Oliver Bierhoff: "Weiter für neue Wege offen sein"

Gemeinsam mit Joachim Löw, Hans-Dieter Flick und Andreas Köpke zog er am 11. Dezember eine sportliche Bilanz des WM-Jahres 2006: Oliver Bierhoff konnte bei der Pressekonferenz in der Frankfurter DFB-Zentrale ebenso wie seine Kollegen von einigen Superlativen und Rekorden berichten. Anschließend traf sich der Nationalmannschafts-Manager nochmals mit Harald Stenger, um über die wichtigsten Stationen und interessantesten Erlebnisse der vergangenen Monate zu plaudern.

Frage: Der Winter ist gekommen. Aber alle Fußball-Fans reden weiterhin vom "Sommermärchen".

Oliver Bierhoff: Das ist natürlich für uns eine große Freude, ja es erfüllt uns mit Stolz und Dankbarkeit. Die WM war ein großartiges Erlebnis. Deshalb werden wir uns wohl noch lange daran erinnern und einige werden sicherlich auch in der Vergangenheit schwelgen. Doch so schön alles war: Der Blick der Trainer und mein Denken orientieren sich längst wieder an den Herausforderungen der Zukunft.

Frage: Trotzdem sind die Bilder des Filmes von Sönke Wortmann, um es mit Joachim Löw zu sagen, so etwas wie ein Dokument für die Ewigkeit.

Bierhoff: Diese Dokumentation ist etwas Einmaliges und wird es in dieser Form wahrscheinlich nicht mehr geben. Wir wollten unseren Millionen Fans einen Blick hinter die Kulissen ermöglichen und ich bin froh, dass die Spieler mitgemacht haben. Das war nicht selbstverständlich. Unserem Freund Sönke ist der Film eindrucksvoll gelungen und wir können nicht oft genug "Danke" für seine Arbeit sagen. Das Besondere ist, dass er die Menschlichkeit der Spieler und der Trainer rübergebracht hat. Darüber freue ich mich ungemein. Denn dadurch wurde deutlich, welche tolle Gemeinschaft wir sind. Nicht nur auf dem Platz, sondern auch außerhalb davon. Es wird künftig nicht mehr so schnell möglich sein, unsere Jungs als "Abzocker" oder gar "Scheiß-Millionäre" zu verunglimpfen.

Frage: Wie erleben die Mitglieder des WM-Kaders heute den Film und viele imposante Szenen daraus?

Bierhoff: Jeder auf seine Weise. Ich weiß, dass von Routiniers im Kreise der Spieler bis zu Mitarbeitern aus dem "Team hinter dem Team" mancher immer wieder Gänsehaut bekommt, wenn das Gespräch auf die WM kommt oder einzelne Momente beispielsweise durch den Film wach werden. Joachim Löw hat kürzlich gesagt, dass es für uns alle gut gewesen wäre, wenn wir uns erst einmal vier Wochen hätten zurückziehen können, um die Emotionalität, die Dramaturgie und auch den Druck der WM-Wochen zu verarbeiten. Für die meisten war das nicht möglich, denn es ging nach einer kurzen Pause sofort weiter. Ich kann mir vorstellen, dass vielen von uns erst mit einer gewissen Distanz wirklich klar wird, was wir erlebt und bewegt haben. Denn ganz Deutschland stand hinter uns und wir haben – ohne pathetisch werden zu wollen – für das Ansehen unseres Landes viel getan. Wir waren eine verschworene Gemeinschaft und dank unseres Teamgeists haben wir bewiesen, dass man mit Ehrgeiz, Disziplin, Leidenschaft und Selbstbewusstsein große Ziele erreichen kann, obwohl einem das viele nicht zutrauen oder die Ausgangsposition nicht so günstig ist. Wir wollen wirklich nicht überheblich sein, aber das sollte auch ein Signal an unsere Gesellschaft sein.

Frage: Zum Sportlichen. Das WM-Jahr fing ja nicht gerade gut an mit der 1:4-Niederlage in Florenz gegen Italien...

Bierhoff: Da kann ich nicht widersprechen. Im Nachhinein war jedoch dieses Länderspiel eine sehr wichtige Station für uns. Wir haben damals den Glauben an uns selbst nicht verloren, trotz teilweise massiver Kritik an Jürgen Klinsmann und seinem Arbeitsstil. Das war in gewisser Weise typisch. Alle schreien nach Reformen und wenn man sie dann in Angriff nimmt, sind viele bei den ersten Rückschlägen gleich unzufrieden. Es war für uns als sportliche Leitung entscheidend, dass wir uns davon nicht beeindrucken haben lassen und gegen die Widerstände von außen unserer Linie treu geblieben sind. Es ist heutzutage ein Problem, dass sich viele zu sehr von der öffentlichen Meinung lenken lassen und die Prinzipien ihrer Arbeit daran orientieren, was erwartet wird und gut ankommt. Wir haben uns darauf verständigt, das zu machen, wovon wir überzeugt sind und daran festzuhalten, selbst wenn uns der Wind mal kräftig ins Gesicht bläst.

Frage: Und so konnte nun am Ende des Jahres eine beeindruckende Erfolgsbilanz verkündet werden...

Bierhoff: In der Tat. Dass es dabei so viele Rekorde gab, ist uns erst so richtig aufgefallen, als wir Bilanz gezogen haben. Beispielsweise gab es zuvor für eine deutsche Nationalmannschaft noch nie 14 Länderspiel-Siege in einem Jahr – da rechne ich den Erfolg im Elfmeterschießen im WM-Viertelfinale gegen Argentinien rein, obwohl ich weiß, dass in der FIFA-Statistik das Ergebnis nach 120 Minuten, also das Unentschieden am Ende der Verlängerung, gewertet wird. Wir haben einen Schnitt von 2,33 Punkten und 3,05 Tore pro Spiel. Im Rückblick auf die vergangenen zehn Jahre hat die DFB-Auswahl nur 1997 mehr Punkte geholt und mit Abstand in diesem Jahr die meisten Tore geschossen seit 1996.

Frage: Und ähnliche Superlative können aus anderen Bereichen vermeldet werden...

Bierhoff: Es fängt an mit der Zahl der von adidas verkauften Trikots der deutschen Nationalmannschaft. Das waren in diesem Jahr sage und schreibe 1,4 Millionen. Im WM-Jahr 2002 waren es 220.000. Unsere WM-Spiele wurden durchschnittlich von 23,8 Millionen TV-Zuschauern in Deutschland verfolgt, die Massen beim Public Viewing im ganzen Land sind da natürlich nicht mitgezählt. Den Film von Sönke Wortmann haben in den Kinos rund vier Millionen Besucher gesehen und dann 10,5 Millionen Zuschauer bei seiner Fernseh-Premiere in der ARD. Und ich denke außerdem an das öffentliche Training in Düsseldorf vor dem Länderspiel gegen die USA in Dortmund, als 42.500 Fans in die Arena strömten und einen neuen Rekord aufstellten.

Frage: Rundum also Grund zur Zufriedenheit?

Bierhoff: Ja, aber nicht zur Selbstzufriedenheit. Wir müssen weiter für neue Wege offen sein, die Entwicklungen weiter vorantreiben und uns stetig verbessern. Unser Nationalmannschafts-Kader ist noch nicht am Ende seiner Entwicklung. Zumal wir uns bei aller WM-Begeisterung immer vor Augen halten müssen: Unser großes Ziel, Weltmeister zu werden, haben wir verfehlt. Jetzt sind die EM 2008 und auch schon die WM 2010 unsere nächsten Ziele. Es wäre die Fortsetzung unseres Traums, wenn wir dort den Titel gewinnen könnten. Doch jetzt ist erst einmal die Konzentration auf die EM-Qualifikation angesagt und dann geht es eben Schritt für Schritt weiter.

Frage: Das ist praktisch das Schlusswort. Fehlt noch etwas?

Bierhoff: Ich möchte mich nochmals bei allen bedanken, die diese unvergessliche WM für uns alle möglich gemacht haben. Zuerst bei den Spielern, denn sie sind diejenigen, die den sportlichen Aufschwung und Erfolg erspielt und erkämpft haben. Genauso bei den Trainern und dem "Team hinter dem Team" für die vorbildliche Arbeit, die sie abgeliefert haben. Selbstverständlich bei unserem WM-Organisationskomitee, das Phänomenales geleistet hat. Und dann genauso herzlich bei allen Verantwortlichen und Mitarbeitern des DFB, der gesamten Bundesliga und unseren Sponsoren. Last, but not least außerdem bei der Bundesregierung mit Dr. Angela Merkel an der Spitze für vielfältige Unterstützung und den vielen stillen, unbekannten Helfern im Hintergrund im ganzen Land, die ebenfalls großen Anteil am Gelingen dieser WM haben.

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[bild1]Gemeinsam mit Joachim Löw, Hans-Dieter Flick und Andreas Köpke zog er am 11. Dezember eine sportliche Bilanz des WM-Jahres 2006: Oliver Bierhoff konnte bei der Pressekonferenz in der Frankfurter DFB-Zentrale ebenso wie seine Kollegen von einigen Superlativen und Rekorden berichten. Anschließend traf sich der Nationalmannschafts-Manager nochmals mit Harald Stenger, um über die wichtigsten Stationen und interessantesten Erlebnisse der vergangenen Monate zu plaudern.



Frage: Der Winter ist gekommen. Aber alle Fußball-Fans reden weiterhin vom "Sommermärchen".



Oliver Bierhoff: Das ist natürlich für uns eine große Freude, ja es erfüllt uns mit Stolz und Dankbarkeit. Die WM war ein großartiges Erlebnis. Deshalb werden wir uns wohl noch lange daran erinnern und einige werden sicherlich auch in der Vergangenheit schwelgen. Doch so schön alles war: Der Blick der Trainer und mein Denken orientieren sich längst wieder an den Herausforderungen der Zukunft.



Frage: Trotzdem sind die Bilder des Filmes von Sönke Wortmann, um es mit Joachim Löw zu sagen, so etwas wie ein Dokument für die Ewigkeit.



Bierhoff: Diese Dokumentation ist etwas Einmaliges und wird es in dieser Form wahrscheinlich nicht mehr geben. Wir wollten unseren Millionen Fans einen Blick hinter die Kulissen ermöglichen und ich bin froh, dass die Spieler mitgemacht haben. Das war nicht selbstverständlich. Unserem Freund Sönke ist der Film eindrucksvoll gelungen und wir können nicht oft genug "Danke" für seine Arbeit sagen. Das Besondere ist, dass er die Menschlichkeit der Spieler und der Trainer rübergebracht hat. Darüber freue ich mich ungemein. Denn dadurch wurde deutlich, welche tolle Gemeinschaft wir sind. Nicht nur auf dem Platz, sondern auch außerhalb davon. Es wird künftig nicht mehr so schnell möglich sein, unsere Jungs als "Abzocker" oder gar "Scheiß-Millionäre" zu verunglimpfen.



Frage: Wie erleben die Mitglieder des
WM-Kaders heute den Film und viele imposante Szenen daraus?



Bierhoff: Jeder auf seine Weise. Ich weiß, dass von Routiniers im Kreise der Spieler bis zu Mitarbeitern aus dem "Team hinter dem Team" mancher immer wieder Gänsehaut bekommt, wenn das Gespräch auf die WM kommt oder einzelne Momente beispielsweise durch den Film wach werden. Joachim Löw hat kürzlich gesagt, dass es für uns alle gut gewesen wäre, wenn wir uns erst einmal vier Wochen hätten zurückziehen können, um die Emotionalität, die Dramaturgie und auch den Druck der WM-Wochen zu verarbeiten. Für die meisten war das nicht möglich, denn es ging nach einer kurzen Pause sofort weiter. Ich kann mir vorstellen, dass vielen von uns erst mit einer gewissen Distanz wirklich klar wird, was wir erlebt und bewegt haben. Denn ganz Deutschland stand hinter uns und wir haben – ohne pathetisch werden zu wollen – für das Ansehen unseres Landes viel getan. Wir waren eine verschworene Gemeinschaft und dank unseres Teamgeists haben wir bewiesen, dass man mit Ehrgeiz, Disziplin, Leidenschaft und Selbstbewusstsein große Ziele erreichen kann, obwohl einem das viele nicht zutrauen oder die Ausgangsposition nicht so günstig ist. Wir wollen wirklich nicht überheblich sein, aber das sollte auch ein Signal an unsere Gesellschaft sein.



Frage: Zum Sportlichen. Das WM-Jahr fing ja nicht gerade gut an mit der 1:4-Niederlage in Florenz gegen Italien...



Bierhoff: Da kann ich nicht widersprechen. Im Nachhinein war jedoch dieses Länderspiel eine sehr wichtige Station für uns. Wir haben damals den Glauben an uns selbst nicht verloren, trotz teilweise massiver Kritik an Jürgen Klinsmann und seinem Arbeitsstil. Das war in gewisser Weise typisch. Alle schreien nach Reformen und wenn man sie dann in Angriff nimmt, sind viele bei den ersten Rückschlägen gleich unzufrieden. Es war für uns als sportliche Leitung entscheidend, dass wir uns davon nicht beeindrucken haben lassen und gegen die Widerstände von außen unserer Linie treu geblieben sind. Es ist heutzutage ein Problem, dass sich viele zu sehr von der öffentlichen Meinung lenken lassen und die Prinzipien ihrer Arbeit daran orientieren, was erwartet wird und gut ankommt. Wir haben uns darauf verständigt, das zu machen, wovon wir überzeugt sind und daran festzuhalten, selbst wenn uns der Wind mal kräftig ins Gesicht bläst.



Frage: Und so konnte nun am Ende des Jahres eine beeindruckende Erfolgsbilanz verkündet werden...



Bierhoff: In der Tat. Dass es dabei so viele Rekorde gab, ist uns erst so richtig aufgefallen, als wir Bilanz gezogen haben. Beispielsweise gab es zuvor für eine deutsche Nationalmannschaft noch nie 14 Länderspiel-Siege in einem Jahr – da rechne ich den Erfolg im Elfmeterschießen im WM-Viertelfinale gegen Argentinien rein, obwohl ich weiß, dass in der FIFA-Statistik das Ergebnis nach 120 Minuten, also das Unentschieden
am Ende der Verlängerung, gewertet wird. Wir haben einen Schnitt von 2,33 Punkten und 3,05 Tore pro Spiel. Im Rückblick auf die vergangenen zehn Jahre hat die DFB-Auswahl nur 1997 mehr Punkte geholt und mit Abstand in diesem Jahr die meisten Tore geschossen seit 1996.



Frage: Und ähnliche Superlative können aus anderen Bereichen vermeldet werden...



Bierhoff: Es fängt an mit der Zahl der von adidas verkauften Trikots der deutschen Nationalmannschaft. Das waren in diesem Jahr sage und schreibe 1,4 Millionen. Im WM-Jahr 2002 waren es 220.000. Unsere
WM-Spiele wurden durchschnittlich von 23,8 Millionen TV-Zuschauern in Deutschland verfolgt, die Massen beim Public Viewing im ganzen Land sind da natürlich nicht mitgezählt. Den Film von Sönke Wortmann haben in den Kinos rund vier Millionen Besucher gesehen und dann 10,5 Millionen Zuschauer bei seiner Fernseh-Premiere in der ARD. Und ich denke außerdem an das öffentliche Training in Düsseldorf vor dem Länderspiel gegen die USA in Dortmund, als 42.500 Fans in die Arena strömten und einen neuen Rekord aufstellten.



[bild2]Frage: Rundum also Grund zur Zufriedenheit?



Bierhoff: Ja, aber nicht zur Selbstzufriedenheit. Wir müssen weiter für neue Wege offen sein, die Entwicklungen weiter vorantreiben und uns stetig verbessern. Unser Nationalmannschafts-Kader ist noch nicht am Ende seiner Entwicklung. Zumal wir uns bei aller WM-Begeisterung immer vor Augen halten müssen: Unser großes Ziel, Weltmeister zu werden, haben wir verfehlt. Jetzt sind die EM 2008 und auch schon die WM 2010 unsere nächsten Ziele. Es wäre die Fortsetzung unseres Traums, wenn wir dort den Titel gewinnen könnten. Doch jetzt ist erst einmal die Konzentration auf die EM-Qualifikation angesagt und dann geht es eben Schritt für Schritt weiter.



Frage: Das ist praktisch das Schlusswort. Fehlt noch etwas?



Bierhoff: Ich möchte mich nochmals bei allen bedanken, die diese unvergessliche WM für uns alle möglich gemacht haben. Zuerst bei den Spielern, denn sie sind diejenigen, die den sportlichen Aufschwung und Erfolg erspielt und erkämpft haben. Genauso bei den Trainern und dem "Team hinter dem Team" für die vorbildliche Arbeit, die sie abgeliefert haben. Selbstverständlich bei unserem WM-Organisationskomitee, das Phänomenales geleistet hat. Und dann genauso herzlich bei allen Verantwortlichen und Mitarbeitern des DFB, der gesamten Bundesliga und unseren Sponsoren. Last, but not least außerdem bei der Bundesregierung mit Dr. Angela Merkel an der Spitze für vielfältige Unterstützung und den vielen stillen, unbekannten Helfern im Hintergrund im ganzen Land, die ebenfalls großen Anteil am Gelingen dieser WM haben.