Bundestrainerin Neid: "Die EM ist für mich Motivation pur"

Wenn Deutschland Frauen-Europameister wurde, war Silvia Neid immer mit dabei: als Spielerin, als Co-, als Cheftrainerin, siebenmal insgesamt. 1989 erzielte sie das erste deutsche EM-Tor überhaupt. Jetzt geht es nach Schweden. Die 49-jährige Neid hat ihre Mannschaft stark verjüngt, die Talente haben den Konkurrenzkampf angefacht. Das Turnier ist für die Bundestrainerin eine große Herausforderung. Und viel mehr Lust als Druck.

Im DFB.de-Gespräch der Woche mit Redakteurin Annette Seitz redet die Bundestrainerin über die Vorbereitung, Verletzungspech, die Entwicklung im Frauenfußball, die gute Mischung im Team und ihre bisherigen Erfahrungen bei EM-Endrunden. Zudem verrät sie ihr Motto für die EURO in Schweden, die am 10. Juli startet und am 28. Juli zuende geht.

DFB.de: Verena Faißt, Viola Odebrecht, Alexandra Popp, Linda Bresonik und Kim Kulig - die Liste der Ausfälle für die EM ist lang. Haben Sie so eine Vorbereitung schon einmal erlebt, Frau Neid?

Silvia Neid: Ich habe schon vieles erlebt, aber nicht, dass wir über eineinhalb Jahre immer wieder verletzte Spielerinnen haben, immer wieder neu improvisieren müssen, weil wir nie auf alle zurückgreifen können. Das hat sich leider in unserer EM-Vorbereitung jetzt so fortgesetzt.

DFB.de: Wie beurteilen Sie die Situation?

Neid:Natürlich wäre es mir anders lieber, aber wir müssen mit dieser Situation leben und umgehen. Wir müssen die Spielerinnen, die wir haben, stark machen, intensiv arbeiten und noch enger zusammenrücken, denn wir wollen ja in Schweden etwas gewinnen. Das bleibt unser Ziel.

DFB.de: Sie wollen also das Skandinavien-Quartett 2013 in Schweden - nach den Titelgewinnen in Finnland 2009, Norwegen 1997 und Dänemark 1991 - nun komplettieren?

Neid: Das wünschen wir uns natürlich, aber so einfach ist das nicht. Man muss bedenken, dass wir eine völlig andere Mannschaft haben als 2009. Wir haben nach der WM 2011 einen personellen Umbruch eingeleitet, mit dem wir sehr zufrieden sind, aber der noch nicht abgeschlossen ist.

DFB.de: Deutschland war achtmal bei einer EM dabei und hat siebenmal gewonnen, darunter allein die zurückliegenden fünf Turniere. Ist das für Sie ein Ansporn?

Neid: Allein die Tatsache, wieder etwas gewinnen zu können, ist Ansporn genug, denn für mich sind Turniere immer ein absolutes Highlight. Ich mag die Herausforderung. Mir gefällt der Weg bis dahin, die Vorbereitung, das Einstellen der Mannschaft, die Arbeit mit den Spielerinnen. Ich möchte gar nicht zurückschauen, denn die anderen Turniere sind Vergangenheit. Keine Mannschaft ist mit der des vorigen Turniers zu vergleichen. Für uns kommt es darauf an, ein Team zu formen, das in der Lage ist, ganz vorne mitzuspielen, und das ist angesichts der vielen Verletzten sicher eine Herausforderung. Wir müssen ja seit eineinhalb Jahren ständig Ausfälle kompensieren und improvisieren. Dadurch muss sich die Mannschaft immer wieder neu einspielen.

DFB.de: Nehmen Sie es auch als Druck wahr, weil viele glauben könnten: "Wir gewinnen ja sowieso immer. Das wird ein Selbstläufer"?

Neid: Wer das immer noch glaubt, verkennt die Entwicklung im internationalen Frauenfußball. Ich verspüre auch keinen Druck, sondern nur Freude und Lust darauf. Ich liebe es, solche Turniere zu spielen, ich mag das Gefühl, den Ablauf. Jedes Turnier ist für mich eine neue Herausforderung. Es macht unheimlich viel Spaß, Turniere mit der Mannschaft zu spielen. Da geht es immer um Alles oder Nichts - und darum, im richtigen Moment mit der gesamten Crew hundertprozentig da zu sein. Das ist für mich Motivation pur.

DFB.de: Sie haben es angesprochen, der Frauenfußball hat sich international weiterentwickelt. Heißt das, dass es früher einfacher war, Titel zu gewinnen?

Neid: Nein, auf keinen Fall. Jeder Titel war hart erarbeitet - und ein Quäntchen Glück kam sicher auch dazu. Das Gleiche wird in diesem Jahr passieren. Es gibt einige Nationen, die in der Lage sind, diesen Titel zu gewinnen, weil sie einfach die Voraussetzungen dafür haben. Zu diesem Favoritenkreis zählen wir auch.

DFB.de: Wie beurteilen Sie diese Weiterentwicklung?

Neid: Absolut positiv. Der Sport muss sich ja weiterentwickeln, und je mehr er das tut, umso besser ist es für uns alle. Natürlich wird es dann auch für einen Favoriten schwerer zu gewinnen. Wobei ich auch noch mal betonen muss: Das heißt nicht, dass es früher einfacher war, diese Titel zu gewinnen.

DFB.de: Es ist keine Floskel, dass die Spitze in Europa breiter geworden ist. Frankreich ist sehr stark geworden, die Skandinavierinnen sowieso, England stand 2009 im Finale. Wo steht Ihre Mannschaft in diesem Vergleich?

Neid: Wir sind auf Augenhöhe mit den Topteams. An einem guten Tag kann jeder jeden schlagen. Es haben sich zwölf Teams für die Endrunde qualifiziert, von denen elf unter den ersten 20 der FIFA-Weltrangliste stehen. Das sagt ja schon alles aus über das hohe Niveau. Natürlich zählen wir zu den Favoriten - so wie Schweden oder Frankreich, die auf einem hervorragenden Niveau spielen. England ist sehr stark, Norwegen kann auch plötzlich im Finale stehen. Und Italien ist ziemlich unbequem, gegen die muss man erst mal ein Tor machen. Es wird sicher nicht einfach werden.

DFB.de: Wie schwer ist es, einer Spielerin mitzuteilen, dass sie den Sprung ins Aufgebot nicht geschafft hat? Oder ist das ein Stück weit, wenn auch nicht gerade schöne, Routine?

Neid: Nein, Routine ist das nicht. Aber es ist eben Teil des Jobs, es gehört dazu. Natürlich ist es nie schön, einer Spielerin zu sagen, dass sie nicht dabei ist. Aber als Trainerin muss man eben Entscheidungen treffen, die nicht allen gefallen. Ich spreche sehr viel mit meinen Spielerinnen und bin dabei sehr ehrlich und direkt, das kann dann auch schon mal wehtun. Aber das halte ich für den richtigen Weg.

DFB.de: Trainer reden häufig davon, dass es auf die "gute Mischung" bei der Zusammensetzung ankommt. Was heißt das eigentlich?

Neid: Der Charakter spielt eine Rolle, ebenso wie die Fähigkeit, flexibel auf verschiedenen Positionen einsetzbar zu sein. Junge und erfahrene Spielerinnen sollten eine Einheit bilden. Wir haben in unserem aktuellen Team viele junge Spielerinnen, und da ist es vor allem diese jugendliche Leichtigkeit, die mich beeindruckt. Die Frische der Spielerinnen und ihr Hunger auf den Erfolg. Und das gepaart mit der Erfahrung, die einige mitbringen, das ist wirklich eine gute Mischung.

DFB.de: Im Vergleich zur WM 2011, als noch erfahrene Spielerinnen wie Birgit Prinz, Kerstin Garefrekes und Inka Grings dabei waren, ist die Mannschaft deutlich jünger. Ist das ein Vorteil, ein Nachteil, sowohl als auch?

Neid: Es ist gut, eine Mannschaft mit Perspektive zu haben, denn es geht ja nach der EM weiter. Der Vorteil dieser jungen Mannschaft ist sicherlich die Unbekümmertheit, ein Nachteil kann die mangelnde Erfahrung sein.

DFB.de: Wie wirkt sich diese Verjüngung auf Ihre Arbeit aus?

Neid: Ich habe sehr viel Freude mit den jungen Spielerinnen, weil sie sehr lernwillig sind und den unbedingten Willen haben, ins Team zu kommen, sich weiterzuentwickeln. Es macht Riesenspaß, wenn man solche Spielerinnen hat. Dadurch ist auch ein gewisser Konkurrenzkampf innerhalb der Mannschaft da, weil die Älteren merken, dass da viele gute Talente da sind. Das ist positiv. Trotzdem ist die Stimmung sehr, sehr gut. Unser Ziel ist, die Jungen auf das Niveau zu führen, das man möchte. Allerdings muss man diesen Spielerinnen auch Zeit geben zu wachsen.

DFB.de: Ihre Mannschaft hat seit der WM nur ein Spiel verloren. Wie würden Sie die Entwicklung seit 2011 beschreiben?

Neid: Alle Spielerinnen haben sich weiterentwickelt, sind in ihren Positionen gereift. Zudem haben wir uns als Mannschaft im taktischen Bereich verbessert. Wir sind seit 2011 sicher zusammengerückt und nun fokussiert auf das nächste Turnier. Wir freuen uns darauf, weil wir die Chance haben, wieder etwas zu gewinnen.

DFB.de: Haben Sie sich auch weiterentwickelt?

Neid: Ich denke schon. Jeder Tag, jede Erfahrung prägt die Persönlichkeit. Man entwickelt sich immer weiter, das betrachte ich als normalen Prozess. Zu dieser Persönlichkeitsentwicklung zählen Misserfolge und Enttäuschungen genauso wie positive Erlebnisse.

DFB.de: Für Sie ist es schon die neunte EM. Was waren Ihre persönlichen Highlights?

Neid: Jede war für sich ein wunderschönes Erlebnis, vor allem die Titelgewinne, man kann keinen mit dem anderen vergleichen. Grundsätzlich ist es das Schönste, was es gibt im Sport, wenn man am Ende gewonnen hat.

DFB.de: Gibt es einen unter diesen sieben Titeln, der Ihnen besonders viel bedeutet?

Neid: Nein, alle haben die gleiche Bedeutung für mich, egal in welcher Funktion ich dabei war. Weil hinter jedem Titel sehr viel Arbeit, Energie und Begeisterung steckten. Deshalb möchte ich keinen herausheben. Kann ich auch gar nicht.

DFB.de: Erlebt man denn Erfolge als Spielerin noch intensiver, als wenn man am Rand steht und während des Spiels nicht mehr so viel Einfluss nehmen kann?

Neid: Für mich war es als Spielerin genauso emotional wie als Trainerin. Als Spielerin kannst du dich halt austoben, du machst vielleicht das entscheidende Tor, und das ist dann ein unbeschreibliches Glücksgefühl. Allerdings kann ich das auch als Trainerin empfinden, wenn ich beispielsweise genau die Spielerin eingewechselt habe, die den Siegtreffer macht. Oder eine Standardsituation führt zum Erfolg, weil sie genau so durchgeführt wurde wie besprochen. Das ist dann auch noch ein spezieller Kick, dass das, was man sich ausgedacht hat, auch funktioniert.

DFB.de: In der EM-Vorrunde warten die Gegner Niederlande, Island und Norwegen. Ihre Einschätzung?

Neid: Die Niederlande haben sich in den vergangenen Jahren sehr gut weiterentwickelt, konnten spielerisch zulegen und sind vor allem auch zweikampfstark. Island kann sehr gut gegen den Ball spielen, zeigt ein gutes Pressing und setzt durch weiträumige Bälle ins Zentrum immer wieder gefährliche Nadelstiche. Und Norwegen ist eine physisch starke Mannschaft, unberechenbar und unangenehm zu spielen.

DFB.de: Was müssen Ihre Spielerinnen leisten, damit Sie am Ende sagen: "Es war ein gutes Turnier"?

Neid: Ich möchte immer eine Mannschaft sehen, die mit Leidenschaft und Mut Fußball spielt, die selbstbewusst ist, der man ansieht, dass sie in jedem Spiel 100 Prozent bringt und alles gibt. Jede soll an ihr Limit gehen.

DFB.de: Bei der WM vor zwei Jahren war Ihr Motto "Gelassenheit". Was ist es für die EM 2013?

Neid: Ebenfalls "Gelassenheit". Je gelassener ich bin und je offener für meine Umgebung, desto bessere Entscheidungen kann ich treffen, eine bessere Gesprächspartnerin sein und mich in meine Mannschaft einfühlen. Es geht darum, dass es in meinem Team und meiner Crew allen gut geht. Da ist es wichtig, dass man immer noch einen Blick für die anderen hat. Und den möchte ich mir bewahren.

Das meinen DFB.de-User

"Schade, dass zwei meiner Lieblingsspielerinnen nicht dabei sein werden, aber mit der tollsten Trainerin der Welt - nicht zu vergessen das tolle Team drum herum - werden unsere Fußballfrauen ordentlich weit kommen! TOI TOI TOI!!! Ich werde wieder mit Herz und Nerven dabei sein :) Vielen Dank für unsere Superfrauen, ich bin total stolz auf sie. Immer!!" (Susanne Ernst, Hagen)

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Wenn Deutschland Frauen-Europameister wurde, war Silvia Neid immer mit dabei: als Spielerin, als Co-, als Cheftrainerin, siebenmal insgesamt. 1989 erzielte sie das erste deutsche EM-Tor überhaupt. Jetzt geht es nach Schweden. Die 49-jährige Neid hat ihre Mannschaft stark verjüngt, die Talente haben den Konkurrenzkampf angefacht. Das Turnier ist für die Bundestrainerin eine große Herausforderung. Und viel mehr Lust als Druck.

Im DFB.de-Gespräch der Woche mit Redakteurin Annette Seitz redet die Bundestrainerin über die Vorbereitung, Verletzungspech, die Entwicklung im Frauenfußball, die gute Mischung im Team und ihre bisherigen Erfahrungen bei EM-Endrunden. Zudem verrät sie ihr Motto für die EURO in Schweden, die am 10. Juli startet und am 28. Juli zuende geht.

DFB.de: Verena Faißt, Viola Odebrecht, Alexandra Popp, Linda Bresonik und Kim Kulig - die Liste der Ausfälle für die EM ist lang. Haben Sie so eine Vorbereitung schon einmal erlebt, Frau Neid?

Silvia Neid: Ich habe schon vieles erlebt, aber nicht, dass wir über eineinhalb Jahre immer wieder verletzte Spielerinnen haben, immer wieder neu improvisieren müssen, weil wir nie auf alle zurückgreifen können. Das hat sich leider in unserer EM-Vorbereitung jetzt so fortgesetzt.

DFB.de: Wie beurteilen Sie die Situation?

Neid:Natürlich wäre es mir anders lieber, aber wir müssen mit dieser Situation leben und umgehen. Wir müssen die Spielerinnen, die wir haben, stark machen, intensiv arbeiten und noch enger zusammenrücken, denn wir wollen ja in Schweden etwas gewinnen. Das bleibt unser Ziel.

DFB.de: Sie wollen also das Skandinavien-Quartett 2013 in Schweden - nach den Titelgewinnen in Finnland 2009, Norwegen 1997 und Dänemark 1991 - nun komplettieren?

Neid: Das wünschen wir uns natürlich, aber so einfach ist das nicht. Man muss bedenken, dass wir eine völlig andere Mannschaft haben als 2009. Wir haben nach der WM 2011 einen personellen Umbruch eingeleitet, mit dem wir sehr zufrieden sind, aber der noch nicht abgeschlossen ist.

DFB.de: Deutschland war achtmal bei einer EM dabei und hat siebenmal gewonnen, darunter allein die zurückliegenden fünf Turniere. Ist das für Sie ein Ansporn?

Neid: Allein die Tatsache, wieder etwas gewinnen zu können, ist Ansporn genug, denn für mich sind Turniere immer ein absolutes Highlight. Ich mag die Herausforderung. Mir gefällt der Weg bis dahin, die Vorbereitung, das Einstellen der Mannschaft, die Arbeit mit den Spielerinnen. Ich möchte gar nicht zurückschauen, denn die anderen Turniere sind Vergangenheit. Keine Mannschaft ist mit der des vorigen Turniers zu vergleichen. Für uns kommt es darauf an, ein Team zu formen, das in der Lage ist, ganz vorne mitzuspielen, und das ist angesichts der vielen Verletzten sicher eine Herausforderung. Wir müssen ja seit eineinhalb Jahren ständig Ausfälle kompensieren und improvisieren. Dadurch muss sich die Mannschaft immer wieder neu einspielen.

DFB.de: Nehmen Sie es auch als Druck wahr, weil viele glauben könnten: "Wir gewinnen ja sowieso immer. Das wird ein Selbstläufer"?

Neid: Wer das immer noch glaubt, verkennt die Entwicklung im internationalen Frauenfußball. Ich verspüre auch keinen Druck, sondern nur Freude und Lust darauf. Ich liebe es, solche Turniere zu spielen, ich mag das Gefühl, den Ablauf. Jedes Turnier ist für mich eine neue Herausforderung. Es macht unheimlich viel Spaß, Turniere mit der Mannschaft zu spielen. Da geht es immer um Alles oder Nichts - und darum, im richtigen Moment mit der gesamten Crew hundertprozentig da zu sein. Das ist für mich Motivation pur.

DFB.de: Sie haben es angesprochen, der Frauenfußball hat sich international weiterentwickelt. Heißt das, dass es früher einfacher war, Titel zu gewinnen?

Neid: Nein, auf keinen Fall. Jeder Titel war hart erarbeitet - und ein Quäntchen Glück kam sicher auch dazu. Das Gleiche wird in diesem Jahr passieren. Es gibt einige Nationen, die in der Lage sind, diesen Titel zu gewinnen, weil sie einfach die Voraussetzungen dafür haben. Zu diesem Favoritenkreis zählen wir auch.

DFB.de: Wie beurteilen Sie diese Weiterentwicklung?

Neid: Absolut positiv. Der Sport muss sich ja weiterentwickeln, und je mehr er das tut, umso besser ist es für uns alle. Natürlich wird es dann auch für einen Favoriten schwerer zu gewinnen. Wobei ich auch noch mal betonen muss: Das heißt nicht, dass es früher einfacher war, diese Titel zu gewinnen.

DFB.de: Es ist keine Floskel, dass die Spitze in Europa breiter geworden ist. Frankreich ist sehr stark geworden, die Skandinavierinnen sowieso, England stand 2009 im Finale. Wo steht Ihre Mannschaft in diesem Vergleich?

Neid: Wir sind auf Augenhöhe mit den Topteams. An einem guten Tag kann jeder jeden schlagen. Es haben sich zwölf Teams für die Endrunde qualifiziert, von denen elf unter den ersten 20 der FIFA-Weltrangliste stehen. Das sagt ja schon alles aus über das hohe Niveau. Natürlich zählen wir zu den Favoriten - so wie Schweden oder Frankreich, die auf einem hervorragenden Niveau spielen. England ist sehr stark, Norwegen kann auch plötzlich im Finale stehen. Und Italien ist ziemlich unbequem, gegen die muss man erst mal ein Tor machen. Es wird sicher nicht einfach werden.

DFB.de: Wie schwer ist es, einer Spielerin mitzuteilen, dass sie den Sprung ins Aufgebot nicht geschafft hat? Oder ist das ein Stück weit, wenn auch nicht gerade schöne, Routine?

Neid: Nein, Routine ist das nicht. Aber es ist eben Teil des Jobs, es gehört dazu. Natürlich ist es nie schön, einer Spielerin zu sagen, dass sie nicht dabei ist. Aber als Trainerin muss man eben Entscheidungen treffen, die nicht allen gefallen. Ich spreche sehr viel mit meinen Spielerinnen und bin dabei sehr ehrlich und direkt, das kann dann auch schon mal wehtun. Aber das halte ich für den richtigen Weg.

DFB.de: Trainer reden häufig davon, dass es auf die "gute Mischung" bei der Zusammensetzung ankommt. Was heißt das eigentlich?

Neid: Der Charakter spielt eine Rolle, ebenso wie die Fähigkeit, flexibel auf verschiedenen Positionen einsetzbar zu sein. Junge und erfahrene Spielerinnen sollten eine Einheit bilden. Wir haben in unserem aktuellen Team viele junge Spielerinnen, und da ist es vor allem diese jugendliche Leichtigkeit, die mich beeindruckt. Die Frische der Spielerinnen und ihr Hunger auf den Erfolg. Und das gepaart mit der Erfahrung, die einige mitbringen, das ist wirklich eine gute Mischung.

DFB.de: Im Vergleich zur WM 2011, als noch erfahrene Spielerinnen wie Birgit Prinz, Kerstin Garefrekes und Inka Grings dabei waren, ist die Mannschaft deutlich jünger. Ist das ein Vorteil, ein Nachteil, sowohl als auch?

Neid: Es ist gut, eine Mannschaft mit Perspektive zu haben, denn es geht ja nach der EM weiter. Der Vorteil dieser jungen Mannschaft ist sicherlich die Unbekümmertheit, ein Nachteil kann die mangelnde Erfahrung sein.

DFB.de: Wie wirkt sich diese Verjüngung auf Ihre Arbeit aus?

Neid: Ich habe sehr viel Freude mit den jungen Spielerinnen, weil sie sehr lernwillig sind und den unbedingten Willen haben, ins Team zu kommen, sich weiterzuentwickeln. Es macht Riesenspaß, wenn man solche Spielerinnen hat. Dadurch ist auch ein gewisser Konkurrenzkampf innerhalb der Mannschaft da, weil die Älteren merken, dass da viele gute Talente da sind. Das ist positiv. Trotzdem ist die Stimmung sehr, sehr gut. Unser Ziel ist, die Jungen auf das Niveau zu führen, das man möchte. Allerdings muss man diesen Spielerinnen auch Zeit geben zu wachsen.

DFB.de: Ihre Mannschaft hat seit der WM nur ein Spiel verloren. Wie würden Sie die Entwicklung seit 2011 beschreiben?

Neid: Alle Spielerinnen haben sich weiterentwickelt, sind in ihren Positionen gereift. Zudem haben wir uns als Mannschaft im taktischen Bereich verbessert. Wir sind seit 2011 sicher zusammengerückt und nun fokussiert auf das nächste Turnier. Wir freuen uns darauf, weil wir die Chance haben, wieder etwas zu gewinnen.

DFB.de: Haben Sie sich auch weiterentwickelt?

Neid: Ich denke schon. Jeder Tag, jede Erfahrung prägt die Persönlichkeit. Man entwickelt sich immer weiter, das betrachte ich als normalen Prozess. Zu dieser Persönlichkeitsentwicklung zählen Misserfolge und Enttäuschungen genauso wie positive Erlebnisse.

DFB.de: Für Sie ist es schon die neunte EM. Was waren Ihre persönlichen Highlights?

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Neid: Jede war für sich ein wunderschönes Erlebnis, vor allem die Titelgewinne, man kann keinen mit dem anderen vergleichen. Grundsätzlich ist es das Schönste, was es gibt im Sport, wenn man am Ende gewonnen hat.

DFB.de: Gibt es einen unter diesen sieben Titeln, der Ihnen besonders viel bedeutet?

Neid: Nein, alle haben die gleiche Bedeutung für mich, egal in welcher Funktion ich dabei war. Weil hinter jedem Titel sehr viel Arbeit, Energie und Begeisterung steckten. Deshalb möchte ich keinen herausheben. Kann ich auch gar nicht.

DFB.de: Erlebt man denn Erfolge als Spielerin noch intensiver, als wenn man am Rand steht und während des Spiels nicht mehr so viel Einfluss nehmen kann?

Neid: Für mich war es als Spielerin genauso emotional wie als Trainerin. Als Spielerin kannst du dich halt austoben, du machst vielleicht das entscheidende Tor, und das ist dann ein unbeschreibliches Glücksgefühl. Allerdings kann ich das auch als Trainerin empfinden, wenn ich beispielsweise genau die Spielerin eingewechselt habe, die den Siegtreffer macht. Oder eine Standardsituation führt zum Erfolg, weil sie genau so durchgeführt wurde wie besprochen. Das ist dann auch noch ein spezieller Kick, dass das, was man sich ausgedacht hat, auch funktioniert.

DFB.de: In der EM-Vorrunde warten die Gegner Niederlande, Island und Norwegen. Ihre Einschätzung?

Neid: Die Niederlande haben sich in den vergangenen Jahren sehr gut weiterentwickelt, konnten spielerisch zulegen und sind vor allem auch zweikampfstark. Island kann sehr gut gegen den Ball spielen, zeigt ein gutes Pressing und setzt durch weiträumige Bälle ins Zentrum immer wieder gefährliche Nadelstiche. Und Norwegen ist eine physisch starke Mannschaft, unberechenbar und unangenehm zu spielen.

DFB.de: Was müssen Ihre Spielerinnen leisten, damit Sie am Ende sagen: "Es war ein gutes Turnier"?

Neid: Ich möchte immer eine Mannschaft sehen, die mit Leidenschaft und Mut Fußball spielt, die selbstbewusst ist, der man ansieht, dass sie in jedem Spiel 100 Prozent bringt und alles gibt. Jede soll an ihr Limit gehen.

DFB.de: Bei der WM vor zwei Jahren war Ihr Motto "Gelassenheit". Was ist es für die EM 2013?

Neid: Ebenfalls "Gelassenheit". Je gelassener ich bin und je offener für meine Umgebung, desto bessere Entscheidungen kann ich treffen, eine bessere Gesprächspartnerin sein und mich in meine Mannschaft einfühlen. Es geht darum, dass es in meinem Team und meiner Crew allen gut geht. Da ist es wichtig, dass man immer noch einen Blick für die anderen hat. Und den möchte ich mir bewahren.

Das meinen DFB.de-User

"Schade, dass zwei meiner Lieblingsspielerinnen nicht dabei sein werden, aber mit der tollsten Trainerin der Welt - nicht zu vergessen das tolle Team drum herum - werden unsere Fußballfrauen ordentlich weit kommen! TOI TOI TOI!!! Ich werde wieder mit Herz und Nerven dabei sein :) Vielen Dank für unsere Superfrauen, ich bin total stolz auf sie. Immer!!" (Susanne Ernst, Hagen)