Gerhard "Jonny" Vestering: Die Legende von Langeoog

Der kleine Fußball ist in Deutschland riesengroß. In fast 26.000 Vereinen wird unter dem Dach des DFB Fußball gespielt. Das Rampenlicht gehört normalerweise den Stars aus der Bundesliga und der Nationalmannschaft. Die heimlichen Helden aber spielen und engagieren sich woanders, an der Basis.

Ihnen widmet sich DFB.de jeden Dienstag in seiner Serie. Sie zeigt, wie besonders der deutsche Fußballalltag ist. Heute: Jonny Vestering, der seit 67 Jahren auf der Nordseeinsel Langeoog aktiv ist.

"Der Fußball hält mich jung"

Es gibt diesen einen Satz, und der stammt nicht einmal von Jan-Gerhard "Jonny" Vestering selbst. Er stammt von seiner Frau, aber er sagt mehr als 1000 Worte über das Leben der Legende des TSV Langeoog aus: "Wir feiern Goldene Hochzeit, aber ich sage immer, dass wir eigentlich erst Silberne haben, die anderen 25 Jahre gehören dem Fußball."

Seit 1958 ist Jonny mit Christa Vestering verheiratet. Es ist die eine große Liebe seines Lebens. Die andere ist der Fußball. Mit zehn Jahren hat sie begonnen, mit seiner Anmeldung. Ein Ende ist nicht absehbar. Am 26. Februar wird Vestering 77 Jahre alt, ohne den Ball geht es noch immer nicht. "Meine Knie tun weh, ich kann schlecht laufen, meine Augen funktionieren nicht mehr richtig, ich kann kaum noch etwas sehen", sagt Vestering im Gespräch mit DFB.de. "Aber ich brauche den Fußball trotzdem. Er hält mich jung."

Das Gesicht des TSV Langeoog

Vestering ist das Gesicht des TSV Langeoog. Er ist mit zehn Jahren gekommen, und er ist bis heute geblieben. In dieser Zeit hat er all das gemacht, was bei einem kleinen Amateurklub zu tun ist. Er war Spieler, auch mit über 50 Jahren hat er noch in der ersten Herrenmannschaft gekickt. Er war Platzwart, er war Kassenwart, er war Jugendleiter, er war Schiedsrichter, er war Trainer. Er war, ist und bleibt die gute Seele des Vereins. Egal was passiert, egal was kommt.

"Wenn man das bezahlen müsste, was ich für diesen Klub an Zeit und Herzblut investiert habe, wäre der Verein schon längst pleite", sagt Vestering. Aber für ihn ist es eine Selbstverständlichkeit, dass er seit fast 70 Jahren ehrenamtlich tätig ist. Es ist ja nicht nur ein Geben, es gehört ja auch immer ein Nehmen dazu: "Die Kameradschaft in all der Zeit war einfach überragend. So viele Freundschaften hätte ich auf keinem anderen Weg gefunden. Ich möchte keinen Augenblick missen."

20 Minuten für den SC Freiburg

Noch immer kickt er regelmäßig bei den Alten Herren mit, obwohl es sein Körper eigentlich nicht mehr zulässt. Aber wer einmal dabei war, kommt so schnell nicht mehr davon los. Vestering kann auf eine Bilanz verweisen, die beinahe einmalig in Deutschland sein dürfte: In seinen 50 aktiven Jahren hat er für die erste Herrenmannschaft über 2000 Begegnungen bestritten. Dabei hat er mehr als 1500 Tore erzielt.

In Langeoog wissen sie ganz genau, was sie an Jonny Vestering haben. Seitdem er aus Altersgründen etwas kürzer treten muss, sind die glorreichen Jahre vorbei. Es gibt zu wenig Nachwuchs, er gibt seit längerem keine Herrenmannschaft mehr. "Die jungen Leute verlassen früh die Insel, um auf den Festland eine berufliche Herausforderung anzunehmen", sagt Vestering. "Das merken wir sehr deutlich." Es tut ihm weh, dass dieses Team weggebrochen ist, schließlich hat er es doch vor über 50 Jahren mitaufgebaut.

Er denkt gerne an die großen Zeiten zurück. Als der SC Freiburg während der Vorbereitung regelmäßig Gast auf der Insel war. Als es regelmäßig Testspiele gegen den Bundesligisten gab. Als er selbst noch dabei sein konnte. Als er einmal sogar die letzten 20 Minuten bei den Profis mitspielen durfte. Als Dankeschön sozusagen, dass er sich während der Anwesenheit des Bundesligisten immer besonders um das Wohlbefinden der Gäste bemüht hat. Auch die TSG Hoffenheim und der 1. FC Köln waren mal da.

Stadion trägt seinen Namen

Welchen Stellenwert Vestering auf der Insel mit den knapp 2000 Einwohnern hat, beweist die Tatsache, dass das Stadion sowie eine Straße nach ihm benannt wurden: "Normalerweise passiert so etwas nur, wenn man tot ist", sagt er schmunzeld. "Es macht mich stolz, dass ich diese Ehre noch zu Lebzeiten erleben darf."

Außerdem ist er noch immer als Fremdenführer auf dem Wasserturm beschäftigt, dem Wahrzeichen Langeoogs. Seit über 20 Jahren macht er das. Im Winter immer samstags, im Sommer fast jeden Tag in der Woche zeigt er den Touristen von hier aus die Insel. Die 400 Stufen, die er dabei zurücklegen muss, sind kein Problem. Denn bis auf wenige Ausnahmen ist er fit. Darauf achtet er sehr.

Wenn Vestering mal wieder zu einer seiner 20 Kilometer langen Fahrradtouren an den Küsten entlang aufbricht, wird er beinahe an jeder Ecke gegrüßt. Man kennt sich, man schätzt sich, man hilft sich, manchmal streitet man sich auch. Aber die Fußballer halten zusammen. Wenn sein Lieblingssport im Fernsehen läuft, sitzt er davor. Das ist eine ganz klare Sache. Er sieht zwar nicht mehr gut, daher rückt er eben näher an den Bildschirm heran.

"Für die Nationalmannschaft würde ich den Wecker stellen"

"Auch wenn die Nationalmannschaft zum Beispiel bei einer Weltmeisterschaft um vier Uhr nachts spielen würde, wäre das kein Problem für mich", sagt Vestering. "Dann würde ich mir den Wecker stellen." Denn solche Spiele sind Feiertag. Solche Begegnungen darf ein Jonny Vestering unter keinen Umständen verpassen - klare Sache, Ehrensache.

Im Sommer ist es ja wieder soweit. Die DFB-Auswahl will den Titel aus Brasilien mitbringen. Ob das klappt? "Wir spielen inzwischen wirklich einen tollen Fußball", lobt Vestering. "Das Halbfinale ist auf jeden Fall möglich. Danach ist alles offen. Aber es gibt wieder einige starke Konkurrenten. Allen voran Spanien und Brasilien."

Die WM ist auch mal wieder die Zeit, in der Christa Vestering auf ihren Mann verzichten muss. Nicht nur ein bisschen - so wie immer -, sondern vier Wochen lang komplett. Aber das ist ja nichts Neues. Seit über 50 Jahren ist es so.

Das meinen DFB.de-User:

"Danke für den tollen Artikel über Jonny! Ich hatte das Vergnügen, während meiner Internatszeit auf der Insel Langeoog schon mit 17 Jahren in der 1. Herrenmannschaft des TSV Langeoog zusammen mit Jonny Vestering zu spielen. Es war eine wirklich tolle Zeit, denn Fußball in Ostfriesland war doch ein wenig 'härter' als im Rest der Welt. Auch die Umstände waren zum Teil sehr speziell: Umziehen im Bus war noch ok, aber im benachbarten Kuhstall doch schon etwas anderes. Bei einem Sieg gegen die Heimmannschaft empfahl es sich schnellsten die Gegend zu verlassen, da ansonsten kleine Rachegelüste an den 'Insulanern' abgearbeitet wurden. In all den Jahren war Jonny ein Spieler mit höchstem Einsatz und immer zur Stelle. Ich bin dankbar, wenn ich heute während des Urlaubs Jonny auf der Insel Langeoog treffe. Hoffentlich noch sehr oft!" (Manfred Kaste, Telgte)

[sw]

Der kleine Fußball ist in Deutschland riesengroß. In fast 26.000 Vereinen wird unter dem Dach des DFB Fußball gespielt. Das Rampenlicht gehört normalerweise den Stars aus der Bundesliga und der Nationalmannschaft. Die heimlichen Helden aber spielen und engagieren sich woanders, an der Basis.

Ihnen widmet sich DFB.de jeden Dienstag in seiner Serie. Sie zeigt, wie besonders der deutsche Fußballalltag ist. Heute: Jonny Vestering, der seit 67 Jahren auf der Nordseeinsel Langeoog aktiv ist.

"Der Fußball hält mich jung"

Es gibt diesen einen Satz, und der stammt nicht einmal von Jan-Gerhard "Jonny" Vestering selbst. Er stammt von seiner Frau, aber er sagt mehr als 1000 Worte über das Leben der Legende des TSV Langeoog aus: "Wir feiern Goldene Hochzeit, aber ich sage immer, dass wir eigentlich erst Silberne haben, die anderen 25 Jahre gehören dem Fußball."

Seit 1958 ist Jonny mit Christa Vestering verheiratet. Es ist die eine große Liebe seines Lebens. Die andere ist der Fußball. Mit zehn Jahren hat sie begonnen, mit seiner Anmeldung. Ein Ende ist nicht absehbar. Am 26. Februar wird Vestering 77 Jahre alt, ohne den Ball geht es noch immer nicht. "Meine Knie tun weh, ich kann schlecht laufen, meine Augen funktionieren nicht mehr richtig, ich kann kaum noch etwas sehen", sagt Vestering im Gespräch mit DFB.de. "Aber ich brauche den Fußball trotzdem. Er hält mich jung."

Das Gesicht des TSV Langeoog

Vestering ist das Gesicht des TSV Langeoog. Er ist mit zehn Jahren gekommen, und er ist bis heute geblieben. In dieser Zeit hat er all das gemacht, was bei einem kleinen Amateurklub zu tun ist. Er war Spieler, auch mit über 50 Jahren hat er noch in der ersten Herrenmannschaft gekickt. Er war Platzwart, er war Kassenwart, er war Jugendleiter, er war Schiedsrichter, er war Trainer. Er war, ist und bleibt die gute Seele des Vereins. Egal was passiert, egal was kommt.

"Wenn man das bezahlen müsste, was ich für diesen Klub an Zeit und Herzblut investiert habe, wäre der Verein schon längst pleite", sagt Vestering. Aber für ihn ist es eine Selbstverständlichkeit, dass er seit fast 70 Jahren ehrenamtlich tätig ist. Es ist ja nicht nur ein Geben, es gehört ja auch immer ein Nehmen dazu: "Die Kameradschaft in all der Zeit war einfach überragend. So viele Freundschaften hätte ich auf keinem anderen Weg gefunden. Ich möchte keinen Augenblick missen."

20 Minuten für den SC Freiburg

Noch immer kickt er regelmäßig bei den Alten Herren mit, obwohl es sein Körper eigentlich nicht mehr zulässt. Aber wer einmal dabei war, kommt so schnell nicht mehr davon los. Vestering kann auf eine Bilanz verweisen, die beinahe einmalig in Deutschland sein dürfte: In seinen 50 aktiven Jahren hat er für die erste Herrenmannschaft über 2000 Begegnungen bestritten. Dabei hat er mehr als 1500 Tore erzielt.

In Langeoog wissen sie ganz genau, was sie an Jonny Vestering haben. Seitdem er aus Altersgründen etwas kürzer treten muss, sind die glorreichen Jahre vorbei. Es gibt zu wenig Nachwuchs, er gibt seit längerem keine Herrenmannschaft mehr. "Die jungen Leute verlassen früh die Insel, um auf den Festland eine berufliche Herausforderung anzunehmen", sagt Vestering. "Das merken wir sehr deutlich." Es tut ihm weh, dass dieses Team weggebrochen ist, schließlich hat er es doch vor über 50 Jahren mitaufgebaut.

Er denkt gerne an die großen Zeiten zurück. Als der SC Freiburg während der Vorbereitung regelmäßig Gast auf der Insel war. Als es regelmäßig Testspiele gegen den Bundesligisten gab. Als er selbst noch dabei sein konnte. Als er einmal sogar die letzten 20 Minuten bei den Profis mitspielen durfte. Als Dankeschön sozusagen, dass er sich während der Anwesenheit des Bundesligisten immer besonders um das Wohlbefinden der Gäste bemüht hat. Auch die TSG Hoffenheim und der 1. FC Köln waren mal da.

Stadion trägt seinen Namen

Welchen Stellenwert Vestering auf der Insel mit den knapp 2000 Einwohnern hat, beweist die Tatsache, dass das Stadion sowie eine Straße nach ihm benannt wurden: "Normalerweise passiert so etwas nur, wenn man tot ist", sagt er schmunzeld. "Es macht mich stolz, dass ich diese Ehre noch zu Lebzeiten erleben darf."

Außerdem ist er noch immer als Fremdenführer auf dem Wasserturm beschäftigt, dem Wahrzeichen Langeoogs. Seit über 20 Jahren macht er das. Im Winter immer samstags, im Sommer fast jeden Tag in der Woche zeigt er den Touristen von hier aus die Insel. Die 400 Stufen, die er dabei zurücklegen muss, sind kein Problem. Denn bis auf wenige Ausnahmen ist er fit. Darauf achtet er sehr.

Wenn Vestering mal wieder zu einer seiner 20 Kilometer langen Fahrradtouren an den Küsten entlang aufbricht, wird er beinahe an jeder Ecke gegrüßt. Man kennt sich, man schätzt sich, man hilft sich, manchmal streitet man sich auch. Aber die Fußballer halten zusammen. Wenn sein Lieblingssport im Fernsehen läuft, sitzt er davor. Das ist eine ganz klare Sache. Er sieht zwar nicht mehr gut, daher rückt er eben näher an den Bildschirm heran.

"Für die Nationalmannschaft würde ich den Wecker stellen"

"Auch wenn die Nationalmannschaft zum Beispiel bei einer Weltmeisterschaft um vier Uhr nachts spielen würde, wäre das kein Problem für mich", sagt Vestering. "Dann würde ich mir den Wecker stellen." Denn solche Spiele sind Feiertag. Solche Begegnungen darf ein Jonny Vestering unter keinen Umständen verpassen - klare Sache, Ehrensache.

Im Sommer ist es ja wieder soweit. Die DFB-Auswahl will den Titel aus Brasilien mitbringen. Ob das klappt? "Wir spielen inzwischen wirklich einen tollen Fußball", lobt Vestering. "Das Halbfinale ist auf jeden Fall möglich. Danach ist alles offen. Aber es gibt wieder einige starke Konkurrenten. Allen voran Spanien und Brasilien."

Die WM ist auch mal wieder die Zeit, in der Christa Vestering auf ihren Mann verzichten muss. Nicht nur ein bisschen - so wie immer -, sondern vier Wochen lang komplett. Aber das ist ja nichts Neues. Seit über 50 Jahren ist es so.

Das meinen DFB.de-User:

"Danke für den tollen Artikel über Jonny! Ich hatte das Vergnügen, während meiner Internatszeit auf der Insel Langeoog schon mit 17 Jahren in der 1. Herrenmannschaft des TSV Langeoog zusammen mit Jonny Vestering zu spielen. Es war eine wirklich tolle Zeit, denn Fußball in Ostfriesland war doch ein wenig 'härter' als im Rest der Welt. Auch die Umstände waren zum Teil sehr speziell: Umziehen im Bus war noch ok, aber im benachbarten Kuhstall doch schon etwas anderes. Bei einem Sieg gegen die Heimmannschaft empfahl es sich schnellsten die Gegend zu verlassen, da ansonsten kleine Rachegelüste an den 'Insulanern' abgearbeitet wurden. In all den Jahren war Jonny ein Spieler mit höchstem Einsatz und immer zur Stelle. Ich bin dankbar, wenn ich heute während des Urlaubs Jonny auf der Insel Langeoog treffe. Hoffentlich noch sehr oft!" (Manfred Kaste, Telgte)