Matthäus: Mit 50 Jahren immer noch "verliebt in den Fußball"

Seine Karriere als Spieler ist voll gepackt mit Titeln, Triumphen und Rekorden. Lothar Matthäus - Welt- und Europameister, Weltfußballer, Europas und Deutschlands „Fußballer des Jahres“, zahlreiche Meistertitel und Pokaltriumphe mit Bayern München und Inter Mailand.

20 Jahre spielte er in der deutschen Nationalmannschaft, die er im Jahr 2000 nach 150 Länderspielen mit 39 Jahren als Rekordspieler verließ. Weltweit gibt es keinen Spieler, der mehr WM-Teilnahmen aufweist als der gebürtige Herzogenauracher, der bei fünf Endrunden die Rekordzahl von 25 Spielen erreichte.

Abseits der großen Bühnen verlief dagegen bisher seine Laufbahn als Trainer, die 2001 bei Rapid Wien begann. Sieben Stationen in zehn Jahren mit vorzeitigen Trennungen, aber auch Meisterschaften mit Partizan Belgrad und - als Co-Trainer - mit Red Bull Salzburg weist die Vita von Bulgariens aktuellem Nationaltrainer auf.

Am heutigen Montag wird Lothar Matthäus 50 Jahre alt. Im DFB.de-Gespräch der Woche mit Redakteur Wolfgang Tobien unterhält sich der DFB-Ehrenspielführer über sein „turbulentes und dennoch geordnetes Leben“ zwischen rotem Teppich und grünem Rasen, über seine Wünsche, Träume und Fehler - und seine „große Leidenschaft“.

DFB.de: Herzlichen Glückwunsch, Lothar Matthäus, zu Ihrem heutigen 50. Geburtstag!

Lothar Matthäus: Vielen Dank.

DFB.de: Anstatt zu feiern, bereiten Sie Bulgarien als Nationaltrainer auf das EM-Qualifikationsspiel in fünf Tagen gegen die Schweiz vor. Mit welchen Gedanken gehen Sie in Ihr sechstes Lebensjahrzehnt?

Matthäus: Über das Alter mache ich mir keinerlei Gedanken. Ich fühle mich nach wie vor jung, bin Gott sei Dank gesund und habe auch ein ausgeglichenes Leben, anders als es in der Öffentlichkeit bisweilen dargestellt wird. Ich bin sehr stabil und habe vor allem, was mich am meisten freut, wieder einen tollen Kontakt zu meinen Kindern. Der war zwischenzeitlich wegen meiner beruflichen Tätigkeit im Ausland ein wenig verloren gegangen. Es ist toll, dass unser Verhältnis inzwischen wieder so eng ist, wie es zwischen dem Vater und seinen Kindern sein sollte.

DFB.de: Die große Geburtstagsfeier fand am Sonntagabend statt. Wen von Ihren früheren Wegbegleitern im Fußball hatten Sie eingeladen?

Matthäus: Mein Leben ist ja nicht nur Fußball. Deswegen habe ich aus jedem Lebensbereich Menschen eingeladen, die mir nahe stehen. Was den Fußball betrifft, so standen Spieler aus den verschiedenen Zeitabschnitten und Stationen auf der Einladungsliste. Besonders gefreut habe ich mich über das Kommen von Wolfgang Niersbach. Er hat zwar nie mit mir zusammengespielt, doch er ist seit mehr als 30 Jahren einer meiner engen Wegbegleiter. Erst als Journalist bei meinem ersten Turnier, der EM 1980 in Italien, dann Pressechef und nun als Generalsekretär des DFB.

DFB.de: Welchen besonderen Geburtstagswunsch haben Sie neben Gesundheit für sich und Ihre Familie?

Matthäus: Eigentlich habe ich gar keine speziellen Wünsche. Mir geht es sehr gut. Ich habe einen interessanten Job und ein ganz wunderbares Umfeld, familiär und mit einem tollen Freundeskreis. Was meine berufliche Zukunft betrifft, so bin ich Realist. Natürlich wäre es schön, wenn ich mal in Deutschland als Trainer arbeiten könnte. Das soll keine Bewerbung sein, doch ich würde gerne mit meiner Tätigkeit bei einem deutschen Verein mal zeigen, dass vieles nicht stimmt, was über mich und meine Arbeit berichtet wird.

DFB.de: 50 Jahre Lothar Matthäus. Wie würden Sie diese Zeit mit ein paar wenigen Sätzen skizzieren?

Matthäus: Turbulent, aufregend, spannend, erfolgreich. Das sind Begriffe, die ganz sicher diese Zeit treffend beschreiben. Die während der vergangenen 15 Jahre entstandene neue Medien-Welt begleitet mich aber leider auch mit Meldungen, die nicht der Wahrheit entsprechen und gegen die ich mich nicht wehren kann. Tatsächlich ist mein Leben nicht so, wie es von außen dargestellt wird. Mein Leben ist geordnet und geregelt. Ich bin für klare Linien und für klare Worte. Das war so auf dem Fußballplatz und so sieht auch mein Privatleben aus.

DFB.de: Turbulent und geregelt beziehungsweise geordnet - besteht da nicht ein Widerspruch?

Matthäus: Hinter mir liegt eine Karriere, wie ich sie mir mit all ihren Erfolgen und Ehrungen als Jugendlicher nie hätte träumen lassen. Da steckt harte Arbeit und viel Disziplin dahinter. Doch alles hat seinen Preis. Häufig hat mein Privatleben unter dem permanenten Unterwegssein gelitten, weswegen es hin und wieder diese Turbulenzen gegeben hat. Dennoch halte ich mein Leben für geregelt und geordnet.

Lothar Matthäus wird 50

DFB.de: Welches war für Sie persönlich die wichtigste Entscheidung in diesen Jahren?

Matthäus: Ich stehe zu allen meinen Entscheidungen. Beruflich und privat. Und ich akzeptiere auch die Entscheidungen, die meine Partner in diesen beiden Bereichen getroffen haben. Was war wichtig? Ganz klar der Start meiner Profikarriere 1979 in Mönchengladbach. Wichtig waren der Schritt 1988 nach Italien zu Inter Mailand und die Rückkehr vier Jahre später zu Bayern München. Sehr gerne wäre ich 1991 von Mailand zu Real Madrid gewechselt, was der damalige Inter-Präsident verhindert hat. Das war das einzige Angebot, das nicht zustande kam, obwohl ich es liebend gern angenommen hätte.

DFB.de: Kein Mensch ist fehlerfrei. Welchen Missgriff oder Irrtum bedauern Sie im Rückblick am meisten?

Matthäus: Ich habe zwei Fehler gemacht in meinem Leben, die ich bereue. Als Spieler nach New York zu gehen, war eine tolle Lebenserfahrung. Doch ich habe dadurch als Nationalspieler, speziell vor der EM 2000, die Bindung nach Deutschland verloren. Wäre ich bei Bayern München geblieben, wäre die Hierarchie in der Nationalmannschaft vor und bei der EM nicht so stark durcheinander gerüttelt worden. Und ich hätte auch nicht diese Turbulenzen rund um mein Abschiedsspiel erleben müssen, wo ich heute noch von einigen Leuten sehr enttäuscht bin. New York, das war richtig - und im Nachhinein doch eine falsche Entscheidung. Ich hätte meine Karriere bei Bayern München beenden müssen. Dann hätten viele Verstimmungen und Ungereimtheiten vermieden werden können.

DFB.de: Und der zweite Fehler?

Matthäus: Den bereue ich sehr und würde ihn gerne rückgängig machen. Das war mein kurzes Trainer-Engagement in Brasilien bei Atletico Paranaense. Dort hat man mir, übertrieben gesagt, den roten Teppich ausgerollt. Der Verein, das Präsidium, die Spieler, die Fans waren alle fokussiert auf mich. Doch ich habe sie alle enttäuscht, weil ich sie nach zwei Monaten verlassen und mich für mein Privatleben, für meine damalige Ehe und gegen den Klub entschieden habe. Das war ein Fehler, vor allem weil ich mich dann trotzdem etwas später von meiner Frau getrennt habe.

DFB.de: In jüngerer Vergangenheit fand Lothar Matthäus mehr in den bunten Medien als auf den Sportseiten statt. Wie erklären Sie sich selbst diesen Zustand?

Matthäus: Wenn man in der heutigen Medienwelt und noch dazu in einer Stadt wie München lebt, dann befindet man sich gerade für die Yellow Press auf dem Präsentierteller. Weil man als Sportler Einladungen erhält, die man früher nicht bekommen hätte. Nach Hollywood, nach London und nach Paris zu Fashion Weeks, zu Bambi- und anderen Veranstaltungen. Ich hatte während der anderthalb Jahre vor meinem Engagement in Bulgarien viel Zeit. Da meine junge Frau mit ihren Interessen diese Events sehr gerne besucht hat, entstand wohl der Eindruck, dass ich mich mehr auf dem roten Teppich aufhielt als im Stadion und bei der täglichen Trainerarbeit, wo ich lieber gewesen wäre.

DFB.de: Wie schwierig ist es, in solch einem Leben wie dem Ihren authentisch zu sein und zu bleiben?

Matthäus: Ich stehe, wie gesagt, zu allem was ich mache. Auch zu diesen Besuchen auf dem roten Teppich. Trotzdem habe ich mich vom Fußball nicht entfernt, mich zum Beispiel im Ausland bei großen Vereinen im Training umgeschaut. Ich bin immer nah am Fußball dran geblieben.

DFB.de: Wer oder was ist also Lothar Matthäus?

Matthäus: Einer, der dem Fußball ganz sicher sehr viel zu verdanken hat und nach wie vor verliebt ist in den Fußball. Schon als Spieler habe ich gegen viele Widerstände ankämpfen müssen. Dennoch habe ich immer an meine Stärken und Qualitäten geglaubt. Daran glaube ich auch als Trainer. Ich muss mich vor anderen nicht verstecken. Und ich bin keiner, der umfällt, wenn er in Gegenwind gerät. Der Fußball ist meine große Leidenschaft, um den von morgens bis abends meine Gedanken kreisen. Seit Wochen bereite ich mich daher intensiv auf das wichtige Spiel gegen die Schweiz und Ottmar Hitzfeld vor. Für beide ist es ja die letzte Chance in der EM-Qualifikation.

DFB.de: Als Spieler haben Sie national und international Titel en masse erkämpft. Als Trainer steht bisher allein die Meisterschaft 2003 in Serbien mit Partizan Belgrad auf Ihrem Konto. Warum sehen Sie sich trotzdem als erfolgreichen Trainer?

Matthäus: Punkt eins: Es stehen drei Titel auf meinem Konto. Bei Red Bull Salzburg habe ich vor Trapattonis Kommen eine komplett neue Mannschaft zusammengestellt, die dann mit 19 Punkten Vorsprung Meister wurde. Auch an Partizans zweiter Meisterschaft war ich maßgebend beteiligt, weil ich im ersten halben Jahr jener Saison die Grundlagen gelegt habe. Punkt zwei: Partizan Belgrad habe ich in die Champions League geführt und dort mit einem Budget von sieben Millionen Euro Teams ausgeschaltet, deren Etat zehn bis fünfzehn Mal größer war. Wirklich entscheidend ist aber für mich als Trainer, dass ich meine Spieler - egal ob in Wien, Belgrad, Ungarn oder Israel - entscheidend weiter entwickeln und zu Nationalspielern formen konnte. Fragen Sie nach zum Beispiel bei Almog Cohen, der als israelischer Spieler heute Stammspieler beim 1. FC Nürnberg ist. Weil er Vertrauen zu mir gehabt hat und mit mir den harten Weg bei Maccabi Netanya gegangen ist.

DFB.de: Hätten Sie nach Ende Ihrer Spielerkarriere nicht trotzdem mehr aus der Ausgangsposition des absoluten Weltstars herausholen müssen?

Matthäus: Absolut. Wäre ich nicht nach Amerika gegangen und hätte stattdessen in München meine Karriere beendet, hätte es nicht diese Irritationen um mein Abschiedsspiel gegeben. Dann wäre ich vielleicht Trainer beim FC Bayern geworden. Oder irgendwo anders in Deutschland. Im Ausland habe ich ja bei guten Adressen gearbeitet. Rapid Wien zum Beispiel, Partizan Belgrad ist ein großer Verein in Serbien. Doch es ist richtig: Mir fehlt bislang die große Visitenkarte.

DFB.de: Giovanni Trapattoni, Ihr Erfolgstrainer bei Inter Mailand, sagte einmal: "Ich verehre Platini und bewundere Maradona. Doch Lothar Matthäus brauche ich, um zu siegen und Meister zu werden." Welchen Spieler hätten Sie am liebsten in Ihrer Mannschaft, um Titel zu erringen?

Matthäus: Wer mir immer wieder gefällt, ist Javier Zanetti, der Kapitän von Inter Mailand. Weil er in jedem Spiel ans Maximum geht. Ich will nicht von Messi oder Cristiano Ronaldo reden, die braucht man natürlich auch, um ein Spiel zu gewinnen. Doch als Leader, da gibt es für mich vor allem Zanetti. Er ist zwar inzwischen schon etwas in die Jahre gekommen. Doch mit seiner Leistungsfähigkeit vor fünf Jahren und mit seinem Charakter, ist er genau der ideale Führungsspieler, um eine Mannschaft zusammenzuhalten.

DFB.de: In der Bundesliga werden, etwa in München, Trainerstellen frei. Sehen Sie eine realistische Chance, endlich den Einstieg als Bundesliga-Trainer zu schaffen?

Matthäus: Das entscheide nicht ich, sondern die Verantwortlichen der Vereine. Wenn einer an meine Qualitäten glaubt und denkt, dass ich dem Verein als Trainer helfen kann, dann bin ich zu Gesprächen bereit. Wichtig ist, dass beide Seiten eine gemeinsame Idee verwirklichen wollen und voll dahinter stehen.

DFB.de: Wie würden Sie den derzeitigen Bundesligafußball beschreiben und einordnen im internationalen Vergleich?

Matthäus: Er ist im Hinblick auf die nächsten Jahre die Nummer eins in Europa. Auch wenn die Bundesliga den Engländern zur Zeit noch ein kleines Stück hinterherläuft. Italien haben wir schon überholt. An Spanien sind wir ganz nah dran. Ich denke, dass wir demnächst England überholen werden. Weil wir wirtschaftlich stabiler dastehen. Wegen der neuen UEFA-Bestimmungen in Sachen Finanzen werden wir in dieser Hinsicht große Vorteile haben. Bei den Stadien und der enormen Zuschauerresonanz sind wir überall so viel besser aufgestellt, dass man uns darum öffentlich beneidet. Daher werden weitere internationale Superstars in Zukunft lieber in Deutschland spielen als in Italien, Spanien und auch in England.

DFB.de: Sehen Sie die vor wenigen Monaten noch vorhandene Dominanz des FC Bayern durch Borussia Dortmund und deren Perspektiven mittelfristig in Gefahr?

Matthäus: Ganz sicher muss man Dortmund auch in Zukunft auf dem Zettel haben. Der BVB spielt eine sensationelle Saison. Solch ein Jahr muss man aber bestätigen. Vielen Vereinen ist es nicht gelungen. Bei den Dortmundern dagegen muss der FC Bayern Angst haben, dass es ihnen gelingt. Mit der tollen Mannschaft, einem sehr guten Trainer und fantastischen Fans. Und mit einer nüchtern handelnden Vereinsführung, die mit den Füßen auf dem Boden bleibt.

DFB.de: Die Nationalmannschaft wartet nun schon seit 15 Jahren auf einen Titelgewinn. Wird Joachim Löw seine erfolgreiche Arbeit als Bundestrainer bei der EM 2012 oder bei der WM 2014 krönen?

Matthäus: Es wäre ihm wirklich zu wünschen, denn er macht eine sensationelle Arbeit. Er ist seit 2004 ganz nah dran an der Mannschaft. Jürgen Klinsmann hat mit dem Jogi 2004 einen Sechser im Lotto gezogen. Jogi war für mich schon immer der Trainer dieser Mannschaft, hat bereits 2004 das Konzept für das Nationalteam entwickelt und seitdem immer weiter verbessert. Die DFB-Auswahl ist erfolgreich und erspielt sich weltweit große Sympathien, wie zuletzt bei der Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika.

DFB.de: In wenigen Monaten findet wieder eine Weltmeisterschaft statt, die erste Frauenfußball-WM in Deutschland. Haben Sie einen Bezug dazu?

Matthäus: Vor 30 Jahren habe ich den Frauenfußball in Deutschland belächelt. Inzwischen muss man ihm ein großes Kompliment machen. Sie spielen technisch sehr gut und körperlich mit beachtlicher Dynamik. Der Frauenfußball ist mittlerweile schön anzusehen. Wir können uns freuen auf diese WM und speziell auf unsere Mannschaft. Ich hoffe natürlich, dass die Frauen jetzt nachholen, was den Männern vor fünf Jahren nicht gelungen ist, nämlich Weltmeister im eigenen Land zu werden.

DFB.de: Eine persönliche Frage: Mit welchem bedeutenden Menschen außerhalb des Fußballs würden Sie jetzt als "Fünfziger" gerne mal einen Abend verbringen?

Matthäus: Vielleicht mit dem amerikanischen Präsidenten. Von Barack Obama mal zu hören, wie er sich die Lösung der großen Probleme in der Welt vorstellt, die aktuell ja ungemein beängstigend sind, fände ich sehr interessant.

DFB.de: Gibt es konkret einen Menschen, zu dem Sie aufschauen, den Sie bewundern?

Matthäus: Im Endeffekt muss ich selbst meinen Weg finden und gehen. Doch ich muss sagen, die Leichtigkeit, mit der Franz Beckenbauer alles schafft und bewältigt, ist bewundernswert. Erst als Spieler, danach in all den verschiedenen Positionen im Fußball, als Privatmann, in der Art, wie er nach außen rüberkommt. Obwohl auch er nicht immer fehlerfrei war. Ihm gelingt es aber, dass ihm alles verziehen, alles bei ihm als normal und selbstverständlich gesehen wird. Bei mir sind "Fehltritte", in An- und Abführung, immer angeprangert worden. Von daher würde ich gerne mal ein bisschen Franz Beckenbauer sein.

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Seine Karriere als Spieler ist voll gepackt mit Titeln, Triumphen und Rekorden. Lothar Matthäus - Welt- und Europameister, Weltfußballer, Europas und Deutschlands „Fußballer des Jahres“, zahlreiche Meistertitel und Pokaltriumphe mit Bayern München und Inter Mailand.

20 Jahre spielte er in der deutschen Nationalmannschaft, die er im Jahr 2000 nach 150 Länderspielen mit 39 Jahren als Rekordspieler verließ. Weltweit gibt es keinen Spieler, der mehr WM-Teilnahmen aufweist als der gebürtige Herzogenauracher, der bei fünf Endrunden die Rekordzahl von 25 Spielen erreichte.

Abseits der großen Bühnen verlief dagegen bisher seine Laufbahn als Trainer, die 2001 bei Rapid Wien begann. Sieben Stationen in zehn Jahren mit vorzeitigen Trennungen, aber auch Meisterschaften mit Partizan Belgrad und - als Co-Trainer - mit Red Bull Salzburg weist die Vita von Bulgariens aktuellem Nationaltrainer auf.

Am heutigen Montag wird Lothar Matthäus 50 Jahre alt. Im DFB.de-Gespräch der Woche mit Redakteur Wolfgang Tobien unterhält sich der DFB-Ehrenspielführer über sein „turbulentes und dennoch geordnetes Leben“ zwischen rotem Teppich und grünem Rasen, über seine Wünsche, Träume und Fehler - und seine „große Leidenschaft“.

DFB.de: Herzlichen Glückwunsch, Lothar Matthäus, zu Ihrem heutigen 50. Geburtstag!

Lothar Matthäus: Vielen Dank.

DFB.de: Anstatt zu feiern, bereiten Sie Bulgarien als Nationaltrainer auf das EM-Qualifikationsspiel in fünf Tagen gegen die Schweiz vor. Mit welchen Gedanken gehen Sie in Ihr sechstes Lebensjahrzehnt?

Matthäus: Über das Alter mache ich mir keinerlei Gedanken. Ich fühle mich nach wie vor jung, bin Gott sei Dank gesund und habe auch ein ausgeglichenes Leben, anders als es in der Öffentlichkeit bisweilen dargestellt wird. Ich bin sehr stabil und habe vor allem, was mich am meisten freut, wieder einen tollen Kontakt zu meinen Kindern. Der war zwischenzeitlich wegen meiner beruflichen Tätigkeit im Ausland ein wenig verloren gegangen. Es ist toll, dass unser Verhältnis inzwischen wieder so eng ist, wie es zwischen dem Vater und seinen Kindern sein sollte.

DFB.de: Die große Geburtstagsfeier fand am Sonntagabend statt. Wen von Ihren früheren Wegbegleitern im Fußball hatten Sie eingeladen?

Matthäus: Mein Leben ist ja nicht nur Fußball. Deswegen habe ich aus jedem Lebensbereich Menschen eingeladen, die mir nahe stehen. Was den Fußball betrifft, so standen Spieler aus den verschiedenen Zeitabschnitten und Stationen auf der Einladungsliste. Besonders gefreut habe ich mich über das Kommen von Wolfgang Niersbach. Er hat zwar nie mit mir zusammengespielt, doch er ist seit mehr als 30 Jahren einer meiner engen Wegbegleiter. Erst als Journalist bei meinem ersten Turnier, der EM 1980 in Italien, dann Pressechef und nun als Generalsekretär des DFB.

DFB.de: Welchen besonderen Geburtstagswunsch haben Sie neben Gesundheit für sich und Ihre Familie?

Matthäus: Eigentlich habe ich gar keine speziellen Wünsche. Mir geht es sehr gut. Ich habe einen interessanten Job und ein ganz wunderbares Umfeld, familiär und mit einem tollen Freundeskreis. Was meine berufliche Zukunft betrifft, so bin ich Realist. Natürlich wäre es schön, wenn ich mal in Deutschland als Trainer arbeiten könnte. Das soll keine Bewerbung sein, doch ich würde gerne mit meiner Tätigkeit bei einem deutschen Verein mal zeigen, dass vieles nicht stimmt, was über mich und meine Arbeit berichtet wird.

DFB.de: 50 Jahre Lothar Matthäus. Wie würden Sie diese Zeit mit ein paar wenigen Sätzen skizzieren?

Matthäus: Turbulent, aufregend, spannend, erfolgreich. Das sind Begriffe, die ganz sicher diese Zeit treffend beschreiben. Die während der vergangenen 15 Jahre entstandene neue Medien-Welt begleitet mich aber leider auch mit Meldungen, die nicht der Wahrheit entsprechen und gegen die ich mich nicht wehren kann. Tatsächlich ist mein Leben nicht so, wie es von außen dargestellt wird. Mein Leben ist geordnet und geregelt. Ich bin für klare Linien und für klare Worte. Das war so auf dem Fußballplatz und so sieht auch mein Privatleben aus.

DFB.de: Turbulent und geregelt beziehungsweise geordnet - besteht da nicht ein Widerspruch?

Matthäus: Hinter mir liegt eine Karriere, wie ich sie mir mit all ihren Erfolgen und Ehrungen als Jugendlicher nie hätte träumen lassen. Da steckt harte Arbeit und viel Disziplin dahinter. Doch alles hat seinen Preis. Häufig hat mein Privatleben unter dem permanenten Unterwegssein gelitten, weswegen es hin und wieder diese Turbulenzen gegeben hat. Dennoch halte ich mein Leben für geregelt und geordnet.

Lothar Matthäus wird 50

DFB.de: Welches war für Sie persönlich die wichtigste Entscheidung in diesen Jahren?

Matthäus: Ich stehe zu allen meinen Entscheidungen. Beruflich und privat. Und ich akzeptiere auch die Entscheidungen, die meine Partner in diesen beiden Bereichen getroffen haben. Was war wichtig? Ganz klar der Start meiner Profikarriere 1979 in Mönchengladbach. Wichtig waren der Schritt 1988 nach Italien zu Inter Mailand und die Rückkehr vier Jahre später zu Bayern München. Sehr gerne wäre ich 1991 von Mailand zu Real Madrid gewechselt, was der damalige Inter-Präsident verhindert hat. Das war das einzige Angebot, das nicht zustande kam, obwohl ich es liebend gern angenommen hätte.

DFB.de: Kein Mensch ist fehlerfrei. Welchen Missgriff oder Irrtum bedauern Sie im Rückblick am meisten?

Matthäus: Ich habe zwei Fehler gemacht in meinem Leben, die ich bereue. Als Spieler nach New York zu gehen, war eine tolle Lebenserfahrung. Doch ich habe dadurch als Nationalspieler, speziell vor der EM 2000, die Bindung nach Deutschland verloren. Wäre ich bei Bayern München geblieben, wäre die Hierarchie in der Nationalmannschaft vor und bei der EM nicht so stark durcheinander gerüttelt worden. Und ich hätte auch nicht diese Turbulenzen rund um mein Abschiedsspiel erleben müssen, wo ich heute noch von einigen Leuten sehr enttäuscht bin. New York, das war richtig - und im Nachhinein doch eine falsche Entscheidung. Ich hätte meine Karriere bei Bayern München beenden müssen. Dann hätten viele Verstimmungen und Ungereimtheiten vermieden werden können.

DFB.de: Und der zweite Fehler?

Matthäus: Den bereue ich sehr und würde ihn gerne rückgängig machen. Das war mein kurzes Trainer-Engagement in Brasilien bei Atletico Paranaense. Dort hat man mir, übertrieben gesagt, den roten Teppich ausgerollt. Der Verein, das Präsidium, die Spieler, die Fans waren alle fokussiert auf mich. Doch ich habe sie alle enttäuscht, weil ich sie nach zwei Monaten verlassen und mich für mein Privatleben, für meine damalige Ehe und gegen den Klub entschieden habe. Das war ein Fehler, vor allem weil ich mich dann trotzdem etwas später von meiner Frau getrennt habe.

DFB.de: In jüngerer Vergangenheit fand Lothar Matthäus mehr in den bunten Medien als auf den Sportseiten statt. Wie erklären Sie sich selbst diesen Zustand?

Matthäus: Wenn man in der heutigen Medienwelt und noch dazu in einer Stadt wie München lebt, dann befindet man sich gerade für die Yellow Press auf dem Präsentierteller. Weil man als Sportler Einladungen erhält, die man früher nicht bekommen hätte. Nach Hollywood, nach London und nach Paris zu Fashion Weeks, zu Bambi- und anderen Veranstaltungen. Ich hatte während der anderthalb Jahre vor meinem Engagement in Bulgarien viel Zeit. Da meine junge Frau mit ihren Interessen diese Events sehr gerne besucht hat, entstand wohl der Eindruck, dass ich mich mehr auf dem roten Teppich aufhielt als im Stadion und bei der täglichen Trainerarbeit, wo ich lieber gewesen wäre.

DFB.de: Wie schwierig ist es, in solch einem Leben wie dem Ihren authentisch zu sein und zu bleiben?

Matthäus: Ich stehe, wie gesagt, zu allem was ich mache. Auch zu diesen Besuchen auf dem roten Teppich. Trotzdem habe ich mich vom Fußball nicht entfernt, mich zum Beispiel im Ausland bei großen Vereinen im Training umgeschaut. Ich bin immer nah am Fußball dran geblieben.

DFB.de: Wer oder was ist also Lothar Matthäus?

Matthäus: Einer, der dem Fußball ganz sicher sehr viel zu verdanken hat und nach wie vor verliebt ist in den Fußball. Schon als Spieler habe ich gegen viele Widerstände ankämpfen müssen. Dennoch habe ich immer an meine Stärken und Qualitäten geglaubt. Daran glaube ich auch als Trainer. Ich muss mich vor anderen nicht verstecken. Und ich bin keiner, der umfällt, wenn er in Gegenwind gerät. Der Fußball ist meine große Leidenschaft, um den von morgens bis abends meine Gedanken kreisen. Seit Wochen bereite ich mich daher intensiv auf das wichtige Spiel gegen die Schweiz und Ottmar Hitzfeld vor. Für beide ist es ja die letzte Chance in der EM-Qualifikation.

DFB.de: Als Spieler haben Sie national und international Titel en masse erkämpft. Als Trainer steht bisher allein die Meisterschaft 2003 in Serbien mit Partizan Belgrad auf Ihrem Konto. Warum sehen Sie sich trotzdem als erfolgreichen Trainer?

Matthäus: Punkt eins: Es stehen drei Titel auf meinem Konto. Bei Red Bull Salzburg habe ich vor Trapattonis Kommen eine komplett neue Mannschaft zusammengestellt, die dann mit 19 Punkten Vorsprung Meister wurde. Auch an Partizans zweiter Meisterschaft war ich maßgebend beteiligt, weil ich im ersten halben Jahr jener Saison die Grundlagen gelegt habe. Punkt zwei: Partizan Belgrad habe ich in die Champions League geführt und dort mit einem Budget von sieben Millionen Euro Teams ausgeschaltet, deren Etat zehn bis fünfzehn Mal größer war. Wirklich entscheidend ist aber für mich als Trainer, dass ich meine Spieler - egal ob in Wien, Belgrad, Ungarn oder Israel - entscheidend weiter entwickeln und zu Nationalspielern formen konnte. Fragen Sie nach zum Beispiel bei Almog Cohen, der als israelischer Spieler heute Stammspieler beim 1. FC Nürnberg ist. Weil er Vertrauen zu mir gehabt hat und mit mir den harten Weg bei Maccabi Netanya gegangen ist.

DFB.de: Hätten Sie nach Ende Ihrer Spielerkarriere nicht trotzdem mehr aus der Ausgangsposition des absoluten Weltstars herausholen müssen?

Matthäus: Absolut. Wäre ich nicht nach Amerika gegangen und hätte stattdessen in München meine Karriere beendet, hätte es nicht diese Irritationen um mein Abschiedsspiel gegeben. Dann wäre ich vielleicht Trainer beim FC Bayern geworden. Oder irgendwo anders in Deutschland. Im Ausland habe ich ja bei guten Adressen gearbeitet. Rapid Wien zum Beispiel, Partizan Belgrad ist ein großer Verein in Serbien. Doch es ist richtig: Mir fehlt bislang die große Visitenkarte.

DFB.de: Giovanni Trapattoni, Ihr Erfolgstrainer bei Inter Mailand, sagte einmal: "Ich verehre Platini und bewundere Maradona. Doch Lothar Matthäus brauche ich, um zu siegen und Meister zu werden." Welchen Spieler hätten Sie am liebsten in Ihrer Mannschaft, um Titel zu erringen?

Matthäus: Wer mir immer wieder gefällt, ist Javier Zanetti, der Kapitän von Inter Mailand. Weil er in jedem Spiel ans Maximum geht. Ich will nicht von Messi oder Cristiano Ronaldo reden, die braucht man natürlich auch, um ein Spiel zu gewinnen. Doch als Leader, da gibt es für mich vor allem Zanetti. Er ist zwar inzwischen schon etwas in die Jahre gekommen. Doch mit seiner Leistungsfähigkeit vor fünf Jahren und mit seinem Charakter, ist er genau der ideale Führungsspieler, um eine Mannschaft zusammenzuhalten.

DFB.de: In der Bundesliga werden, etwa in München, Trainerstellen frei. Sehen Sie eine realistische Chance, endlich den Einstieg als Bundesliga-Trainer zu schaffen?

Matthäus: Das entscheide nicht ich, sondern die Verantwortlichen der Vereine. Wenn einer an meine Qualitäten glaubt und denkt, dass ich dem Verein als Trainer helfen kann, dann bin ich zu Gesprächen bereit. Wichtig ist, dass beide Seiten eine gemeinsame Idee verwirklichen wollen und voll dahinter stehen.

DFB.de: Wie würden Sie den derzeitigen Bundesligafußball beschreiben und einordnen im internationalen Vergleich?

Matthäus: Er ist im Hinblick auf die nächsten Jahre die Nummer eins in Europa. Auch wenn die Bundesliga den Engländern zur Zeit noch ein kleines Stück hinterherläuft. Italien haben wir schon überholt. An Spanien sind wir ganz nah dran. Ich denke, dass wir demnächst England überholen werden. Weil wir wirtschaftlich stabiler dastehen. Wegen der neuen UEFA-Bestimmungen in Sachen Finanzen werden wir in dieser Hinsicht große Vorteile haben. Bei den Stadien und der enormen Zuschauerresonanz sind wir überall so viel besser aufgestellt, dass man uns darum öffentlich beneidet. Daher werden weitere internationale Superstars in Zukunft lieber in Deutschland spielen als in Italien, Spanien und auch in England.

DFB.de: Sehen Sie die vor wenigen Monaten noch vorhandene Dominanz des FC Bayern durch Borussia Dortmund und deren Perspektiven mittelfristig in Gefahr?

Matthäus: Ganz sicher muss man Dortmund auch in Zukunft auf dem Zettel haben. Der BVB spielt eine sensationelle Saison. Solch ein Jahr muss man aber bestätigen. Vielen Vereinen ist es nicht gelungen. Bei den Dortmundern dagegen muss der FC Bayern Angst haben, dass es ihnen gelingt. Mit der tollen Mannschaft, einem sehr guten Trainer und fantastischen Fans. Und mit einer nüchtern handelnden Vereinsführung, die mit den Füßen auf dem Boden bleibt.

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DFB.de: Die Nationalmannschaft wartet nun schon seit 15 Jahren auf einen Titelgewinn. Wird Joachim Löw seine erfolgreiche Arbeit als Bundestrainer bei der EM 2012 oder bei der WM 2014 krönen?

Matthäus: Es wäre ihm wirklich zu wünschen, denn er macht eine sensationelle Arbeit. Er ist seit 2004 ganz nah dran an der Mannschaft. Jürgen Klinsmann hat mit dem Jogi 2004 einen Sechser im Lotto gezogen. Jogi war für mich schon immer der Trainer dieser Mannschaft, hat bereits 2004 das Konzept für das Nationalteam entwickelt und seitdem immer weiter verbessert. Die DFB-Auswahl ist erfolgreich und erspielt sich weltweit große Sympathien, wie zuletzt bei der Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika.

DFB.de: In wenigen Monaten findet wieder eine Weltmeisterschaft statt, die erste Frauenfußball-WM in Deutschland. Haben Sie einen Bezug dazu?

Matthäus: Vor 30 Jahren habe ich den Frauenfußball in Deutschland belächelt. Inzwischen muss man ihm ein großes Kompliment machen. Sie spielen technisch sehr gut und körperlich mit beachtlicher Dynamik. Der Frauenfußball ist mittlerweile schön anzusehen. Wir können uns freuen auf diese WM und speziell auf unsere Mannschaft. Ich hoffe natürlich, dass die Frauen jetzt nachholen, was den Männern vor fünf Jahren nicht gelungen ist, nämlich Weltmeister im eigenen Land zu werden.

DFB.de: Eine persönliche Frage: Mit welchem bedeutenden Menschen außerhalb des Fußballs würden Sie jetzt als "Fünfziger" gerne mal einen Abend verbringen?

Matthäus: Vielleicht mit dem amerikanischen Präsidenten. Von Barack Obama mal zu hören, wie er sich die Lösung der großen Probleme in der Welt vorstellt, die aktuell ja ungemein beängstigend sind, fände ich sehr interessant.

DFB.de: Gibt es konkret einen Menschen, zu dem Sie aufschauen, den Sie bewundern?

Matthäus: Im Endeffekt muss ich selbst meinen Weg finden und gehen. Doch ich muss sagen, die Leichtigkeit, mit der Franz Beckenbauer alles schafft und bewältigt, ist bewundernswert. Erst als Spieler, danach in all den verschiedenen Positionen im Fußball, als Privatmann, in der Art, wie er nach außen rüberkommt. Obwohl auch er nicht immer fehlerfrei war. Ihm gelingt es aber, dass ihm alles verziehen, alles bei ihm als normal und selbstverständlich gesehen wird. Bei mir sind "Fehltritte", in An- und Abführung, immer angeprangert worden. Von daher würde ich gerne mal ein bisschen Franz Beckenbauer sein.