Gerdes: Mit Zusammenhalt zurück ins Leben

Nach einer Verletzung beim Hallenfußball erlitt Olaf Gerdes eine Streptokokken-Infektion, in deren Folge ihm beide Unterschenkel und ein Unterarm amputiert werden mussten. Vieles ist seither anders geworden. Was ihn jedoch von Anfang an ungebrochen begleitet, ist sein Ehrgeiz, seine Beharrlichkeit – und die Unterstützung durch seine Familie und seine Fußballkollegen.

Es ist trist an diesem Tag. Ganz Ostfriesland liegt unter einer dichten Nebeldecke, und auch Ihrhove, der kleine Ort nahe Leer, macht keine Ausnahme. Das Einfamilienhaus der Gerdes‘ im Neubauviertel strahlt trotzdem – schon, weil Anni und Mila aus dem Küchenfenster winken. Am Eingang steht "Moin, Moin", das sagt man hier, und außerdem "willkommen". Im Haus geht es lebhaft zu, und das liegt in erster Linie an Anni. Sie hat sich längst wieder ihrer eigentlichen Aufgabe gewidmet und testet ausgiebig, wie gut Spaghetti fliegen können. Die Kleine gilt im Kindergarten als Sonnenschein, aber heute wagt sie einen Stresstest mit der Geduld ihrer Mutter Maike. Derweil hat sich Mila wieder ihrem Buch zugewandt, sie geht ja nun in die Schule, und Vater Olaf sitzt bereits im Wohnzimmer. Er wird gleich seine Geschichte erzählen.

"Eigentlich war es nur ein Kratzer am Ellenbogen", sagt der 39-Jährige. Im Januar 2018 hatte er mit den 1. Herren des SV Concordia Ihrhove an einem Hallenturnier teilgenommen. Den Kratzer am Ellenbogen holte sich der Torhüter bei einer Rettungsaktion. So etwas kommt vor, jeden Tag in jeder Halle. Zunächst gab es auch für Gerdes keinen Grund, die kleine Wunde zu beachten. Drei Tage später stellte sich die Situation ganz anders dar: Es ging ihm richtig schlecht, er musste schnell ins Krankenhaus: "Wir sind in die Notaufnahme, danach weiß ich nichts mehr." Aus dem Kratzer am Ellenbogen, nach dem ersten Röntgen als Prellung diagnostiziert, war eine lebensbedrohliche Erkrankung geworden. Beim Sturz auf den Hallenboden gelangten nämlich Streptokokken in die kleine Wunde. Es gibt Arten dieser Bakterien im menschlichen Körper, und das ist ganz natürlich. Die Streptokokken, um die es bei Olaf Gerdes ging, verursachten eine Blutvergiftung. Und weil diese bereits fortgeschritten war, verlor er das Bewusstsein – Multi-Organversagen.

"Es war ein Albtraum", sagt Maike Gerdes. Ihr Mann war damals ins künstliche Koma versetzt worden. Weil sich in Deutschland kein Platz in einer Spezialklinik finden ließ, wurde er bald nach Groningen verlegt, gleich hinter der niederländischen Grenze. "Die ersten Tage habe ich nicht gewusst, ob er es schafft", erinnert sich Maike Gerdes. Dann lächelt sie. Er hat es geschafft, und das ist für die 37-Jährige ein "absolutes Wunder". Allerdings ist eine Menge passiert auf dem Weg vom Albtraum zum Wunder. Der Olaf Gerdes von heute ist ein Mann, der zufrieden wirkt und in sich zu ruhen scheint. Aber der Olaf Gerdes von heute ist ein anderer Mann als noch vor zwei Jahren. Als Folge der Blutvergiftung mussten ihm beide Unterschenkel, der rechte Unterarm und Teile der linken Hand amputiert werden. Man kann sich vorstellen, was diese Nachricht für Maike Gerdes bedeutete. Sie wusste: Ihr Mann, damals noch im künstlichen Koma, würde nicht mehr derselbe sein. "Dabei war Olaf immer ein sehr aktiver Mensch." Das war schlimm, noch schlimmer aber waren die Gedanken an das Ende des künstlichen Komas. Niemand wusste, ob er diese Zeit ohne Folgeschäden überstehen würde. "Sie wussten ja nicht, ob ich klar im Kopf bin", sagt Olaf Gerdes.

Aufgeben? Keine Option!

Er war klar im Kopf, als er einige Wochen später ins Leben zurückgeholt wurde. "Aber ich realisierte erst nach und nach, was passiert war", sagt Gerdes. Es begann eine Zeit mit Albträumen, Schmerzen und Tränen, und am Ende stand die bittere Erkenntnis: "Nie wieder das Leben, das ich zuvor geführt habe." In manchen Momenten fragte sich Olaf Gerdes, "ob es überhaupt noch Sinn macht?" Die völlig neue Lebenssituation, und dann fehlte nach den schweren Monaten auch jede Kraft, körperlich wie mental. Aus dem einst so lebenstüchtigen Mann wurde ein Patient mit einer schwierigen Prognose. Aber wirklich gezweifelt an sich und der nun kommenden Aufgabe hat er eigentlich nie. "Ich hatte meine tolle Familie vor Augen: Meine Frau, die durch die Hölle gegangen ist, und meine Kinder. Sollten sie ohne ihren Vater aufwachsen?" Aufgeben war keine Option.

Zu Hause in Ihrhove dachte man ähnlich. "Dass er ehrgeizig ist, kannten wir vom Fußball", sagt Jörg Klüver. Er glaubte fest an seinen Freund. Aber der Kampf, der nun vor Olaf Gerdes lag, war deutlich härter als 90 Minuten auf dem Platz. "Ich versuchte, Schritt für Schritt den Kampf aufzunehmen", sagt Gerdes. Einen ersten Teilerfolg verbuchte er im Sommer vorigen Jahres, als er das Krankenhaus verlassen und die Reha beginnen konnte. Das "stramme Trainingsprogramm" hatte es zwar in sich. Aber Gerdes war stärker, und seine Frau war es auch: Sie machte sich jeden Tag auf den Weg in die Niederlande, außer am Sonntag.

"Ich hatte damals eine tolle Unterstützung durch meine Eltern und die Geschwister", sagt Maike Gerdes. Das Leben in Ihrhove musste ja auch irgendwie weitergehen – und hier zeigte sich die Hilfsbereitschaft der Menschen ganz besonders. Denn die Familie erreichten nicht nur kleine Geschenke sowie zahllose Briefe und Karten mit den besten Wünschen, auch von fremden Leuten aus dem Landkreis. Die Vereinskollegen von Concordia organisierten zudem eine Art Hilfsdienst, erledigten Einkäufe, kümmerten sich um den Garten und initiierten eine Spendenaktion mit der Kirche. "Das bringt eine Freundschaft mit sich", findet Jörg Klüver. Er macht nicht viel Aufhebens um diese Sachen. Das macht keiner in Ihrhove. "Du bist ein ganz normales Mitglied, aber wenn so etwas passiert, steht das ganze Dorf hinter dir", sagt Olaf Gerdes. Er war sehr gerührt von der Anteilnahme und der Unterstützung. Er hatte auch zweifellos ein paar sehr emotionale Momente hinter sich im Sommer 2018. Aber das war längst noch nicht alles.

Weil er es fest versprochen hatte, unterbrach Olaf Gerdes seine Reha, um zur Einschulung von Tochter Mila in Ihrhove zu sein. Mit einem Rollstuhl fuhr er damals in die Kirche, wo die Feierlichkeiten stattfanden – begleitet von ein paar hundert Menschen und ihrem Applaus. "Da kommen einem die Tränen, ich war überwältigt", erinnert sich Gerdes. Ganz ähnlich verhielt es sich ein paar Wochen später, beim Benefizspiel zwischen einer lokalen Auswahl und der Traditionsmannschaft von Borussia Dortmund, Gerdes‘ Lieblingsverein. Das hatte Concordia Ihrhove gemeinsam mit der HSG Leer und dem VfR Heisfelde auf die Beine gestellt, in monatelanger Arbeit. "Jeder hat etwas beigetragen, und das hat uns bis heute zusammengeschweißt", sagt Beene Oldigs, Vorstandsmitglied und Ortsbürgermeister in Ihrhove.

You'll never walk alone

Während in der Heimat gekickt wurde, blieb Gerdes diesmal allerdings in der Reha. Gemeinsam mit seiner Frau wurde er aber durch zahlreiche Videos über das Geschehen informiert, beinahe in Echtzeit. Also sahen die Gerdes, wie in Ihrhove rund 3000 Zuschauer "You‘ll never walk alone" sangen. Tränen der Rührung, einmal mehr. Gerdes lässt keinen Zweifel daran, wie gut ihm diese Bilder getan haben. Auch die vielen Kontakte in der Heimat, nach 316 Tagen in Krankenhaus und Reha-Klinik, wirkten wie ein Balsam auf seiner Seele, unerlässlich zudem die Hilfe durch seine engagierte Ergotherapeutin. Heute beantwortet er die Frage "Wie geht's" nicht mehr mit "Im Moment gar nicht". 

Der Galgenhumor ist einer festen Zuversicht gewichen. Und es stimmt ja auch gar nicht mehr: Olaf Gerdes geht wieder, an Prothesen, und er hat es viel schneller gelernt, als die Mediziner dachten. Aber so ist er eben: Irgendwie geht es immer weiter. Bald schon erhält Gerdes eine funktionstüchtige Armprothese, und seit einigen Wochen fährt er wieder mit dem Auto. Das ist wichtig, weil er seine Familie nun unterstützen und im Januar mit der Wiedereingliederung bei Siempelkamp, einem Kranbauer in Moormerland, beginnen kann. Aus dem engen Kontakt zur Concordia Ihrhove ist zudem längst wieder eine Zusammenarbeit geworden, wenn auch auf einer ganz anderen Ebene. Denn mittlerweile unterstützt Gerdes seinen Verein am Computer, kümmert sich unter anderem um die Homepage des Vereins. Gut möglich auch, dass er bald mal wieder eine Handballmannschaft trainiert.

"Wir werden kein normales Leben haben, aber ein anderes, schönes Leben", sagt Maike Gerdes. Ihre Welt hat sich verändert in den vergangenen Jahren: "Sie ist besonders geworden durch diese Menschlichkeit." Auch Jörg Klüver "sieht das Leben anders." Wenn es mal wieder hier und da zwickt, dann denkt er jetzt: "Hör‘ auf zu jaulen." Olaf Gerdes hört diese Worte und weiß sehr gut, was seine Frau und sein Freund meinen. Was er sich wünscht? Dass es so weitergeht wie bisher und auch die Wiedereingliederung in seinen Job als Einkäufer klappt. Und dann gibt es noch dieses eine Ziel: "Ich möchte wieder richtig laufen können", sagt Olaf Gerdes. Mit den normalen Prothesen geht das allerdings nicht. "Ich brauche dazu Carbon-Sprungfedern, also auch einen Sponsor“, sagt Gerdes mit einem Lachen. Er schätzt, dass rund 20.000 Euro nötig wären, und das ist angesichts der laufenden Kosten einfach nicht zu stemmen. "Wir können aber mit dir laufen üben", flüstert Anni, und ihr Vater lächelt der Kleinen zu. Eine ganz normale Familie sind diese Gerdes vielleicht nicht, doch sie sind auf dem Weg, wieder eine glückliche zu werden.

[dfb]

Nach einer Verletzung beim Hallenfußball erlitt Olaf Gerdes eine Streptokokken-Infektion, in deren Folge ihm beide Unterschenkel und ein Unterarm amputiert werden mussten. Vieles ist seither anders geworden. Was ihn jedoch von Anfang an ungebrochen begleitet, ist sein Ehrgeiz, seine Beharrlichkeit – und die Unterstützung durch seine Familie und seine Fußballkollegen.

Es ist trist an diesem Tag. Ganz Ostfriesland liegt unter einer dichten Nebeldecke, und auch Ihrhove, der kleine Ort nahe Leer, macht keine Ausnahme. Das Einfamilienhaus der Gerdes‘ im Neubauviertel strahlt trotzdem – schon, weil Anni und Mila aus dem Küchenfenster winken. Am Eingang steht "Moin, Moin", das sagt man hier, und außerdem "willkommen". Im Haus geht es lebhaft zu, und das liegt in erster Linie an Anni. Sie hat sich längst wieder ihrer eigentlichen Aufgabe gewidmet und testet ausgiebig, wie gut Spaghetti fliegen können. Die Kleine gilt im Kindergarten als Sonnenschein, aber heute wagt sie einen Stresstest mit der Geduld ihrer Mutter Maike. Derweil hat sich Mila wieder ihrem Buch zugewandt, sie geht ja nun in die Schule, und Vater Olaf sitzt bereits im Wohnzimmer. Er wird gleich seine Geschichte erzählen.

"Eigentlich war es nur ein Kratzer am Ellenbogen", sagt der 39-Jährige. Im Januar 2018 hatte er mit den 1. Herren des SV Concordia Ihrhove an einem Hallenturnier teilgenommen. Den Kratzer am Ellenbogen holte sich der Torhüter bei einer Rettungsaktion. So etwas kommt vor, jeden Tag in jeder Halle. Zunächst gab es auch für Gerdes keinen Grund, die kleine Wunde zu beachten. Drei Tage später stellte sich die Situation ganz anders dar: Es ging ihm richtig schlecht, er musste schnell ins Krankenhaus: "Wir sind in die Notaufnahme, danach weiß ich nichts mehr." Aus dem Kratzer am Ellenbogen, nach dem ersten Röntgen als Prellung diagnostiziert, war eine lebensbedrohliche Erkrankung geworden. Beim Sturz auf den Hallenboden gelangten nämlich Streptokokken in die kleine Wunde. Es gibt Arten dieser Bakterien im menschlichen Körper, und das ist ganz natürlich. Die Streptokokken, um die es bei Olaf Gerdes ging, verursachten eine Blutvergiftung. Und weil diese bereits fortgeschritten war, verlor er das Bewusstsein – Multi-Organversagen.

"Es war ein Albtraum", sagt Maike Gerdes. Ihr Mann war damals ins künstliche Koma versetzt worden. Weil sich in Deutschland kein Platz in einer Spezialklinik finden ließ, wurde er bald nach Groningen verlegt, gleich hinter der niederländischen Grenze. "Die ersten Tage habe ich nicht gewusst, ob er es schafft", erinnert sich Maike Gerdes. Dann lächelt sie. Er hat es geschafft, und das ist für die 37-Jährige ein "absolutes Wunder". Allerdings ist eine Menge passiert auf dem Weg vom Albtraum zum Wunder. Der Olaf Gerdes von heute ist ein Mann, der zufrieden wirkt und in sich zu ruhen scheint. Aber der Olaf Gerdes von heute ist ein anderer Mann als noch vor zwei Jahren. Als Folge der Blutvergiftung mussten ihm beide Unterschenkel, der rechte Unterarm und Teile der linken Hand amputiert werden. Man kann sich vorstellen, was diese Nachricht für Maike Gerdes bedeutete. Sie wusste: Ihr Mann, damals noch im künstlichen Koma, würde nicht mehr derselbe sein. "Dabei war Olaf immer ein sehr aktiver Mensch." Das war schlimm, noch schlimmer aber waren die Gedanken an das Ende des künstlichen Komas. Niemand wusste, ob er diese Zeit ohne Folgeschäden überstehen würde. "Sie wussten ja nicht, ob ich klar im Kopf bin", sagt Olaf Gerdes.

Aufgeben? Keine Option!

Er war klar im Kopf, als er einige Wochen später ins Leben zurückgeholt wurde. "Aber ich realisierte erst nach und nach, was passiert war", sagt Gerdes. Es begann eine Zeit mit Albträumen, Schmerzen und Tränen, und am Ende stand die bittere Erkenntnis: "Nie wieder das Leben, das ich zuvor geführt habe." In manchen Momenten fragte sich Olaf Gerdes, "ob es überhaupt noch Sinn macht?" Die völlig neue Lebenssituation, und dann fehlte nach den schweren Monaten auch jede Kraft, körperlich wie mental. Aus dem einst so lebenstüchtigen Mann wurde ein Patient mit einer schwierigen Prognose. Aber wirklich gezweifelt an sich und der nun kommenden Aufgabe hat er eigentlich nie. "Ich hatte meine tolle Familie vor Augen: Meine Frau, die durch die Hölle gegangen ist, und meine Kinder. Sollten sie ohne ihren Vater aufwachsen?" Aufgeben war keine Option.

Zu Hause in Ihrhove dachte man ähnlich. "Dass er ehrgeizig ist, kannten wir vom Fußball", sagt Jörg Klüver. Er glaubte fest an seinen Freund. Aber der Kampf, der nun vor Olaf Gerdes lag, war deutlich härter als 90 Minuten auf dem Platz. "Ich versuchte, Schritt für Schritt den Kampf aufzunehmen", sagt Gerdes. Einen ersten Teilerfolg verbuchte er im Sommer vorigen Jahres, als er das Krankenhaus verlassen und die Reha beginnen konnte. Das "stramme Trainingsprogramm" hatte es zwar in sich. Aber Gerdes war stärker, und seine Frau war es auch: Sie machte sich jeden Tag auf den Weg in die Niederlande, außer am Sonntag.

"Ich hatte damals eine tolle Unterstützung durch meine Eltern und die Geschwister", sagt Maike Gerdes. Das Leben in Ihrhove musste ja auch irgendwie weitergehen – und hier zeigte sich die Hilfsbereitschaft der Menschen ganz besonders. Denn die Familie erreichten nicht nur kleine Geschenke sowie zahllose Briefe und Karten mit den besten Wünschen, auch von fremden Leuten aus dem Landkreis. Die Vereinskollegen von Concordia organisierten zudem eine Art Hilfsdienst, erledigten Einkäufe, kümmerten sich um den Garten und initiierten eine Spendenaktion mit der Kirche. "Das bringt eine Freundschaft mit sich", findet Jörg Klüver. Er macht nicht viel Aufhebens um diese Sachen. Das macht keiner in Ihrhove. "Du bist ein ganz normales Mitglied, aber wenn so etwas passiert, steht das ganze Dorf hinter dir", sagt Olaf Gerdes. Er war sehr gerührt von der Anteilnahme und der Unterstützung. Er hatte auch zweifellos ein paar sehr emotionale Momente hinter sich im Sommer 2018. Aber das war längst noch nicht alles.

Weil er es fest versprochen hatte, unterbrach Olaf Gerdes seine Reha, um zur Einschulung von Tochter Mila in Ihrhove zu sein. Mit einem Rollstuhl fuhr er damals in die Kirche, wo die Feierlichkeiten stattfanden – begleitet von ein paar hundert Menschen und ihrem Applaus. "Da kommen einem die Tränen, ich war überwältigt", erinnert sich Gerdes. Ganz ähnlich verhielt es sich ein paar Wochen später, beim Benefizspiel zwischen einer lokalen Auswahl und der Traditionsmannschaft von Borussia Dortmund, Gerdes‘ Lieblingsverein. Das hatte Concordia Ihrhove gemeinsam mit der HSG Leer und dem VfR Heisfelde auf die Beine gestellt, in monatelanger Arbeit. "Jeder hat etwas beigetragen, und das hat uns bis heute zusammengeschweißt", sagt Beene Oldigs, Vorstandsmitglied und Ortsbürgermeister in Ihrhove.

You'll never walk alone

Während in der Heimat gekickt wurde, blieb Gerdes diesmal allerdings in der Reha. Gemeinsam mit seiner Frau wurde er aber durch zahlreiche Videos über das Geschehen informiert, beinahe in Echtzeit. Also sahen die Gerdes, wie in Ihrhove rund 3000 Zuschauer "You‘ll never walk alone" sangen. Tränen der Rührung, einmal mehr. Gerdes lässt keinen Zweifel daran, wie gut ihm diese Bilder getan haben. Auch die vielen Kontakte in der Heimat, nach 316 Tagen in Krankenhaus und Reha-Klinik, wirkten wie ein Balsam auf seiner Seele, unerlässlich zudem die Hilfe durch seine engagierte Ergotherapeutin. Heute beantwortet er die Frage "Wie geht's" nicht mehr mit "Im Moment gar nicht". 

Der Galgenhumor ist einer festen Zuversicht gewichen. Und es stimmt ja auch gar nicht mehr: Olaf Gerdes geht wieder, an Prothesen, und er hat es viel schneller gelernt, als die Mediziner dachten. Aber so ist er eben: Irgendwie geht es immer weiter. Bald schon erhält Gerdes eine funktionstüchtige Armprothese, und seit einigen Wochen fährt er wieder mit dem Auto. Das ist wichtig, weil er seine Familie nun unterstützen und im Januar mit der Wiedereingliederung bei Siempelkamp, einem Kranbauer in Moormerland, beginnen kann. Aus dem engen Kontakt zur Concordia Ihrhove ist zudem längst wieder eine Zusammenarbeit geworden, wenn auch auf einer ganz anderen Ebene. Denn mittlerweile unterstützt Gerdes seinen Verein am Computer, kümmert sich unter anderem um die Homepage des Vereins. Gut möglich auch, dass er bald mal wieder eine Handballmannschaft trainiert.

"Wir werden kein normales Leben haben, aber ein anderes, schönes Leben", sagt Maike Gerdes. Ihre Welt hat sich verändert in den vergangenen Jahren: "Sie ist besonders geworden durch diese Menschlichkeit." Auch Jörg Klüver "sieht das Leben anders." Wenn es mal wieder hier und da zwickt, dann denkt er jetzt: "Hör‘ auf zu jaulen." Olaf Gerdes hört diese Worte und weiß sehr gut, was seine Frau und sein Freund meinen. Was er sich wünscht? Dass es so weitergeht wie bisher und auch die Wiedereingliederung in seinen Job als Einkäufer klappt. Und dann gibt es noch dieses eine Ziel: "Ich möchte wieder richtig laufen können", sagt Olaf Gerdes. Mit den normalen Prothesen geht das allerdings nicht. "Ich brauche dazu Carbon-Sprungfedern, also auch einen Sponsor“, sagt Gerdes mit einem Lachen. Er schätzt, dass rund 20.000 Euro nötig wären, und das ist angesichts der laufenden Kosten einfach nicht zu stemmen. "Wir können aber mit dir laufen üben", flüstert Anni, und ihr Vater lächelt der Kleinen zu. Eine ganz normale Familie sind diese Gerdes vielleicht nicht, doch sie sind auf dem Weg, wieder eine glückliche zu werden.