Auf den Spuren von Julius Hirsch

DEPORTATION IM MÄRZ 1943 | 29 aus dem Fußball mitwirken zu wollen. In seiner Aus- stiegserklärung an den Verein listete Julius Hirsch seine Militärdienste sowie die seiner Familie auf und bemerkte: „Nicht unerwähnt möchte ich aber lassen, dass in dem heute so gehassten Prügelkinde der deutschen Nation auch anständige Menschen und vielleicht noch viel mehr national denkende und auch durch die ‚Tat bewiesene und durch das Herzblut vergossene‘ deutsche Juden gibt.“ Die starke Identifikation mit Deutschland ist einer der Gründe dafür, dass es selten ältere Jüdinnen und Juden waren, die das Land verließen – für Jüngere waren wiederum oft Eltern oder andere Verwandte, die an ihrer als solche wahrgenommenen Heimat festhielten, ein Grund, nicht zu fliehen. Und für jene, die ins europäische Ausland geflohen waren, bedeu- tete die Besetzung weiter Teile Europas durch die deutsche Wehrmacht mit Kriegsbeginn 1939 letzt- lich doch ihre Verhaftung. Bereits 1938 ging die NS-Führung dazu über, Kollek- tivausweisungen gegen bestimmte Gruppen der jüdi- schen Bevölkerung anzuordnen, so zum Beispiel im Oktober 1938 die gewaltsame Abschiebung von rund 17.000 Jüdinnen und Juden mit polnischer Staatsan- gehörigkeit in die Grenzregion zwischen dem Deut- schen Reich und Polen. Seit dem Angriff Deutsch- lands auf Polen im September 1939 fanden immer wieder Deportationen großer Gruppen statt: Mehrere tausend Jüdinnen und Juden wurden im Oktober 1939 aus Wien, Mährisch-Ostrau und Kattowitz nach Nisko deportiert, ein Großteil der jüdischen Bevölke- rung aus Baden und der Pfalz war bereits 1940 ins unbesetzte Frankreich verschleppt worden. Der Beginn der systematischen Massendeportatio- nen aus dem Deutschen Reich wird zumeist auf den 18. Oktober 1941 datiert, als in einem ersten Trans- port 1.013 Berliner Jüdinnen und Juden ins Ghetto Litzmannstadt (im heutigen Łód ź /Polen) deportiert wurden. Von nun an verschleppten die deutschen Behörden unter Mitwirkung der Reichsbahn in regelmäßigen Transporten Jüdinnen und Juden aus dem Deutschen Reich. Diese ersten Massendeportationen gingen zunächst in die Ghettos in den besetzten Ostgebieten in Polen, dem Baltikum und in Belarus. Diese waren oftmals kurz nach der Besatzung errichtet worden, um die lokale jüdische Bevölkerung zu kontrollie- ren. Als ab Herbst 1941 die jüdische Bevölkerung des Deutschen Reiches in jene Ghettos deportiert wurde, hatte die Ermordung ihrer bisherigen Bewohner*innen bereits begonnen. Die Deportationen „in den Osten“ setzten also weit vor der bekannten Wannsee-Kon- ferenz ein, auf der entgegen einer bis heute verbrei- teten Auffassung die Ermordung der europäischen Jüdinnen und Juden nicht beschlossen, sondern die Ausweitung der bereits begonnenen Mordaktionen organisiert wurde. 8 Ab März 1942 wurden ca. 50.000 Jüdinnen und Juden aus dem Reichsgebiet und den „angeschlos- senen Gebieten“ in Ghettos im Generalgouver- nement im besetzten Polen deportiert. Zeitgleich begann dort die später sogenannte „Aktion Rein- hard“: die Ermordung des Großteils der jüdischen Bevölkerung Polens. Mit den polnischen Jüdinnen und Juden wurden auch die deutschen Deportierten in den drei großen Mordlagern Treblinka, Sobibor und Belzec ermordet. In Sobibor wurde nach einem Häftlingsaufstand im Oktober 1943 das letzte der drei Lager geschlossen. Insgesamt wurden in der „Aktion Reinhard“ zwischen März 1942 und Oktober 1943 mindestens 1,8 Mio. Jüdinnen und Juden und einige zehntausend Sinti und Roma ermordet. 9 Die Lager der „Aktion Reinhard“ wurden bis zum Frühjahr 1944 fast vollständig von den Nazis zerstört, um die Spuren ihrer Verbrechen zu verwischen. Im Frühjahr 1942 entwickelte sich das Konzentrati- onslager Auschwitz ebenfalls zum Vernichtungsla- ger. Aus dem Reichsgebiet gingen im Laufe des Jah-

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