DER DFB

Karlsruher FV: Heimat der jüdischen Nationalspieler um Julius Hirsch

29.04.2025
BERLIN, GERMANY - JULY 23:  Life-sized sculptures of jewish athletes are pictured during the exhibition opening 'Between Success And Persecution' at Washingtonplatz on July 23, 2015 in Berlin, Germany.  (Photo by Boris Streubel/Getty Images) *** Local Caption *** Gottfried Fuchs
2015 Getty Images

Am 24. Januar 2025 beging der Deutsche Fußball-Bund (DFB) mit einer feierlichen Gala an seinem Gründungsort Leipzig seinen 125. Geburtstag. In vielen Beiträgen und Reden wurde an die großen Erfolge des deutschen Fußballs und an dessen Bedeutung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt erinnert. Die Gäste sahen bewegende Bilder der Sternstunden bei Welt- und Europameisterschaften. Viele der noch lebenden Titelträger wohnten der Veranstaltung bei. So wurde die Verbindung von Tradition und Zukunft des deutschen Fußballs allen Beteiligten deutlich vor Augen geführt. In einer zehnteiligen Serie erinnert DFB.de an die Gründervereine des DFB. Heute im neunten Teil: der Karlsruher FV, Heimat der jüdischen Nationalspieler.

Viel idyllischer kann man sich das Szenario einer Vereinsgründung kaum vorstellen, vielleicht höchstens noch zu einer etwas angenehmeren Jahreszeit. Aber welcher Verein kann schon sagen, auf einer Wiese unter einem mächtigen Baum das Licht der Fußballwelt erblickt zu haben? So geschehen am 17. November 1891, als ein gewisser Walter Bensemann mit zwei Dutzend fußballbegeisterter junger Männer den Karlsruher FV gründete. Als dieser Verein im Mariengarten, vertreten durch den Engländer Gustav Manning, in den DFB eintrat, war er schon in aller Munde. Er war der erste Stern des Südens, auch wenn damals niemand auf diese Bezeichnung kam.

In allen sieben Ur-Länderspielen (1898-1901) kamen KFV-Spieler zum Einsatz, 1898 stand er im Finale um die Süddeutsche Meisterschaft und in seiner Region wurde er Jahr für Jahr Meister in der vom Karlsruher Fußball-Bund organisierten Liga.

Pionier des süddeutschen Fußballs

Nicht zuletzt durch die Aufnahme englischer Spieler nach der Auflösung des International FC Karlsruhe – auch den hatte Bensemann gegründet (1889), zeichnete sich der KFV durch seine Spielkunst aus und dabei lagen die größten Jahre noch vor ihm. In einem Kicker-Heft über "Deutschlands Fußball-Meister" hieß es 1941: "Mit ihrem Kombinationsspiel wirkten die KFV-Spieler in den ersten Phasen des deutschen Fußballaufstiegs, also im ersten Dezenium unseres Jahrhunderts, als vielbewunderte Apostel des ‚richtig englischen‘ Fußballspiels."

Für diesen Verein riskierte der junge Sepp Herberger zerrissene Hosen, weil er als Kind in Mannheim über den Zaun kletterte, um die Stars jener Tage spielen zu sehen: Max Breunig, Ivo Schricker, Gottfried Fuchs oder Julius Hirsch waren auch in der Kaiserzeit, in der Fußball in den Medien (sprich: Zeitungen) eine Nebenrolle spielte, ein Begriff.

Selbst im benachbarten Ausland machte sich der KFV einen Namen, schlug an Ostern 1900 den DFC Prag auf dessen Platz mit 5:1. Im Kicker-Heft stand: "Die verblüffte Prager Presse erkannte als Hauptgrund der Sensation an: die deutschen Stürmer schossen unheimlich oft und sicher (aha!). Das war der große Aufbruch zum europäischen Fußballruhm." Denn sie gewannen auch in der Fußballmetropole Wien und wohin sie die Reiselust sonst so trieb.

Frühe Triumphe und bittere Enttäuschungen

In der eigenen Region fanden sie ja keine ebenbürtigen Gegner: von 1901 bis 1905 wurde der KFV stets Süddeutscher Meister, in jene Zeit fiel ein unfassbares 29:0 gegen den 1. FC Kaiserslautern, was bis heute sein Rekordergebnis ist. Damals erfreute sich der Verein übrigens der Schirmherrschaft des späteren Reichskanzlers Prinz Max von Baden.

Doch ein Schatten fiel auf jene Epoche: Deutscher Meister wurden sie nie, ein Phänomen, das teils groteske Züge annahm. Der KFV wurde 1903 im erstmals ausgetragenen Kampf um die Viktoria Opfer eines Bubenstücks, weil ihn ein gefälschtes Telegramm von der Reise zum Halbfinale nach Leipzig abhielt. Angeblich hatte der DFB die Partie abgesagt, dem aber war nicht so. Dadurch kam Gegner DFC Prag kampflos ins Finale und der KFV protestierte, wenn auch vergeblich, schriftlich: "Wir hielten es nicht für möglich, dass ein deutscher Sportsmann eine Urkundenfälschung begehen kann und hielten die Unterschrift ,Fussballbund’ für berechtigt. […] Der DFC kann nun behaupten, er wisse nichts von dem Telegramm, wir behaupten jedoch, solange bis der DFC unsere Meinung widerlegt, dass nur ein Mitglied des DFC, wenn auch ohne Vollmacht des Vereins, so doch in Übereinstimmung mit dessen Wünschen diese Fälschung begangen hat, denn nur ein Mitglied konnte derart in die Verhandlungen eingeweiht sein und so viel Interesse für den DFC bekunden, dass er eine derartige Fälschung beging, um dem DFC bis zum Entscheidungsspiel zu verhelfen."

Prags Schuld aber wurde nie bewiesen, es blieb dabei: der KFV flog raus und nahm einen neuen Anlauf. 1904 aber musste er entgegen den zuvor vereinbarten Regeln, die neutrale Austragungsorte vorschrieben, zu Britannia Berlin reisen. Etliche Stammspieler erhielten keinen Urlaub für die damals sehr weite Reise und mit Reservisten setzte es ein 1:6 in der Vorrunde. Darüber verärgert, legte der KFV Protest ein und die ganze Meisterschaft wurde, obwohl die Finalisten schon feststanden, noch am Tag des Spiels annulliert.

Rückschläge und Konkurrenz in der Heimatstadt

1905 schien es endlich ein Happy end zu geben, nach einem 1:0 gegen den Duisburger SpV und einem Verzicht von Halbfinalgegner Schlesien Breslau stand der KFV als haushoher Favorit im Kölner Finale gegen Union 92 Berlin – und verlor 0:2. Süd-Meister war er übrigens geworden, weil diesmal der Gegner Hanau 93 Opfer eines gefälschten Telegramms geworden war und bei Anpfiff des Finals in Mannheim nur zwei Spieler, die die vermeintliche Absage nicht mitbekommen hatten, aufbieten konnte. Natürlich gab es kein Spiel, der KFV gewann kampflos. Aber eben nicht die Viktoria.  

1906 bis 1909 schafften sie es nicht in die Meisterendrunde und zwischenzeitlich wurde man sogar in der eigenen Stadt überholt: Phönix Karlsruhe wurde Kreis-, Süd- und sogar Deutscher Meister 1909. Offensichtlich ein großer Ansporn für den KFV: er verpflichtete den englischen Trainer William Townley, unter dem 1910 die Viktoria prompt erneut nach Baden ging – aber nun an den anderen Karlsruher Klub, der den Titelverteidiger Phönix im Halbfinale ausschaltete (2:1). Von diesem Duell sind 2:14 Minuten Filmaufnahmen erhalten, es sind die ältesten von einem Fußballspiel in Deutschland.

Der große Triumph 1910 in Köln

Am 15. Mai 1910 kam es dann zum größten Erfolg der Vereinsgeschichte. Vor 5000 Zuschauern in Köln wurde Holstein Kiel nach zähem Kampf in der Verlängerung 1:0 bezwungen. Das Tor des Tages fiel durch einen Elfmeter, den Max Breunig (114. Minute) verwandelte. Der Mann hatte Nerven, hatte er doch in der regulären Spielzeit einen Elfmeter verschossen – aber der Kapitän trat wieder an. Nun strahlte der Südstern übers ganze Land und Badens Schulbuben beteten die Aufstellung der rot-schwarzen Helden im Schlaf herunter: Dell; Hüber, Hollstein; Ruzek, Breunig, Schwarze; Tscherter, Förderer, Fuchs, Hirsch, Bosch.

Fritz Förderer war auch über die Stadtgrenzen hinaus bekannt, stand er doch im April 1908 in der ersten Nationalelf von Basel, wo er beim 3:5 gegen die Schweiz sogar ein Tor erzielte. Er war der erste von elf Nationalspielern des Karlsruher FV und kam am häufigsten zum Einsatz (elfmal). Bekannter allerdings sind Gottfried Fuchs (sechs Spiele) und Julius Hirsch (sieben, davon drei für die Spielvereinigung Fürth), denn sie sind die einzigen jüdischen Nationalspieler der DFB-Historie.

Die jüdischen Nationalspieler Hirsch und Fuchs

Sie vertraten Deutschland 1912 bei den Olympischen Spielen in Stockholm, bei denen Fuchs ein Rekord für die Ewigkeit glückte. Der hochaufgeschossene Stürmer markierte beim deutschen Rekordsieg (16:0) gegen Russland allein zehn Tore. Hirsch sorgte drei Monate zuvor beim 5:5 in Zwolle gegen die Niederlande mit vier Toren für Furore. Tore, die in Chroniken während der NS-Zeit peinlich verschwiegen wurden, denn es konnte ja nicht sein was nicht sein durfte: dass jüdische „Untermenschen“ Großtaten für Deutschland vollbracht hätten. In einem Album von 1939 über die deutschen Nationalspieler seit 1908 wurden die beiden glatt ausgelassen, ihre Bilder sollten deutsche Kinder nicht sammeln dürfen. 1933 wurden sie aus ihren Vereinen ausgeschlossen. Während Fuchs rechtzeitig die Flucht nach Kanada gelang, wurde Hirsch nach Auschwitz deportiert und, vermutlich im März 1943, ermordet.

Ihm zu Ehren verleiht der DFB seit 2005 den Julius-Hirsch-Preis an Vereine und Organisationen im Fußball, die sich für Freiheit, Toleranz und Menschlichkeit einsetzen.

Ihre Karrieren waren in der NS-Zeit längst vorbei und damit auch die große Ära des KFV, der 1912 zum zweiten und letzten Mal das Finale um die Viktoria erreicht hatte. Kurios: wieder ging es gegen Holstein Kiel, wieder fiel das einzige Tor per Elfmeter – nun aber für die "Störche". Dann kam der Erste Weltkrieg, dem ein halbes Dutzend Spieler der großen Finalmannschaften zum Opfer fielen.

Niedergang in der Zwischenkriegszeit

Der Neustart nach 1918 gestaltete sich schwierig, zwei Jahre verschwand der KFV gar in der Zweitklassigkeit. Weit erfolgreicher waren die Feldhandballer, die 1924 Deutscher Meister geworden sind.

Die Fußballer konterten mit dem  Kunststück, als Aufsteiger 1926 Meister des Bezirks Baden-Württemberg zu werden und nach 14 Jahren wieder mal um die Süddeutsche Meisterschaft spielen durfte, wo er unter anderem an Bayern München scheiterte.

In die Endrundenkämpfe um die Viktoria schaffte es der KFV nie mehr, im Süden strahlten nun andere Sterne. In Weimarer Zeit wurden aber noch sechs badische Meisterschaften eingefahren. Dann kamen die Nazis an die Macht, führten Gau-Liga und Tschammer-Pokal ein. In der Gau-Liga war der 3. Platz 1936 das Optimum, 1937 mussten sie für ein Jahr absteigen. Am Tschammer-Pokal nahm der KFV zweimal teil, kam dabei nicht über die 2. Hauptrunde (1937 0:2 gegen Fortuna Düsseldorf) nicht hinaus.

Endgültiger Absturz und Neuanfang

Nach dem 2. Weltkrieg ging es weiter bergab. Der stolze Name blieb, die Heimat auf dem Platz an der Telegrafenkaserne auch (1905-2004), aber vergleichbare Erfolge stellten sich nicht mehr ein. Bei Gründung der Oberliga Süd 1946 noch berücksichtigt, war der durch Kriegsschäden stark in Mitleidenschaft gezogene Verein nicht konkurrenzfähig. Heimspiele mussten auf dem Platz von Phönix ausgetragen werden, weil auf dem eigenen US-Militärgerät stand. Der KFV wurde Letzter und bekam nur wegen der Aufstockung noch eine Chance, stieg aber 1947 gemeinsam mit Phönix ab und ist seither nie mehr erstklassig gewesen. 1951 wurde man noch Vizeamateurmeister und 1952 trug mit Kurt Ehrmann bis heute letztmals ein KFV-Spieler das DFB-Trikot.

In der Bundesrepublik schafften es noch drei nordbadische Pokalsiege und zwei regionale Amateurmeisterschaften auf den Briefkopf des KFV. In Karlsruhe regierte längst der aus dem VfB Mühlburg und Phönix entstandene KSC. Der erste Stern des Südens leuchtete selbst in der eigenen Stadt nur auf Sparflamme und verschwand in der Viert- und Fünftklassigkeit. 2004 wurde der Spielbetrieb aus finanziellen Gründen eingestellt und das Stadion musste aufgegeben werden. 2007 erfolgte ein Neustart ganz unten, heute spielt der 150 Mitglieder starke Klub in der Kreisklasse B2 und erinnert auf der Homepage an bessere Tage. Einen Titel kann dem KFV keiner nehmen: er ist der älteste süddeutsche Fußballverein.

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