Lira Bajramaj: Endlich wieder Fußball

Erst am Donnerstag ihr Freund. Enis Alushi, der Profi des Zweiligisten 1. FC Kaiserslautern. Dann am Sonntag sie selbst. Lira Bajramaj, Mittelfeldspielerin des 1. FFC Frankfurt. Mittelfeldspielerin der Frauen-Nationalmannschaft. Beide die gleiche Verletzung. Beide der gleiche Schock. Beide die gleiche Diagnose: Kreuzbandriss, mindestens ein halbes Jahr Pause.

Jetzt ist die 25-Jährige wieder zurück, pünktlich zur EURO - und hat in Schweden große Pläne. Am Samstag (ab 17.45 Uhr, live in der ARD) steigt in der Münchner Allianz-Arena die EM-Generalprobe des Titelverteidigers gegen Weltmeister Japan.

Doppeltes Pech: Auch Alushi mit Kreuzbandriss

Geteiltes Leid ist halbes Leid? Nein, in diesem Fall ist geteiltes Leid doppeltes Leid. "Es war schon krass", erzählt Bajramaj. "Mein Freund hat mir noch erzählt, wie sich das genau anfühlt. Ich habe nur gedacht: Hoffentlich passiert mir so etwas niemals. Und nur drei Tage später ereilt mich das gleiche Schicksal. Wir konnten es beide nicht fassen."

Es war in der Schlussphase des Bundesliga-Spitzenspiels zwischen dem 1. FFC Frankfurt und dem 1. FFC Turbine Potsdam. Die 25-Jährige hatte gerade den 2:1-Siegtreffer erzielt. Nur wenige Augenblicke später erlitt sie nach einem Foul die verhängnisvolle Verletzung.

"Enis hat das Spiel live im Internet auf DFB-TV verfolgt. Er hat die Szene gesehen und hatte sofort ein schlechtes Gefühl", sagt Bajramaj. Direkt hat er sich sein Smartphone geschnappt und ihr eine SMS geschickt mit eindeutigem Inhalt: "Oh nein, hoffentlich nicht auch das Kreuzband. Es war zu spät. Die schlimmsten Befürchtungen bestätigten sich. Am nächsten Morgen ging es ganz schnell: Untersuchung, Operation – lange Pause. Es war der 1. Oktober des vergangenen Jahres.

"Mir geht es wieder gut"

Inzwischen sind neun Monate vorüber. Am Samstag (ab 17.45 Uhr, live in der ARD) steht in München das Spiel gegen Japan auf dem Programm. Das Kräftemessen mit dem Weltmeister ist für die A-Nationalmannschaft nicht nur das letzte Vorbereitungsspiel vor der Europameisterschaft in Schweden (10. bis 28. Juli). Es ist für Bajramaj auch der nächste Schritt zurück in die Normalität.

"Mir geht es wieder gut", sagt die gebürtige Kosovarin. "Ich bin logischerweise noch nicht bei 100 Prozent. Aber ich freue mich einfach, wieder dabei sein zu können. Dafür habe ich acht Monate hart geschuftet, das war mein großes Ziel. Es macht einen Riesenspaß, wieder mit den Mädels zu trainieren."

Vom Flüchtlingsheim auf den Fußballplatz

Bajramaj hat in ihrem Leben schon ganz andere schwierige Situation gemeistert. Als vierjähriges Kind musste sie Hals über Kopf mit ihren Eltern und den beiden Brüdern aus dem Kosovo fliehen. Plötzlich war sie nicht mehr zu Hause. Plötzlich wohnten nicht mehr ihre Freundinnen in den Häusern nebenan. Plötzlich mussten sie für einige Zeit in einem Flüchtlingsheim in Remscheid leben. Das war 1992.

Die erste Zeit in Deutschland war nicht einfach. Sie hatte oft Angst. Aber die Familie hat zusammengehalten. Auch der Fußball hat ihr auf dem Weg in die Gesellschaft geholfen. Auf diesem Weg hat sie neue Freunde gefunden. Auf diesem Weg hat sie Anschluss gefunden. Auf diesem Weg hat sie sich integriert.

"Deutschland ist meine Heimat"

"Deutschland ist meine Heimat", sagt Bajramaj heute ganz entschieden. Dennoch denkt sie gerne an die Zeit zurück, als sie noch in ihrer ehemaligen Heimat lebte. Die Erinnerungen daran hat sie sich aufbewahrt. Das Haus ist inzwischen wieder komplett so aufgebaut, wie vor dem Krieg. Ein- oder zweimal im Jahr besucht sie den Kosovo. Es ist eine Reise in ihre Vergangenheit.

Wenn sie im nächsten Moment mit ihren Gedanken in die Gegenwart zurückkehrt, beginnen ihre Augen zu strahlen. Sie ist stolz darauf, dass sie auch diese schwere Knieverletzung überstanden hat. Denn das war gar nicht so selbstverständlich. "Ich hatte während der Reha auch schlechte Tage, an denen ich alles einfach hinschmeißen wollte", gibt Bajramaj zu. "Ich hatte einfach keine Lust mehr, mich weiter zu quälen." Aber dann hat ihr Freund sie angetrieben. Er hatte ja die gleichen Sorgen. Sie haben sich nicht gegenseitig runtergezogen, sie haben sich gegenseitig aufgebaut.

Von Duisburg über Potsdam nach Frankfurt

Es wäre auch ein riesiger Verlust gewesen, wenn sich eine so hervorragende Fußballerin nicht zurückgekämpft hätte. Sie hat ganz klassisch auf der Straße angefangen. Morgens zur Schule, mittags nach Hause. Schnell etwas essen, schnell die Hausaufgaben, schnell zum Kicken gehen. Die Jungs standen schon vor der Tür, um sie abzuholen. Weil es ihr so viel Spaß gemacht hat, weil sie so gut war, ist sie dann in den Verein gegangen.

Auch dort hat sie zunächst fast ausschließlich mit Jungs gespielt. Erst war sie bei DJK/VfL Giesenkirchen, danach spielte sie für den FSC Mönchengladbach. 2004 ging es dann plötzlich Schlag auf Schlag. Beim FCR 2001 Duisburg wurde man auf dieses riesige Talent aufmerksam. Sie wurde dort direkt Stammspielerin, sie blieb fünf Jahre und wechselte im Anschluss nach Potsdam. Dort erlebte sie ihre beste Zeit. Mittlerweile steht sie seit 2011 beim 1. FFC Frankfurt unter Vertrag.

Beachtliche Titelsammlung

Inzwischen fehlt in ihrer Sammlung beinahe kein wichtiger Titel mehr. Sie ist Weltmeisterin, sie ist Europameisterin. Sie gewann die Champions League, sie gewann den UEFA-Cup, sie gewann die Deutsche Meisterschaft, sie gewann den DFB-Pokal, sie gewann die Bronzemedaille bei den Olympischen Spielen 2008. Sie war Fußballerin des Jahres 2011 in Deutschland, sie belegte den dritten Platz bei der Wahl zur Weltfußballerin des Jahres 2010. Viel mehr geht fast nicht.

Aber trotzdem musste sie nach dem Kreuzbandriss beinahe noch einmal von ganz vorne anfangen. Es war eine lange Leidenszeit, die erst am 26. Mai endete. Ihr Comeback ist also gerade einmal vier Wochen her. Endlich durfte sie wieder auf den Platz. Ein Teil der Mannschaft sein. Zweikämpfe führen. Und sogar: ein Tor schießen. Es war ihr egal, dass ihr das beim 4:0 der zweiten Mannschaft des FFC in der 2. Bundesliga gegen die Reserve des SC 07 Bad Neuenahr gelungen war. Es war ihr egal, dass die Partie vorher bereits entschieden war. Endlich zappelte der Ball nach einem Schuss wieder im Netz.

Seitdem ist sie Schritt für Schritt weitergekommen. Manchmal würde Bajramaj sich selbst gerne überholen, weil es ihr nicht immer schnell genug geht. Sie muss dann gebremst werden, sie muss sich dann selbst bremsen. Denn das Vertrauen in ihren Körper hat sie längst wiedergewonnen. Die Automatismen fehlen in manchen Situationen jedoch noch. Aber sie ist zurück, und nur das zählt im Moment. Endlich wieder Fußball. Endlich wieder Jubel.

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Erst am Donnerstag ihr Freund. Enis Alushi, der Profi des Zweiligisten 1. FC Kaiserslautern. Dann am Sonntag sie selbst. Lira Bajramaj, Mittelfeldspielerin des 1. FFC Frankfurt. Mittelfeldspielerin der Frauen-Nationalmannschaft. Beide die gleiche Verletzung. Beide der gleiche Schock. Beide die gleiche Diagnose: Kreuzbandriss, mindestens ein halbes Jahr Pause.

Jetzt ist die 25-Jährige wieder zurück, pünktlich zur EURO - und hat in Schweden große Pläne. Am Samstag (ab 17.45 Uhr, live in der ARD) steigt in der Münchner Allianz-Arena die EM-Generalprobe des Titelverteidigers gegen Weltmeister Japan.

Doppeltes Pech: Auch Alushi mit Kreuzbandriss

Geteiltes Leid ist halbes Leid? Nein, in diesem Fall ist geteiltes Leid doppeltes Leid. "Es war schon krass", erzählt Bajramaj. "Mein Freund hat mir noch erzählt, wie sich das genau anfühlt. Ich habe nur gedacht: Hoffentlich passiert mir so etwas niemals. Und nur drei Tage später ereilt mich das gleiche Schicksal. Wir konnten es beide nicht fassen."

Es war in der Schlussphase des Bundesliga-Spitzenspiels zwischen dem 1. FFC Frankfurt und dem 1. FFC Turbine Potsdam. Die 25-Jährige hatte gerade den 2:1-Siegtreffer erzielt. Nur wenige Augenblicke später erlitt sie nach einem Foul die verhängnisvolle Verletzung.

"Enis hat das Spiel live im Internet auf DFB-TV verfolgt. Er hat die Szene gesehen und hatte sofort ein schlechtes Gefühl", sagt Bajramaj. Direkt hat er sich sein Smartphone geschnappt und ihr eine SMS geschickt mit eindeutigem Inhalt: "Oh nein, hoffentlich nicht auch das Kreuzband. Es war zu spät. Die schlimmsten Befürchtungen bestätigten sich. Am nächsten Morgen ging es ganz schnell: Untersuchung, Operation – lange Pause. Es war der 1. Oktober des vergangenen Jahres.

"Mir geht es wieder gut"

Inzwischen sind neun Monate vorüber. Am Samstag (ab 17.45 Uhr, live in der ARD) steht in München das Spiel gegen Japan auf dem Programm. Das Kräftemessen mit dem Weltmeister ist für die A-Nationalmannschaft nicht nur das letzte Vorbereitungsspiel vor der Europameisterschaft in Schweden (10. bis 28. Juli). Es ist für Bajramaj auch der nächste Schritt zurück in die Normalität.

"Mir geht es wieder gut", sagt die gebürtige Kosovarin. "Ich bin logischerweise noch nicht bei 100 Prozent. Aber ich freue mich einfach, wieder dabei sein zu können. Dafür habe ich acht Monate hart geschuftet, das war mein großes Ziel. Es macht einen Riesenspaß, wieder mit den Mädels zu trainieren."

Vom Flüchtlingsheim auf den Fußballplatz

Bajramaj hat in ihrem Leben schon ganz andere schwierige Situation gemeistert. Als vierjähriges Kind musste sie Hals über Kopf mit ihren Eltern und den beiden Brüdern aus dem Kosovo fliehen. Plötzlich war sie nicht mehr zu Hause. Plötzlich wohnten nicht mehr ihre Freundinnen in den Häusern nebenan. Plötzlich mussten sie für einige Zeit in einem Flüchtlingsheim in Remscheid leben. Das war 1992.

Die erste Zeit in Deutschland war nicht einfach. Sie hatte oft Angst. Aber die Familie hat zusammengehalten. Auch der Fußball hat ihr auf dem Weg in die Gesellschaft geholfen. Auf diesem Weg hat sie neue Freunde gefunden. Auf diesem Weg hat sie Anschluss gefunden. Auf diesem Weg hat sie sich integriert.

"Deutschland ist meine Heimat"

"Deutschland ist meine Heimat", sagt Bajramaj heute ganz entschieden. Dennoch denkt sie gerne an die Zeit zurück, als sie noch in ihrer ehemaligen Heimat lebte. Die Erinnerungen daran hat sie sich aufbewahrt. Das Haus ist inzwischen wieder komplett so aufgebaut, wie vor dem Krieg. Ein- oder zweimal im Jahr besucht sie den Kosovo. Es ist eine Reise in ihre Vergangenheit.

Wenn sie im nächsten Moment mit ihren Gedanken in die Gegenwart zurückkehrt, beginnen ihre Augen zu strahlen. Sie ist stolz darauf, dass sie auch diese schwere Knieverletzung überstanden hat. Denn das war gar nicht so selbstverständlich. "Ich hatte während der Reha auch schlechte Tage, an denen ich alles einfach hinschmeißen wollte", gibt Bajramaj zu. "Ich hatte einfach keine Lust mehr, mich weiter zu quälen." Aber dann hat ihr Freund sie angetrieben. Er hatte ja die gleichen Sorgen. Sie haben sich nicht gegenseitig runtergezogen, sie haben sich gegenseitig aufgebaut.

Von Duisburg über Potsdam nach Frankfurt

Es wäre auch ein riesiger Verlust gewesen, wenn sich eine so hervorragende Fußballerin nicht zurückgekämpft hätte. Sie hat ganz klassisch auf der Straße angefangen. Morgens zur Schule, mittags nach Hause. Schnell etwas essen, schnell die Hausaufgaben, schnell zum Kicken gehen. Die Jungs standen schon vor der Tür, um sie abzuholen. Weil es ihr so viel Spaß gemacht hat, weil sie so gut war, ist sie dann in den Verein gegangen.

Auch dort hat sie zunächst fast ausschließlich mit Jungs gespielt. Erst war sie bei DJK/VfL Giesenkirchen, danach spielte sie für den FSC Mönchengladbach. 2004 ging es dann plötzlich Schlag auf Schlag. Beim FCR 2001 Duisburg wurde man auf dieses riesige Talent aufmerksam. Sie wurde dort direkt Stammspielerin, sie blieb fünf Jahre und wechselte im Anschluss nach Potsdam. Dort erlebte sie ihre beste Zeit. Mittlerweile steht sie seit 2011 beim 1. FFC Frankfurt unter Vertrag.

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Beachtliche Titelsammlung

Inzwischen fehlt in ihrer Sammlung beinahe kein wichtiger Titel mehr. Sie ist Weltmeisterin, sie ist Europameisterin. Sie gewann die Champions League, sie gewann den UEFA-Cup, sie gewann die Deutsche Meisterschaft, sie gewann den DFB-Pokal, sie gewann die Bronzemedaille bei den Olympischen Spielen 2008. Sie war Fußballerin des Jahres 2011 in Deutschland, sie belegte den dritten Platz bei der Wahl zur Weltfußballerin des Jahres 2010. Viel mehr geht fast nicht.

Aber trotzdem musste sie nach dem Kreuzbandriss beinahe noch einmal von ganz vorne anfangen. Es war eine lange Leidenszeit, die erst am 26. Mai endete. Ihr Comeback ist also gerade einmal vier Wochen her. Endlich durfte sie wieder auf den Platz. Ein Teil der Mannschaft sein. Zweikämpfe führen. Und sogar: ein Tor schießen. Es war ihr egal, dass ihr das beim 4:0 der zweiten Mannschaft des FFC in der 2. Bundesliga gegen die Reserve des SC 07 Bad Neuenahr gelungen war. Es war ihr egal, dass die Partie vorher bereits entschieden war. Endlich zappelte der Ball nach einem Schuss wieder im Netz.

Seitdem ist sie Schritt für Schritt weitergekommen. Manchmal würde Bajramaj sich selbst gerne überholen, weil es ihr nicht immer schnell genug geht. Sie muss dann gebremst werden, sie muss sich dann selbst bremsen. Denn das Vertrauen in ihren Körper hat sie längst wiedergewonnen. Die Automatismen fehlen in manchen Situationen jedoch noch. Aber sie ist zurück, und nur das zählt im Moment. Endlich wieder Fußball. Endlich wieder Jubel.