Staab in Japan: "Manches Rad zum Drehen gebracht"

In Japan spielt sich das alltägliche Leben einer Fußballerin in der Schule ab. Manche müssen morgens um fünf Uhr aufstehen, um mit dem Rad zur Schule zu fahren. Der Unterricht geht bis 16 Uhr, dann findet bis 18.30 Uhr Sport statt und oft gehen sie dann noch zum Lernen in eine Nachhilfestunde. Der Tag endet abends gegen 21 Uhr. Die schulische Leistung hat Vorrang und eine ganz große Bedeutung.

U-20-WM zeigt Möglichkeiten auf

Die Zusammenarbeit mit den Schulen muss gefördert werden, aber die Strukturen in Japan sind teilweise sehr veraltet und verkrustet und eine Änderung bedarf einen langen Weg. Der japanische Fußball-Verband hat noch viel Arbeit zu leisten. Sicherlich war die kürzlich stattgefundene U-20-Weltmeisterschaft eine große Bereicherung und eine tolle Promotion für den Frauenfußball in Japan. Sie erleben zurzeit nach dem Gewinn der Weltmeisterschaft in 2011 einen regelrechten Hype. Zu einem Punktspiel kommen schon mal 16.000 Zuschauer!

Während der U-20-WM führte ich in Zusammenarbeit mit dem japanischen Fußball-Verband mehrere Girls-Festivals des FIFA Legacy-Programms durch. Ich konnte live miterleben, wie die USA sich im Endspiel gegen Deutschland mit 1:0 durchsetzte und die "Young Nadeshikos" gegen Nigeria im kleinen Finale vor 30.000 begeisterten "Nippon"-Zuschauern im Tokio National Stadium verdienterweise 3:1 gewann und sich damit den dritten Platz sicherte. Die Platzierung bei dieser U-20-WM spiegelt die drei besten Mannschaften wieder, die der Frauenfußball aktuell auf der Welt zu bieten hat. Es war ein wirklich sehr gut organisiertes WM-Turnier mit einer tollen Stimmung im Stadion, wenn die "Young Nadeshikos" spielten. Alle Mannschaften, mit denen ich während des Turniers gesprochen hatte, einschließlich der Deutschen, waren vom Land und den gastfreundlichen Menschen sehr angetan.

Zu guter Letzt konnte ich einige Girls-Festivals in den betroffenen Tsunami-Gebieten durchführen. Dies waren sicherlich die Highlights dieses Projektes. Wir gingen in Kindergärten in Ishonimaki, wo jeden Tag die Werte gemessen wurden und sie waren immer in der Norm. Also bestand keine Gefahr, verstrahlt zu werden. Ich konnte meinen Freunden zu Hause, die meinem Aufenthalt in Japan skeptisch gegenüberstanden, beruhigen. Diese Festivals bedeuteten für die betroffenen Mädchen und Jungs für ein paar Stunden Happiness.

Atom-Unglück noch allgegenwertig

Die Verantwortlichen waren sehr dankbar, dass ich sie besuchte. Die Menschen vor Ort wollen nicht mehr auf diese Katastrophe angesprochen werden. Man sieht kleine Schilder mit Pflanzen, die vor einer Schule in Otsuchi standen und darunter ein Spruch, der den verstorbenen Schulkindern gewidmet ist. An Schulüberresten, die noch nicht entsorgt wurden, sind die Uhren um 14.46 Uhr am 11. März 2011 stehen geblieben. Die Menschen leben größtenteils noch in Containern, haben kein richtiges Privatleben, einen gemeinsamen Fernsehraum und ein Waschbecken, an dem sich jeder abends die Zähne putzt.

Ich denke,dass ein solches Leben auch nur in Japan für einen längeren Zeitraum möglich ist. In Europa wäre das wahrscheinlich undenkbar. Die Menschen wissen auch nicht, wie es weitergehen soll. Die Alten wollen wieder zurück in ihre Häuser, andere wollen an den verwaisten Küstenstreifen keine Wohngebiete mehr aufbauen, dafür aber Sportplätze. Es wird noch eine ganze Weile dauern, bis die betroffene Mehrheit zu ihrem Alltag zurückfinden wird. Manche sagen Jahrzehnte.



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Seit einigen Jahren ist Monika Staab für die FIFA als Beraterin in der Entwicklungshilfe tätig und bereist Länder in Asien, Afrika und Ozeanien. Die DFB-Trainerin zog im April für ein halbes Jahr nach Japan. Dort gab sie Fußballseminare an der Highschool für Mädchen und auch für Profifrauenteams, leitete Trainerfortbildungen und Camps für alle Leistungsspielklassen. Für DFB.de lässt Staab ihre Erfahrungen Revue passieren.

"Das Projekt Japan neigt sich dem Ende zu. Die sechs Monate meines Aufenthaltes gingen rasend schnell vorüber. So schnell wie der Hayabusa-Zug, der mit 300 Stundenkilometer in eineinhalb Stunden von Sendai nach Tokio fährt. Als ich meine Tätigkeit im April begann, war es noch sehr kalt, und die Verantwortlichen besorgten mir in größeren Mengen kleine Heizkissen, damit ich bloß nicht fror. Jetzt im September sind es immer noch 30 Grad, aber hier in Sendai weht ein angenehmer Wind und es ist sehr erträglich im Vergleich zu Tokio, wo eine hohe Luftfeuchtigkeit herrscht. Ich habe sehr viel erlebt und gesehen, vor allem eine andere Kultur kennenlernen dürfen, die mir bisher in einem zivilisierten asiatischen Land fremd war.

In der Region Tohoku (im Nordosten Japans), insbesondere in der Präfaktur Miyagi, gibt es im Frauenfußball noch viel zu tun, und ich hoffe, dass ich mit meinen Aktivitäten das eine oder andere Rad zum Drehen gebracht habe. Ich trainierte überwiegend Oberschulen-Mannschaften im Großraum Sendai und Miyagi. Die Mädels waren immer sehr dankbar, wenn sie eine Trainingseinheit mit mir durchführen konnten. Am Anfang waren sie sehr verschlossen, aber das legte sich gleich nach der ersten Trainingseinheit. Ich konnte die überwiegend diese Mannschaften trainierenden Lehrer davon überzeugen, dass der Ball das Wichtigste im Training ist und nicht das stundenlange Rundenlaufen. Sie trainieren hier täglich (sogar in den Sommerferien) und zeigen eine unglaubliche Disziplin, was mich beeindruckte.

Solche Spielerinnen zu trainieren, ist für jeden Trainer ein Geschenk. Die Spielerinnen verfügen über eine enorme Balltechnik, da dies stundenlang trainiert wird, aber eigene Entscheidungen zu treffen und spielgerecht (mit Gegner) zu trainieren, das müssen sie noch lernen umzusetzen. Es wird ihnen alles vorgegeben. Das ist auch ein wenig ihre Kultur. Alles ist perfekt organisiert und nichts wird dem Zufall überlassen.

Kein Lob, Fehler machen verboten

Meine Art an die Spielerinnen heranzukommen, ihnen Spaß im Training zu vermitteln, kam gut an. Vor allem kennen sie kein Lob. Ich habe noch nicht herausfinden können, warum das eigentlich so ist. Jeder muss ohne Ausnahme funktionieren und alles findet im Kollektiv statt. So müssen die Spielerinnen den Platz für das Training (Linien ziehen, Sandplätze abziehen) selbst herrichten und nach dem Training auch wieder in Ordnung bringen. Alles dreht sich um das Team – alle helfen mit, keine drückt sich, keine wird ausgeschlossen und alle werden gleich behandelt.

Das größte Problem, das ich vorgefunden habe, war, dass sie keine Fehler machen dürfen. So schießen sie nicht auf das Tor, weil der Schuss ja daneben gehen könnte. In vielen Trainingseinheiten vermittelte ich ihnen Selbstvertrauen, auch Fehler machen zu dürfen. Bei 20 Torschüssen trifft man vielleicht einmal das Tor, aber traut man sich überhaupt nicht, kann ein Spiel auch nicht gewonnen werden.

Es war eine unglaubliche Erfahrung mitzuerleben, wie sie sich in der kurzen Zeit verbessert haben, vor allem bei den Mannschaften, mit denen ich mehrere Trainingseinheiten durchführen konnte. Allerdings finde ich, dass zu wenig Spiele stattfinden. Es werden zwei oder drei Turniere im Jahr zwischen den Klubs und Oberschulmannschaften ausgetragen. Verlierst du das erste Spiel, dann bist du bereits ausgeschieden und gewinnst keine Spielpraxis mehr. Hier fehlt es definitiv an Quantität von Spielerinnen, um mehrere Mannschaften zu stellen, damit ein richtiger Ligabetrieb zustande kommt.

Hinderliche Höflichkeit, wenig Wettkampfpraxis

Leider gibt es hier in Miyagi nur eine U-15-Auswahl, die ich zweimal im Monat trainieren durfte. Auch hier waren die Fortschritte schnell erkennbar. Ein großes Manko ist ebenfalls die Abschlussschwäche, weil sie einfach nicht den direkten Weg zum Tor suchen.

Noch gravierender sind ihre Defizite im Abwehrverhalten. Sie sind einfach alle zu nett zueinander, um jemanden zu verletzen, das erwächst aus ihrer Kultur. Sie nehmen in jeder Lage Rücksicht aufeinander und geben nie auf. Das ist das erstaunliche, aber es fehlt ihnen eine gesunde Mischung an Zweikampfverhalten, den Ball mit aller Macht zurückerobern zu wollen, sich körperlich einzubringen. Sie wollen niemandem weh tun und sind schlicht und einfach zu brav.

Natürlich benötigen sie mehr Spiele unter Wettkampfbedingungen. Es gibt nur zwei Ligen in Japan: die Nadeshiko 1. Liga (zehn Mannschaften) und die 2. Liga Challenge Liga (zwölf Mannschaften in ganz Japan). Darunter befinden sich keine Ligen mehr. Es hängt von den finanziellen Mitteln ab, ob ein Verein sich die Nadeshiko oder Challenge Liga leisten kann.

Der japanische Fußball-Verband zählt zurzeit 38.000 aktive Spielerinnen. Dies soll bis zum Jahre 2015 auf circa 300.000 gesteigert werden. Bei dem Arbeitspensum, das in Japan an den Tag gelegt wird, ist das ein durchaus realistisches Ziel. Es mangelt hier nicht an Bällen und Trainingsmaterialien, dafür an guten Plätzen. Meistens befand ich mich auf staubigen Sandplätzen und wenn es regnete, stand der Platz sofort unter Wasser und wir mussten das Training im Klassenzimmer fortsetzen, was kein Problem für die Japanerinnen bedeutete, da sie es gewohnt sind, auf engstem Raum ihr Leben ziemlich gut zu organisieren.

Förderer für den Frauenfußball schwer zu finden

Ich hielt Vorträge bei Fortbildungslehrgängen beim Fußball-Verband Miyagi und dem japanischen Fußball-Verband. Mit dem Frauenausschuss vom Miyagi Fussball-Verband konnte ich die Problematiken und Schwierigkeiten, die hier im Frauenfußball herrschen, ausgiebig diskutieren. Hier in Japan zählt die individuelle Einsatzbereitschaft, um den Frauenfußball zu fördern. Die meisten Trainer bekommen kein Gehalt (die der Nadeshiko und Challenge-Teams ausgenommen) und verantwortliche Mitarbeiter arbeiten ehrenamtlich. Dementsprechend leidet des Öfteren die Qualität.

Hier in Japan wachsen die positiv Bekloppten, die man für den Frauenfußball gewinnen muss, nicht auf Bäumen. Natürlich gilt es, die Zusammenarbeit mit den Schulen zu fördern, um mehrere Mannschaften stellen zu können. Hier gibt es jedoch nicht so viele Klubs wie in Deutschland.

In Japan spielt sich das alltägliche Leben einer Fußballerin in der Schule ab. Manche müssen morgens um fünf Uhr aufstehen, um mit dem Rad zur Schule zu fahren. Der Unterricht geht bis 16 Uhr, dann findet bis 18.30 Uhr Sport statt und oft gehen sie dann noch zum Lernen in eine Nachhilfestunde. Der Tag endet abends gegen 21 Uhr. Die schulische Leistung hat Vorrang und eine ganz große Bedeutung.

U-20-WM zeigt Möglichkeiten auf

Die Zusammenarbeit mit den Schulen muss gefördert werden, aber die Strukturen in Japan sind teilweise sehr veraltet und verkrustet und eine Änderung bedarf einen langen Weg. Der japanische Fußball-Verband hat noch viel Arbeit zu leisten. Sicherlich war die kürzlich stattgefundene U-20-Weltmeisterschaft eine große Bereicherung und eine tolle Promotion für den Frauenfußball in Japan. Sie erleben zurzeit nach dem Gewinn der Weltmeisterschaft in 2011 einen regelrechten Hype. Zu einem Punktspiel kommen schon mal 16.000 Zuschauer!

Während der U-20-WM führte ich in Zusammenarbeit mit dem japanischen Fußball-Verband mehrere Girls-Festivals des FIFA Legacy-Programms durch. Ich konnte live miterleben, wie die USA sich im Endspiel gegen Deutschland mit 1:0 durchsetzte und die "Young Nadeshikos" gegen Nigeria im kleinen Finale vor 30.000 begeisterten "Nippon"-Zuschauern im Tokio National Stadium verdienterweise 3:1 gewann und sich damit den dritten Platz sicherte. Die Platzierung bei dieser U-20-WM spiegelt die drei besten Mannschaften wieder, die der Frauenfußball aktuell auf der Welt zu bieten hat. Es war ein wirklich sehr gut organisiertes WM-Turnier mit einer tollen Stimmung im Stadion, wenn die "Young Nadeshikos" spielten. Alle Mannschaften, mit denen ich während des Turniers gesprochen hatte, einschließlich der Deutschen, waren vom Land und den gastfreundlichen Menschen sehr angetan.

Zu guter Letzt konnte ich einige Girls-Festivals in den betroffenen Tsunami-Gebieten durchführen. Dies waren sicherlich die Highlights dieses Projektes. Wir gingen in Kindergärten in Ishonimaki, wo jeden Tag die Werte gemessen wurden und sie waren immer in der Norm. Also bestand keine Gefahr, verstrahlt zu werden. Ich konnte meinen Freunden zu Hause, die meinem Aufenthalt in Japan skeptisch gegenüberstanden, beruhigen. Diese Festivals bedeuteten für die betroffenen Mädchen und Jungs für ein paar Stunden Happiness.

Atom-Unglück noch allgegenwertig

Die Verantwortlichen waren sehr dankbar, dass ich sie besuchte. Die Menschen vor Ort wollen nicht mehr auf diese Katastrophe angesprochen werden. Man sieht kleine Schilder mit Pflanzen, die vor einer Schule in Otsuchi standen und darunter ein Spruch, der den verstorbenen Schulkindern gewidmet ist. An Schulüberresten, die noch nicht entsorgt wurden, sind die Uhren um 14.46 Uhr am 11. März 2011 stehen geblieben. Die Menschen leben größtenteils noch in Containern, haben kein richtiges Privatleben, einen gemeinsamen Fernsehraum und ein Waschbecken, an dem sich jeder abends die Zähne putzt.

Ich denke,dass ein solches Leben auch nur in Japan für einen längeren Zeitraum möglich ist. In Europa wäre das wahrscheinlich undenkbar. Die Menschen wissen auch nicht, wie es weitergehen soll. Die Alten wollen wieder zurück in ihre Häuser, andere wollen an den verwaisten Küstenstreifen keine Wohngebiete mehr aufbauen, dafür aber Sportplätze. Es wird noch eine ganze Weile dauern, bis die betroffene Mehrheit zu ihrem Alltag zurückfinden wird. Manche sagen Jahrzehnte.

Am Ende möchte ich mich gerne bei allen Beteiligten bedanken, vor allem beim deutschen Botschafter Dr. Volker Stanzel, der dieses Projekt ins Leben gerufen hat. Der Miyagi Fußball-Verband leistete einen tollen Beitrag für dieses Projekt. Er erstellte den Arbeitsplan für die sechs Monate meines Aufenthaltes und engagierte einen Übersetzer, Shin Demura, mit dem ich fast täglich unterwegs war.

Ich freue mich sehr, dass ich ein so tolles Land kennenlernen durfte. Die Menschen, die unglaublichen Respekt und Höflichkeit ihren Mitmenschen gegenüber zeigen, sind mir sehr ans Herz gewachsen. Das Land ebenso mit seiner wunderschönen grünen Landschaft. Ich kann nur jedem wärmstens empfehlen, diesem Land einmal einen Besuch abzustatten. Ein großes Problem allerdings sind die vielen Erdbeben. Einmal musste ich mich unter dem Tisch verkriechen, denn ich wusste für einen Moment nicht, was mit mir geschehen würde."