, das dann aber die Dänen gewannen.

2000: Sang- und klanglos gegen Portugal

Keinen Höhepunkt der DFB-Geschichte markiert die EM 2000 in Belgien und der Niederlande. Mit geringen Erwartungen gestartet, brauchte der Titelverteidiger am 20. Juni einen Sieg über Portugal und die Hilfe Rumäniens gegen England. Die Hilfe kam auch, nutzte aber nur den Rumänen selbst. Im Stadion de Kuip zu Rotterdam unterlag Deutschland einer portugiesischen B-Elf (mit neun Reservisten) mit 0:3.

Alle Tore erzielte der Stürmer von Lazio Rom, Sergio Conceicao,  und vollendete damit das schlechteste deutsche Abschneiden bei einem Turnier. 1:5-Tore und ein Punkt, vierter Platz, Aus. Bundestrainer Erich Ribbeck trat am nächsten Morgen zurück, stilvoll und ohne Anschuldigungen: "Das ist zum einen die Konsequenz aus dem katastrophalen Abschneiden der Mannschaft, für das ich die volle Verantwortung übernehme. Ich habe es nicht geschafft, aus den besten deutschen Fußballern eine richtige Mischung zu finden."

2004: Baros beendet Viertelfinaltraum

Ähnliches passierte 2004 in Portugal. Nach zwei Unentschieden galt alle Konzentration dem Spiel gegen die Tschechen, die schon weiter waren und die man am Vortag beim Golfen sah. ARD-Reporter Reinhold Beckmann sagte beim Anblick der Aufstellung: "Ich sag Ihnen lieber, wer nicht spielt." Ohne Cech, Baros, Poborsky, Koller, Rosicky und Nedved liefen sie am 23. Juni in Lissabon ein. Es begann gut für Deutschland, Michael Ballack schloss eine Kombination über Philipp Lahm und Bastian Schweinsteiger mit einem satten Linksschuss in den Winkel ab (21.). Eine Führung gegen eine B-Elf - das müsste doch reichen! Es reichte nicht. Marek Heinz, der sein Geld beim HSV verdiente, zirkelte nach 30 Minuten einen Freistoß unhaltbar in den Winkel und mit 1:1 ging es auch in die Kabinen.

Hatte Bundestrainer Rudi Völler die falsche Taktik gewählt? Kevin Kuranyi war die einzige Spitze in einem Spiel, das gewonnen werden musste. Immerhin, Podolski kam zur Pause für Torsten Frings und mit ihm mehr Druck. Ballack traf den Pfosten, Bernd Schneider den Abpraller nicht voll (66.), kurz darauf köpfte der Leverkusener  freistehend drüber und Podolski schoss nach einer Ecke Torwart Blazek an. Ein Tor lag in der Luft und musste auch her, da die Niederlande schon 2:0 gegen Lettland führte. Es fiel nach 77 Minuten - auf der anderen Seite. Joker Milan Baros düpierte Jens Nowotny und Christian Wörns, schoss Kahn an und den Abpraller ins leere Tor. Dabei blieb es.

Niemand interessierte, dass es ein schmeichelhafter Sieg der Tschechen war. Deutschland war in der Vorrunde einer EM ausgeschieden - und wieder trat der Trainer ab. Rudi Völler erzählte im ARD-Studio noch, er gehe davon aus, seinen Vertrag bis 2006 zu erfüllen. Aber über Nacht kamen ihm andere Gedanken. "Ich hätte gern weitergemacht. Aber Egoismus wäre ein falscher Freund. Mein Nachfolger soll unbefleckt an die Aufgabe herangehen." Der kam nur als Projektleiter WM 2006 und musste nie in ein letztes EM-Gruppenspiel.

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4-3-4 - was wie ein Spielsystem klingt, in das auch der Torwart eingebunden ist, ist vielmehr eine Bilanz. Die der letzten deutschen Gruppenspiele einer EM, die am Sonntag also positiv werden darf. Ein Rückblick auf elf letzte und meist entscheidende Spiele in drei Kapiteln.

DIE SIEGE 

Bei der Heim-EM 1988 traf Deutschland in München am 17. Juni auf Spanien und zog ins Halbfinale ein. Zugespitzt kann man sagen: Rudi Völler schlug Spanien 2:0, denn endlich platzte der Knoten beim so lange torlosen Mittelstürmer. Nach 666 Minuten traf er auf Vorlage von Jürgen Klinsmann (30.). Das 2:0 legte ihm Kapitän Lothar Matthäus per Hacke auf (51.). Die Tore waren glänzend herausgespielt und so weigerte sich Völler standhaft, sich Matchwinner nennen zu lassen.

Vielmehr dankte er Klinsmann, "er hat um mein Innenleben gewusst und mir immer gut zugeredet" und dem Münchner Publikum, das ihn mit "Rudi"- Sprechchören verabschiedete, "obwohl ich hier nicht nur Freunde gehabt habe." Deutschlands beendete die Gruppe ungeschlagen als Sieger und DFB-Präsident Hermann Neuberger lobte das Team von Franz Beckenbauer: "Das war eine weitere ganz enorme Steigerung unserer Mannschaft. Jetzt ist es egal, auf wen wir im Halbfinale treffen."

2008: Ballacks Traumtor gegen Österreich

20 Jahre (!) vergingen bis zum nächsten Sieg im dritten Spiel. Es war ein Sieg, der bitter nötig war. Im Wiener Praterstadion ging es gegen Österreich am 16. Juni 2008 um die Zukunft des deutschen Fußballs und der sportlichen Führung, wie in allen Blättern zu lesen stand. "Jogi - plötzlich geht’s auch um seinen Job", behauptete die Bild-Zeitung. Löw versicherte: "Wir werden nicht ausscheiden."

Ein Punkt hätte gereicht, sein  Kapitän sorgte für drei. In einem lange ausgeglichenen Spiel sorgte Michael Ballack mit einem herrlichen Freistoß aus 25 Metern (49.) für die Entscheidung. Man maß eine Geschwindigkeit von 121 Stundenkilometern. Unmittelbar davor erhielt Kanzlerin Angela Merkel eine SMS, wie ARD-Bilder zeigten. Kommentator Tom Bartels witzelte noch: "Vielleicht steht da ja drauf: 1:0 durch Michael Ballack - es wäre so schön." Joachim Löw saß da schon auf der Ehrentribüne, gemeinsam mit Kollege Josef Hickersberger hatte ihn der spanische Schiedsrichter Gonzalez wegen angeblicher Beleidigung des vierten Offiziellen des Innenraumes verwiesen. Löw wehrte sich: "Ich habe ihm nur gesagt, dass ich und mein Kollege in der Coaching-Zone in Ruhe unseren Job machen wollen."

Vielleicht reichten die Englischkenntnisse des Slowaken nicht aus? Löw landete jedenfalls auf der Tribüne und Assistent Hansi Flick coachte die Elf weiter, auch noch im Viertelfinale gegen Portugal - denn die UEFA sperrte Löw für ein Spiel. Ein Novum der DFB-Historie! Aber alle im DFB-Lager waren froh, dass es überhaupt noch ein Spiel gab. 

2012: Lars Benders großer Moment

Auch beim nächsten Turnier musste noch gezittert werden, obwohl schon sechs Punkte eingefahren waren. Aber darauf konnten Dänen und Portugiesen auch noch kommen. Zur Sicherheit brauchte es am 17. Juni 2012 also einen Punkt gegen Dänemark. Den hielten sie lange in der Hand, aber als die Portugiesen in der 74. Minute in Führung gingen, stand es in Lwiw 1:1 und ein weiteres Dänen-Tor hätte das Aus bedeuten können. Das erste deutsche Tor war auf das Konto von Jubilar Lukas Podolski (100. Länderspiel) gegangen, aber nach Krohn-Dehlis Ausgleich (24.) brauchte es noch einen Helden.

Da schlug die Stunde des Boateng-Vertreters Lars Bender. Der Leverkusener Verteidiger war als Torschütze noch nicht sehr auffällig geworden in seiner Karriere. Nach Pass von Mesut Özil tauchte er dennoch im Strafraum auf und schoss das erlösende 2:1. Löw lobte: "Dieses Tor war so wichtig. Das Spiel stand auf Messers Schneide."

2016: Gomez trifft gegen Nordirland

Das Modell mit der "falschen Neun", die bis zu seiner Auswechslung WM-Held Mario Götze gab, stand 2016 in Frankreich auf dem Prüfstand. Nach zwei Spielen und vier Punkten gab es erst zwei Tore, keines durch Stürmer. Löw brachte also gegen Nordirland am 21. Juni in Paris Brechertyp Mario Gomez und überraschend spielte auf rechts Joshua Kimmich, der erst 23 Bundesligaspiele hatte. Für ihn musste Weltmeister Benedikt Höwedes weichen.

Kimmich schlug mutig Flanken, hatte über 100 Ballkontakte und Gomez schoss das Tor des Tages (30.), das den Gruppensieg sicherte. Löw hatte dennoch keine gute Laune, seine Elf betrieb geradezu Chancenwucher. "Wenn ich fünfmal allein vor dem Torhüter bin, erwarte ich ein Tor." Das lieferten weder Thomas Müller noch Götze, auch Gomez vergab drei Großchancen. Immerhin hatte die Abwehr die Vorrunde ohne Gegentor überstanden, das gab es nur beim Triumph von 1996.

DIE UNENTSCHIEDEN 

Bei der EM 1980 gab es erstmals Gruppenspiele. Deutschland startete mit zwei Siegen und stand vor dem Anpfiff gegen Griechenland am 17. Juni als Finalist fest. Bundestrainer Jupp Derwall reagierte nachvollziehbar: er nahm die von einer Gelbsperre bedrohten Spieler - Bernard Dietz, Bernd Schuster und Klaus Allofs - heraus und gab den Reservisten Bernd Cullmann, Bernd Förster und Caspar Memering eine Chance. Für sie ein besonderer Moment, für alle Beobachter ein Spiel zum Vergessen.

14.000 Zuschauer in Turin bereuten ihr Kommen. Tore fielen nicht, die Griechen trafen in der 70. Minute sogar den Pfosten - sonst wären die Deutschen mit einer Blamage ins Finale eingezogen. Es gab viel Kritik und dafür von den Kritisierten wenig Verständnis. "Menschenskinder, ich glaub ich bin hier auf einer Beerdigung", sagte Jupp Derwall. "Meine Herren, wir stehen im Europameisterschaftsendspiel!"

1996: Nullnummer gegen Italien reicht

1996 in England gab es unter Berti Vogts in den ersten Spielen der Vorrunde zwei Siege mit 5:0-Toren, aber keine Gewissheit. Bei einer Niederlage gegen Italien und einem hohen tschechischen Sieg gegen schon ausgeschiedene Russen wären selbst sechs Punkte zu wenig gewesen. So lag knisternde Spannung in der Luft, als der alte Rivale am 19. Juni in Manchester antrat. Es wurde das erwartet schwere Spiel. Erstmals waren die Deutschen bei dieser EM nicht überlegen, am Ende hieß es 0:0, dank des Torhüters.

Andy Köpke verhinderte einen frühen Rückstand und hielt nach neun Minuten einen Elfmeter von Gianfranco Zola. Nach dem Platzverweis des Babbel-Vertreters Thomas Strunz (59.) verteidigte die DFB-Elf in Unterzahl den ein einen Punkt, den sie letztlich gar nicht brauchte. Italien aber reiste heim, weil die Tschechen gegen Russland 3:3 spielten.

2021: Goretzka trifft fürs Achtelfinale

Bei der Kontinental-EM 2021 war einer Niederlage ein Sieg gefolgt. Die Hoffnung auf bessere Zeiten nach dem 4:2 über Europameister Portugal sollte sich indes als trügerisch erweisen, der medial erwartete Spaziergang gegen die Ungarn wurde ein Höllentrip mit glimpflichen Ende. Das letzte Spiel in München wurde das schlechteste, zweimal gerieten die Deutschen am 22. Juni in Rückstand. Die Rettung kam von der Bank durch die Bayern-Stars Jamal Musiala (18 Jahre), der die Vorlage gab, und Leon Goretzka, der sechs Minuten vor Schluss zum 2:2 traf.

Anschließend formte er die Hände zu einem Herzchen und sendete demonstrative "Liebesgrüße" an den schwarzen Block aus Ungarn, der durch Intoleranz und homophobe Parolen negativ aufgefallen war. Ein Bild dieser EM, das haften blieb! Ebenso wie die in Regenbogenfarben leuchtende Allianz Arena. Immerhin als Gruppenzweiter hinter Frankreich erreichten sie in der Todesgruppe F das Achtelfinale. Das letzte Spiel von Bundestrainer Joachim Löw wurde noch um eine Woche aufgeschoben.

DIE NIEDERLAGEN

1984 reiste Deutschland als Titelverteidiger nach Frankreich - aber gewiss nicht als Favorit nach einer mühsamen Qualifikation. Dort schied erstmals eine DFB-Elf in der Vorrunde eines Turniers aus. Allzu viele Schlagzeilen machte das nicht, denn ausgerechnet während der EM tobte in der Heimat ein Drucker-Streik um die 35 Stunden-Woche. Die Nationalelf wenigstens trat in ihrem letzten Gruppenspiel nicht  in Streik und das ist die Tragik an den Ereignissen des 20. Juni. Im Prinzenpark zu Paris machte sie gegen Spanien ihr bestes EM-Spiel 1984 und wenn sie 3:0 gewonnen hätte, hätten sich die Spanier nicht beschweren können. Doch 3:0 stand es nur nach Aluminiumtreffern. Hans-Peter Briegel köpfte in den ersten 20 Minuten gleich zweimal an die Latte, in der 27. Minute traf Andy Brehme den Pfosten.

Glück hatte sie freilich auch, als es kurz vor der Pause nach einem Stielike-Foul Elfmeter gab. Kurz bevor Carrasco ausführte, flog eine Silvester-Rakete auf den Platz, und der Rauch waberte noch durch den Strafraum, als er anlief. Er schoss schwach, Toni Schumacher hielt und genoss seinen persönlichen Triumph. Wurde er doch in Frankreich wegen des Fouls an Battiston bei der WM 1982 bei jedem Ballkontakt ausgepfiffen. Nach der Pause boten sich Allofs gleich drei Chancen, Deutschland ins Halbfinale zu schießen, wobei ein Punkt gereicht hätte. Spanien auch - bis zur 78. Minute, als Portugals Führung gegen die Rumänen bekannt wurde.

Nun mussten sie gewinnen und Libero Maceda ging mit nach vorne. Ihn hatte offenbar keiner auf der Rechnung, als nach 89 Minuten und 22 Sekunden eine Flanke von Senor in den Strafraum segelte. Maceda köpfte unbedrängt ein - 1:0. 90 Sekunden später war Deutschland ausgeschieden. Karl-Heinz Rummenigge sprach von "einer Schmach für den deutschen Fußball" und dpa stellte fest: "Deutschland ist zwar keine Bananenrepublik des Fußballs geworden, aber international zweitklassig - nun auch offiziell." Bundestrainer Derwall wurde zum Rücktritt überredet, es begann die Kaiserzeit.

1992: Wachmacher gegen Oranje

Nur eine Niederlage hatte keine fatalen Folgen, eher wirkte sie wie ein Wachmacher. Am 18. Juni 1992 traf Deutschland nach 3:1-Punkten zum Start auf Titelverteidiger und Erzrivale Niederlande, der sie noch überholen konnte. Außerdem war die GUS (ehemalige Sowjetunion-Staaten) bei einem Sieg über Schottland dazu in der Lage. Die Schotten waren schon ausgeschieden, aber sie gewannen dem Fair-Play-Gedanken eine Schlacht.

Während der Weltmeister nach einer desolaten Defensivleistung, der Kicker sprach von einer "Abwehr wie ein Hühnerhaufen", den Niederländern 1:3 (Tor: Klinsmann zum 1:1) unterlag, überrannten die Bravehearts zeitgleich die Russen mit 3:0. Im Halbfinale standen Europameister Niederlande und Weltmeister Deutschland - ganz wie es die Experten voraussagten. Aber diesen Verlauf sah dann doch niemand vorher. Vogts brach mit Teilen der Mannschaft, opferte die Frankfurter Manfred Binz (schon zur Halbzeit) und Andreas Möller und erzählte der Presse: "Ich musste leider so laut wie noch nie bei der Nationalmannschaft werden und habe harte Worte gebraucht, die ich National-spielern gegenüber nicht gerne benutze." Damit schrie er sie bis ins Finale, das dann aber die Dänen gewannen.

2000: Sang- und klanglos gegen Portugal

Keinen Höhepunkt der DFB-Geschichte markiert die EM 2000 in Belgien und der Niederlande. Mit geringen Erwartungen gestartet, brauchte der Titelverteidiger am 20. Juni einen Sieg über Portugal und die Hilfe Rumäniens gegen England. Die Hilfe kam auch, nutzte aber nur den Rumänen selbst. Im Stadion de Kuip zu Rotterdam unterlag Deutschland einer portugiesischen B-Elf (mit neun Reservisten) mit 0:3.

Alle Tore erzielte der Stürmer von Lazio Rom, Sergio Conceicao,  und vollendete damit das schlechteste deutsche Abschneiden bei einem Turnier. 1:5-Tore und ein Punkt, vierter Platz, Aus. Bundestrainer Erich Ribbeck trat am nächsten Morgen zurück, stilvoll und ohne Anschuldigungen: "Das ist zum einen die Konsequenz aus dem katastrophalen Abschneiden der Mannschaft, für das ich die volle Verantwortung übernehme. Ich habe es nicht geschafft, aus den besten deutschen Fußballern eine richtige Mischung zu finden."

2004: Baros beendet Viertelfinaltraum

Ähnliches passierte 2004 in Portugal. Nach zwei Unentschieden galt alle Konzentration dem Spiel gegen die Tschechen, die schon weiter waren und die man am Vortag beim Golfen sah. ARD-Reporter Reinhold Beckmann sagte beim Anblick der Aufstellung: "Ich sag Ihnen lieber, wer nicht spielt." Ohne Cech, Baros, Poborsky, Koller, Rosicky und Nedved liefen sie am 23. Juni in Lissabon ein. Es begann gut für Deutschland, Michael Ballack schloss eine Kombination über Philipp Lahm und Bastian Schweinsteiger mit einem satten Linksschuss in den Winkel ab (21.). Eine Führung gegen eine B-Elf - das müsste doch reichen! Es reichte nicht. Marek Heinz, der sein Geld beim HSV verdiente, zirkelte nach 30 Minuten einen Freistoß unhaltbar in den Winkel und mit 1:1 ging es auch in die Kabinen.

Hatte Bundestrainer Rudi Völler die falsche Taktik gewählt? Kevin Kuranyi war die einzige Spitze in einem Spiel, das gewonnen werden musste. Immerhin, Podolski kam zur Pause für Torsten Frings und mit ihm mehr Druck. Ballack traf den Pfosten, Bernd Schneider den Abpraller nicht voll (66.), kurz darauf köpfte der Leverkusener  freistehend drüber und Podolski schoss nach einer Ecke Torwart Blazek an. Ein Tor lag in der Luft und musste auch her, da die Niederlande schon 2:0 gegen Lettland führte. Es fiel nach 77 Minuten - auf der anderen Seite. Joker Milan Baros düpierte Jens Nowotny und Christian Wörns, schoss Kahn an und den Abpraller ins leere Tor. Dabei blieb es.

Niemand interessierte, dass es ein schmeichelhafter Sieg der Tschechen war. Deutschland war in der Vorrunde einer EM ausgeschieden - und wieder trat der Trainer ab. Rudi Völler erzählte im ARD-Studio noch, er gehe davon aus, seinen Vertrag bis 2006 zu erfüllen. Aber über Nacht kamen ihm andere Gedanken. "Ich hätte gern weitergemacht. Aber Egoismus wäre ein falscher Freund. Mein Nachfolger soll unbefleckt an die Aufgabe herangehen." Der kam nur als Projektleiter WM 2006 und musste nie in ein letztes EM-Gruppenspiel.

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