Auf den Spuren von Julius Hirsch

res 1942 wiederum weitere Transporte nach Minsk und Theresienstadt. Fünf Deportationen aus Wien und Berlin gingen in diesem Jahr bereits direkt nach Auschwitz. Auschwitz-Birkenau wurde aber erst ab dem Frühjahr 1943 zum Zentrum des Massenmords an der jüdischen Bevölkerung Europas. Die Politik der Vertreibungen und später der Mas- sendeportationen aus dem Deutschen Reich unter- lag jeweils temporären, ab 1939 oft kriegsbedingten Veränderungen. Über die Maßnahmen selbst ent- schied maßgeblich die NS-Führung, die konkrete Umsetzung oblag dem Reichssicherheitshauptamt (RHSA) in Berlin, in welchem ab 1939 die Sicher- heitspolizei (Kriminalpolizei und Geheime Staats- polizei/Gestapo) und der Sicherheitsdienst der SS (Schutzstaffel der NSDAP) ihren Hauptsitz hatten und welches somit als zentrale Instanz der Repres- sionsorgane im nationalsozialistischen Deutschland gelten kann. An den jeweiligen Deportationsorten waren die lokalen Stellen der Gestapo und Stapo mit der Abwicklung der Deportationen beschäftigt, häufig unterstützt von weiteren örtlichen Polizeibe- hörden und der SS. Zahlreiche Fotos und Aussagen belegen, dass die Deportationen in der Bevölkerung wahrgenommen, stellenweise gar begrüßt worden sind. DER SAMMELTRANSPORT VOM 1.–3. MÄRZ 1943 Ursprünglich war die Deportation der jüdischen Zwangsarbeiter*innen aus der Rüstungsindustrie bereits für den Herbst 1942 geplant, sie verzögerte sich jedoch bis Anfang 1943. Am 20. Februar 1943 verschickte das RSHA aktualisierte Vorschriften für die Deportationen – die „im kriegswichtigen Arbeitseinsatz“ befindlichen Jüdinnen und Juden tauchten nun nicht mehr als vom Abtransport aus- genommene Gruppe auf. 10 Die Verhaftungsaktion sollte, so ein weiterer Erlass des RSHA, bei Arbeits- beginn am 27. Februar 1943 stattfinden – und tat- sächlich wurden reichsweit tausende Menschen vor allem an diesem Tag, aber auch in den Folgetagen von ihren Arbeitsstätten verschleppt und inhaftiert. Diejenigen, die wie Julius Hirsch nicht (mehr) in einer „Mischehe“ lebten, wurden innerhalb weniger Tage nach Auschwitz deportiert. 11 Die schlagartige Verhaftung und Deportation tau- sender Menschen wich deutlich von der vorherigen Deportationspraxis der Nationalsozialisten ab und stellte eine Zäsur in der Geschichte der Deportationen dar. Allein im Monat März wurden reichsweit 12.496 Jüdinnen und Juden nach Auschwitz deportiert. 12 Den Schwerpunkt der Fabrikaktion stellte Berlin als Zentrum des Einsatzes von jüdischen Zwangsarbei- ter*innen dar: Zwischen dem 1. und dem 6. März 1943 deportierte die Gestapo in fünf Transporten rund 6.000 Menschen von dort nach Auschwitz. 13 Doch auch aus anderen Gebieten des Deutschen Reichs wurden Gruppen jüdischer Zwangsarbei- ter*innen deportiert, häufig in Sammeltransporten, die zum Teil über Tage hinweg zusammengestellt wurden. So wurde auch Julius Hirsch zunächst mit etwa 200 Menschen am 1. März 1943 aus verschie- denen Städten im Südwesten des Deutschen Reiches ins Ruhrgebiet deportiert. In Dortmund musste die Gruppe – ungewöhnlich für die Deportationspraxis der Nationalsozialisten – am Abend den Zug ver- lassen und in der Dortmunder „Börse“, einer alten Viehhalle, übernachten. So gelang es Julius Hirsch vermutlich, sein letztes Lebenszeichen zu senden: eine in Dortmund abgestempelte Geburtstagskarte an seine Tochter: „Meine Lieben! Bin gut gelandet, es geht gut. Julius. Komme nach Oberschlesien, noch in Deutschland. Herzliche Grüße und Küsse Euer Juller“. In Dortmund waren sowohl in der Sammelstelle „Börse“ als auch im „Deutschen Haus“ jüdische Zwangsarbeiter*innen aus der Stadt Dortmund und den Regierungsbezirken Arnsberg und Rhein-

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