Rudi Völler: "Ich werde Entscheidungen treffen müssen"

Die deutsche Nationalmannschaft bestreitet heute in der Gelsenkirchener Arena "AufSchalke" ein Test-Länderspiel gegen den amtierenden Europameister Frankreich (20.45 Uhr/live in der ARD). DFB-Teamchef Rudi Völler äußert sich in einem Interview im Vorfeld der Partie über den kommenden Gegner, aber auch zur derzeitigen Situation im deutschen Fußball.

Frage: "Rudi Völler, die französische Nationalmannschaft hat sich ohne Punktverlust für die Europameisterschaft qualifiziert, Deutschland hingegen hat Mühe gehabt. Welchen Unterschied gibt es, vor allem in Bezug auf die Ausbildung des Nachwuchses?"

Rudi Völler: "Zunächst einmal denke ich, dass Fußballer wie Wein sind. Es gibt gute Jahrgänge und weniger gute. Mit der Arbeit im technischen Bereich, mit logistischer Unterstützung können wir helfen, aber wir können nichts an den Grundlagen ändern. 1990 verfügte Deutschland über Ausnahme-Fußballer, und wir wurden Weltmeister. 1998 und 2000, mit Zidane und Co., war Frankreich dran. Immer da, wo die A-Nationalmannschaft erfolgreich spielt, wird automatisch das Ausbildungssystem auf der ganzen Welt bewundert."

Frage: "Aber in Deutschland wird immer noch vom Ausbildungssystem der Franzosen geschwärmt!"

Völler: "Hören wir auf, Legendenbildung zu fördern. Das Ausbildungssystem in Frankreich ist vorbildlich, gewiss, und in Deutschland übernehmen wir einige Elemente als modellhaft. Ich habe als Profi in Bremen, Rom, Marseille und Leverkusen gespielt, und um ehrlich zu sein: An letzter Stelle in der Nachwuchsarbeit kam Marseille. Einige Vereine in Frankreich wie Nantes und Auxerre waren und sind immer noch beispielhaft. Trotzdem ist nicht alles, was bei uns in der Nachwuchsarbeit geleistet wird, schlechter als in Frankreich."

Frage: "Fast die gesamte französische Nationalmannschaft spielt im Ausland. Hat das einen Einfluss auf die Liga und die Zukunft der Nationalmannschaft?"

Völler: "Ja und nein. Es gilt, festzustellen, dass der französische Vereinsfußball in den letzten Jahren nicht sehr erfolgreich gewesen ist, auch wenn die jungen Spieler die Chance hatten, sich durchzusetzen, weil die Besten abwesend waren. Was aber Deutschland betrifft: Wenn mehr als 60 Prozent der eingesetzten Spieler Ausländer sind, kann das nicht gut sein. Ich habe in Deutschland, in Italien und Frankreich gespielt, ich bin mit einer Italienerin verheiratet, und ich darf diese Ansicht deshalb laut äußern, ohne in in einen falschen Verdacht zu geraten."

Frage: "Sie können aber die von der Politik garantierte freie Arbeitsplatzwahl in Europa nicht ändern!"

Völler: "Nein, aber Leute wie Sepp Blatter, Lennart Johansson und Gerhard Mayer-Vorfelder haben ja Recht, wenn sie dafür kämpfen, dass die Spezifizität des Sports anerkannt wird. Außerdem müssen wir selber in Deutschland ein paar Hindernisse aufbauen. In den Niederlanden muss Ausländern ein Mindestgehalt gezahlt werden, damit die Vereine nicht Billig-Ausländer verpflichten, in England muss man Nationalspieler sein, um eine Arbeitserlaubnis zu erhalten - wir müssen in Deutschland das gesamte System einer Prüfung unterziehen. Ich kenne kein Allheilmittel, ich weiß nur, dass wir etwas gegen diese Entwicklung tun müssen und Dinge verändern müssen. In der Regionalliga müssen heute schon beispielsweise drei Spieler auf dem Spielberichtsbogen stehen, die jünger als 24 sind. Na gut, ich war Sportdirektor bei Bayer Leverkusen und kenne von daher auch die Sicht der Vereine sehr gut. Wir müssen nachdenken und Kompromisse finden."

Frage: "Seit einem Jahr gibt der DFB 10 Millionen Euro pro Jahr zur Verbesserung der Nachwuchsarbeit aus. Gleichzeitig sind in Kaiserslautern, Hamburg und Berlin drei Vereine in der 1. Runde des UEFA-Pokals gescheitert. Ist also das Geld zum Fenster herausgeworfen worden, wie einige Kritiker meinen?"

Völler: "Zunächst einmal gilt es festzuhalten, dass diese Maßnahmen zur Unterstützung des Nachwuchses nicht sofort greifen können. Ich bin übrigens der Meinung, dass sie uns noch nicht einmal für die WM 2006 helfen werden, sondern dass wir durch diese Maßnahmen vorbereitet sind auf das Interesse, das durch die WM 2006 ausgelöst werden wird und viele Jugendliche in die Vereine treiben wird. Was das Ausscheiden der deutschen Vereine betrifft: Das betrachte ich als Betriebsunfall, das hat Italien vor einigen Jahren auch durchgemacht, und dann sind die Italiener aber wieder gewaltig nach oben gekommen. Nein, im Allgemeinen geht es dem deutschen Fußball gut. Ich bin nicht beunruhigt."

Frage: "Auf Grund vieler Verletzungen haben Sie in den letzten Spielen viele Nachwuchsspieler einsetzen müssen, und die haben sich überraschend gut geschlagen. Nach welchen Kriterien werden Sie ihre Spieler für die EM aussuchen?"

Völler: "Ich werde Entscheidungen treffen müssen, und manche werden schwierig und delikat sein. Aber ich ziehe dieses Dilemma der Alternative vor, keine Wahl zu haben."

Frage: "Bayern-Trainer Ottmar Hitzfeld hat sich gewünscht, dass Linksverteidiger Tobias Rau einiges von Bixente Lizarazu lerne. Kürzlich hat Lizarazu verraten, dass Rau ihn bislang nicht ein einziges Mal um Rat gebeten habe. Enttäuscht Sie das?"

Völler: "Nicht wirklich, denn von einem Weltmeister wie Bixente Lizarazu kann man sehr viel nur durch Zuschauen lernen -auf dem Feld und auch beim Training. Um im Fußball dazuzulernen, ist reden nicht unbedingt notwendig. Was ich wichtiger finde, ist die Spielpraxis. Ich beispielsweise bin Stürmer von internationaler Qualität geworden, weil ich bei Kickers Offenbach in der 2. Liga begonnen habe. Der Verein hatte kein Geld, deshalb konnte ich mir Fehler erlauben - man konnte mich ja nicht auswechseln. Es steht mir nicht zu, die persönliche Entscheidung eines Spielers zu kritisieren, aber als Teamchef und allgemein gesprochen kann ich jedem Nachwuchsspieler nur raten, zunächst Spielpraxis zu suchen. Der Rest kommt von alleine."

Frage: "Was halten Sie von der Idee der FIFA, dass junge Spieler bis zu einem gewissen Alter sich aussuchen dürfen, für welches Land sie spielen wollen, solange sie noch nicht in der A-Mannschaft eingesetzt wurden?"

Völler: "Ich denke, da geht die FIFA in die richtige Richtung. Oft sind es doch die Eltern die, aus Liebe zu ihrem Heimatland, entscheiden, dass ihre Kinder, die im Gastland geboren sind, für das Heimatland der Eltern spielen sollen. Ich finde es gut, wenn in Zukunft die Jugendlichen in einem Alter, wo sie selbstverantwortlich entscheiden können, auch bestimmen können, für welches Land sie spielen wollen."

[ar]


[bild1]Die deutsche Nationalmannschaft bestreitet heute in der Gelsenkirchener Arena "AufSchalke" ein Test-Länderspiel gegen den amtierenden Europameister Frankreich (20.45 Uhr/live in der ARD). DFB-Teamchef Rudi Völler äußert sich in einem Interview im Vorfeld der Partie über den kommenden Gegner, aber auch zur derzeitigen Situation im deutschen Fußball.



Frage: "Rudi Völler, die französische Nationalmannschaft hat sich ohne Punktverlust für die Europameisterschaft qualifiziert, Deutschland hingegen hat Mühe gehabt. Welchen Unterschied gibt es, vor allem in Bezug auf die Ausbildung des Nachwuchses?"



Rudi Völler: "Zunächst einmal denke ich, dass Fußballer wie Wein sind. Es gibt gute Jahrgänge und weniger gute. Mit der Arbeit im technischen Bereich, mit logistischer Unterstützung können wir helfen, aber wir können nichts an den Grundlagen ändern. 1990 verfügte Deutschland über Ausnahme-Fußballer, und wir wurden Weltmeister. 1998 und 2000, mit Zidane und Co., war Frankreich dran. Immer da, wo die A-Nationalmannschaft erfolgreich spielt, wird automatisch das Ausbildungssystem auf der ganzen Welt bewundert."



Frage: "Aber in Deutschland wird immer noch vom Ausbildungssystem der Franzosen geschwärmt!"



Völler: "Hören wir auf, Legendenbildung zu fördern. Das
Ausbildungssystem in Frankreich ist vorbildlich, gewiss, und in
Deutschland übernehmen wir einige Elemente als modellhaft. Ich habe als Profi in Bremen, Rom, Marseille und Leverkusen gespielt, und um ehrlich zu sein: An letzter Stelle in der Nachwuchsarbeit kam Marseille. Einige Vereine in Frankreich wie Nantes und Auxerre waren und sind immer noch beispielhaft. Trotzdem ist nicht alles, was bei uns in der Nachwuchsarbeit geleistet wird, schlechter als in Frankreich."



Frage: "Fast die gesamte französische Nationalmannschaft spielt im Ausland. Hat das einen Einfluss auf die Liga und die Zukunft der Nationalmannschaft?"



Völler: "Ja und nein. Es gilt, festzustellen, dass der
französische Vereinsfußball in den letzten Jahren nicht sehr
erfolgreich gewesen ist, auch wenn die jungen Spieler die Chance hatten, sich durchzusetzen, weil die Besten abwesend waren. Was aber Deutschland betrifft: Wenn mehr als 60 Prozent der eingesetzten Spieler Ausländer sind, kann das nicht gut sein. Ich habe in Deutschland, in Italien und Frankreich gespielt, ich bin mit einer Italienerin verheiratet, und ich darf diese Ansicht deshalb laut äußern, ohne in in einen falschen Verdacht zu geraten."



Frage: "Sie können aber die von der Politik garantierte freie Arbeitsplatzwahl in Europa nicht ändern!"



Völler: "Nein, aber Leute wie Sepp Blatter, Lennart Johansson und Gerhard Mayer-Vorfelder haben ja Recht, wenn sie dafür kämpfen, dass die Spezifizität des Sports anerkannt wird. Außerdem müssen wir selber in Deutschland ein paar Hindernisse aufbauen. In den Niederlanden muss Ausländern ein Mindestgehalt gezahlt werden, damit die Vereine nicht Billig-Ausländer verpflichten, in England muss man Nationalspieler sein, um eine Arbeitserlaubnis zu erhalten - wir müssen in Deutschland das gesamte System einer Prüfung unterziehen. Ich kenne kein Allheilmittel, ich weiß nur, dass wir etwas gegen diese Entwicklung tun müssen und Dinge verändern müssen. In der Regionalliga müssen heute schon beispielsweise drei Spieler auf dem Spielberichtsbogen stehen, die jünger als 24 sind. Na gut, ich war Sportdirektor bei Bayer Leverkusen und kenne von daher auch die Sicht der Vereine sehr gut. Wir müssen nachdenken und Kompromisse finden."



Frage: "Seit einem Jahr gibt der DFB 10 Millionen Euro pro Jahr zur Verbesserung der Nachwuchsarbeit aus. Gleichzeitig sind in Kaiserslautern, Hamburg und Berlin drei Vereine in der 1. Runde des UEFA-Pokals gescheitert. Ist also das Geld zum Fenster herausgeworfen worden, wie einige Kritiker meinen?"



Völler: "Zunächst einmal gilt es festzuhalten, dass diese Maßnahmen zur Unterstützung des Nachwuchses nicht sofort greifen können. Ich bin übrigens der Meinung, dass sie uns noch nicht einmal für die WM 2006 helfen werden, sondern dass wir durch diese Maßnahmen vorbereitet sind auf das Interesse, das durch die WM 2006 ausgelöst werden wird und viele Jugendliche in die Vereine treiben wird. Was das Ausscheiden der deutschen Vereine betrifft: Das betrachte ich als Betriebsunfall, das hat Italien vor einigen Jahren auch durchgemacht, und dann sind die Italiener aber wieder gewaltig nach oben gekommen. Nein, im Allgemeinen geht es dem deutschen Fußball gut. Ich bin nicht beunruhigt."



Frage: "Auf Grund vieler Verletzungen haben Sie in den letzten Spielen viele Nachwuchsspieler einsetzen müssen, und die haben sich überraschend gut geschlagen. Nach welchen Kriterien werden Sie ihre Spieler für die EM aussuchen?"



Völler: "Ich werde Entscheidungen treffen müssen, und manche werden schwierig und delikat sein. Aber ich ziehe dieses Dilemma der Alternative vor, keine Wahl zu haben."



Frage: "Bayern-Trainer Ottmar Hitzfeld hat sich gewünscht, dass Linksverteidiger Tobias Rau einiges von Bixente Lizarazu lerne. Kürzlich hat Lizarazu verraten, dass Rau ihn bislang nicht ein einziges Mal um Rat gebeten habe. Enttäuscht Sie das?"



[bild2]Völler: "Nicht wirklich, denn von einem Weltmeister wie Bixente Lizarazu kann man sehr viel nur durch Zuschauen lernen -auf dem Feld und auch beim Training. Um im Fußball dazuzulernen, ist reden nicht unbedingt notwendig. Was ich wichtiger finde, ist die Spielpraxis. Ich beispielsweise bin Stürmer von internationaler Qualität geworden, weil ich bei Kickers Offenbach in der 2. Liga begonnen habe. Der Verein hatte kein Geld, deshalb konnte ich mir Fehler erlauben - man konnte mich ja nicht auswechseln. Es steht mir nicht zu, die persönliche Entscheidung eines Spielers zu kritisieren, aber als Teamchef und allgemein gesprochen kann ich jedem Nachwuchsspieler nur raten, zunächst Spielpraxis zu suchen.
Der Rest kommt von alleine."



Frage: "Was halten Sie von der Idee der FIFA, dass junge Spieler bis zu einem gewissen Alter sich aussuchen dürfen, für welches Land sie spielen wollen, solange sie noch nicht in der A-Mannschaft eingesetzt wurden?"



Völler: "Ich denke, da geht die FIFA in die richtige Richtung. Oft sind es doch die Eltern die, aus Liebe zu ihrem Heimatland, entscheiden, dass ihre Kinder, die im Gastland geboren sind, für das Heimatland der Eltern spielen sollen. Ich finde es gut, wenn in Zukunft die Jugendlichen in einem Alter, wo sie selbstverantwortlich entscheiden können, auch bestimmen können, für welches Land sie spielen wollen."