Weltfrauentag: "Fußball war die Eintrittskarte in die Gesellschaft"

Heute ist internationaler Weltfrauentag. Nejla Akan, Sandra Liebender und Sabine Stadler haben im Fußball ihr Zuhause gefunden und sind durch den Fußball geprägt worden - jede auf ihre eigene Art und Weise. Zum Weltfrauentag erzählen die drei starken Frauen auf DFB.de ihre "Fußball-Geschichte".

Sandra Liebender

Dass jemand meiner Arbeit mit Vorurteilen begegnet, weil ich eine Frau bin, habe ich nie gespürt. Immer ging es in meinem Umfeld um die Kompetenz und die Expertise, die ich für die Position oder die jeweilige Aufgabe mitgebracht habe. Hier beim Berliner Turn- und Sportclub e.V. leben wir diese Kultur. Ich bin mir dabei bewusst, dass andere Frauen im Sport bis heute andere Erlebnisse machen müssen.

Seit 2020 bin ich Vizepräsidentin des Berliner TSC e.V. und bin außerdem eine von zwei Jugendleitungen in der Abteilung Fußball. Mit 4846 Mitgliedern mit Stand 1. Januar 2023 zählen wir zu den zehn größten Vereinen der Stadt. Unter dem Motto "Sportfamilie an der Spree" machen wir Angebote in 22 Abteilungen, sowohl im Leistungs- wie auch im Breiten- und Gesundheitssport. Wie man sich vorstellen kann, ist der Vereinskalender unglaublich prall gefüllt. Meine Stunden schreibe ich mir nicht auf. Aber im Durchschnitt zwei Stunden pro Tag muss man schon rechnen. Was muss man mitbringen? Ich denke, mich macht die Leidenschaft für diesen Verein aus, für den ich auch bereit bin, den Kopf hinzuhalten. In einer Leitungsposition eines Vereins muss man Menschen und den Umgang mit ihnen mögen. Häufig nehme ich mich in einer moderierenden Rolle wahr.

"Sorgen dafür, dass Ehrenamt attraktiver wird"

Dem vorherigen Vorstand, der früh nach Leuten gesucht hat, die mehr als eine Legislaturperiode aktiv sein werden, ist es zu verdanken, dass wir heute recht jung aufgestellt sind. Ich selbst bin 37 Jahre alt. Was sind unsere Ziele? Ganz sicher wollen wir den Berliner TSC e.V. weiter modernisieren und professionalisieren. Schon jetzt arbeiten für den Verein 32 hauptamtliche Mitarbeiter*innen, die meisten in der Verwaltung oder als Trainer*in. Das bauen wir aus, und sorgen dafür, dass das Ehrenamt wieder attraktiver wird. Dazu zählt unter anderem auch die Digitalisierung voran zu treiben. Die Zeiten, dass sich jemand aufgeopfert hat und 20 oder 30 Stunden jede Woche den Verein unterstützte, sind vergangen. Ehrenamtliche Aufgaben heute besetzt man nur, wenn sie flexibel ausgeführt werden können, der Zeitrahmen definiert ist oder die Aufgabe projektbezogen angelegt wird.

Unser Verein ist im Stadtteil Prenzlauer Berg zuhause. Nicht nur dort, sondern überall sind die Ansprüche an den Verein gestiegen. Die Eltern unserer Kinder etwa achten zurecht auf verlässliche Trainingsstrukturen. Gerade wurde dem Berliner TSC e.V. wegen seiner Ausrichtung das "Kinderschutzsiegel" des Landessportbundes Berlin verliehen. Ohne unsere Tradition aufzugeben, wollen wir Trendsportarten anbieten. Wir wollen bewusst auch zeitgeistig ausgerichtet sein. Neu im Angebotsportfolio ist zum Beispiel Parcours. Dabei findet beim Berliner TSC jeder und jede einen Platz, unabhängig wie alt oder wie sportlich man ist. Ich selbst spiele aktiv Fußball in der Landesliga. Aktuell kämpfen wir um den Klassenerhalt. Ich bin optimistisch, dass wir diesen schaffen.

Nach einer Anlauf- und Etablierungsphase macht es mir einfach Spaß, in einem Vorstandsteam zu arbeiten, in dem man sich kennt und aufeinander verlassen kann. Diesen diversen, modernen Traditionsverein zu entwickeln und täglich zu gestalten, motiviert mich sehr. Wenn mir die Mitglieder auch weiterhin ihr Vertrauen schenken, darf es gerne noch ein paar Jahre weitergehen.

Sandra Liebender drückt dem FC Union Berlin in der Bundesliga die Daumen, auch weil "die Eisernen" in den sechziger Jahren aus dem Berliner TSC heraus entstanden.

Nejla Akan

Wenn mir jemand vor 15 Jahren gesagt hätte, dass ich einmal verbeamtete Lehrkraft an einem Gymnasium sein werde, hätte ich diese Person wahrscheinlich ausgelacht und gesagt: Träum' weiter.

Meine Familie ist 1996 aus dem Osten der Türkei nach Deutschland ausgewandert. Mit meinen Eltern bin ich in einer Flüchtlingsunterkunft in der Ortschaft Halver in Nordrhein-Westfalen aufgewachsen. Zehn Jahre lebten wir in einem Heim für Asylbewerber, sieben Menschen auf engstem Raum. Ich habe mir zehn Jahre lang ein Zimmer mit meinen vier Geschwistern geteilt. Die ersten sechs Jahre hatten wir keine Heizung, die Dusche war im Keller. Ich wusste lange nicht, wie deutsches Geld aussieht, denn wir bekamen nur Gutscheine für Lebensmittel. Mit meinen Geschwistern habe ich beim Sperrmüll Holz gesammelt, damit haben wir den Ofen befeuern können. Aus dem Altkleidercontainer haben wir uns "neue" Klamotten gesucht. Ich hatte Nichts, im wahrsten Sinne des Wortes - Nichts.

"Fußball hat mir Kraft und Hoffnung gegeben"

Irgendwie ist es mir gelungen, mich mithilfe einer unterstützenden Hand aus diesem Loch herauszuziehen. Zuerst mal habe ich Deutsch gelernt. Nach und nach übernahm ich immer mehr Verantwortung in meiner Familie. Mir oblag es bald, Amtsbriefe zu beantworten oder die Korrespondenz mit den Rechtsanwälten zu führen. Auch für die anderen Bewohner des Asylheims war ich die Übersetzerin, begleitete die Menschen zu den Ärzten und den Ämtern. Michael Wirth, ein Sozialarbeiter, hat mich motiviert, mich unterstützt und mir den Weg zu einem Schülerstipendium gezeigt. Dank ihm wurde ich Stipendiatin der START-Stiftung und wurde sowohl ideell als auch finanziell unterstützt.

In der Nähe des Asylbewerberheims entdeckte ich wenige Wochen nach unserer Ankunft in Deutschland einen Sportplatz, dort spielten Jungen und Mädchen Fußball. Ich ging mit meinen Geschwistern häufig dorthin, einfach um zuzuschauen. Irgendwann fragte uns ein Vereinsmitglied, das war Bernd Eicker, ob wir mitspielen wollten. Jahrelang habe ich dort im Verein Fußball gespielt und musste nie einen Cent zahlen. Ich kleines dunkel ausschauendes Mädchen wurde plötzlich wertgeschätzt. Und das mit meinem Status? Das war denen egal. Sie schenkten mir Fußballschuhe und akzeptierten mich und meine Geschwister.

Der Fußball hat mir Kraft und Hoffnung gegeben. Am Fußball konnte ich mich festhalten. Zuhause gab es Probleme, in der Schule erlebte ich ständig Zurückweisung – und im Sport lief es gut. Nach der Schule ging ich zum Training. Und an den trainingsfreien Tagen bin ich einfach so auf den Sportplatz gegangen, auch um die anderen Jugendlichen zu treffen, die wir durch den Fußball kennengelernt hatten. Sport war meine Hoffnung. 

"Erst durch Fußball wurde ich akzeptiert und respektiert"

Als ich meiner Familie über meinen Entschluss berichtete, Sport zu studieren, kam das nicht gut an. Ich sollte eine Ausbildung beginnen und dann Arbeiten gehen. Meine Eltern wollten, dass ich ein eigenes Einkommen verdiene und unabhängig werde. Dass ich trotzdem hartnäckig bei meiner Entscheidung blieb, hatte viel mit meiner Prägung durch den Sport zu tun. Ich wusste, wie man sich durchsetzt, dass man nicht an sich zweifeln darf, dass man kämpfen muss. Heute unterrichte ich leidenschaftlich Sport und Deutsch auf einem Gymnasium in Gelsenkirchen.

An meinem Gymnasium leite ich eine Fußball-AG für Mädchen, die mir viel bedeutet. Und seit fast zwei Jahren bin ich als Co-Vorsitzende in einem migrantischen Fußballverein tätig. Der Verein ist sehr jung und sehr klein. Dennoch ist es eine große Herausforderung als Frau mit einer Migrationsgeschichte, einen migrantischen Verein zu führen.

Ich spiele nun seit 26 Jahren Fußball und freue mich auf viele weitere Jahre im Fußball. Für mich war der Fußball die Eintrittskarte in die deutsche Gesellschaft. Durch den Fußball habe ich die Nachbarschaft kennengelernt. Und erst durch den Fußball wurden ich und meine Familie akzeptiert und respektiert. Besonders auf dem Feld habe ich gemerkt, dass die Herkunft, das Aussehen und die Sprachkenntnisse überhaupt keine Rolle spielen.

Durch das Leadership Programm des DFB bin ich jetzt ehrenamtlich im Fußball- und Leichtathletikverband Westfalen (FLVW) engagiert. Ich bin Vorsitzende der Kommission Integration, die dem Ausschuss Gesellschaftliches Engagement untergeordnet ist.

Ein Leben ohne Fußball kann ich mir überhaupt nicht mehr vorstellen.

Nejla Akan war 2020 eine von 25 Teilnehmer*innen des neuen DFB-Leadership-Programms.

Sabine Stadler

Das Pfeifen von Fußballspielen und Laufen sind meine Leidenschaften. Wer mich heute kennt, kann sich sicherlich nur schwer vorstellen, dass ich als Fußballspielerin eher lauffaul war. Als torgefährliche Stürmerin war eher meine Dynamik auf den ersten Metern als die Ausdauer einer Marathonläuferin gefragt. Das hat sich 1998 geändert.

Ein Nachbar brachte mich auf die Idee, den Schiedsrichterschein zu machen, den er selbst kurz vorher erworben hatte. Plötzlich war das Thema Ausdauer gefragt. Ich begann also regelmäßig zu Laufen, zu Anfang kurze Strecken von wenigen Kilometern.

Mit der Freude am Laufen wurden die Strecken länger. Erste Erfolge stellten sich ein. 2016 konnte ich den international gut besetzten Marathon auf Mallorca als schnellste Frau unter etwa 10.000 Starter*innen gewinnen.

"Auf meine Entwicklung hat sich Sport sehr positiv ausgewirkt"

In meiner Leidenschaft als Schiri fällt es mir dadurch ziemlich leicht, immer auf Ballhöhe zu sein. Bis 2004 war ich sowohl als Spielerin als auch als Schiedsrichterin für den SV Gläserzell aktiv. Nach dem Ende meiner aktiven Karriere als Spielerin konnte ich als Schiedsrichterin durchstarten. Dank der Unterstützung der damaligen Bundesliga-Schiedsrichterin Martina Storch-Schäfer als meine Tutorin, leitete ich irgendwann Spiele in der 2. Frauen-Bundesliga und assistierte Spiele in der Frauen-Bundesliga. Ich fühle mich in der Rolle als Schiedsrichterin, und übrigens auch im Triathlon, sehr wohl.

Auf meine persönliche Entwicklung, nicht nur was die Fitness angeht, sondern auch auf meine Mentalität, Durchsetzungsvermögen, Beharrlichkeit und Resilienz hat sich mein Sport sehr positiv ausgewirkt. Das hilft mir eben nicht nur im Sport, sondern auch in meinem privaten und beruflichen Umfeld.

Ich kann es nur jedem Mädchen, jeder Frau empfehlen, es mal selbst auszuprobieren. Die Aufregung vor meinem ersten Spiel als Schiedsrichterin in der D- Jugend) werde ich genauso wenig vergessen, wie das Spiel der Damen der TSG Hoffenheim gegen Köln um den Aufstieg in die 1. Bundesliga vor einer großen Kulisse.

Heute pfeife ich noch bis Frauen- Regionalliga, auch wenn die Hobbys, der Beruf und die Familie mitunter schwer zu koordinieren sind.

Warum lege ich die Pfeife nicht weg? Einfach weil es mir riesigen Spaß macht.

Sabine Stadler legt Wert darauf, dass die 3:07 Stunden von Mallorca an den 200 Höhenmetern lagen. Ihre Bestzeit liegt bei 3:01 Stunden.

[dfb]

Heute ist internationaler Weltfrauentag. Nejla Akan, Sandra Liebender und Sabine Stadler haben im Fußball ihr Zuhause gefunden und sind durch den Fußball geprägt worden - jede auf ihre eigene Art und Weise. Zum Weltfrauentag erzählen die drei starken Frauen auf DFB.de ihre "Fußball-Geschichte".

Sandra Liebender

Dass jemand meiner Arbeit mit Vorurteilen begegnet, weil ich eine Frau bin, habe ich nie gespürt. Immer ging es in meinem Umfeld um die Kompetenz und die Expertise, die ich für die Position oder die jeweilige Aufgabe mitgebracht habe. Hier beim Berliner Turn- und Sportclub e.V. leben wir diese Kultur. Ich bin mir dabei bewusst, dass andere Frauen im Sport bis heute andere Erlebnisse machen müssen.

Seit 2020 bin ich Vizepräsidentin des Berliner TSC e.V. und bin außerdem eine von zwei Jugendleitungen in der Abteilung Fußball. Mit 4846 Mitgliedern mit Stand 1. Januar 2023 zählen wir zu den zehn größten Vereinen der Stadt. Unter dem Motto "Sportfamilie an der Spree" machen wir Angebote in 22 Abteilungen, sowohl im Leistungs- wie auch im Breiten- und Gesundheitssport. Wie man sich vorstellen kann, ist der Vereinskalender unglaublich prall gefüllt. Meine Stunden schreibe ich mir nicht auf. Aber im Durchschnitt zwei Stunden pro Tag muss man schon rechnen. Was muss man mitbringen? Ich denke, mich macht die Leidenschaft für diesen Verein aus, für den ich auch bereit bin, den Kopf hinzuhalten. In einer Leitungsposition eines Vereins muss man Menschen und den Umgang mit ihnen mögen. Häufig nehme ich mich in einer moderierenden Rolle wahr.

"Sorgen dafür, dass Ehrenamt attraktiver wird"

Dem vorherigen Vorstand, der früh nach Leuten gesucht hat, die mehr als eine Legislaturperiode aktiv sein werden, ist es zu verdanken, dass wir heute recht jung aufgestellt sind. Ich selbst bin 37 Jahre alt. Was sind unsere Ziele? Ganz sicher wollen wir den Berliner TSC e.V. weiter modernisieren und professionalisieren. Schon jetzt arbeiten für den Verein 32 hauptamtliche Mitarbeiter*innen, die meisten in der Verwaltung oder als Trainer*in. Das bauen wir aus, und sorgen dafür, dass das Ehrenamt wieder attraktiver wird. Dazu zählt unter anderem auch die Digitalisierung voran zu treiben. Die Zeiten, dass sich jemand aufgeopfert hat und 20 oder 30 Stunden jede Woche den Verein unterstützte, sind vergangen. Ehrenamtliche Aufgaben heute besetzt man nur, wenn sie flexibel ausgeführt werden können, der Zeitrahmen definiert ist oder die Aufgabe projektbezogen angelegt wird.

Unser Verein ist im Stadtteil Prenzlauer Berg zuhause. Nicht nur dort, sondern überall sind die Ansprüche an den Verein gestiegen. Die Eltern unserer Kinder etwa achten zurecht auf verlässliche Trainingsstrukturen. Gerade wurde dem Berliner TSC e.V. wegen seiner Ausrichtung das "Kinderschutzsiegel" des Landessportbundes Berlin verliehen. Ohne unsere Tradition aufzugeben, wollen wir Trendsportarten anbieten. Wir wollen bewusst auch zeitgeistig ausgerichtet sein. Neu im Angebotsportfolio ist zum Beispiel Parcours. Dabei findet beim Berliner TSC jeder und jede einen Platz, unabhängig wie alt oder wie sportlich man ist. Ich selbst spiele aktiv Fußball in der Landesliga. Aktuell kämpfen wir um den Klassenerhalt. Ich bin optimistisch, dass wir diesen schaffen.

Nach einer Anlauf- und Etablierungsphase macht es mir einfach Spaß, in einem Vorstandsteam zu arbeiten, in dem man sich kennt und aufeinander verlassen kann. Diesen diversen, modernen Traditionsverein zu entwickeln und täglich zu gestalten, motiviert mich sehr. Wenn mir die Mitglieder auch weiterhin ihr Vertrauen schenken, darf es gerne noch ein paar Jahre weitergehen.

Sandra Liebender drückt dem FC Union Berlin in der Bundesliga die Daumen, auch weil "die Eisernen" in den sechziger Jahren aus dem Berliner TSC heraus entstanden.

Nejla Akan

Wenn mir jemand vor 15 Jahren gesagt hätte, dass ich einmal verbeamtete Lehrkraft an einem Gymnasium sein werde, hätte ich diese Person wahrscheinlich ausgelacht und gesagt: Träum' weiter.

Meine Familie ist 1996 aus dem Osten der Türkei nach Deutschland ausgewandert. Mit meinen Eltern bin ich in einer Flüchtlingsunterkunft in der Ortschaft Halver in Nordrhein-Westfalen aufgewachsen. Zehn Jahre lebten wir in einem Heim für Asylbewerber, sieben Menschen auf engstem Raum. Ich habe mir zehn Jahre lang ein Zimmer mit meinen vier Geschwistern geteilt. Die ersten sechs Jahre hatten wir keine Heizung, die Dusche war im Keller. Ich wusste lange nicht, wie deutsches Geld aussieht, denn wir bekamen nur Gutscheine für Lebensmittel. Mit meinen Geschwistern habe ich beim Sperrmüll Holz gesammelt, damit haben wir den Ofen befeuern können. Aus dem Altkleidercontainer haben wir uns "neue" Klamotten gesucht. Ich hatte Nichts, im wahrsten Sinne des Wortes - Nichts.

"Fußball hat mir Kraft und Hoffnung gegeben"

Irgendwie ist es mir gelungen, mich mithilfe einer unterstützenden Hand aus diesem Loch herauszuziehen. Zuerst mal habe ich Deutsch gelernt. Nach und nach übernahm ich immer mehr Verantwortung in meiner Familie. Mir oblag es bald, Amtsbriefe zu beantworten oder die Korrespondenz mit den Rechtsanwälten zu führen. Auch für die anderen Bewohner des Asylheims war ich die Übersetzerin, begleitete die Menschen zu den Ärzten und den Ämtern. Michael Wirth, ein Sozialarbeiter, hat mich motiviert, mich unterstützt und mir den Weg zu einem Schülerstipendium gezeigt. Dank ihm wurde ich Stipendiatin der START-Stiftung und wurde sowohl ideell als auch finanziell unterstützt.

In der Nähe des Asylbewerberheims entdeckte ich wenige Wochen nach unserer Ankunft in Deutschland einen Sportplatz, dort spielten Jungen und Mädchen Fußball. Ich ging mit meinen Geschwistern häufig dorthin, einfach um zuzuschauen. Irgendwann fragte uns ein Vereinsmitglied, das war Bernd Eicker, ob wir mitspielen wollten. Jahrelang habe ich dort im Verein Fußball gespielt und musste nie einen Cent zahlen. Ich kleines dunkel ausschauendes Mädchen wurde plötzlich wertgeschätzt. Und das mit meinem Status? Das war denen egal. Sie schenkten mir Fußballschuhe und akzeptierten mich und meine Geschwister.

Der Fußball hat mir Kraft und Hoffnung gegeben. Am Fußball konnte ich mich festhalten. Zuhause gab es Probleme, in der Schule erlebte ich ständig Zurückweisung – und im Sport lief es gut. Nach der Schule ging ich zum Training. Und an den trainingsfreien Tagen bin ich einfach so auf den Sportplatz gegangen, auch um die anderen Jugendlichen zu treffen, die wir durch den Fußball kennengelernt hatten. Sport war meine Hoffnung. 

"Erst durch Fußball wurde ich akzeptiert und respektiert"

Als ich meiner Familie über meinen Entschluss berichtete, Sport zu studieren, kam das nicht gut an. Ich sollte eine Ausbildung beginnen und dann Arbeiten gehen. Meine Eltern wollten, dass ich ein eigenes Einkommen verdiene und unabhängig werde. Dass ich trotzdem hartnäckig bei meiner Entscheidung blieb, hatte viel mit meiner Prägung durch den Sport zu tun. Ich wusste, wie man sich durchsetzt, dass man nicht an sich zweifeln darf, dass man kämpfen muss. Heute unterrichte ich leidenschaftlich Sport und Deutsch auf einem Gymnasium in Gelsenkirchen.

An meinem Gymnasium leite ich eine Fußball-AG für Mädchen, die mir viel bedeutet. Und seit fast zwei Jahren bin ich als Co-Vorsitzende in einem migrantischen Fußballverein tätig. Der Verein ist sehr jung und sehr klein. Dennoch ist es eine große Herausforderung als Frau mit einer Migrationsgeschichte, einen migrantischen Verein zu führen.

Ich spiele nun seit 26 Jahren Fußball und freue mich auf viele weitere Jahre im Fußball. Für mich war der Fußball die Eintrittskarte in die deutsche Gesellschaft. Durch den Fußball habe ich die Nachbarschaft kennengelernt. Und erst durch den Fußball wurden ich und meine Familie akzeptiert und respektiert. Besonders auf dem Feld habe ich gemerkt, dass die Herkunft, das Aussehen und die Sprachkenntnisse überhaupt keine Rolle spielen.

Durch das Leadership Programm des DFB bin ich jetzt ehrenamtlich im Fußball- und Leichtathletikverband Westfalen (FLVW) engagiert. Ich bin Vorsitzende der Kommission Integration, die dem Ausschuss Gesellschaftliches Engagement untergeordnet ist.

Ein Leben ohne Fußball kann ich mir überhaupt nicht mehr vorstellen.

Nejla Akan war 2020 eine von 25 Teilnehmer*innen des neuen DFB-Leadership-Programms.

Sabine Stadler

Das Pfeifen von Fußballspielen und Laufen sind meine Leidenschaften. Wer mich heute kennt, kann sich sicherlich nur schwer vorstellen, dass ich als Fußballspielerin eher lauffaul war. Als torgefährliche Stürmerin war eher meine Dynamik auf den ersten Metern als die Ausdauer einer Marathonläuferin gefragt. Das hat sich 1998 geändert.

Ein Nachbar brachte mich auf die Idee, den Schiedsrichterschein zu machen, den er selbst kurz vorher erworben hatte. Plötzlich war das Thema Ausdauer gefragt. Ich begann also regelmäßig zu Laufen, zu Anfang kurze Strecken von wenigen Kilometern.

Mit der Freude am Laufen wurden die Strecken länger. Erste Erfolge stellten sich ein. 2016 konnte ich den international gut besetzten Marathon auf Mallorca als schnellste Frau unter etwa 10.000 Starter*innen gewinnen.

"Auf meine Entwicklung hat sich Sport sehr positiv ausgewirkt"

In meiner Leidenschaft als Schiri fällt es mir dadurch ziemlich leicht, immer auf Ballhöhe zu sein. Bis 2004 war ich sowohl als Spielerin als auch als Schiedsrichterin für den SV Gläserzell aktiv. Nach dem Ende meiner aktiven Karriere als Spielerin konnte ich als Schiedsrichterin durchstarten. Dank der Unterstützung der damaligen Bundesliga-Schiedsrichterin Martina Storch-Schäfer als meine Tutorin, leitete ich irgendwann Spiele in der 2. Frauen-Bundesliga und assistierte Spiele in der Frauen-Bundesliga. Ich fühle mich in der Rolle als Schiedsrichterin, und übrigens auch im Triathlon, sehr wohl.

Auf meine persönliche Entwicklung, nicht nur was die Fitness angeht, sondern auch auf meine Mentalität, Durchsetzungsvermögen, Beharrlichkeit und Resilienz hat sich mein Sport sehr positiv ausgewirkt. Das hilft mir eben nicht nur im Sport, sondern auch in meinem privaten und beruflichen Umfeld.

Ich kann es nur jedem Mädchen, jeder Frau empfehlen, es mal selbst auszuprobieren. Die Aufregung vor meinem ersten Spiel als Schiedsrichterin in der D- Jugend) werde ich genauso wenig vergessen, wie das Spiel der Damen der TSG Hoffenheim gegen Köln um den Aufstieg in die 1. Bundesliga vor einer großen Kulisse.

Heute pfeife ich noch bis Frauen- Regionalliga, auch wenn die Hobbys, der Beruf und die Familie mitunter schwer zu koordinieren sind.

Warum lege ich die Pfeife nicht weg? Einfach weil es mir riesigen Spaß macht.

Sabine Stadler legt Wert darauf, dass die 3:07 Stunden von Mallorca an den 200 Höhenmetern lagen. Ihre Bestzeit liegt bei 3:01 Stunden.

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