Schiedsrichter mit Pfiff: "Sir Heinz" kommt ohne Rot aus

Sie gehören zum Spiel wie der Ball ins Tor. 80.000 Schiedsrichter sorgen auf Deutschlands Fußballplätzen für Recht und Ordnung. DFB.de-Redakteur Steffen Lüdeke stellt immer donnerstags Referees mit ungewöhnlichen Geschichten vor. Engagiert und unparteiisch - Schiedsrichter mit Pfiff!

Um Gottes Willen, der schöne Kuchen! Stundenlang hatte Bäcker- und Konditormeister Heinz Heil in seiner Backstube gestanden, viel Liebe hatte er in sein Meisterwerk investiert. Und jetzt kommt da so ein wild gewordener Haufen und macht alles kaputt. Noch heute erinnert sich Heil an seine Gedankengänge, zwei Jahrzehnte danach.

Heil war damals vom Christopherus-Werk in Lingen zu einer Veranstaltung geladen, es war sein erster intensiver Kontakt mit geistig Behinderten. Ohne Präsent wollte er nicht kommen, es war schließlich ein besonderer Anlass: sein erster Auftritt als Schiedsrichter bei einem Fußballspiel geistig Behinderter. Als er gerade seine Kuchen und Torten aus dem Auto holte, kam ein Dutzend Jugendlicher auf ihn zugestürmt. Ein wenig unkoordiniert, alle sehr schnell und eifrig. Und Heil wurde nervös.

Heute weiß er, dass ihm die Jugendlichen nur helfen wollten. Keiner riss ihm den Kuchen aus der Hand, jeder wollte sich einbringen und nützlich sein. „Das sind alles ganz besonders liebe Menschen“, sagt Heil. Überhaupt denkt er über Menschen mit Behinderung heute anders, hat seine Berührungsängste abgebaut und unter ihnen Freunde gefunden. Dem Fußball sei Dank, der Schiedsrichterei sei Dank.

Seit 1966 an der Pfeife tätig

Seit 1966 ist Heil Schiedsrichter, zuvor war er Spieler, rechter Verteidiger, bis die Knie streikten und er die Seiten wechselte. Eine klassische Vita für einen Unparteiischen, ungewöhnlich lang vielleicht, aber wenig spektakulär. Bis in die Bezirksliga hat er es mit seinem Einsatz als Schiedsrichter geschafft, Heil war und ist unermüdlich, wenn er gerufen wird, ist er zur Stelle.

Es sei denn, seine Frau Helga verlangt nach ihm. Seit 49 Jahren ist das Paar verheiratet, 2011 wird Goldene Hochzeit gefeiert. Helga Heil ist behindert, Pflegestufe zwei. Und Gatte Heinz unternimmt alles, um seiner Helga zu helfen, so gut es eben geht. „Sie ist das Wichtigste für mich“, sagt er. Ihren Wünschen ordnet er alles unter, ansonsten aber steht auf dem Platz, so oft es geht.

Noch nie ein Spiel abgelehnt



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Sie gehören zum Spiel wie der Ball ins Tor. 80.000 Schiedsrichter sorgen auf Deutschlands Fußballplätzen für Recht und Ordnung. DFB.de-Redakteur Steffen Lüdeke stellt immer donnerstags Referees mit ungewöhnlichen Geschichten vor. Engagiert und unparteiisch - Schiedsrichter mit Pfiff!

Um Gottes Willen, der schöne Kuchen! Stundenlang hatte Bäcker- und Konditormeister Heinz Heil in seiner Backstube gestanden, viel Liebe hatte er in sein Meisterwerk investiert. Und jetzt kommt da so ein wild gewordener Haufen und macht alles kaputt. Noch heute erinnert sich Heil an seine Gedankengänge, zwei Jahrzehnte danach.

Heil war damals vom Christopherus-Werk in Lingen zu einer Veranstaltung geladen, es war sein erster intensiver Kontakt mit geistig Behinderten. Ohne Präsent wollte er nicht kommen, es war schließlich ein besonderer Anlass: sein erster Auftritt als Schiedsrichter bei einem Fußballspiel geistig Behinderter. Als er gerade seine Kuchen und Torten aus dem Auto holte, kam ein Dutzend Jugendlicher auf ihn zugestürmt. Ein wenig unkoordiniert, alle sehr schnell und eifrig. Und Heil wurde nervös.

Heute weiß er, dass ihm die Jugendlichen nur helfen wollten. Keiner riss ihm den Kuchen aus der Hand, jeder wollte sich einbringen und nützlich sein. „Das sind alles ganz besonders liebe Menschen“, sagt Heil. Überhaupt denkt er über Menschen mit Behinderung heute anders, hat seine Berührungsängste abgebaut und unter ihnen Freunde gefunden. Dem Fußball sei Dank, der Schiedsrichterei sei Dank.

Seit 1966 an der Pfeife tätig

Seit 1966 ist Heil Schiedsrichter, zuvor war er Spieler, rechter Verteidiger, bis die Knie streikten und er die Seiten wechselte. Eine klassische Vita für einen Unparteiischen, ungewöhnlich lang vielleicht, aber wenig spektakulär. Bis in die Bezirksliga hat er es mit seinem Einsatz als Schiedsrichter geschafft, Heil war und ist unermüdlich, wenn er gerufen wird, ist er zur Stelle.

Es sei denn, seine Frau Helga verlangt nach ihm. Seit 49 Jahren ist das Paar verheiratet, 2011 wird Goldene Hochzeit gefeiert. Helga Heil ist behindert, Pflegestufe zwei. Und Gatte Heinz unternimmt alles, um seiner Helga zu helfen, so gut es eben geht. „Sie ist das Wichtigste für mich“, sagt er. Ihren Wünschen ordnet er alles unter, ansonsten aber steht auf dem Platz, so oft es geht.

Noch nie ein Spiel abgelehnt

Auch heute noch. „Auf ihn kann ich mich immer verlassen. Leider gibt es nicht mehr viele von seiner Sorte“, sagt deswegen Walter Block, der Schiedsrichteransetzer im Kreis Emsland-Süd. „Sir Heinz“, nennt er Heil freundschaftlich, „Sir Walter“ gibt dieser zurück.

Beide kennen einander seit Jahrzehnten. In all dieser Zeit hat der Schiedsrichter vom ASV Altenlingen noch nie ein Spiel abgelehnt, nicht an seinem Geburtstag, nicht an anderen Feiertagen. „Mir macht das einfach Spaß“, sagt Heil. „Ich bin gerne auf dem Fußballplatz und freue mich, dass ich auf diese Weise weiter Kontakt zu meinem Sport habe.“

Eingeladen vom Christopherus-Werk

Unzählige Spiele hat er geleitet, aktuell sind es immer noch mindestens vier im Monat. Detailliert erinnern kann er sich nicht mehr an jedes seiner Spiele, einige dieser Begegnungen wird er aber nie vergessen. Die Partien, die ihm besonders in Erinnerung sind, sind jene, die aus ihm einen Schiedsrichter mit Pfiff machen.

Heil leitet häufig Spiele von Mannschaften behinderter Spieler. Zumeist solche von Spielern mit geistiger Behinderung, mit intellektueller Beeinträchtigung, wie es offiziell heißt. Diesem Zweck diente euch sein erster Besuch im Christopherus-Werk, vor 20 Jahren war Heil nicht als Bäcker- und Konditormeister geladen, sondern als Meister seines Fachs an der Pfeife.

Mehr Helfer als Regelwächter

Seither hat Heil gut 50 Spiele von Spielern mit geistiger Behinderung geleitet. Der Unterschied? Ist nicht gering. Gar nicht so sehr der anderen Regeln wegen. Bei den Spielen der Mannschaften mit intellektueller Beeinträchtigung gibt es beispielsweise kein Abseits, es wird zumeist auf Kleinfeld und mit einer Mannschaftsstärke von sieben Akteuren gespielt. „Das sind aber alles Kleinigkeiten“, sagt Heil.

Der größte Unterschied besteht in der Funktion des Schiedsrichters. Heil ist weniger Regelwächter als vielmehr Helfer der Spieler. „Der Schiedsrichter ist der 23. Mann“, sagt der 71-Jährige. Was er meint, wird bei seinen Erzählungen schnell deutlich. Im Laufe der Jahre hat er Hunderte Schnürsenkel neu gebunden, etliche Schienbeinschoner wieder justiert, viele Spieler getröstet und sonst zahlreiche Hilfestellungen gegeben.

"Auch mal Fünfe gerade sein lassen"

Mal vereinbart Heil mit den Torhütern vor dem Spiel, dass er ihnen durch Handzeichen zu verstehen gibt, ob sie den Ball aus der Hand oder vom Boden abschlagen müssen. Dann schlichtet er zwischen zwei Spielern, wenn der eine ungerecht findet, dass ihm der andere den Ball abgenommen hat. Oder er drückt beide Augen zu, wenn ein Spieler einen Einwurf mit nur einer Hand ausführt oder dabei hochspringt.

Nicht ohne diesen Spielern wenig später noch einmal und zur Not wiederholt zu erläutern, was sie falsch gemacht haben und wie sie es hätten richtig machen können. Beim nächsten Mal. Oder halt danach. „Man muss auch mal Fünfe gerade sein lassen können“, sagt Heil. „Es bringt ja nichts, wenn ich mich streng an die Regeln halte und damit allen den Spaß verderbe.“

So ist es auch bei Spielen geistig behinderter Spieler gegen Gehörlosen-Mannschaften. Hier wird der Schiedsrichter nicht nur zum Helfer, sondern auch zu einer Art Dolmetscher. Die Kommunikation läuft auf denkbar einfache und doch komplizierte Art: Bläst Heil in seine Pfeife, erstarren die hörenden Spieler zur Salzsäule. Die Gehörlosen haben also ein optisches Signal, nehmen dann mit dem Schiedsrichter Blickkontakt auf und können auf dessen Mimik und Gestik reagieren.

Manchmal bedanken sich die Spieler auch

„Das ist schon alles“, sagt Heil, als er aus Schiedsrichter-Sicht die Unterschiede zwischen dem „normalen“ und „unnormalen“ Fußball erläutern soll. Sonst also nichts? Heil überlegt. „Die Spieler sind viel freundlicher“, sagt er schließlich. Beim Fußball nichtbehinderter Menschen bekommt Heil fast immer, zumindest häufig, Komplimente. Die Spieler bedanken sich, reichen ihm die Hand. Gut gemacht, Danke schön, bis zum nächsten Mal.

Ähnliche Szenen erlebt Heil bei den Begegnungen geistig behinderter Spieler ständig – auf dem Platz. „Manchmal ist es lustig“, sagt Heil. „Es kam schon vor, dass sich Spieler bei mir für das tolle Spiel bedanken und ich sie darauf hinweisen musste, dass das Spiel noch gar nicht zu Ende ist.“

Bis heute hat Heil bei den Spielen zwischen Behinderten-Mannschaften nie einen Spieler vom Platz gestellt. Obwohl es durchaus rotwürdige Vergehen gegeben habe. Zu einem schlechten Schiedsrichter macht ihn das nicht, im Gegenteil. Lieber nimmt er einen Spieler beiseite, manchmal auch in dem Arm und flüstert ihm ins Ohr, dass es besser wäre, sich schnell auswechseln zu lassen.

Mit 72 noch nicht am Karriereende

Eine gewisse „Erfahrung im Umgang mit Menschen“ und „viel Fingerspitzengefühl“ nennt Heil Eigenschaften, die einen Schiedsrichter beim Fußball geistig behinderter Menschen auszeichnen. Attribute also, die er in seiner Person vereint und die aus ihm einen erstklassigen Unparteiischen machen.

Wie lange noch? Im 3. April wird Heil 72, ans Aufhören denkt er dennoch nicht. Heil fühlt sich fit, er hat heute noch genau so viel Spaß auf dem Platz wie vor 44 Jahren. Deswegen macht er weiter, lediglich zwei Szenarien nennt er, die zu einem Ende seiner Karriere führen könnten: „Wenn die Spieler sich nicht mehr freuen, wenn ´Sir Heinz´ kommt“, sagt er. Oder wenn seine Frau ihn bittet, mit der Schiedsrichterei aufzuhören.