Pepe und Meireles treffen gegen die Türkei

Am Abend übernahm Portugal die Führung in Gruppe A, Pepe und Meireles schossen nach der Pause den 2:0-Sieg über die Türken heraus. Somit drohte am 2. Spieltag bereits einem Team das Aus, denn die Verlierer des Auftakts trafen aufeinander. Die Wasserschlacht von Basel zwischen den Schweizern und den Türken am 11. Juni ging in die EM-Historie ein. Vorher waren die Bedenken groß, das Spiel könne ausarten wie das Skandalspiel 2005 um die WM-Teilnahme, von "Fußballkrieg" war in den Zeitungen beider Länder zu lesen. Doch die Partie blieb im Rahmen, ungewöhnlich wurde sie angesichts der Platzverhältnisse und des dramatischen Endes dennoch. Vor dem 1:0 der Schweizer durch den Mann mit türkischen Wurzeln, Hakan Yakin, war der Ball in einer Pfütze vor dem Türken-Tor liegen geblieben. Nach einer Stunde glichen die Türken durch Sentürk aus. Beide drängten nun auf den Sieg und als die Nachspielzeit bereits lief, entschied sich das Pech wieder für die Schweizer. Arda zog aus 16 Metern ab, ein Schweizer fälschte den Ball unhaltbar für Diego Benaglio ab – 1:2 (92.). Aus und vorbei für den ersten Gastgeber nach nur zwei Spielen. Das hatte es noch nie gegeben. "In der Kabine war kein Lärm, alle waren still. Wir sind traurig und am Boden", plauderte Ludovic Magnin aus. Und die Welt erfuhr, dass auch Schweizer randalieren können: es gab 85 Festnahmen in der großen Frust-Nacht der Eidgenossen. "Wir sind Europameister der Pechvögel", klagte das Boulevardblatt "Blick".

Terim: "Die EM hat für uns erst jetzt richtig begonnen"

Türkeis Trainer Fatih Terim war dagegen erleichtert: "Die EM hat für uns erst jetzt richtig begonnen." In Genf löste derweil Portugal im Duell der Sieger bereits das Ticket fürs Viertelfinale: Unterstützt von 35.000 Landsleuten trafen Deco, Weltstar Cristiano Ronaldo und Queresma beim 3:1 gegen die Tschechen. Portugals Trainer Felipe Scolari hielt den Moment für gekommen, sein Geheimnis zu enthüllen: er erzählte den noch euphorisierten Siegern, dass er nach dem Turnier zu Chelsea London wechselt. Nach dem Motto: man soll gehen, wenn es am schönsten ist. Auf der Tribüne schwärmte Legende Eusebio, 1966 WM-Torschützenkönig: "Portugal kann weiter vom EM-Sieg träumen." Die erste Niederlage folgte zwar auf dem Fuße, doch Scolari ließ gegen die Schweiz die Reservisten ran. So kamen die Gastgeber noch zu einem versöhnlichen Abschluss und die Ära des 64-jährigen Köbi Kuhn endete mit einem 2:0. "Der Sieg gehört zu den schönsten Momenten in meiner Karriere, obwohl er nichts mehr nützt", sagte der mit Beifall verabschiedete Trainer.

Auch in Genf hieß es Abschied nehmen, nur dass es vorher nicht feststand. Tschechien und die Türkei spielten den zweiten Viertelfinalisten aus. Beide waren nach Punkten und Toren gleichauf, ein Remis half keinem. Theoretisch hätte es hier erstmals nach einem Gruppenspiel zum Elfmeterschießen kommen können. Danach sah es lange nicht aus, Jan Koller und Jaroslav Plasil hatten nach 62 Minuten eine tschechische Führung von 2:0 hergestellt. Sie hielt bis zur 75. Minute, dann überschlugen sich die Ereignisse. Nach Ardas 1:2 stürmten die Türken wie entfesselt und wieder schossen sie im Regen die Tore, die sie brauchten. Petr Cech leistete sich einen kapitalen Bock und ließ in der 87. Minute den Ball fallen und Nihat Kahveci staubte ab. Nun war das Elfmeterschießen zum Greifen nah. Das wollte keiner. Hamit Altintop von Bayern München bediente Nihat in letzter Minute und der zog einfach mal aus 16 Metern ab – 3:2 (90.). Die verzweifelten Tschechen warfen alles nach vorn, Türken-Keeper Volkan sah nach einem Schubser gegen Koller Rot. Feldspieler Tuncay hütete noch ein paar Sekunden das Tor der Türken, dann war das Drama vorbei. Und wieder nahm ein grauhaariger Trainer Abschied. Karel Brückner, 68 Jahre und weise, wirkte ratlos in den Katakomben des Stade de Genève: "Ein Spiel musste einfach das letzte sein. Ich muss lernen, neu zu leben." Und die Fußballwelt, dass auch ein Spiel mit türkischer Beteiligung erst nach 90 Minuten zu Ende ist. "Wir haben der Welt gezeigt, was wir können", frohlockte Fatih Terim. Es war bereits die zweite dramatische Wende eines Spiels bei dieser EM, nun rang die Heimatpresse nach Superlativen. "Ein solches Spiel hat es in der Geschichte des Fußballs noch nicht gegeben", schrieb "Fanatik". "Das ist wie ein Heldenepos", fand "Milliyet". Die Türken, so schien es, waren die neuen Griechen. Nun traute man ihnen alles zu.

Der Verlauf in Gruppe B ähnelte dem von Gruppe A. Auch hier musste der Mit-Gastgeber einpacken, immerhin aber verlängerten die Österreicher ihre Hoffnungen bis zum Abpfiff des letzten Spiels. Wie die Schweizer verlor das Team Austria zum Auftakt 0:1 – Kroatien erhielt in Wien schon in der vierten Minute einen Elfmeter, den Luka Modric verwandelte. "Das schlechteste Team das wir je hatten", wie Toni Polster ätzte, wehrte sich gegen seinen Ruf und die Niederlage und hatte noch in der Nachspielzeit eine Riesenchance, die Roman Kienast versiebte. Was Peppi Hickersberger nach dem Spiel sagte, hatte man, nur in anderem Idiom, am Vortag auch von Köbi Kuhn gehört: "Mit der Leidenschaft und dem Einsatz hätten wir einen Punkt verdient gehabt." Am Abend wurde dann Deutschland in Klagenfurt seiner Favoritenrolle gerecht und schlug Polen mit 2:0. Auch das erinnerte an Gruppe A (Portugal-Türkei).

Die in der Schweiz (Ascona) logierenden Deutschen erhielten von Ex-Bundestrainer Jürgen Klinsmann noch eine aufmunternde SMS – jeder Einzelne – Joachim Löw zusätzlich per E-Mail einen EM-Rap der Gruppe Kunstrasen. Klinsmann, immer noch Fan seiner alten Mannschaft. Als das Team im Flieger nach Klagenfurt abhob, wusste Löw noch nicht wer spielen sollte. Er suchte nach der rechten Rolle für Lukas Podolski, der bei Bayern München erneut ein schweres Jahr erlebt hatte. Sturm, Mittelfeld oder Bank – das war die Frage. "Alles hängt an Poldi", titelte Bild und bewies prophetische Gaben. Denn ausgerechnet der Mann mit den polnischen Wurzeln sollte zum Matchwinner werden. Während für ihn sein Spezi Bastian Schweinsteiger auf die Bank musste, schoss Podolski Deutschland zum Sieg (20., 72.). Einen euphorischen Jubel verkniff er sich "aus Respekt" vor seinem Geburtsland. Hinterher sah man ihn im Polen-Trikot auf der Tribüne seine Verwandten begrüßen. Podolski gestand: "Es war ein zwiespältiges Gefühl. Ich bin in Polen geboren, das Land liegt mir am Herzen." Deutschland auch, obwohl 140 Hooligans dem Land keine Ehre einlegten. Sie wurden in Klagenfurt noch am Spieltag verhaftet und konnten den ersten EM-Sieg seit dem Finale 1996 nicht miterleben. Die Spieler schon und so grassierte wie so oft nach einem guten Start die Euphorie in Deutschland. Franz Beckenbauer schürte sie in seiner Bild-Kolumne: "Das war das beste Spiel des Turniers bisher. Die Mannschaft von Jogi Löw hat gleich allen gezeigt, dass wir zu Recht Mitfavorit auf den Titel sind. Ich bin begeistert."

Vier Tage später folgte der vielzitierte Dämpfer zur rechten Zeit. Nun gab es Klagelieder in Klagenfurt, wie bei der WM 1998 (0:3) unterlag die DFB-Elf Kroatien – nun mit 1:2. Und wie damals in Lyon gab es einen Platzverweis für Deutschland, nur war er diesmal nicht entscheidend: Joker Bastian Schweinsteiger eiferte Christian Wörns nach, flog aber erst in der Nachspielzeit wegen eines Revanchefouls runter. Symbolisches Ende eines verkorksten Abends, an dem die deutsche EM-Zuversicht verloren ging. Mancher fühlte sich an schlimme Tage vergangener EM-Turniere erinnert. "Plötzlich rumpelt es in den Alpen", titelte die "Welt" und attestierte der Löw-Elf "uninspiriert und altbacken" zu spielen. Kroatiens Sieg war jedenfalls durchaus verdient und bahnte sich früh an. Darijo Srna schoss nach Flanke des späteren Münchners Danijel Pranjic das 0:1 (24.) und zeigte dem jungen Marcell Jansen seine Grenzen auf. Löw wechselte den Neu-Münchner aus und brachte WM-Joker David Odonkor, doch nichts wurde besser. HSV-Profi Ivica Olic sorgte für die Vorentscheidung und staubte nach einem Pfostentreffer ab zum 0:2 (62.). Nur auf Podolski war Verlass an diesem schwarzen Tag, doch sein drittes Turnier-Tor (79.) kam zu spät. Kapitän Michael Ballack ging mit unter, behielt aber im Interview die Übersicht: "Vielleicht haben wir schon gedacht, wir haben was erreicht. Wir haben in allen Bereichen ein paar Prozent weniger gebracht."

In der Presse und im deutschen Lager wurde der Umgangston rauer, nun hatte man das befürchtete Endspiel gegen Gastgeber Österreich um den Einzug ins Viertelfinale. Darin retteten sich die Österreicher in der dritten Minute der Nachspielzeit, als ihnen der britische Schiedsrichter Howard Webb gegen Polen beim Stand von 0:1 einen zweifelhaften Elfmeter gab. Der Ex-Duisburger Ivica Vastic ließ sich von den Protesten nicht irritieren und glich aus. Österreichs erstes EM-Tor aller Zeiten machte Vastic zum ältesten Torschützen bei einer Endrunde. Sein Trainer Josef Hickersberger philosophierte: "Im Fußball wie im richtigen Leben gibt es nicht immer Gerechtigkeit. Wenn der Schiedsrichter entscheidet, ist es als wenn Gott entscheidet."

Am 16. Juni 2008 sollte nun die Entscheidung fallen, wer hinter Kroatien ins Viertelfinale einzieht. Alle Teams hatten noch eine theoretische Chance, auch die Polen. Sie vergaben sie in Klagenfurt, wo Kroatien auch mit neun Reservisten 1:0 gewann – das Tor glückte dem Bremer Ivan Klasnic, der zwei Nieren-Transplantationen hinter sich hatte und von seinen Gefühlen überwältigt wurde nach seinem unerhofften Comeback auf der großen Bühne. Bei Klasnic flossen Tränen im Moment des Tores, eine kroatische Zeitung schrieb gerührt: "Unser Herz quoll über vor Freude für Klasnic." Im Parellelspiel ging es im ausverkauften Prater-Stadion um die Zukunft des deutschen Fußballs. Und um die Zukunft der sportlichen Führung, wie in allen Blättern zu lesen stand. "Jogi – plötzlich geht’s auch um seinen Job", behauptete nicht nur die Bild-Zeitung. Löw versicherte kämpferisch: "Wir werden nicht ausscheiden."

Sein Kapitän gab ihm Recht. In einem lange ausgeglichenen Spiel sorgte Michael Ballack mit einem herrlichen Freistoß aus 25 Metern (49.) für die Entscheidung. Man maß eine Geschwindigkeit von 121 Stundenkilometern. Unmittelbar davor erhielt Kanzlerin Angela Merkel eine SMS, wie ARD-Bilder zeigten. Kommentator Tom Bartels witzelte noch: "Vielleicht steht da ja drauf: 1:0 durch Michael Ballack – es wäre so schön." Und wie schön es wurde. Österreichs Torwart Jürgen Macho blieb nur ein Lob: "Das Tor war sensationell. Kein Sonntagsschuss, ein Montagsschuss." Joachim Löw saß da schon auf der Ehrentribüne, gemeinsam mit Kollege Hickersberger hatte ihn der spanische Schiedsrichter Gonzalez wegen angeblicher Beleidigung des vierten Offiziellen des Innenraumes verwiesen. Löw wehrte sich: "Ich habe ihn nicht beleidigt. Ich habe ihm nur gesagt, dass ich und mein Kollege in der Coaching-Zone in Ruhe unseren Job machen wollen." Vielleicht reichten die Englisch-Kenntnisse des Slowaken nicht aus, das zu verstehen. Löw landete jedenfalls auf der Tribüne neben Sportdirektor Oliver Bierhoff und Rot-Sünder Schweinsteiger. Auf dem Weg zu seinem Platz durfte er Bundeskanzlerin Angela Merkel, Kaiser Franz Beckenbauer und Ehrenspielführer Uwe Seeler noch schnell Bericht erstatten. Assistent Hans-Dieter Flick coachte die Elf weiter, dass es nicht sein einziger Einsatz bleiben würde, ahnte da noch keiner. Aber die UEFA sperrte Löw für ein Spiel. Vorläufig waren alle im DFB-Lager froh, dass es überhaupt noch ein Spiel gab. "Wien wäre die Steigerung gewesen von Cordoba. Sie ist zum Glück ausgeblieben", atmete Tom Bartels auf – und mit ihm ein ganzes Land.