Angerer: "Es gibt keine größere Herausforderung“

Nationaltorhüterin Nadine Angerer hat sich für einen neuen Arbeitgeber entschieden und will ihren künftigen Verein noch vor der EM-Endrunde in Schweden (10. bis 28. Juli) bekanntgeben.

"Ich weiß es schon, aber es ist noch nichts unterschrieben. Ich werde die Entscheidung in den kommenden Tagen öffentlich machen", sagte die 34-Jährige, die ihren am Sonntag auslaufenden Vertrag beim siebenmaligen Deutschen Meister 1. FFC Frankfurt nicht verlängern wird, vor der EM-Generalprobe heute Abend in München gegen Weltmeister Japan (ab 17.45 Uhr, live in der ARD).

Mit Respekt und Vorfreude ins Spiel gegen Weltmeister Japan

Seit 1996 dabei, fast 120 Länderspiele, als Persönlichkeit gereift: Nadine Angerer ist aus der Frauen-Nationalmannschaft kaum wegzudenken. Als Torhüterin nicht. Aber vor allem als Mensch nicht. Die 34-Jährige ist zweimalige Weltmeisterin. Sie hat bereits viermal die Europameisterschaft gewonnen. Dreimal holte sie die Bronzemedaille bei Olympischen Spielen.

Und auch ihre Erfolge auf Vereinsebene unter anderem beim 1. FFC Turbine Potsdam und dem 1. FFC Frankfurt sind beachtlich. Dennoch lässt die ausgebildete Physiotherapeutin vor dem letzten Testspiel gegen Japan in München keinen Zweifel daran, dass sie in Schweden zum fünften Mal die Kontinentalmeisterschaft gewinnen will. Mit Respekt und Vorfreude blickt sie dem Duell mit dem Weltmeister Japan in der Allianz Arena in München entgegen.

DFB.de: Frau Angerer, inzwischen sind Sie die mit Abstand erfahrenste und älteste Spielerin im Kader. Wie fühlt sich das an?

Nadine Angerer: Ich bin stolz darauf, noch dabei zu sein und meine Erfahrungen jetzt an die jungen Spielerinnen weitergeben zu können. Aber es ist ja nicht so, dass ich hier die Oma bin. Auch wenn das teilweise meine Töchter sein könnten. Zumindest vom Alter. Denn vom Kopf her bin ich sehr jung geblieben. Das passt schon alles. Es macht total viel Spaß, mit den Mädels täglich zu arbeiten.

DFB.de: Wie verhält sich die junge Generation im Gegensatz zu Ihrer Anfangszeit bei der Nationalmannschaft?

Angerer: Nach der WM 2011 in Deutschland gab es einen großen Umbruch. Man merkt schon, dass wir noch in der Findungsphase sind. Wir mussten uns als Mannschaft neu definieren. Aber die jungen Spielerinnen machen das großartig. Insgesamt muss man sagen, dass unsere Talente hier extrem motiviert sind und einen tollen Charakter haben. Es müssen sich jedoch auch noch Persönlichkeiten herauskristallisieren.

DFB.de: Sehen Sie sich als erfahrene Spielerin besonders in der Verantwortung?

Angerer: Ja, natürlich. Etwas überspitzt formuliert, bin ich während der Vorbereitung die Letzte, die ins Bett geht. Ich muss vorher noch kontrollieren, ob die Mädels alle schon brav schlafen (lacht). Ich nehme die Verantwortung gerne an. Als ich noch jung war, habe ich mich ebenfalls über die Hilfe der Routinierten gefreut. Auch wenn ich nicht immer alles angenommen habe.

DFB.de: Bereuen Sie das heute?

Angerer: Es hätte für mich einen einfacheren Weg in die Weltspitze geben können. Ich habe einige Umwege und Hürden in Kauf nehmen müssen, weil ich immer meinen eigenen Kopf hatte. Ich habe sicher auch Fehler gemacht. Aber das hat mich geprägt, und es sind Erfahrungen, die ich weitergeben kann. Deshalb bereue ich gar nichts.

DFB.de: Welche Fehler haben Sie gemacht?

Angerer: Ich war schon immer ein Mensch, der das Leben gerne genießt. Aber früher konnte ich manchmal nicht richtig differenzieren, wann ich einen Schritt zu weit gehe. Wann darf man sich seine Freiheiten herausnehmen? Wann nicht? Ich musste das erst lernen. Und dieser Prozess war nicht immer einfach. Denn manchmal sind mir meine Fehler ziemlich schonungslos mit allen Konsequenzen offenbart worden – auch im Kreis der Nationalmannschaft. Das war teilweise eine harte Tour. Aber irgendwann hatte ich es kapiert. Ich liebe diesen Sport einfach zu sehr, um meine Karriere leichtfertig aufs Spiel zu setzen. Ich musste mich entscheiden, welchen Weg ich gehen will. Und ich denke, ich habe die richtige Wahl getroffen.

DFB.de: Haben Sie sich auch charakterlich verändert?

Angerer: Nein, ich genieße noch immer jeden Tag. Ich muss so sein, um meine Leistung bringen zu können. Aber mittlerweile weiß ich, wann ich mich anpassen muss und wann ich machen kann, was ich gerne will. Es gibt eben auch immer wieder mal Situationen, in denen man alle Fünfe gerade sein lassen muss. Das Leben ist manchmal ein Kompromiss. Zum Beispiel mag ich diese langen Aufenthalte im Hotel vor einem großen Turnier überhaupt nicht. Welche Alternative hätte ich denn? Soll ich vor dem Eingang zelten? Vielleicht würde ich das sogar lieber machen. Aber das geht eben nicht. Ich kann mich unterordnen. Nach der Europameisterschaft habe ich Urlaub. Dann kann ich für ein paar Wochen wieder leben, wie es meinen Vorstellungen entspricht. Derzeit gilt unsere hundertprozentige Fokussierung einem großen Ziel – wir wollen eine gute Europameisterschaft in Schweden spielen.

DFB.de: Kann das nur die erneute Titelverteidigung bedeuten?

Angerer: Ich sehe uns nicht als alleinigen Topfavoriten auf den Titel. Dafür war der Umbruch zu groß und wir haben einige personelle Ausfälle. Sicherlich zählen wir zum engen Kreis der Nationen, die die Europameisterschaft gewinnen können. Jedoch sollten wir einen Schritt nach dem anderen machen. Es bringt nichts, nur das Ende der Straße im Blick zu haben. Wir müssen an jeder Kreuzung aufpassen, nicht die falsche Abbiegung zu nehmen.

DFB.de: Wie schätzen Sie die Gruppe mit Norwegen, Island und den Niederlanden als Auftaktgegner ein?

Angerer: Super stark. Wir werden da sicher nicht durchspazieren. Ich will uns nicht kleinreden. Wir haben eine sehr gute Mannschaft. Allerdings sind Nationen dabei, gegen die man an einem schlechten Tag auch mal verlieren kann. Und ich sage ganz ehrlich, wie es ist: Da habe ich überhaupt keinen Bock drauf.

DFB.de: Kommt Ihnen das letzte Vorbereitungsduell gegen Japan gerade recht?

Angerer: Das ist ein starker Gegner, der Weltmeister. Eine größere Herausforderung gibt es ja fast nicht. Wenn wir gewinnen, können wir mit dem entsprechenden Selbstvertrauen nach Schweden reisen. Aber ich persönlich habe keine guten Erinnerungen an Japan. Ich habe lange gebraucht, um das 0:1 im Viertelfinale unserer Heim-WM 2011 zu verarbeiten. Es tut noch immer etwas weh. Denn ich habe bei dem Gegentor bekanntlich nicht so gut ausgesehen. Ich habe eine Verantwortung der Mannschaft gegenüber. Es nagt an mir, dass ich diesen Treffer in der Verlängerung nicht verhindern konnte. Aber wir müssen nach vorne schauen. Im Moment zählt nichts anderes als die Europameisterschaft in wenigen Tagen.

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Nationaltorhüterin Nadine Angerer hat sich für einen neuen Arbeitgeber entschieden und will ihren künftigen Verein noch vor der EM-Endrunde in Schweden (10. bis 28. Juli) bekanntgeben.

"Ich weiß es schon, aber es ist noch nichts unterschrieben. Ich werde die Entscheidung in den kommenden Tagen öffentlich machen", sagte die 34-Jährige, die ihren am Sonntag auslaufenden Vertrag beim siebenmaligen Deutschen Meister 1. FFC Frankfurt nicht verlängern wird, vor der EM-Generalprobe heute Abend in München gegen Weltmeister Japan (ab 17.45 Uhr, live in der ARD).

Mit Respekt und Vorfreude ins Spiel gegen Weltmeister Japan

Seit 1996 dabei, fast 120 Länderspiele, als Persönlichkeit gereift: Nadine Angerer ist aus der Frauen-Nationalmannschaft kaum wegzudenken. Als Torhüterin nicht. Aber vor allem als Mensch nicht. Die 34-Jährige ist zweimalige Weltmeisterin. Sie hat bereits viermal die Europameisterschaft gewonnen. Dreimal holte sie die Bronzemedaille bei Olympischen Spielen.

Und auch ihre Erfolge auf Vereinsebene unter anderem beim 1. FFC Turbine Potsdam und dem 1. FFC Frankfurt sind beachtlich. Dennoch lässt die ausgebildete Physiotherapeutin vor dem letzten Testspiel gegen Japan in München keinen Zweifel daran, dass sie in Schweden zum fünften Mal die Kontinentalmeisterschaft gewinnen will. Mit Respekt und Vorfreude blickt sie dem Duell mit dem Weltmeister Japan in der Allianz Arena in München entgegen.

DFB.de: Frau Angerer, inzwischen sind Sie die mit Abstand erfahrenste und älteste Spielerin im Kader. Wie fühlt sich das an?

Nadine Angerer: Ich bin stolz darauf, noch dabei zu sein und meine Erfahrungen jetzt an die jungen Spielerinnen weitergeben zu können. Aber es ist ja nicht so, dass ich hier die Oma bin. Auch wenn das teilweise meine Töchter sein könnten. Zumindest vom Alter. Denn vom Kopf her bin ich sehr jung geblieben. Das passt schon alles. Es macht total viel Spaß, mit den Mädels täglich zu arbeiten.

DFB.de: Wie verhält sich die junge Generation im Gegensatz zu Ihrer Anfangszeit bei der Nationalmannschaft?

Angerer: Nach der WM 2011 in Deutschland gab es einen großen Umbruch. Man merkt schon, dass wir noch in der Findungsphase sind. Wir mussten uns als Mannschaft neu definieren. Aber die jungen Spielerinnen machen das großartig. Insgesamt muss man sagen, dass unsere Talente hier extrem motiviert sind und einen tollen Charakter haben. Es müssen sich jedoch auch noch Persönlichkeiten herauskristallisieren.

DFB.de: Sehen Sie sich als erfahrene Spielerin besonders in der Verantwortung?

Angerer: Ja, natürlich. Etwas überspitzt formuliert, bin ich während der Vorbereitung die Letzte, die ins Bett geht. Ich muss vorher noch kontrollieren, ob die Mädels alle schon brav schlafen (lacht). Ich nehme die Verantwortung gerne an. Als ich noch jung war, habe ich mich ebenfalls über die Hilfe der Routinierten gefreut. Auch wenn ich nicht immer alles angenommen habe.

DFB.de: Bereuen Sie das heute?

Angerer: Es hätte für mich einen einfacheren Weg in die Weltspitze geben können. Ich habe einige Umwege und Hürden in Kauf nehmen müssen, weil ich immer meinen eigenen Kopf hatte. Ich habe sicher auch Fehler gemacht. Aber das hat mich geprägt, und es sind Erfahrungen, die ich weitergeben kann. Deshalb bereue ich gar nichts.

DFB.de: Welche Fehler haben Sie gemacht?

Angerer: Ich war schon immer ein Mensch, der das Leben gerne genießt. Aber früher konnte ich manchmal nicht richtig differenzieren, wann ich einen Schritt zu weit gehe. Wann darf man sich seine Freiheiten herausnehmen? Wann nicht? Ich musste das erst lernen. Und dieser Prozess war nicht immer einfach. Denn manchmal sind mir meine Fehler ziemlich schonungslos mit allen Konsequenzen offenbart worden – auch im Kreis der Nationalmannschaft. Das war teilweise eine harte Tour. Aber irgendwann hatte ich es kapiert. Ich liebe diesen Sport einfach zu sehr, um meine Karriere leichtfertig aufs Spiel zu setzen. Ich musste mich entscheiden, welchen Weg ich gehen will. Und ich denke, ich habe die richtige Wahl getroffen.

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DFB.de: Haben Sie sich auch charakterlich verändert?

Angerer: Nein, ich genieße noch immer jeden Tag. Ich muss so sein, um meine Leistung bringen zu können. Aber mittlerweile weiß ich, wann ich mich anpassen muss und wann ich machen kann, was ich gerne will. Es gibt eben auch immer wieder mal Situationen, in denen man alle Fünfe gerade sein lassen muss. Das Leben ist manchmal ein Kompromiss. Zum Beispiel mag ich diese langen Aufenthalte im Hotel vor einem großen Turnier überhaupt nicht. Welche Alternative hätte ich denn? Soll ich vor dem Eingang zelten? Vielleicht würde ich das sogar lieber machen. Aber das geht eben nicht. Ich kann mich unterordnen. Nach der Europameisterschaft habe ich Urlaub. Dann kann ich für ein paar Wochen wieder leben, wie es meinen Vorstellungen entspricht. Derzeit gilt unsere hundertprozentige Fokussierung einem großen Ziel – wir wollen eine gute Europameisterschaft in Schweden spielen.

DFB.de: Kann das nur die erneute Titelverteidigung bedeuten?

Angerer: Ich sehe uns nicht als alleinigen Topfavoriten auf den Titel. Dafür war der Umbruch zu groß und wir haben einige personelle Ausfälle. Sicherlich zählen wir zum engen Kreis der Nationen, die die Europameisterschaft gewinnen können. Jedoch sollten wir einen Schritt nach dem anderen machen. Es bringt nichts, nur das Ende der Straße im Blick zu haben. Wir müssen an jeder Kreuzung aufpassen, nicht die falsche Abbiegung zu nehmen.

DFB.de: Wie schätzen Sie die Gruppe mit Norwegen, Island und den Niederlanden als Auftaktgegner ein?

Angerer: Super stark. Wir werden da sicher nicht durchspazieren. Ich will uns nicht kleinreden. Wir haben eine sehr gute Mannschaft. Allerdings sind Nationen dabei, gegen die man an einem schlechten Tag auch mal verlieren kann. Und ich sage ganz ehrlich, wie es ist: Da habe ich überhaupt keinen Bock drauf.

DFB.de: Kommt Ihnen das letzte Vorbereitungsduell gegen Japan gerade recht?

Angerer: Das ist ein starker Gegner, der Weltmeister. Eine größere Herausforderung gibt es ja fast nicht. Wenn wir gewinnen, können wir mit dem entsprechenden Selbstvertrauen nach Schweden reisen. Aber ich persönlich habe keine guten Erinnerungen an Japan. Ich habe lange gebraucht, um das 0:1 im Viertelfinale unserer Heim-WM 2011 zu verarbeiten. Es tut noch immer etwas weh. Denn ich habe bei dem Gegentor bekanntlich nicht so gut ausgesehen. Ich habe eine Verantwortung der Mannschaft gegenüber. Es nagt an mir, dass ich diesen Treffer in der Verlängerung nicht verhindern konnte. Aber wir müssen nach vorne schauen. Im Moment zählt nichts anderes als die Europameisterschaft in wenigen Tagen.