DER DFB

Hanau 93: Vizekusen der Antike

06.05.2025
Einst DFB-Gründungsmitglied, heute Hessenliga: Hanau 93 Foto: IMAGO

Am 24. Januar 2025 beging der Deutsche Fußball-Bund (DFB) mit einer feierlichen Gala an seinem Gründungsort Leipzig seinen 125. Geburtstag. In vielen Beiträgen und Reden wurde an die großen Erfolge des deutschen Fußballs und an dessen Bedeutung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt erinnert. Die Gäste sahen bewegende Bilder der Sternstunden bei Welt- und Europameisterschaften. Viele der noch lebenden Titelträger wohnten der Veranstaltung bei. So wurde die Verbindung von Tradition und Zukunft des deutschen Fußballs allen Beteiligten deutlich vor Augen geführt. In einer zehnteiligen Serie erinnert DFB.de an die Gründervereine des DFB. Heute im letzten Teil: Hanau 93, der ewige Zweite.

Gegründet von einem Berliner, in Leipzig vertreten von einem Engländer, doch Hanau 93 ist unzweifelhaft ein hessischer Fußballklub - der älteste des Bundeslandes genaugenommen. Die sportliche Heimat des Vereins ist derzeit die Oberliga Hessen, in der sie gemeinsam mit dem SC 1960 die Stadt der Gebrüder Grimm vertreten. Fünfte Liga – aber mit einer erstklassigen Geschichte und einem zwiespältigen Image als Vizekusen der Antike. Doch der Reihe nach:

Zwölf Mitglieder gründeten den FC Hanau 93

Am 23. März 1893 initiierte der Berliner Ernst Schönefeld die Gründung des FC Hanau 93, zwölf Mitglieder standen am Taufbecken: Gerade genug, um Fußball zu spielen. Das erste überlieferte Spiel datiert vom 11. Juni 1893 gegen den Frankfurter FC 1880 und wurde 0:3 verloren. In der ersten Halbzeit wurde allerdings Rugby gespielt, dann Fußball nach englischen Regeln. In eine Tabelle ging das Ergebnis nicht ein, es gab noch keine Ligen am Main. Bis 1898 trug man nur "Gesellschaftsspiele" mit den Vereinen aus, die eben schon da und nicht allzu weit weg waren. Letzteres traf auf die Berliner Victoria von 1889 nicht zu, die an Pfingsten 1894 eine Einladung an die Hanauer schickte – quasi zur Ermittlung eines Deutschen Meisters. Schließlich waren die Hanauer das entfernteste Mitglied des in Berlin sitzenden Deutschen Fußball- und Cricket-Bunds und mit dem wollte sich die Victoria messen, ehe sie sich (sechs Jahre vor DFB-Gründung) zum inoffiziellen deutschen Meister erklären würde.

Doch die Hanauer kamen nicht: Zu weit die Reise, zu hoch der Aufwand für die Vollblutamateure der Pionierzeit und außerdem – wieso bitte spielte man nicht an einem neutralen Ort? So also verloren sie ihr erstes "Finale" durch Nichtantreten. Epilog zur Posse: 2007 verständigten sich die Vereine mit 113 Jahren Verspätung doch noch auf einen Modus mit Hin- und Rückspiel und wieder verlor Hanau – 0:3 in Berlin, zuhause war das 1:1 zu wenig.

Verein entwickelte Finalphobie

Daran hatten sich die Fans des Vereins freilich schon gewöhnt beziehungsweise erwarteten die historisch Bewanderten unter ihnen nichts anderes. Hanau 93 gehörte zwar zu den besten Mannschaften im süddeutschen Raum, als es endlich losging mit organisierten Fußball, doch der Verein entwickelte eine regelrechte Finalphobie. 1902 erreichten sie erstmals das Finale um die Süddeutsche Meisterschaft und unterlagen in Offenbach dem Karlsruher FV mit 0:4. Kurios: sie wurden nicht mal Zweiter, weil auch um diesen Platz eine Endrunde unter auf dem Weg ins Finale gescheiterten Teams ausgespielt wurde. Hanau kam auch ins Finale um Platz zwei – und verlor es mit 2:4 gegen 1. FC Pforzheim. 1903 erreichten sie wieder das Süd-Finale, in zwei von sechs Runden half das Freilos, und in Darmstadt warteten wieder die übermächtigen Karlsruher: Endstand 2:5. Nach einem Jahr Pause nahmen sie 1905 den nächsten Anlauf.

Mit noch breiterer Brust: Die Ostmain-Liga gewannen sie ohne Punktverlust bei 69:2 Toren in zwölf Spielen, darunter ein 19:0 gegen den FVgg Kesselstadt. Sie schlugen sich nach zwei Endrundensiegen ins Finale von Mannheim durch, wo man sie am 26. März 1905 allerdings nicht antraf – abgesehen von zwei Spielern. Die Gründe sind nicht überliefert. Nun kam Dauerrivale Karlsruher FV zu einem kampflosen 5:0-Sieg. 1906 marschierte Hanau 93 mit 26:0 Toren erneut ungebremst durch die A-Klasse Ostmain und ließ auch in der Endrunde keinerlei Federn (drei Siege). So kam es am 1. April 1906 in Mannheim zum Wiedersehen mit dem 1. FC Pforzheim, der vor 2300 Zuschauern mit 5:3 die Oberhand behielt.

Aufschwung in den Gauligen

Ob die Hanauer nach sechs Pleiten vorläufig genug von Endspielen hatten? Viermal schafften sie es bis zum Ende des 1. Weltkriegs zwar noch in die Endrunde um die Süddeutsche Meisterschaft, aber nie mehr in ein Finale. Erstklassigen Fußball aber spielten sie noch zwei Jahrzehnte. Mit Gründung der Gauligen in der NS-Zeit erlebte Hanau 93 einen neuen Aufschwung, kam bei der ersten Ausspielung um den Tschammer-Pokal 1935 bis ins Viertelfinale, wurde dreimal Hessenmeister (1935, 1936 und 1938) und durfte sogar um die Viktoria mitspielen. Siege gegen Großklubs wie den VfB Stuttgart (3:0/1935), die Spielvereinigung Fürth (1:0/1935) oder Fortuna Düsseldorf (5:1/1936) sorgten für Aufsehen in Deutschland.

"Fußballfreunde im Reich, das ist kein Irrtum mit dem 5:1 für Hanau", begann der Reporter des Fußball seinen Bericht über den "Sensationssieg des hessischen Meisters" in Kassel, bei dem mit Heinrich Sonnrein jener Mann das Tor hütete, nach dem die Sportanlage benannt ist, auf dem die 93er heute spielen. Zu Recht: Sonnrein ist der einzige A-Nationalspieler (zwei Einsätze) des Klubs.

Trotz dieser Achtungserfolge: über die Gruppenphase der Meisterendrunde kamen sie nie heraus. 1938 bei der letzten Teilnahme verloren sie alle sechs Spiele – gegen den 1. FC Nürnberg, Hannover 96 und Alemannia Aachen. 1944 bestritt der Verein seine letzten Tage in einer obersten Spielklasse und belegte im Gau Hessen-Nassau den zweiten Platz hinter Kickers Offenbach. Als nach dem Krieg die Oberliga Süd an den Start ging, wurde Hanau nicht berücksichtigt, was zwar keine schreiende Ungerechtigkeit, aber doch eine entscheidende Weichenstellung war. Denn sie kamen nie wieder nach ganz oben. Immerhin endete 1950 der Finalfluch mit dem Gewinn des Hessenpokals, den sie 1978 noch einmal wiederholten.

Torreiche Partien In der 2. Liga

1956 und 1962 wurde der Aufstieg in die Oberliga Süd noch knapp verpasst, um den Aufstieg in die 1963 gegründete Bundesliga spielte Hanau 93 nie mit. Die Einführung der zweiteiligen 2. Liga bot die Chance, überregional noch einmal in Erscheinung zu treten. Sie nutzten sie im Doublejahr 1978 (Hessen-Meister und Hessen-Pokalsieger) und das Stadion Wilhelmsbad sah 1978/79 endlich wieder großen Fußball. 1860 München, der Karlsruher SC und Kickers Offenbach kamen nach Hanau und die Mannschaft um den herausragenden Karl-Heinz Schleiter (15 Tore) lieferte so manches Spektakel und ein Novum: Lizenzentzüge ausgenommen, gab es nie einen Zweitligaabsteiger, der mehr Tore erzielte – das Problem waren halt die Gegentore. Das Torverhältnis der Hanauer: 72:98!

Zwei Punkte fehlten letztlich zum Klassenerhalt, seither hat man sie auch in der Zweitklassigkeit nicht mehr gesehen. 1980 nahm 93 ein siebtes und bis dato letztes Mal an der Hauptrunde des DFB-Pokals teils. Der Verein rutschte danach bis in die Kreisliga A ab, hat sich aber seit 2019 in der Hessenliga konsolidiert – und seinen letzten großen Auftritt 2007, als er wieder mal ein Finale verlor.

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Autor: um