Blindenfußballer Sarikaya: "Ich bin nicht der Typ Weichei"

DFB.de: Stuttgart ist Rekordmeister, wurde vergangenes Jahr zum fünften Mal Meister. Hat Marburg überhaupt eine Chance, Sie zu stoppen?

Sarikaya: Auf jeden Fall. In der Marburger Mannschaft steckt auch dieses Jahr ungeheuer viel Potenzial. Für mich persönlich aber hat die Europameisterschaft im Sommer die weit größere Bedeutung. Ich bin jetzt fünfmal mit Stuttgart Deutscher Meister geworden. Satt ist man nie, aber irgendwann liegt der Fokus auf dem nächsten Schritt. Vor zwei Jahren belegten wir Platz 4 bei der Europameisterschaft. Jetzt wollen wir in England noch mehr erreichen. Unser Ziel sind die Paralympics 2016 in Rio. Dafür müssten wir im August in England ins EM-Finale einziehen. Eins weiß ich heute schon: wir werden dort mit 100 Prozent Leidenschaft und Freude antreten.

DFB.de: Sie haben Ihr Augenlicht mit 18 Jahren durch eine Netzhautablösung verloren. Läuft bei Ihnen ein Film ab mit den Erinnerungen an ähnliche Situationen?

Sarikaya: Nein, das funktioniert so nicht. Denn meine Bilder stammen aus dem sehenden Fußball. Heute muss ich mich ganz anders bewegen und ganz anders reagieren. Wenn ich auf dem Platz stehe, bin ich ganz in dem Moment und beschäftige mich nicht mit irgendwelchen Bildern von früher. Gerade aber gelingt mir wenig, mir fehlt einfach noch das Ballgefühl.

DFB.de: Der Blindenfußball lebt doch sehr von den spektakulären Einzelaktionen. Gleichwohl spielen Sie schon sehr lange mit Alexander Fangmann und Mulgheta Russum zusammen. Wissen Sie immer genau, wo die stehen?

Sarikaya: Das Vertrauen untereinander ist riesig. Wir wissen, glaube ich, alle drei sehr gut, was jeder von uns kann und auch nicht kann. Fehler passieren immer, man verliert auch mal beim Spielaufbau den Ball. Aber wir sind füreinander da, um auch mal einen Fehler von Alex oder Mulgheta auszubügeln.

DFB.de: Auch 2015 wird es Stadtspieltage geben, dieses Jahr in Landshut und Freiburg. Das Publikum, der Applaus, bringt Ihnen das etwas?

Sarikaya: Natürlich, das ist Gänsehaut, das ist einfach Freude, das gibt dir nochmal einen Schub. Es ist gut, dass wir dort die Gelegenheit haben zu demonstrieren, was blinde Menschen leisten können.

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Wenn die anfälligen Knöchel mitmachen und er seine Emotionen kontrollieren kann, ist Vedat Sarikaya der torgefährlichste blinde Stürmer Deutschlands. Zweimal wurde er Torschützenkönig der Blindenfußball-Bundesliga, die am Samstag in die achte Saison startet. Mit 18 Jahren verlor der gute Fußballer Sarikaya durch eine Netzhautablösung sein Augenlicht, doch wenn er heute für Rekordmeister MTV Stuttgart spielt, sieht er keine Szenen von früher. "Das funktioniert so nicht, denn meine Bilder stammen aus dem sehenden Fußball". Im DFB.de-Interview spricht der 30 Jahre alte Sarikaya mit Redakteur Thomas Hackbarth über Gänsehautmomente und Träume von Rio.

DFB.de: Herr Sarikaya, Stuttgart hat vor ein paar Wochen das erste Testspiel des Jahres gegen den Vorjahrszweiten Blau-Gelb Marburg nur knapp mit 2:1 gewonnen. Wie war es?

Vedat Sarikaya: Wir standen zum ersten Mal in diesem Jahr auf dem Platz. Ein Test halt - war okay. Ich hatte sehr lange nicht gespielt. Ich bin etwas eingerostet (lacht).

DFB.de: Ihr Trainer Uli Pfisterer hat das nach dem Test gegen Marburg auch gesagt. Einige Spieler hätten Rost angesetzt. Sie fühlten sich also angesprochen?

Sarikaya: Er hatte schon recht, zum Teil jedenfalls (lacht). Ich kann sicher viel, viel mehr zeigen als bei dem Spiel gegen Marburg. Hinter mir liegt eine wirklich lange Pause, das merke ich nun. Man braucht Zeit, um wieder reinzukommen, das gilt überall im Sport und für den Blindenfußball vielleicht noch etwas mehr.

DFB.de: Wie geht’s den Knöcheln?

Sarikaya: Ich bin jetzt seit einiger Zeit nicht mehr umgeknickt. 2012 und 2013 hatte ich immer wieder Bänderdehnungen in beiden Sprunggelenken. Heute bin ich sehr gewissenhaft beim Tapen der Knöchel. Der Rücken zwickt gerade etwas, ich lasse das von unserem Physio behandeln.

DFB.de: Auf dem Feld gehen Sie aggressiv in die Zweikämpfe, manchmal auch mit zu großem Einsatz. Wie oft sind Sie schon vom Platz gestellt worden?

Sarikaya: Nur zweimal habe ich wirklich eine Rote Karte gezeigt bekommen. Also gar nicht so oft, aber es stimmt natürlich schon, dass ich manchmal sehr emotional reagiere. Wer Fußball gespielt, weiß doch wie es ist. Ich bin jedenfalls nicht der Typ Weichei. Manchmal kochen die Emotionen hoch. Wenn’s bei mir mal nicht läuft, will ich ruhig bleiben. Das habe ich mir jedenfalls für die neue Saison vorgenommen.

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DFB.de: Beim Länderspiel gegen England vergangenen August wurde bei einer Kontrolle der Eye Patches, mit denen die Augen abgeklebt werden, festgestellt, dass Ihre Augenbinde löchrig war. Danach stimmten Sie einer Sperre des Vereins zu und verpassten sowohl die letzten Bundesligaspiele als auch die WM in Japan.

Sarikaya: Wir haben uns damals geeinigt. Mir hat diese Pause jedenfalls gut getan, gesundheitlich, und auch sonst war es für mich wichtig, mal Abstand zu bekommen. Ich spiele mit großem Herzblut, ob für den MTV Stuttgart oder in der Nationalmannschaft. Ich habe die Entscheidung des Trainers damals akzeptiert. Jetzt fange ich, wenn man so will, wieder ganz von vorne an.

DFB.de: Sie werden jetzt wahrscheinlich immer sehr genau achten, dass die Augenbinde lückenlos abschließt.

Sarikaya: Ich spiele einfach mein Spiel. Ich lasse mich abkleben, genauso wie alle anderen Spieler auch. Und dann sollen die Schiedsrichter kontrollieren, und wenn sie nachkleben wollen, sollen sie das tun. Ich habe da nichts zu verbergen.

DFB.de: Haben Sie in dem halben Jahr überhaupt Fußball gespielt?

Sarikaya: Vor einem Monat das erste Mal wieder. Vorher habe ich mich darauf konzentriert, wieder komplett gesund zu werden und habe meinen Fuß und meinen Rücken auskuriert. Meine Gesundheit hatte absolute Priorität. Und jetzt steige ich wieder voll ein. Bis zu unserem Saisonstart in Landshut stehen etliche Testspiele an.

DFB.de: Mit Sven Schwarze kehrt nach zwei Jahren Pause ein starker Offensivspieler ins Team des MTV Stuttgart zurück.

Sarikaya: Svens Rückkehr tut uns sehr gut. Er hat eine tolle Ballführung und passt einfach in unser Team. Ich freue mich für ihn, dass er jetzt wieder spielt und uns unterstützt. Mit Florian Günther und Kurz Klatt haben wir vergangenes Jahr schon zwei junge Spieler neu ins Team genommen. Mit Blick auf die Zukunft sind beide definitiv eine Verstärkung. Wenn einer der Stammspieler mal kurz verletzt raus muss, leisten sie ihren Part.

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DFB.de: Stuttgart ist Rekordmeister, wurde vergangenes Jahr zum fünften Mal Meister. Hat Marburg überhaupt eine Chance, Sie zu stoppen?

Sarikaya: Auf jeden Fall. In der Marburger Mannschaft steckt auch dieses Jahr ungeheuer viel Potenzial. Für mich persönlich aber hat die Europameisterschaft im Sommer die weit größere Bedeutung. Ich bin jetzt fünfmal mit Stuttgart Deutscher Meister geworden. Satt ist man nie, aber irgendwann liegt der Fokus auf dem nächsten Schritt. Vor zwei Jahren belegten wir Platz 4 bei der Europameisterschaft. Jetzt wollen wir in England noch mehr erreichen. Unser Ziel sind die Paralympics 2016 in Rio. Dafür müssten wir im August in England ins EM-Finale einziehen. Eins weiß ich heute schon: wir werden dort mit 100 Prozent Leidenschaft und Freude antreten.

DFB.de: Sie haben Ihr Augenlicht mit 18 Jahren durch eine Netzhautablösung verloren. Läuft bei Ihnen ein Film ab mit den Erinnerungen an ähnliche Situationen?

Sarikaya: Nein, das funktioniert so nicht. Denn meine Bilder stammen aus dem sehenden Fußball. Heute muss ich mich ganz anders bewegen und ganz anders reagieren. Wenn ich auf dem Platz stehe, bin ich ganz in dem Moment und beschäftige mich nicht mit irgendwelchen Bildern von früher. Gerade aber gelingt mir wenig, mir fehlt einfach noch das Ballgefühl.

DFB.de: Der Blindenfußball lebt doch sehr von den spektakulären Einzelaktionen. Gleichwohl spielen Sie schon sehr lange mit Alexander Fangmann und Mulgheta Russum zusammen. Wissen Sie immer genau, wo die stehen?

Sarikaya: Das Vertrauen untereinander ist riesig. Wir wissen, glaube ich, alle drei sehr gut, was jeder von uns kann und auch nicht kann. Fehler passieren immer, man verliert auch mal beim Spielaufbau den Ball. Aber wir sind füreinander da, um auch mal einen Fehler von Alex oder Mulgheta auszubügeln.

DFB.de: Auch 2015 wird es Stadtspieltage geben, dieses Jahr in Landshut und Freiburg. Das Publikum, der Applaus, bringt Ihnen das etwas?

Sarikaya: Natürlich, das ist Gänsehaut, das ist einfach Freude, das gibt dir nochmal einen Schub. Es ist gut, dass wir dort die Gelegenheit haben zu demonstrieren, was blinde Menschen leisten können.