Lena Goeßling: Die Leitwölfin

Sechs potenzielle Stammspielerinnen fallen aus für die EURO 2013 in Schweden, auf die sich die DFB-Frauen derzeit im zweiten Trainingslager vorbereiten. Führungsfiguren sind mehr denn je gefragt, Spielerinnen wie Lena Goeßling. Die 27-Jährige vom Triplegewinner VfL Wolfsburg traf jüngst beim 3:0 gegen Schottland und will auch am Mittwoch (ab 18 Uhr, live in der ARD) im vorletzten EM-Testländerspiel gegen Kanada in Paderborn vorangehen. DFB.de porträtiert die Defensivallrounderin.

Früher war sie oft dort in Löhne, wo sich die Werre und die A30 zweimal kreuzen. Da ist das Werretalstadion, Lena Goeßlings erster Fußballplatz. Nur ein paar Meter weiter befindet sich der Ascheplatz an der Schützenstraße. Sie ist hier groß geworden. Ungefähr 70 Kilometer sind es über die A2 und die A33 nach Paderborn, wo die DFB-Auswahl auf Kanada trifft. Es ist also beinahe ein Heimspiel für die Defensivspezialistin, entsprechend viele Verwandte und Freunde werden sich das Duell anschauen.

Goeßlings Eltern sind sowieso immer dabei, besonders intensiv in den vergangenen Monaten. Schließlich hat ihre Tochter mit dem VfL Wolfsburg Historisches geschafft. Deutscher Meister, Gewinner des DFB-Pokals. Und als Krönung des Ganzen: das 1:0 im Endspiel der Champions League gegen Olympique Lyon in London. Das war die vielleicht größte Sensation einer überragenden Serie – für sie persönlich, aber vor allem für die Mannschaft. Um die Dimension dieses Erfolgs richtig einordnen zu können, muss man in die Statistik schauen und sich Folgendes überlegen: Die Frauen von Lyon sind erneut Französischer Meister geworden. Sie haben das nicht irgendwie geschafft. Sie haben das mit 22 Siegen in 22 Spielen und einem Torverhältnis von 132:5 geschafft.

Von einer Ergänzungsspielerin zur Führungskraft

95 Pflichtspiele war Olympique unbesiegt. Aber dann kam Wolfsburg. Dann kam Lena Goeßling. Gemeinsam hielten sie die französische Übermacht vom eigenen Tor weg. Dann hat Martina Müller kurz vor Schluss die Nerven behalten und den entscheidenden Elfmeter verwandelt. Gemeinsam durften sie hinterher jubeln. "Es hat uns ausgezeichnet, dass wir wirklich eine Einheit waren", sagt Goeßling rückblickend. Jede hat für jede gekämpft – füreinander, nicht gegeneinander. Das war der Schlüssel.

Auch die Spielerinnen, die nicht so oft dabei waren, haben einen nicht zu unterschätzenden Anteil am Triple-Triumph. Daran gibt es keinen Zweifel. Das weiß auch Goeßling. Sie war zwar eine der Protagonistinnen. Aber sie ist dabei bescheiden geblieben: "Nur als Gemeinschaft konnte das funktionieren." Sie braucht die Harmonie, um ihre beste Leistung auf dem Rasen zu bringen. In Wolfsburg hat sie das zuletzt geschafft. Bei der Nationalmannschaft ebenfalls. Sie ist gereift. Von der Ergänzungsspielerin zur Führungskraft.

"Keine Zeit, über irgendetwas nachzudenken"

"Langsam beginne ich erst zu begreifen, was wir wirklich erreicht haben", sagt die 27-Jährige. "In den vergangenen Wochen sind wir ja praktisch von einem Titel zum nächsten weitergereicht worden. Da blieb überhaupt keine Zeit, über irgendetwas nachzudenken." Aber als dann der ganze Stress plötzlich vorbei war, hat sie sich für ein paar Tage in ihre Heimat zurückgezogen. Handy aus, Computer aus, Entspannung. Einfach abschalten. Kraft tanken.

Lena Goeßling - Die Leitwölfin

Denn die nächsten Aufgaben stehen für die gebürtige Bielefelderin unmittelbar bevor. In wenigen Tagen geht es nach Schweden, Mission Titelverteidigung bei der Europameisterschaft. Goeßling ist aus dem Stamm der deutschen Nationalmannschaft schon längst nicht mehr wegzudenken. Sie hat ihren Weg beinahe konsequent und ohne Umwege bestritten – vom SV Löhne-Obernbeck in die deutsche Nationalmannschaft, aus dem Werretalstadion auf die ganz große Fußballbühne.

Von Löhne bis in die Nationalmannschaft

Natürlich musste sie ein paar Zwischenstationen einplanen. Von Löhne ging es knapp 15 Kilometer weiter zum SV Sundern. Danach wurde es dann beim FC Gütersloh 2000 wirklich ernst. Als sie 2002 mit den B-Juniorinnen die Deutsche Meisterschaft gewann, konnte man schon erahnen, dass ihr Talent noch lange nicht ausgereizt war. Goeßling schaffte den Sprung zum SC 07 Bad Neuenahr und damit gleichzeitig in die Bundesliga – und wurde dort glücklich. Sie etablierte sich in der Stammformation. Wenige Monate später durfte sie erstmals das Trikot der A-Nationalmannschaft tragen.

Dort konnte sie ihre Leistungen aus den verschiedenen DFB-Nachwuchsteams bestätigen. Aber Goeßling ist nur deshalb so gut geworden, weil sie aus Rückschlägen immer gestärkt hervorgegangen ist. Sie verpasste die Olympischen Spiele 2008 in Peking, sie verpasste die Europameisterschaft 2009 in Finnland. Erst 2011 kehrte sie zurück. Seitdem ist sie aus dem Kreis der besten deutschen Fußballerinnen nicht mehr wegzudenken. Qualität setzt sich durch. So war es schon immer, so wird es immer bleiben.

Starke EM-Gruppe mit Holland, Island und Norwegen

Nun also kehrt sie mal wieder zurück nach Ostwestfalen. Sie ist nicht mehr das Mädchen, das früher mehrmals in der Woche zusammen mit ihrem Zwillingsbruder Arne zum Sportplatz um die Ecke gelaufen ist. Sie ist eine junge Frau geworden. Sie hat schon viel von der Welt gesehen. Sie ist jetzt eine der besten Abwehrspielerinnen der Welt. Es ist ihr Anspruch, das auch der Öffentlichkeit während des Turniers in Schweden zu beweisen.

Jeder wird auf Deutschland schauen. Viele bewegt nur noch eine Frage: Kann jemand den Seriensieger stoppen? Deutschland hat den Kontinentalwettbewerb zuletzt fünfmal in Folge gewonnen. "Wir haben mit den Niederlanden, Island und Norwegen eine Gruppe erwischt, die wir nicht unterschätzen sollten", warnt die 48-malige Nationalspielerin. Aber diese Gefahr besteht eigentlich nicht. Auf diesem Niveau entscheiden oft Kleinigkeiten.

Die Saison krönen

Goeßling hat das in den vergangenen zwölf Monaten selbst erlebt. Wolfsburg war vor allem deshalb die beste Mannschaft in Deutschland, weil sie die konstanteste war. Sonst gewinnt man nicht die Meisterschaft. Sie haben vieles richtig gemacht, sie haben fast nichts falsch gemacht – das war eines der Erfolgsgeheimnisse, vielleicht das wichtigste. "Wir hatten praktisch keine Schwächephase", sagt Goeßling. Es gab eine kritische Phase kurz vor Saisonende. Aber da hatten sie bereits ein Polster an der Tabellenspitze.

Zusammen mit ihren Wolfsburger Kolleginnen Josephine Henning, Luisa Wensing und Nadine Keßler verbreitet Goeßling gerade viel Selbstvertrauen im DFB-Lager. Erfolg macht Lust auf mehr. Der finale Akt einer ereignisreichen Saison steht unmittelbar bevor. Den VfL-Frauen reichen drei Titel nicht aus. Sie wollen den vierten nachlegen. "Wir müssen zunächst zusehen, dass wir die Vorrunde überstehen", sagt Goeßling. "Alles andere wäre eine riesige Enttäuschung. Dann sind wir im Turnier drin, dann ist wieder alles möglich."

Dafür mobilisiert sie noch mal die letzten Kräfte. Sie will auch in Schweden jubeln, sie will die Europameisterschaft gewinnen. Sie will eine Saison krönen, die eigentlich nicht mehr zu krönen ist.

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Sechs potenzielle Stammspielerinnen fallen aus für die EURO 2013 in Schweden, auf die sich die DFB-Frauen derzeit im zweiten Trainingslager vorbereiten. Führungsfiguren sind mehr denn je gefragt, Spielerinnen wie Lena Goeßling. Die 27-Jährige vom Triplegewinner VfL Wolfsburg traf jüngst beim 3:0 gegen Schottland und will auch am Mittwoch (ab 18 Uhr, live in der ARD) im vorletzten EM-Testländerspiel gegen Kanada in Paderborn vorangehen. DFB.de porträtiert die Defensivallrounderin.

Früher war sie oft dort in Löhne, wo sich die Werre und die A30 zweimal kreuzen. Da ist das Werretalstadion, Lena Goeßlings erster Fußballplatz. Nur ein paar Meter weiter befindet sich der Ascheplatz an der Schützenstraße. Sie ist hier groß geworden. Ungefähr 70 Kilometer sind es über die A2 und die A33 nach Paderborn, wo die DFB-Auswahl auf Kanada trifft. Es ist also beinahe ein Heimspiel für die Defensivspezialistin, entsprechend viele Verwandte und Freunde werden sich das Duell anschauen.

Goeßlings Eltern sind sowieso immer dabei, besonders intensiv in den vergangenen Monaten. Schließlich hat ihre Tochter mit dem VfL Wolfsburg Historisches geschafft. Deutscher Meister, Gewinner des DFB-Pokals. Und als Krönung des Ganzen: das 1:0 im Endspiel der Champions League gegen Olympique Lyon in London. Das war die vielleicht größte Sensation einer überragenden Serie – für sie persönlich, aber vor allem für die Mannschaft. Um die Dimension dieses Erfolgs richtig einordnen zu können, muss man in die Statistik schauen und sich Folgendes überlegen: Die Frauen von Lyon sind erneut Französischer Meister geworden. Sie haben das nicht irgendwie geschafft. Sie haben das mit 22 Siegen in 22 Spielen und einem Torverhältnis von 132:5 geschafft.

Von einer Ergänzungsspielerin zur Führungskraft

95 Pflichtspiele war Olympique unbesiegt. Aber dann kam Wolfsburg. Dann kam Lena Goeßling. Gemeinsam hielten sie die französische Übermacht vom eigenen Tor weg. Dann hat Martina Müller kurz vor Schluss die Nerven behalten und den entscheidenden Elfmeter verwandelt. Gemeinsam durften sie hinterher jubeln. "Es hat uns ausgezeichnet, dass wir wirklich eine Einheit waren", sagt Goeßling rückblickend. Jede hat für jede gekämpft – füreinander, nicht gegeneinander. Das war der Schlüssel.

Auch die Spielerinnen, die nicht so oft dabei waren, haben einen nicht zu unterschätzenden Anteil am Triple-Triumph. Daran gibt es keinen Zweifel. Das weiß auch Goeßling. Sie war zwar eine der Protagonistinnen. Aber sie ist dabei bescheiden geblieben: "Nur als Gemeinschaft konnte das funktionieren." Sie braucht die Harmonie, um ihre beste Leistung auf dem Rasen zu bringen. In Wolfsburg hat sie das zuletzt geschafft. Bei der Nationalmannschaft ebenfalls. Sie ist gereift. Von der Ergänzungsspielerin zur Führungskraft.

"Keine Zeit, über irgendetwas nachzudenken"

"Langsam beginne ich erst zu begreifen, was wir wirklich erreicht haben", sagt die 27-Jährige. "In den vergangenen Wochen sind wir ja praktisch von einem Titel zum nächsten weitergereicht worden. Da blieb überhaupt keine Zeit, über irgendetwas nachzudenken." Aber als dann der ganze Stress plötzlich vorbei war, hat sie sich für ein paar Tage in ihre Heimat zurückgezogen. Handy aus, Computer aus, Entspannung. Einfach abschalten. Kraft tanken.

Lena Goeßling - Die Leitwölfin

Denn die nächsten Aufgaben stehen für die gebürtige Bielefelderin unmittelbar bevor. In wenigen Tagen geht es nach Schweden, Mission Titelverteidigung bei der Europameisterschaft. Goeßling ist aus dem Stamm der deutschen Nationalmannschaft schon längst nicht mehr wegzudenken. Sie hat ihren Weg beinahe konsequent und ohne Umwege bestritten – vom SV Löhne-Obernbeck in die deutsche Nationalmannschaft, aus dem Werretalstadion auf die ganz große Fußballbühne.

Von Löhne bis in die Nationalmannschaft

Natürlich musste sie ein paar Zwischenstationen einplanen. Von Löhne ging es knapp 15 Kilometer weiter zum SV Sundern. Danach wurde es dann beim FC Gütersloh 2000 wirklich ernst. Als sie 2002 mit den B-Juniorinnen die Deutsche Meisterschaft gewann, konnte man schon erahnen, dass ihr Talent noch lange nicht ausgereizt war. Goeßling schaffte den Sprung zum SC 07 Bad Neuenahr und damit gleichzeitig in die Bundesliga – und wurde dort glücklich. Sie etablierte sich in der Stammformation. Wenige Monate später durfte sie erstmals das Trikot der A-Nationalmannschaft tragen.

Dort konnte sie ihre Leistungen aus den verschiedenen DFB-Nachwuchsteams bestätigen. Aber Goeßling ist nur deshalb so gut geworden, weil sie aus Rückschlägen immer gestärkt hervorgegangen ist. Sie verpasste die Olympischen Spiele 2008 in Peking, sie verpasste die Europameisterschaft 2009 in Finnland. Erst 2011 kehrte sie zurück. Seitdem ist sie aus dem Kreis der besten deutschen Fußballerinnen nicht mehr wegzudenken. Qualität setzt sich durch. So war es schon immer, so wird es immer bleiben.

Starke EM-Gruppe mit Holland, Island und Norwegen

Nun also kehrt sie mal wieder zurück nach Ostwestfalen. Sie ist nicht mehr das Mädchen, das früher mehrmals in der Woche zusammen mit ihrem Zwillingsbruder Arne zum Sportplatz um die Ecke gelaufen ist. Sie ist eine junge Frau geworden. Sie hat schon viel von der Welt gesehen. Sie ist jetzt eine der besten Abwehrspielerinnen der Welt. Es ist ihr Anspruch, das auch der Öffentlichkeit während des Turniers in Schweden zu beweisen.

Jeder wird auf Deutschland schauen. Viele bewegt nur noch eine Frage: Kann jemand den Seriensieger stoppen? Deutschland hat den Kontinentalwettbewerb zuletzt fünfmal in Folge gewonnen. "Wir haben mit den Niederlanden, Island und Norwegen eine Gruppe erwischt, die wir nicht unterschätzen sollten", warnt die 48-malige Nationalspielerin. Aber diese Gefahr besteht eigentlich nicht. Auf diesem Niveau entscheiden oft Kleinigkeiten.

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Die Saison krönen

Goeßling hat das in den vergangenen zwölf Monaten selbst erlebt. Wolfsburg war vor allem deshalb die beste Mannschaft in Deutschland, weil sie die konstanteste war. Sonst gewinnt man nicht die Meisterschaft. Sie haben vieles richtig gemacht, sie haben fast nichts falsch gemacht – das war eines der Erfolgsgeheimnisse, vielleicht das wichtigste. "Wir hatten praktisch keine Schwächephase", sagt Goeßling. Es gab eine kritische Phase kurz vor Saisonende. Aber da hatten sie bereits ein Polster an der Tabellenspitze.

Zusammen mit ihren Wolfsburger Kolleginnen Josephine Henning, Luisa Wensing und Nadine Keßler verbreitet Goeßling gerade viel Selbstvertrauen im DFB-Lager. Erfolg macht Lust auf mehr. Der finale Akt einer ereignisreichen Saison steht unmittelbar bevor. Den VfL-Frauen reichen drei Titel nicht aus. Sie wollen den vierten nachlegen. "Wir müssen zunächst zusehen, dass wir die Vorrunde überstehen", sagt Goeßling. "Alles andere wäre eine riesige Enttäuschung. Dann sind wir im Turnier drin, dann ist wieder alles möglich."

Dafür mobilisiert sie noch mal die letzten Kräfte. Sie will auch in Schweden jubeln, sie will die Europameisterschaft gewinnen. Sie will eine Saison krönen, die eigentlich nicht mehr zu krönen ist.