Holger Ballwanz: "Der ganze Verein will nach Berlin"

Ballwanz: Auf dieses konkrete Spiel bezogen, kann ich das sehr wohl nachvollziehen. Mir ging es damals ja nicht anders. Die Niederlage tat allen bei uns weh. Und unsere Fans hat es ins Mark getroffen, ausgerechnet gegen die Nachbarstadt zu verlieren. Ansonsten kann ich die Aussage, belächelt zu werden, nicht mehr hören. Unsere Fanbasis ist kleiner als die anderer Vereine, das stimmt. Aber wir wachsen stetig und können selbstbewusst sein. Jeder Fan lebt den VfL genau so wie jeder andere Fan seinen Verein. Es gibt viele gute Gründe, stolz auf den Verein zu sein. Sollten unsere Fans tatsächlich noch belächelt werden, sollten sie selbstbewusst darüber hinweg lächeln.

DFB.de: Die Zahl der VfL-Fans steigt stetig, ein Ende ist nicht erreicht. Ist dieser Anstieg alleine vom sportlichen Erfolg des Teams abhängig? Als erster Klub der Bundesliga hat der VfL Wolfsburg einen Nachhaltigkeitsbericht veröffentlicht.

Ballwanz: Wie gesagt: Der VfL ist kein gewöhnlicher Verein. Der Klub leistet auch außerhalb des Fußballs und insbesondere im sozialen Bereich Großartiges. Darauf können wir stolz sein, und dadurch gewinnen wir viele Sympathien.

DFB.de: Der VfL Wolfsburg steht im Halbfinale des DFB-Pokals. Sie kennen diese Situation. Nehmen Sie uns doch mal mit auf eine Zeitreise. Heute vor 19 Jahren. Wie war das damals genau, der VfL als Zweitligist beim großen FC in Köln…

Ballwanz: Es war schon eine große Überraschung, dass wir überhaupt ins Halbfinale gekommen sind. Zumal wir in der gesamten Pokal-Saison nur Auswärtsspiele hatten. Der Weg ins Halbfinale verlief über Bayern II und die TSV Vestenbergsgreuth, die im Jahr zuvor die Bayern ausgeschaltet hatte. Der Weg war also steinig. So ging das im Halbfinale weiter. Wieder ein Auswärtsspiel, diesmal gegen einen Bundesligisten, in dessen Reihen etliche Nationalspieler standen. Der VfL war damals eine ganz kleine Nummer und klarer Außenseiter. Dass wir uns dort durchgesetzt haben, war für den gesamten Verein ein grandioser Erfolg. Bis zum diesem Zeitpunkt, war so etwas eigentlich undenkbar. Umso schöner war, dass wir als David Goliath geschlagen haben.

DFB.de: Im Finale waren Sie verletzt, der VfL unterlag 0:3 gegen Mönchengladbach. Trotzdem – war Berlin damals für Sie dennoch eine Reise wert?

Ballwanz: Ich stand mit viel Wehmut am Spielfeldrand. Gerd Roggensack, unser Trainer, hatte mich noch am Morgen des Spiels gefragt, ob ich spielen kann - obwohl ich zwei Wochen lang überhaupt nicht trainiert hatte. Ich war vernünftig. Weil ich wusste, dass ich niemandem helfe, wenn ich unfit auf den Platz gehe und nach zehn Minuten wieder ausgewechselt werden muss. Das war sehr bitter für mich - trotzdem habe ich das Erlebnis Pokalfinale genossen. Es tat weh, nicht mitwirken zu können. Aber alles Drumherum habe ich ganz bewusst erlebt. Es war immer mein großes Ziel, das Pokalfinale zu erleben. Und es bleibt mein Ziel, den Pokal zu gewinnen. Als Spieler sollte es nicht sein - umso mehr würde ich mich freuen, wenn ich einen Pokaltriumph nun als Fanbeauftragter mitmachen kann.

DFB.de: Dafür muss der VfL den BVB schlagen. Dortmund und Wolfsburg sind sportlich nicht weit auseinander. Was die Fan-Basis und die Stimmung im Stadion betrifft, allerdings sehr wohl. Sind Sie mitunter ein wenig neidisch auf Ihre Kollegen beim BVB?



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41 Spiele für den Hamburger SV, drei für Hannover 96 – die Stationen im Norden sind der Rahmen der Profikarriere von Holger Ballwanz. Gefüllt ist dieser mit einer langen Zeit beim VfL Wolfsburg. 199 Spiele hat Ballwanz für die Wölfe bestritten, mit Wolfsburg stieg er in die Bundesliga auf, mit Wolfsburg erreichte er das Finale des DFB-Pokals. Heute ist der 46-Jährige Fanbeauftragter des VfL. Vor dem Halbfinale im DFB-Pokal bei Borussia Dortmund heute Abend (ab 20.30 Uhr, live in der ARD und auf Sky) hat Ballwanz mit Redakteur Steffen Lüdeke über seinen Werdegang, das Image der Fans des VfL und die gar nicht so kleinen Chancen gegen Dortmund gesprochen.

DFB.de: Herr Ballwanz, früher waren Sie selber Profi und wurden von den Fans gefeiert. Heute sind Sie Fan-Beauftragter. Ein eher ungewöhnlicher Werdegang. Wie kam es dazu?

Holger Ballwanz: Extrem außergewöhnlich ist diese Geschichte nun auch nicht. Zu der Zeit, als ich meine aktive Karriere beendet habe, gab es relativ viele Fan-Beauftragte, die früher Profis waren. Das hat sich ein wenig gewandelt. Mittlerweile sind dies neben mir nur noch Raimond Aumann in München und Peter Reichert in Stuttgart. Wie es bei mir dazu gekommen ist, ist leicht zu beantworten: Mir wurde dieser Job angeboten – und ich habe das Angebot angenommen.

DFB.de: So einfach?

Ballwanz: Im Grunde schon. Ich war zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Damals hatte der DFB einen hauptamtlichen Fanbeauftragten zur Lizenzierungsbedingung gemacht. In Wolfsburg gab es einen solchen vorher nicht, und so hat mir Peter Pander diesen Posten angeboten. Wobei ich nicht sofort zugesagt, sondern mir ein wenig Bedenkzeit erbeten hatte.

DFB.de: Was sprach dafür, den Job anzunehmen. Und was dagegen?

Ballwanz: Die Liste mit den Minuspunkten war ziemlich kurz. Als Profi kennt man das "normale" Arbeitsleben, einen Büroalltag, nicht. Für mich war deswegen vieles neu und ich wusste nicht, wie ich darauf reagieren würde. Aber das hätte ich bei jedem anderen Job auch gehabt. Für mich war entscheidend, dass mich dieser Job sehr gereizt hat und er mir die Möglichkeit bot, im Fußball zu bleiben. Als Spieler hatte ich immer einen guten Draht zu den Fans. Wenn man so will, war ich immer ein Fan der Fans. Da lag es nahe, diese Kontakte als Fanbeauftragter zu intensivieren.

DFB.de: War der Fan-Beauftragte früher selber Fan? Welchem Verein haben Sie die Daumen gedrückt?

Ballwanz: Ich gestehe: Ich komme aus dem hohen Norden, aus Schleswig-Holstein - und war als Kind HSV-Fan. Mit einem klassischen Hintergrund. Als ich elf oder zwölf Jahre alt war, hat mich mein Patenonkel zum ersten Mal mit ins Stadion genommen. So wurde ich Fan des HSV. Dies bin ich geblieben, bis ich selber für den HSV gespielt habe. Für mich hat sich damit ein Kindheitstraum erfüllt. Doch das eigene Fan-Sein kühlt sich ab, wenn man Spieler des Vereins ist, dem man früher die Daumen gedrückt hat. Das geht nicht nur mir so, das höre ich von anderen auch. Letztlich wird Emotionalität von Professionalität ersetzt. Aber es ist noch heute so, dass ich eine gewisse Sympathie für den HSV hege.

DFB.de: Wie intensiv war in Ihrer Kindheit und Jugend Ihre Leidenschaft für den HSV?

Ballwanz: Ich war kein Hardcore-Fan. Aber es gab eine Zeit, in der ich mit vier, fünf Freunden beinahe zu jedem Heimspiel gefahren bin. Intensiver aber war es nicht, auswärts war ich so gut wie nie.

DFB.de: Muss ein Fan-Beauftragter selber Fan gewesen sein? Hilft Ihnen diese Vergangenheit, die Belange der Fans besser nachvollziehen zu können?

Ballwanz: Es schadet jedenfalls nicht. Wobei klar ist, dass sich die Fanszene komplett verändert hat. In den vergangenen 13 Jahren habe ich in Wolfburg eine andere Generation Fans erlebt, Ende der 80er-Jahre war das Bild noch ganz anders. Es gab die typischen Kuttenträger, es gab viele Hooligans, die der Fußball im Grunde nicht interessierte. Das lässt sich mit heute kaum noch vergleichen. Zum Glück.

DFB.de: Beschreiben Sie doch mal Ihr Job-Profil. Mit welchen Herausforderungen werden Sie als Fan-Beauftragter des VfL Wolfsburg täglich konfrontiert?

Ballwanz: Wo soll ich da anfangen? Wie sagt man so schön… als Fanbeauftragter ist man mitunter die eierlegende Wollmilchsau. Natürlich bin ich in erster Linie Ansprechpartner für die Fans, diene als Mittler zwischen Verein und Anhängern. Als Vertreter des Vereins kümmere ich mich um die Unterstützung unserer Fan-Klubs, das sind inzwischen mehr als 100. Die Organisation der Auswärtsfahrten liegt bei mir und meinem Team. Vor Ort bin ich Ansprechpartner für Fans und Fanklubs und bin daneben in die Abläufe rund um die Organisation der Mannschaft involviert.

DFB.de: Wo verfolgen Sie die Spiele? In der Kurve? Im Innenraum? Auf der Haupttribüne?

Ballwanz: Auswärts immer in der Kurve. Bei Heimspielen habe ich keinen festen Platz. Da bin ich ziemlich viel unterwegs und immer dort, wo es gerade nötig ist.

DFB.de: Wie würden Sie die Fanszene in Wolfsburg im Vergleich zu der anderer Klubs charakterisieren?

Ballwanz: Eigentlich ist es bei uns nicht anders als bei anderen Vereinen. Mit einem Unterschied: Wir sind nicht so viele. Wolfsburg ist eine kleine Stadt, das wirkt sich natürlich auf die Zahl der Anhänger aus. Aber ansonsten haben wir das gleiche Klientel, die gleiche Leidenschaft und die gleiche Emotion unter unseren Fans, wie bei anderen Vereinen auch.

DFB.de: Stimmt das wirklich? Wolfsburg ist der Bundesligist mit dem höchsten Frauenanteil unter den Fans. Außerdem sind in keinem anderen Stadion so viele Familien.

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Ballwanz: Das ist beides richtig. Und auf beides sind wir stolz. In Wolfsburg ist jeder dritte Fan weiblich. Die Auslastung unseres Familienblocks ist schon seit einem Jahrzehnt extrem hoch. Insofern sind wir durchaus ein etwas anderer Verein. Das bedeutet aber nicht, dass unsere Fans mit weniger Leidenschaft bei der Sache wären. Die Fans hier fiebern genauso mit ihrem Team mit, wie die anderer Vereine.

DFB.de: Es gibt in Deutschland unter den Fans beliebtere Vereine als den VfL Wolfsburg. Eine Fan-Umfrage der Bild Zeitung kommt zu dem Ergebnis, das Wolfburg im Fan-Ranking ein Zweitligist ist… Ist dies für Sie relevant?

Ballwanz: Wir kennen das hier nicht anders. Im Grunde leben wir mit dieser Ablehnung seit dem Aufstieg in die Bundesliga. Und wir können gut mit ihr leben. Wir wissen, dass VW dem Verein Möglichkeiten bietet, die andere nicht haben. Hinter der Ablehnung verbürgt sich also viel Neid. Neid insbesondere der Fans, die sich als "traditionell" bezeichnen. Für uns hat das keine große Bedeutung, diesen Neid werden wir nicht ändern. Schlechter wäre Mitleid.

DFB.de: Aber gibt es nicht mitunter auch Mitleid? Nach der 0:2-Pleite im Derby zu Hause gegen Eintracht Braunschweig haben Fans der Wölfe einen Brief an den Verein geschrieben. Darin heißt es: "Ihr habt nicht verstanden, was es bedeutet, VfL-Fan zu sein und immer belächelt oder niedergemacht zu werden." Können Sie dieses Empfinden von Teilen der Fans nachvollziehen?

Ballwanz: Auf dieses konkrete Spiel bezogen, kann ich das sehr wohl nachvollziehen. Mir ging es damals ja nicht anders. Die Niederlage tat allen bei uns weh. Und unsere Fans hat es ins Mark getroffen, ausgerechnet gegen die Nachbarstadt zu verlieren. Ansonsten kann ich die Aussage, belächelt zu werden, nicht mehr hören. Unsere Fanbasis ist kleiner als die anderer Vereine, das stimmt. Aber wir wachsen stetig und können selbstbewusst sein. Jeder Fan lebt den VfL genau so wie jeder andere Fan seinen Verein. Es gibt viele gute Gründe, stolz auf den Verein zu sein. Sollten unsere Fans tatsächlich noch belächelt werden, sollten sie selbstbewusst darüber hinweg lächeln.

DFB.de: Die Zahl der VfL-Fans steigt stetig, ein Ende ist nicht erreicht. Ist dieser Anstieg alleine vom sportlichen Erfolg des Teams abhängig? Als erster Klub der Bundesliga hat der VfL Wolfsburg einen Nachhaltigkeitsbericht veröffentlicht.

Ballwanz: Wie gesagt: Der VfL ist kein gewöhnlicher Verein. Der Klub leistet auch außerhalb des Fußballs und insbesondere im sozialen Bereich Großartiges. Darauf können wir stolz sein, und dadurch gewinnen wir viele Sympathien.

DFB.de: Der VfL Wolfsburg steht im Halbfinale des DFB-Pokals. Sie kennen diese Situation. Nehmen Sie uns doch mal mit auf eine Zeitreise. Heute vor 19 Jahren. Wie war das damals genau, der VfL als Zweitligist beim großen FC in Köln…

Ballwanz: Es war schon eine große Überraschung, dass wir überhaupt ins Halbfinale gekommen sind. Zumal wir in der gesamten Pokal-Saison nur Auswärtsspiele hatten. Der Weg ins Halbfinale verlief über Bayern II und die TSV Vestenbergsgreuth, die im Jahr zuvor die Bayern ausgeschaltet hatte. Der Weg war also steinig. So ging das im Halbfinale weiter. Wieder ein Auswärtsspiel, diesmal gegen einen Bundesligisten, in dessen Reihen etliche Nationalspieler standen. Der VfL war damals eine ganz kleine Nummer und klarer Außenseiter. Dass wir uns dort durchgesetzt haben, war für den gesamten Verein ein grandioser Erfolg. Bis zum diesem Zeitpunkt, war so etwas eigentlich undenkbar. Umso schöner war, dass wir als David Goliath geschlagen haben.

DFB.de: Im Finale waren Sie verletzt, der VfL unterlag 0:3 gegen Mönchengladbach. Trotzdem – war Berlin damals für Sie dennoch eine Reise wert?

Ballwanz: Ich stand mit viel Wehmut am Spielfeldrand. Gerd Roggensack, unser Trainer, hatte mich noch am Morgen des Spiels gefragt, ob ich spielen kann - obwohl ich zwei Wochen lang überhaupt nicht trainiert hatte. Ich war vernünftig. Weil ich wusste, dass ich niemandem helfe, wenn ich unfit auf den Platz gehe und nach zehn Minuten wieder ausgewechselt werden muss. Das war sehr bitter für mich - trotzdem habe ich das Erlebnis Pokalfinale genossen. Es tat weh, nicht mitwirken zu können. Aber alles Drumherum habe ich ganz bewusst erlebt. Es war immer mein großes Ziel, das Pokalfinale zu erleben. Und es bleibt mein Ziel, den Pokal zu gewinnen. Als Spieler sollte es nicht sein - umso mehr würde ich mich freuen, wenn ich einen Pokaltriumph nun als Fanbeauftragter mitmachen kann.

DFB.de: Dafür muss der VfL den BVB schlagen. Dortmund und Wolfsburg sind sportlich nicht weit auseinander. Was die Fan-Basis und die Stimmung im Stadion betrifft, allerdings sehr wohl. Sind Sie mitunter ein wenig neidisch auf Ihre Kollegen beim BVB?

Ballwanz:Neidisch bin ich gar nicht, jeder Verein ist anders. Ich freue mich für Dortmund, Ihre Fans sind einzigartig, die Unterstützung ist gewaltig. Aber auch wir müssen uns nicht verstecken, schon gar nicht mit Blick aufs Halbfinale des DFB-Pokals. Die Mannschaft wird von knapp 6000 Fans begleitet werden, in dieser Zahl haben wir so etwas noch nicht erlebt. Für unsere Fans ist dieses Spiel ein großes Highlight, es ist zu spüren, wie sehr alle dem Spiel entgegenfiebern.

DFB.de: Was macht Sie optimistisch, dass die Wölfe beim BVB bestehen können?

Ballwanz: Ich gehe optimistisch in jedes Spiel. Und ganz ehrlich – ich sehe bei solchen Spielen eine 50/50-Chance. Die Konstellation lässt sich mit einem Spiel in der Bundesliga nicht vergleichen. Wir sind gut drauf, wir haben starke Nerven. Und einen großen Willen. Mit dem Einzug ins Pokalfinale könnten wir eine gute Saison noch mehr schmücken. Wir alle träumen von diesem Highlight. Deswegen fahren heute so viele Fans mit nach Dortmund. Der ganze Verein will nach Berlin.