Palusevic lehrt Fußball: Ablenkung für Frauen von Ramallah

Sie hofft, dass es funktioniert hat. Sie hofft vor allem, dass die Frauen in Ramallah ihre Nöte für ein paar Stunden verdrängen konnten. "Wenn ich Fußball spiele, vergesse ich vieles um mich herum", sagt sie. Aber kann man die Sorge um Angehörige in Gaza, um inhaftierte Freunde, um das eigene Leben wirklich ausblenden? "Immerhin kann es gelingen, mit Hilfe des Fußballs Aggressionen abzubauen", sagt sie. Hofft sie. Weiß sie.

Denn so hat Anja Palusevic es bis zum letzten Tag erlebt. Das geplante Fest am Ende des Kurses fiel aus, keiner der Frauen war nach Feiern zumute. Aber ein letztes Mal gemeinsam Fußball spielen - das wollten alle. Nationalspielerin Sarab Alshaer organisierte eine Partie in Betlehem, gewidmet wurde sie den Opfern in Gaza. Das Spiel war speziell, natürlich auch für Palusevic. "Es wurde wenig gejubelt und nicht oft gelacht", sagt sie und ist sich doch sicher: "Und trotz allem hat es der Fußball geschafft, dass die Frauen für 90 Minuten den Krieg vergessen konnten."

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Manchmal zeigen sich große Veränderungen in kleinen Dingen. Wenn nicht mehr laut gesungen, sondern leise zugehört wird. Wenn die Musik verstummt, wenn Nachrichten nicht nur informieren, sondern das eigene Schicksal bestimmen. So hat es Anja Palusevic erlebt - in Ramallah. Die Sozialpädagogin ist Auslandsexpertin des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), vom 3. bis zum 14. November war sie im Rahmen eines Kurzzeitprojektes im Westjordanland.

Sie hatte den Auftrag, palästinensische Frauen in Sachen Fußball fortzubilden. Von Nationalspielerinnen bis hin zu Sporternährungswissenschaftlerinnen trafen sich zwölf Tage lang 20 Fußballexpertinnen, um sich in technischen und taktischen Bereichen neue Kenntnisse anzueignen. Ein spannendes Projekt, ein forderndes Projekt, ein Projekt mit vielen Chancen.

"Die Gewalt hat alles verändert"

Für Palusevic war das Projekt auch eine Reise in die Vergangenheit. Vor zwölf Monaten war sie schon einmal in Ramallah, damals hatte sie Sportlehrerinnen das kleine Einmaleins des Fußballs beigebracht. In diesem Jahr war ihre Klientel erheblich besser vorgebildet, die Voraussetzungen waren anders - und doch ähnlich.

Vor allem eine Sache hat Palusevic stark an den November des Vorjahres erinnert: die Fröhlichkeit der Frauen. Die DFB-Auslandsexpertin hat fasziniert, mit welcher beschwingten Leichtigkeit die Palästinenserinnen den Alltag meistern. Aus dem Radio drang morgens laut die Musik, es wurde gelacht, gescherzt und gesungen.

Bis die Gewalt zwischen Israelis und Palästinensern eskalierte, aus Lachen, Scherzen und Singen wurden Bangen, Hoffen und Weinen. Mit einem Schlag war die Musik ersetzt, Nachrichten traten an ihre Stelle. Die Frauen sangen nicht mehr mit, sie hörten zu. "Die Gewalt in Gaza hat alles verändert", sagt Palusevic. Tor oder kein Tor - die essenzielle Frage des Fußballs wurden zur Torheit in einer Umgebung, in der immer häufiger eine andere Frage im Raum stand: Leben oder kein Leben. "Der Konflikt hat alles andere überschattet", sagt Palusevic.

Mädchenfußball ist Schulsport

Die Deutsche ist mittlerweile zurück in Deutschland. Der Abschied aus Ramallah ist ihr schwergefallen, sie hatte ein schlechtes Gewissen, weil sie in ein behütetes Leben und einen sicheren Alltag zurückkehren konnte. Noch oft ist sie in ihren Gedanken in Ramallah, die Schicksale der Frauen und ihrer Familien lassen sie nicht los. Über das Internet hält sie Kontakt, informiert sich so oft und so gut es geht.

Für Palusevic haben sich die Perspektiven verschoben, vielleicht wurden sie auch zurechtgerückt. Viele überhöhte Debatten in Fußball-Deutschland kann sie nicht nachvollziehen. Kann ein Torwart einen Schuss aus 25 Metern halten? Darf ein Manager während der Saison den Verein wechseln? Für Palusevic sind solche Fragen mittlerweile unwichtig.

In Palästina ist Fußball keine Frage der seichten Unterhaltung, aktuell schon gar nicht, und auch sonst nicht. Fußball spielende Frauen sind dort ein politisches Zeichen. Gegen Fundamentalismus, für Menschenrechte und Weltoffenheit. Für den Frieden. In den vergangenen zwölf Monaten hat sich zwischen Hebron und Ramallah einiges getan. Der Fußball ist als Schulsport für Mädchen etabliert, in 17 Mannschaften wird in zwei Ligen Frauenfußball gespielt. Für Palusevic war dies eine wichtige Erkenntnis zu Beginn ihres zweiten Projekts. Sie hat gesehen, wie sich gemäßigte Kräfte in Palästina gefestigt haben, sie hat sehr viel Hoffnung wahrgenommen und empfunden.

Fußball tritt in den Hintergrund

In einer Region wie dem Westjordanland war Palusevic überrascht, wie umfassend, aufopferungsvoll und auch persönlich sie unterstützt worden ist. Jibril Rajoub, der Präsident des Palästinensischen Fußball-Verbandes, hat alles unternommen, der Deutschen die bestmöglichen Bedingungen für ihre Arbeit zu geben. So war es vor einem Jahr - so war es diesmal.

Für Palusevic und ihre Schützlinge wurde das Faisal-Al-Husseini-Stadion zur Verfügung gestellt. Die Praxisphasen wurden im Stadion absolviert, der Theorieunterricht fand in den Presseräumen des Stadions statt. Abends hat die Nationalmannschaft der Palästinenser dort trainiert, zweimal fanden Meisterschaftsspiele statt. Spannende und wertvolle Einblicke für die Frauen, kleine, aber wichtige Signale für den Frauenfußball und damit auch die Freiheit in Palästina.

Sehr viel davon wurde in wenigen Sekunden kaputt gemacht. Nach dem gewaltsamen Tod von Hamas-Führer Ahmed Dschabaris hat Palusevic miterleben müssen, wie aus Vernichtung und Tod Hass und Radikalität entstehen können. Mit jedem Opfer wurden Vorurteile zementiert, jede Rakete hat Mauern errichtet. Auf einmal waren nicht mehr Abseits und Aus wichtig, jetzt ging es darum, wer gute und wer schlechte Nachrichten hat - und wie verlässlich diese sind. "In dieser Atmosphäre trat der Fußball natürlich in den Hintergrund", sagt Palusevic.

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"Den Krieg für 90 Minuten vergessen" - dank Fußball

So hatten die letzten Tage des Kurses in Ramallah vor allem einen Zweck: Ablenkung schaffen. Die Auslandsexpertin des DFB hat ihr Unternehmen nicht abgebrochen, sie ist geblieben, sie hat diskutiert, sie hat Trost gespendet, sie hat mitgehofft und Anteil genommen. Und sie hat Fußball gelehrt. Unverdrossen. In vier Wochen führt der Fußball-Verband Asiens in Ramallah Prüfungen für die Trainer C-Lizenz durch, Palusevic hat alles getan, um die Kandidatinnen umfassend auf die Prüfungen vorzubereiten.

Sie hofft, dass es funktioniert hat. Sie hofft vor allem, dass die Frauen in Ramallah ihre Nöte für ein paar Stunden verdrängen konnten. "Wenn ich Fußball spiele, vergesse ich vieles um mich herum", sagt sie. Aber kann man die Sorge um Angehörige in Gaza, um inhaftierte Freunde, um das eigene Leben wirklich ausblenden? "Immerhin kann es gelingen, mit Hilfe des Fußballs Aggressionen abzubauen", sagt sie. Hofft sie. Weiß sie.

Denn so hat Anja Palusevic es bis zum letzten Tag erlebt. Das geplante Fest am Ende des Kurses fiel aus, keiner der Frauen war nach Feiern zumute. Aber ein letztes Mal gemeinsam Fußball spielen - das wollten alle. Nationalspielerin Sarab Alshaer organisierte eine Partie in Betlehem, gewidmet wurde sie den Opfern in Gaza. Das Spiel war speziell, natürlich auch für Palusevic. "Es wurde wenig gejubelt und nicht oft gelacht", sagt sie und ist sich doch sicher: "Und trotz allem hat es der Fußball geschafft, dass die Frauen für 90 Minuten den Krieg vergessen konnten."