Seeler wird 75: Alles Gute, Uwe!

Oft sind es kleine Zufälle, die den Weg großer Menschen bestimmen. Auch bei unseren größten Fußballern ist dies zu beobachten. Was wäre aus Franz Beckenbauer geworden, hätte ihn nicht bei einem Jugendspiel ein Kicker der Münchner "Löwen" geohrfeigt? Man weiß es nicht, der FC Bayern jedenfalls hätte ein anderes Gesicht und wohl auch Gewicht bekommen ohne seinen "Kaiser".

Oder was wäre aus Fritz Walter geworden, wäre ihm nicht 1945 im Kriegsgefangenenlager am Tag vor dem Abtransport nach Sibirien der Ball vor die Füße gesprungen, mit dem die Wärter spielten? Er zeigte seine Kunst, wurde erkannt und gerettet – zum Wohle des ganzen deutschen Fußballs. Auch aus dem Leben von Uwe Seeler, einer von vier Ehrenspielführern des DFB, der am Samstag 75 Jahre alt wurde, gibt es eine solche Zufalls-Episode.

Das Kriegsjahr 1942: Die meisten Menschen haben Sorgen, gewiss größere als Familie Seeler. Und doch tagt an einem Abend jenes Jahres im Hamburger Stadtteil Eppendorf, Schnelsener Weg, in der Küche der Familienrat. Dem kleinen Uwe ist bei seinen ersten fußballerischen Gehversuchen schon mit sechs Jahren ein bemerkenswerter Doppelschlag gelungen, der ihm jedoch kein Lob einbringt. An zwei aufeinanderfolgenden Tagen hat er beim Kick auf der Straße Fensterscheiben eingeschossen und eine Nachbarin schimpft: "Natürlich wieder der Seeler. Man müsste die Polizei rufen." Das tut sie nicht, aber dafür tagt das Familiengericht und es urteilt streng. Die Mutter gibt die Staatsanwältin: "Der Lütte muss unbedingt in einen Kartengarten. Er wird mir sonst zu wild, er hat nichts anderes im Kopf als Fußballspielen."

Uwe Seeler zum 75. Geburtstag

Vater Erwin, ein großer HSV-Spieler, sagt nicht viel zu seiner Verteidigung und so kommt Klein-Uwe "in Haft". So zumindest empfindet er jedenfalls in seinen Erinnerungen die Zeit im Kindergarten: "Noch heute denke ich mit Grausen an die drei Vormittage zurück, die ich im Kindergarten verbracht habe."

Drei Tage "Haft" im Kindergarten für den "Lütte"

Drei Tage nur? In der Tat, denn am dritten Tag bricht Klein-Uwe aus. Verfolgt von der Kindergärtnerin und zwei größeren Jungs rennt er einfach nach Hause. "Zum ersten Mal habe ich erfahren, wie wichtig es ist, schnell laufen zu können." Der rund zehnminütige Sprint in Mutters Arme endet knapp siegreich, denn die Verfolger sind schon im Treppenhaus, als Uwe die rettende Tür erreicht. Was wäre wohl gewesen, wenn nicht?

So jedenfalls wird Uwe wieder abgemeldet aus dem Kindergarten und Familie Seeler überlässt auch "den Lütten" dem Fußball, dem Vater Erwin und der fünf Jahre ältere Bruder Dieter ohnehin schon verfallen sind. Nach ungezählten weiteren zerschossenen Scheiben und zerschlissenen Schuhen wird er am 1. April 1946 endlich beim HSV angemeldet.

170 Zentimeter geballte Willenskraft

"Ich glaube mit dem Ausweis bin ich auf Anhieb zehn Zentimeter gewachsen", schrieb er in seiner Autobiographie "Danke, Fußball". Und so nimmt sie ihren Lauf, die wohl grandioseste Mittelstürmer-Karriere des deutschen Fußballs nach oder besser neben Gerd Müller. Das Sensationelle an Seeler war seine Kopfballstärke, obwohl er nur 170 Zentimeter misst. 1961 gegen Dänemark glückten ihm mal drei Kopfballtore und sein Hinterkopftor 1970 in Mexiko gegen England ist ein Stück Kulturgeschichte. Was Training am Kopfballpendel doch ausmacht...

Der Instinktfußballer Gerd Müller schoss sicher noch ein paar Tore mehr als Seeler, dem Statistiker allein im Seniorenbereich 764 nachgewiesen haben. Doch Uwes Popularität war noch ein Stück weit größer. Was Müller nicht kränken dürfte, denn Seeler ist der vielleicht volkstümlichste Fußballer der DFB-Historie überhaupt. "Ihn kann man auch in Bayern, im Westen und in Schwaben verkaufen. Ich glaube, hier liegt das ganze Geheimnis seines Erfolgs. Ihn lieben alle deutschen Fußballfans", sagte einst Toni Turek, Torwart der Berner Helden.

Er war nicht nur der "Uns Uwe" der Hamburger, das ganze Land wollte ihn zu seinen besten Zeiten vereinnahmen. Einer zum Anfassen. Wegen seiner Tore gewiss, aber vor allem wegen seiner Tugenden. Der Kicker schrieb zu Seelers 70. Geburtstag: "Ob Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit, ob Redlichkeit und Treue, ob Fairness und Sportsgeist, ob Willen und Ausdauer oder Leidenschaft – Uwe verkörpert alle positiven Charaktereigenschaften in seiner Person: Er ist ein Star ohne Allüren."

Mit 17 Jahren Debüt in der deutschen Nationalmannschaft

Selbst die überaus nüchternen TV-Reporter der Sechziger kommentierten Ballstafetten bei der WM in England schon mal so: "Haller – Beckenbauer – Uwe, schieß doch!" Hamburgs "Uns Uwe" wurde zu Deutschlands Uwe, jedenfalls wenn die Nationalmannschaft spielte. Als die Vize-Weltmeister 1966 in Frankfurt empfangen wurden, riefen die Massen nicht etwa "Deutschland" sondern "Uwe, Uwe".

Ein einziges Mal nur wurde er vom Platz gestellt, 1957 in der Oberliga Nord gegen Wilhelmshaven. Die Entscheidung war so ungerecht, dass HSV-Fans den Platz stürmten. "Da war nichts. Ich könnte es doch jetzt zugeben. Ich wurde getreten, ich wollte auch treten, machte es aber nicht. Ganz ehrlich", sagt er noch dieser Tage einem Hamburger Journalisten.

Bundestrainer Sepp Herberger, der ihn schon mit 17 im Oktober 1954 gegen Frankreich debütieren ließ, gab seinem Mittelstürmer mit bereits 25 die Spielführerbinde. 40-mal trug er sie, unter anderem in zwei der größten Dramen der DFB-Geschichte. 1966 im legendären Wembley-Finale und 1970 im Spiel des Jahrhunderts gegen Italien hatte Deutschland viel Grund zur Klage über den Schiedsrichter. Es war unter anderem Seelers Verdienst, dass die Mannschaft die Fehlentscheidungen sportlich hinnahm und erst schimpfte, als die Kameras aus waren. Denn schimpfen konnte der Uwe.

Einmal, auch das ist eine schöne Episode aus seiner Jugend, gibt es eine kleine Revolution beim HSV gegen ihn. Seeler ist zu spät mit seinem Fahrrad zum Training gekommen und hört durch die offene Kabinentür, wie sich die Mitspieler bei Trainer Günter Mahlmann beschweren. Einer sagt: "Es ist schrecklich mit dem Uwe. Immer meckert er beim Spiel. Bildet er sich etwa ein, er wäre was Besseres als wir?" Ein anderer findet: "Ja, der Dicke will alles besser wissen. Sonst ist er ja ein netter Kerl. Aber beim Spiel ist er unausstehlich." Während Uwe vor Scham im Boden versinkt, schlichtet Günter Mahlmann: "Ihr dürft das dem Uwe nicht übel nehmen. Der kann eben nicht anders. Ihr wisst ja selbst, dass er ein anständiger Kerl ist." - den eben der Ehrgeiz treibt und zu einem anderen macht, sobald der Ball rollt. Auch das zum Wohle des deutschen Fußballs.

Millionenangebot von Europacupsieger Inter Mailand abgelehnt

Uwe Seeler trat am 9. September 1970 als damaliger Rekordnationalspieler ab: 72 Spiele, 43 Tore – und das Bundesverdienstkreuz um den Hals. Drei Mal war er Fußballer des Jahres geworden. Am 1. Mai 1972 beendete er seine Karriere beim HSV, mit dem er 1960 Deutscher Meister geworden war und für den er allein 404 Punktspiel-Tore erzielte. Und den er nie verlassen hat, was er Teil seiner ungeheuren Popularität ist. Trotz jenes verführerischen Angebots im Frühling 1961.

Der große Helenio Herrera, Trainer von Europacupsieger Inter Mailand, war extra nach Hamburg gekommen. "Signore Seeler, wir wollen Sie kaufen. Sie sind der beste Mittelstürmer den es zur Zeit gibt. Sie wissen ja: Catenaccio ist ein tolles System, aber sie können Catenaccio nur dann spielen, wenn jemand Tore schießt. Und das können Sie am besten." Er griff nach einem Koffer und lockte: "Diesen Koffer füllen wir sofort mit einer Million Mark, netto, bar, versteht sich. Das ist ihr Handgeld, wenn Sie für fünf Jahre nach Mailand kommen." Seeler schwankte. Er verdiente damals beim HSV 500 DM brutto. Er bat um Bedenkzeit und als er heim kam zu seiner Ilka, mit der er drei Töchter hat, sagte er: "Du kannst schon mal Italienisch lernen." Und die aus der Presse informierten Mitspieler sagten: "Uwe, Du musst gehen. Wir bringen Dich mit Blumen zum Flughafen."

Doch ein abendliches Telefonat mit Sepp Herberger brachte die Wende: "Bleibe Se hier, Sie sind kein Typ, den man ins Ausland schicken kann. Zum Fremdenlegionär muss man geboren sein." Das spürte er auch selbst und so sagte er Herrera, der sich eine Woche lang im feinen Atlantic-Hotel an der Alster einquartiert hatte, ab: "Es ist nicht das Geld, es ist mein Gefühl. Für alle ist es besser, wenn ich in Hamburg bleibe."

Ehrenbürger der Hansestadt Hamburg

Da lebt er noch immer, seit 2003 gar als Ehrenbürger der Hansestadt. Noch immer geht er zu seinem HSV, dessen Präsident er von 1995 bis 1998 war – was er bereut. Weil sich die Fußballwelt geändert hat. Zuweilen, wenn er gefragt wird, verkündet er seine Ansichten, die niemand zu belächeln wagt: "Der Ball darf nicht in den Hintergrund und ins Abseits rollen. Er muss immer die Nummer eins bleiben."

Ganz so wie er für viele, die ihn spielen sahen und kennen lernen durften, immer die Nummer eins bleiben wird.

UWE SEELER: ZAHLEN UND FAKTEN

Seine Tore

Für den HSV:

in der Bundesliga: 137
in der Oberliga Nord: 267
in der Meisterschaftsendrunde: 40
im Europacup: 21
im DFB-Pokal: 43
in Freundschaftsspielen: 188

für Deutschland:

in Länderspielen: 43
in Jugendauswahlmannschaften: 9

in Auswahlspielen:

für Norddeutschland/Hamburg: 13
in Benefizspielen: 1
in Welt- und Europaauswahlen: 2

Seine Titel

Deutscher Meister: 1960
DFB-Pokalsieger: 1963
WM-Zweiter: 1966

Bundesliga-Torschützenkönig: 1964

Oberliga Nord-Torschützenkönig: 1956, 1957, 1959, 1960, 1961, 1962

Seine Auszeichnungen

Fußballer des Jahres: 1960, 1964, 1970
Bundesverdienstkreuz: 1970
DFB-Ehrenspielführer seit 1972

[um]

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Oft sind es kleine Zufälle, die den Weg großer Menschen bestimmen. Auch bei unseren größten Fußballern ist dies zu beobachten. Was wäre aus Franz Beckenbauer geworden, hätte ihn nicht bei einem Jugendspiel ein Kicker der Münchner "Löwen" geohrfeigt? Man weiß es nicht, der FC Bayern jedenfalls hätte ein anderes Gesicht und wohl auch Gewicht bekommen ohne seinen "Kaiser".

Oder was wäre aus Fritz Walter geworden, wäre ihm nicht 1945 im Kriegsgefangenenlager am Tag vor dem Abtransport nach Sibirien der Ball vor die Füße gesprungen, mit dem die Wärter spielten? Er zeigte seine Kunst, wurde erkannt und gerettet – zum Wohle des ganzen deutschen Fußballs. Auch aus dem Leben von Uwe Seeler, einer von vier Ehrenspielführern des DFB, der am Samstag 75 Jahre alt wurde, gibt es eine solche Zufalls-Episode.

Das Kriegsjahr 1942: Die meisten Menschen haben Sorgen, gewiss größere als Familie Seeler. Und doch tagt an einem Abend jenes Jahres im Hamburger Stadtteil Eppendorf, Schnelsener Weg, in der Küche der Familienrat. Dem kleinen Uwe ist bei seinen ersten fußballerischen Gehversuchen schon mit sechs Jahren ein bemerkenswerter Doppelschlag gelungen, der ihm jedoch kein Lob einbringt. An zwei aufeinanderfolgenden Tagen hat er beim Kick auf der Straße Fensterscheiben eingeschossen und eine Nachbarin schimpft: "Natürlich wieder der Seeler. Man müsste die Polizei rufen." Das tut sie nicht, aber dafür tagt das Familiengericht und es urteilt streng. Die Mutter gibt die Staatsanwältin: "Der Lütte muss unbedingt in einen Kartengarten. Er wird mir sonst zu wild, er hat nichts anderes im Kopf als Fußballspielen."

Uwe Seeler zum 75. Geburtstag

Vater Erwin, ein großer HSV-Spieler, sagt nicht viel zu seiner Verteidigung und so kommt Klein-Uwe "in Haft". So zumindest empfindet er jedenfalls in seinen Erinnerungen die Zeit im Kindergarten: "Noch heute denke ich mit Grausen an die drei Vormittage zurück, die ich im Kindergarten verbracht habe."

Drei Tage "Haft" im Kindergarten für den "Lütte"

Drei Tage nur? In der Tat, denn am dritten Tag bricht Klein-Uwe aus. Verfolgt von der Kindergärtnerin und zwei größeren Jungs rennt er einfach nach Hause. "Zum ersten Mal habe ich erfahren, wie wichtig es ist, schnell laufen zu können." Der rund zehnminütige Sprint in Mutters Arme endet knapp siegreich, denn die Verfolger sind schon im Treppenhaus, als Uwe die rettende Tür erreicht. Was wäre wohl gewesen, wenn nicht?

So jedenfalls wird Uwe wieder abgemeldet aus dem Kindergarten und Familie Seeler überlässt auch "den Lütten" dem Fußball, dem Vater Erwin und der fünf Jahre ältere Bruder Dieter ohnehin schon verfallen sind. Nach ungezählten weiteren zerschossenen Scheiben und zerschlissenen Schuhen wird er am 1. April 1946 endlich beim HSV angemeldet.

170 Zentimeter geballte Willenskraft

"Ich glaube mit dem Ausweis bin ich auf Anhieb zehn Zentimeter gewachsen", schrieb er in seiner Autobiographie "Danke, Fußball". Und so nimmt sie ihren Lauf, die wohl grandioseste Mittelstürmer-Karriere des deutschen Fußballs nach oder besser neben Gerd Müller. Das Sensationelle an Seeler war seine Kopfballstärke, obwohl er nur 170 Zentimeter misst. 1961 gegen Dänemark glückten ihm mal drei Kopfballtore und sein Hinterkopftor 1970 in Mexiko gegen England ist ein Stück Kulturgeschichte. Was Training am Kopfballpendel doch ausmacht...

Der Instinktfußballer Gerd Müller schoss sicher noch ein paar Tore mehr als Seeler, dem Statistiker allein im Seniorenbereich 764 nachgewiesen haben. Doch Uwes Popularität war noch ein Stück weit größer. Was Müller nicht kränken dürfte, denn Seeler ist der vielleicht volkstümlichste Fußballer der DFB-Historie überhaupt. "Ihn kann man auch in Bayern, im Westen und in Schwaben verkaufen. Ich glaube, hier liegt das ganze Geheimnis seines Erfolgs. Ihn lieben alle deutschen Fußballfans", sagte einst Toni Turek, Torwart der Berner Helden.

Er war nicht nur der "Uns Uwe" der Hamburger, das ganze Land wollte ihn zu seinen besten Zeiten vereinnahmen. Einer zum Anfassen. Wegen seiner Tore gewiss, aber vor allem wegen seiner Tugenden. Der Kicker schrieb zu Seelers 70. Geburtstag: "Ob Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit, ob Redlichkeit und Treue, ob Fairness und Sportsgeist, ob Willen und Ausdauer oder Leidenschaft – Uwe verkörpert alle positiven Charaktereigenschaften in seiner Person: Er ist ein Star ohne Allüren."

Mit 17 Jahren Debüt in der deutschen Nationalmannschaft

Selbst die überaus nüchternen TV-Reporter der Sechziger kommentierten Ballstafetten bei der WM in England schon mal so: "Haller – Beckenbauer – Uwe, schieß doch!" Hamburgs "Uns Uwe" wurde zu Deutschlands Uwe, jedenfalls wenn die Nationalmannschaft spielte. Als die Vize-Weltmeister 1966 in Frankfurt empfangen wurden, riefen die Massen nicht etwa "Deutschland" sondern "Uwe, Uwe".

Ein einziges Mal nur wurde er vom Platz gestellt, 1957 in der Oberliga Nord gegen Wilhelmshaven. Die Entscheidung war so ungerecht, dass HSV-Fans den Platz stürmten. "Da war nichts. Ich könnte es doch jetzt zugeben. Ich wurde getreten, ich wollte auch treten, machte es aber nicht. Ganz ehrlich", sagt er noch dieser Tage einem Hamburger Journalisten.

Bundestrainer Sepp Herberger, der ihn schon mit 17 im Oktober 1954 gegen Frankreich debütieren ließ, gab seinem Mittelstürmer mit bereits 25 die Spielführerbinde. 40-mal trug er sie, unter anderem in zwei der größten Dramen der DFB-Geschichte. 1966 im legendären Wembley-Finale und 1970 im Spiel des Jahrhunderts gegen Italien hatte Deutschland viel Grund zur Klage über den Schiedsrichter. Es war unter anderem Seelers Verdienst, dass die Mannschaft die Fehlentscheidungen sportlich hinnahm und erst schimpfte, als die Kameras aus waren. Denn schimpfen konnte der Uwe.

Einmal, auch das ist eine schöne Episode aus seiner Jugend, gibt es eine kleine Revolution beim HSV gegen ihn. Seeler ist zu spät mit seinem Fahrrad zum Training gekommen und hört durch die offene Kabinentür, wie sich die Mitspieler bei Trainer Günter Mahlmann beschweren. Einer sagt: "Es ist schrecklich mit dem Uwe. Immer meckert er beim Spiel. Bildet er sich etwa ein, er wäre was Besseres als wir?" Ein anderer findet: "Ja, der Dicke will alles besser wissen. Sonst ist er ja ein netter Kerl. Aber beim Spiel ist er unausstehlich." Während Uwe vor Scham im Boden versinkt, schlichtet Günter Mahlmann: "Ihr dürft das dem Uwe nicht übel nehmen. Der kann eben nicht anders. Ihr wisst ja selbst, dass er ein anständiger Kerl ist." - den eben der Ehrgeiz treibt und zu einem anderen macht, sobald der Ball rollt. Auch das zum Wohle des deutschen Fußballs.

Millionenangebot von Europacupsieger Inter Mailand abgelehnt

Uwe Seeler trat am 9. September 1970 als damaliger Rekordnationalspieler ab: 72 Spiele, 43 Tore – und das Bundesverdienstkreuz um den Hals. Drei Mal war er Fußballer des Jahres geworden. Am 1. Mai 1972 beendete er seine Karriere beim HSV, mit dem er 1960 Deutscher Meister geworden war und für den er allein 404 Punktspiel-Tore erzielte. Und den er nie verlassen hat, was er Teil seiner ungeheuren Popularität ist. Trotz jenes verführerischen Angebots im Frühling 1961.

Der große Helenio Herrera, Trainer von Europacupsieger Inter Mailand, war extra nach Hamburg gekommen. "Signore Seeler, wir wollen Sie kaufen. Sie sind der beste Mittelstürmer den es zur Zeit gibt. Sie wissen ja: Catenaccio ist ein tolles System, aber sie können Catenaccio nur dann spielen, wenn jemand Tore schießt. Und das können Sie am besten." Er griff nach einem Koffer und lockte: "Diesen Koffer füllen wir sofort mit einer Million Mark, netto, bar, versteht sich. Das ist ihr Handgeld, wenn Sie für fünf Jahre nach Mailand kommen." Seeler schwankte. Er verdiente damals beim HSV 500 DM brutto. Er bat um Bedenkzeit und als er heim kam zu seiner Ilka, mit der er drei Töchter hat, sagte er: "Du kannst schon mal Italienisch lernen." Und die aus der Presse informierten Mitspieler sagten: "Uwe, Du musst gehen. Wir bringen Dich mit Blumen zum Flughafen."

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Doch ein abendliches Telefonat mit Sepp Herberger brachte die Wende: "Bleibe Se hier, Sie sind kein Typ, den man ins Ausland schicken kann. Zum Fremdenlegionär muss man geboren sein." Das spürte er auch selbst und so sagte er Herrera, der sich eine Woche lang im feinen Atlantic-Hotel an der Alster einquartiert hatte, ab: "Es ist nicht das Geld, es ist mein Gefühl. Für alle ist es besser, wenn ich in Hamburg bleibe."

Ehrenbürger der Hansestadt Hamburg

Da lebt er noch immer, seit 2003 gar als Ehrenbürger der Hansestadt. Noch immer geht er zu seinem HSV, dessen Präsident er von 1995 bis 1998 war – was er bereut. Weil sich die Fußballwelt geändert hat. Zuweilen, wenn er gefragt wird, verkündet er seine Ansichten, die niemand zu belächeln wagt: "Der Ball darf nicht in den Hintergrund und ins Abseits rollen. Er muss immer die Nummer eins bleiben."

Ganz so wie er für viele, die ihn spielen sahen und kennen lernen durften, immer die Nummer eins bleiben wird.

UWE SEELER: ZAHLEN UND FAKTEN

Seine Tore

Für den HSV:

in der Bundesliga: 137
in der Oberliga Nord: 267
in der Meisterschaftsendrunde: 40
im Europacup: 21
im DFB-Pokal: 43
in Freundschaftsspielen: 188

für Deutschland:

in Länderspielen: 43
in Jugendauswahlmannschaften: 9

in Auswahlspielen:

für Norddeutschland/Hamburg: 13
in Benefizspielen: 1
in Welt- und Europaauswahlen: 2

Seine Titel

Deutscher Meister: 1960
DFB-Pokalsieger: 1963
WM-Zweiter: 1966

Bundesliga-Torschützenkönig: 1964

Oberliga Nord-Torschützenkönig: 1956, 1957, 1959, 1960, 1961, 1962

Seine Auszeichnungen

Fußballer des Jahres: 1960, 1964, 1970
Bundesverdienstkreuz: 1970
DFB-Ehrenspielführer seit 1972