Heute vor 75 Jahren: Pokalfinale im Frost

Ein DFB-Pokalendspiel im Winter? Hat es alles schon gegeben. Genauer: gleich beim ersten Versuch, heute vor exakt 75 Jahren. Im Düsseldorfer Rheinstadion trotzten die beiden besten deutschen Teams der Zeit den winterlichen Bedingungen - mit dem besseren Ende für den 1. FC Nürnberg: Die Franken besiegten den FC Schalke 04 mit 2:0. Der Historiker und DFB.de-Autor Udo Muras hat in die Archive geschaut.

Als das Spiel angepfiffen wurde, standen noch Tausende im Schneesturm vor dem Stadion. Sie wussten, dass es keine Karten mehr gab und dass sie vom ersten DFB-Pokalfinale rein gar nichts sehen würden. Aber sie blieben doch, um wenigstens zu erahnen, was sich da auf dem Feld ereignen würde und um im günstigsten Falle gleich an Ort und Stelle mitfeiern zu können.

Es war ja schließlich eine historische Stunde für Deutschlands Fußball: Vor 75 Jahren, am 8. Dezember 1935, wurde im Düsseldorfer Rheinstadion im Duell der damals besten deutschen Mannschaften zwischen dem 1. FC Nürnberg und Meister Schalke 04 zum ersten Mal überhaupt der DFB-Pokal vergeben.

Um den "Tschammer-Pokal"

Der damals übrigens noch anders aussah und hieß. Man spielte offiziell um die DFB-Vereinspokalmeisterschaft, und das Objekt der Begierde ähnelte einer antiken Blumenvase. Der neue Wettbewerb wurde im Volksmund bis zur letzten Ausspielung in der NS-Zeit jedoch „Tschammer-Pokal“ genannt – nach seinem Erfinder, dem Reichssportführer Hans von Tschammer und Osten.

Der sah die Stunde gekommen, den Engländern Konkurrenz zu machen: „Das Cup-Final im Wembley-Stadion ist alljährlich der größte Tag für die englischen Fußballer. Neben der Viktoria wird es nun auch für die deutschen Vereine eine zweite Trophäe geben, die eines sehr nahen Tages an Bedeutung den Kämpfen um die Deutsche Meisterschaft ebenbürtig sein wird.“

Austragungsorte penibel festgelegt

Die Arbeit überließ er jedoch dem Bundessportwart Dr. Josef Glaser aus Freiburg, der vor dem Ersten Weltkrieg zu fünf Länderspielen gekommen war. Glaser oblag die Ansetzung der Partien, denn gelost wurde bei der Uraufführung des DFB-Pokals noch nicht.

Mit Rücksicht auf die leeren Kassen der Klubs in schwieriger Zeit – das Hitler-Deutschland der ersten Jahre war ein sehr devisenarmes Land – wurden den Vereinen nur zumutbare Reisen zugemutet. Penibel rechnete Dr. Glaser die Strecken auf den Kilometer genau aus, am weitesten hatte es in Runde eins noch Nordring Stettin (379 Kilometer bis zu Holstein Kiel). Auch wurde darauf geachtet, dass weiterkommende Mannschaften möglichst im Wechsel daheim und auswärts spielen würden, so dass die Tücken, die später das Los bereiten würde, mit der Setzmethode ausgeschaltet wurden.

Nach den regionalen Vorqualifikationen, die am 6. Januar 1935 begonnen hatten, startete die erste bundesweite Schlussrunde mit 63 Mannschaften, was zu 31 Partien und einem Freilos für den VfB Königsberg führte. Die Gauligateams, damals die oberste Klasse mit 16 Staffeln, und Bezirksligisten waren zur Teilnahme verpflichtet. Wer das allererste DFB-Pokal-Endrundentor am 1. September 1935 erzielte, ist nicht überliefert. Vielleicht war es der Bitterfelder Hollmann, der gegen Hertha BSC schon nach drei Minuten traf?

Bescheidene Einnahmen

Der Anpfiff war einheitlich für 15 Uhr angesetzt, aber wer hielt sich schon daran? Auf das Fernsehen musste ja noch niemand Rücksicht nehmen. Der DFB hatte festgelegt: „Von der Bruttoeinnahme sind die Fahrtkosten für die Schiedsrichter und Gastmannschaft unter Festlegung des billigsten Reiseweges und Ausnutzung aller Fahrtermäßigungen abzuziehen. Von dem nach dem Abzug dieser Unkosten verbleibenden Überschuss ist ein Drittel an den Bund abzuführen; jeder Verein erhält gleichfalls ein Drittel.“

Das klang nicht nach großem Geschäft, und da die Zuschauer den Wettbewerb zunächst nicht sonderlich euphorisch annahmen – nur fünf Spiele knackten bis zum Finale die 10.000er-Marke –, gab es vielerorts lange Gesichter. Die Fußball Woche hatte zwar am 7. August 1935 prophezeit: „Jetzt endlich wird allerseits, auch von den Zuschauern, begriffen werden, welche hochinteressanten Möglichkeiten diese neu eingerichtete Konkurrenz bietet.“

Denn nun konnten auch Anhänger kleinerer Klubs, die nie um die Deutsche Meisterschaft spielten, mit etwas Glück die Großen ihrer Zeit sehen. Aber als der 1. FC Nürnberg dann im Oktober in Chemnitz auftauchte, kamen doch nur 4000 Zuschauer. Mancherorts mag das Wetter auch eine Rolle gespielt haben, die Endrunde wurde zwischen 1. September und 8. Dezember ausgespielt.

Finale kurzfristig um eine Woche verschoben

Vieles war eben noch anders anno 1935 – Eines nicht: die Faszination der Traditionsklubs. Die Fußball Woche schrieb: „So kam das denkbar volkstümlichste Finale zustande.“ Wenn Schalke 04 und der 1. FC Nürnberg in jenen Jahren aufeinandertrafen, hätte es auch um die Goldene Ananas gehen können – das Stadion wäre auf alle Fälle voll gewesen.

So wie an jenem kalten Dezember-Sonntag in Düsseldorf. Das Finale wurde kurzfristig noch um eine Woche verschoben. Eigentlich hätte die Premiere am 1. Dezember stattfinden sollen, doch dann hatten sich Terminschwierigkeiten ergeben. So spielte man eben noch ein wenig tiefer im deutschen Winter, und der erste Pokalsieger wurde deshalb auf Schnee gekürt.

Revanche fürs legendäre Meisterschaftsfinale 1934

Das Finale 1935 stand übrigens im Zeichen der Revanche. Im legendären Finale um die Meisterschaft 1934 hatte Schalke dem Club den Sieg noch in den drei letzten Minuten entrissen, Fritz Szepan und Ernst Kurozza mehrten ihren Ruhm mit Toren in der 88. und 89. Minute.

Im Sommer 1935 hatte Schalke seinen Meistertitel verteidigt, und so stellte sich die Favoritenfrage nicht: Königsblau war mit 29:6 Toren durch den Wettbewerb marschiert und verzeichnete gemeinsam mit dem Club (8:0 gegen Ulm) beim 8:0 gegen SV Kassel auch das Rekordergebnis des ersten DFB-Pokalwettbewerbs.

Die Experten setzen auf Schalke

Als die Nürnberger am Morgen des Endspiels in ihrem Quartier die Sonntagszeitungen lesen, springen ihnen ausnahmslos negative Prognosen entgegen. Die Expertenschar setzt auf Schalke, das in Düsseldorf zudem ein Heimspiel zu haben scheint. Das Häuflein Nürnberger Anhänger kommt sich in der Tat etwas verloren vor im Rheinstadion, das die Interessenten nicht alle fassen kann. 1000 Karten werden noch eiligst nachgedruckt, der Anpfiff wird um zehn Minuten verschoben, bis endlich jeder Karteninhaber auch seinen Platz eingenommen hat.

Das Warten wird zunächst nicht belohnt, die 56.000 sehen ein schwaches Spiel: Die Akteure leiden unter dem heftigen Schneesturm, der sich erst nach einer halben Stunde legt. Es ist so ungemütlich, dass sogar der harte Schalker Otto Tibulski Socken trägt, normal zieht er es vor, barfuß in die Schuhe zu schlüpfen.

Nürnbergs Gußner hat schon in der dritten Minute den Führungstreffer auf dem Fuß, er verzieht jedoch aus drei Metern. Die Knappen dagegen spielen im Schneeregen schwach, nichts zu sehen vom berühmten Schalker Kreisel, dem flüssigen, variantenreichen Kombinationswirbel. Nürnbergs Abel Uebelein wird zum entscheidenden Mann, er klaut Ernst Kuzorra viele Bälle. Zur Pause steht es 0:0, was für den Favoriten beinahe schmeichelhaft ist.

Nürnberg trifft gleich nach der Pause

Und es kommt noch schlimmer. Kaum pfeift der Berliner Schiedsrichter Alfred Birlem wieder an – die Pause wird verkürzt, da man die einbrechende Dunkelheit fürchtet und es noch kein Flutlicht gibt –, nimmt die Überraschung ihren Lauf.

Schon in der 46. Minute kommt Nürnberg nämlich zum 1:0, über den Torschützen wird noch lange gestritten. Max Eiberger berührt einen Schuss von Georg Friedel, der nach dem Spiel auflöst: „Der Muckl hat ihn reingemacht, ich hab´ nur mitgeholfen.“

So führt der Club Max Eiberger in seiner Chronik als Torschützen, in anderen Quellen wie dem Kicker aber ist Georg Friedel der erste DFB-Pokalfinal-Torschütze. Es ist eben die Zeit, als der Fußball noch ein paar Geheimnisse hat.

„Friedel, der Schalke-Schreck“

Wie dem auch sei, Friedel geht ohnehin nicht leer aus an diesem Tag, denn als Schalke-Keeper Mellange in der 85. Minute einen Gußner-Schuss aus 30 Metern prallen lässt, schlägt Friedel zu. In der Chronik Der Club – 100 Jahre Fußball heißt es dazu: „Friedel, der Schalke-Schreck, ist zur Stelle. Aus vier Metern knallt er das Leder ins Netz. 2:0; der Club ist der erste Deutsche Pokalsieger.“

Auch weil die wütenden Schalker in den restlichen Minuten noch drei Großchancen vergeben und an Torwart Georg Köhl, den sie den „Hauptmann“ nennen, scheitern. Er spielt mit einer damals üblichen Schiebermütze, und im Schneegestöber leistet sie ihm gute Dienste. Dann ist Schluss, und Ernst Kuzorra gratuliert den Siegern als erster, ehe schon von Tschammer aufs Feld eilt und dem Club den Pokal übergibt.

Ohne Triumphmusik vom Lautsprecher, ohne Konfettiregen und ohne Weißbierduschen – und doch ist die Freude nicht geringer, als wenn in heutiger Zeit in Berlin der Pokalsieger gekürt wird. Club-Trainer Richard Michalke sucht noch vor der Siegesfeier die nächste Post und telegrafiert seinem fünf Monate zuvor abgelösten Vorgänger Alfred Schaffer: „Lieber Alfred, das war dein Sieg!“

Die Nacht wird lang

Die Nacht wird lang auf dem Bankett der Sieger, und als der Morgen graut und die ersten Sonderzüge gen Nürnberg starten wollen, ereignet sich eine rührende Szene. Wir lesen in der Club-Chronik über die siegreiche Mannschaft: „Sie brechen mitten in der Siegesfeier im Hotel auf und fahren zum Bahnhof. Dort singen sie zusammen mit ihren Anhängern zwanzig Minuten lang Lieder wie ‚Schalke ade, scheiden tut weh’ oder ‚Von deinem Kreiselspiel/sahen wir gar nicht viel/drum sind jetzt Sieger wir/nicht Schalke null-vier.’ Es wird gesungen und getanzt, die Stimmung ist ausgelassen.“

Dass der Club-Sieg verdient ist, bezweifelt niemand. Der Kicker analysiert: „Das erste Endspiel um den deutschen Vereinspokal wurde zu einem denkwürdigen Ereignis. Die beiden besten deutschen Mannschaften haben sich einen grandiosen, fesselnden Kampf geliefert. Die an diesem Tag bessere Mannschaft hat den verdienten Sieg errungen.“

Die Fußball Woche tröstet die Verlierer: „Und darum, all ihr Schalke-Schwärmer, verlasst euren Meister nicht – denn verlasst euch drauf, er wird wiederkommen!“ Prophetische Worte: Schalke 04 bestreitet auch die beiden kommenden Pokalendspiele, gewinnt den Cup aber erst im dritten Anlauf 1937.

Die Aufstellungen im ersten DFB-Pokalfinale

1. FC Nürnberg: Köhl – Billmann, Munkert – Uebelein I, Carolin, Oehm – Gußner, Eiberger, Friedel, Schmitt, Spieß.

Schalke 04: Mellange – Bornemann, Schweißfurth – Gellesch, Tibulski, Nattkämper – Kalwitzki, Szepan, Pörtgen, Kuzorra, Urban.

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Ein DFB-Pokalendspiel im Winter? Hat es alles schon gegeben. Genauer: gleich beim ersten Versuch, heute vor exakt 75 Jahren. Im Düsseldorfer Rheinstadion trotzten die beiden besten deutschen Teams der Zeit den winterlichen Bedingungen - mit dem besseren Ende für den 1. FC Nürnberg: Die Franken besiegten den FC Schalke 04 mit 2:0. Der Historiker und DFB.de-Autor Udo Muras hat in die Archive geschaut.

Als das Spiel angepfiffen wurde, standen noch Tausende im Schneesturm vor dem Stadion. Sie wussten, dass es keine Karten mehr gab und dass sie vom ersten DFB-Pokalfinale rein gar nichts sehen würden. Aber sie blieben doch, um wenigstens zu erahnen, was sich da auf dem Feld ereignen würde und um im günstigsten Falle gleich an Ort und Stelle mitfeiern zu können.

Es war ja schließlich eine historische Stunde für Deutschlands Fußball: Vor 75 Jahren, am 8. Dezember 1935, wurde im Düsseldorfer Rheinstadion im Duell der damals besten deutschen Mannschaften zwischen dem 1. FC Nürnberg und Meister Schalke 04 zum ersten Mal überhaupt der DFB-Pokal vergeben.

Um den "Tschammer-Pokal"

Der damals übrigens noch anders aussah und hieß. Man spielte offiziell um die DFB-Vereinspokalmeisterschaft, und das Objekt der Begierde ähnelte einer antiken Blumenvase. Der neue Wettbewerb wurde im Volksmund bis zur letzten Ausspielung in der NS-Zeit jedoch „Tschammer-Pokal“ genannt – nach seinem Erfinder, dem Reichssportführer Hans von Tschammer und Osten.

Der sah die Stunde gekommen, den Engländern Konkurrenz zu machen: „Das Cup-Final im Wembley-Stadion ist alljährlich der größte Tag für die englischen Fußballer. Neben der Viktoria wird es nun auch für die deutschen Vereine eine zweite Trophäe geben, die eines sehr nahen Tages an Bedeutung den Kämpfen um die Deutsche Meisterschaft ebenbürtig sein wird.“

Austragungsorte penibel festgelegt

Die Arbeit überließ er jedoch dem Bundessportwart Dr. Josef Glaser aus Freiburg, der vor dem Ersten Weltkrieg zu fünf Länderspielen gekommen war. Glaser oblag die Ansetzung der Partien, denn gelost wurde bei der Uraufführung des DFB-Pokals noch nicht.

Mit Rücksicht auf die leeren Kassen der Klubs in schwieriger Zeit – das Hitler-Deutschland der ersten Jahre war ein sehr devisenarmes Land – wurden den Vereinen nur zumutbare Reisen zugemutet. Penibel rechnete Dr. Glaser die Strecken auf den Kilometer genau aus, am weitesten hatte es in Runde eins noch Nordring Stettin (379 Kilometer bis zu Holstein Kiel). Auch wurde darauf geachtet, dass weiterkommende Mannschaften möglichst im Wechsel daheim und auswärts spielen würden, so dass die Tücken, die später das Los bereiten würde, mit der Setzmethode ausgeschaltet wurden.

Nach den regionalen Vorqualifikationen, die am 6. Januar 1935 begonnen hatten, startete die erste bundesweite Schlussrunde mit 63 Mannschaften, was zu 31 Partien und einem Freilos für den VfB Königsberg führte. Die Gauligateams, damals die oberste Klasse mit 16 Staffeln, und Bezirksligisten waren zur Teilnahme verpflichtet. Wer das allererste DFB-Pokal-Endrundentor am 1. September 1935 erzielte, ist nicht überliefert. Vielleicht war es der Bitterfelder Hollmann, der gegen Hertha BSC schon nach drei Minuten traf?

Bescheidene Einnahmen

Der Anpfiff war einheitlich für 15 Uhr angesetzt, aber wer hielt sich schon daran? Auf das Fernsehen musste ja noch niemand Rücksicht nehmen. Der DFB hatte festgelegt: „Von der Bruttoeinnahme sind die Fahrtkosten für die Schiedsrichter und Gastmannschaft unter Festlegung des billigsten Reiseweges und Ausnutzung aller Fahrtermäßigungen abzuziehen. Von dem nach dem Abzug dieser Unkosten verbleibenden Überschuss ist ein Drittel an den Bund abzuführen; jeder Verein erhält gleichfalls ein Drittel.“

Das klang nicht nach großem Geschäft, und da die Zuschauer den Wettbewerb zunächst nicht sonderlich euphorisch annahmen – nur fünf Spiele knackten bis zum Finale die 10.000er-Marke –, gab es vielerorts lange Gesichter. Die Fußball Woche hatte zwar am 7. August 1935 prophezeit: „Jetzt endlich wird allerseits, auch von den Zuschauern, begriffen werden, welche hochinteressanten Möglichkeiten diese neu eingerichtete Konkurrenz bietet.“

Denn nun konnten auch Anhänger kleinerer Klubs, die nie um die Deutsche Meisterschaft spielten, mit etwas Glück die Großen ihrer Zeit sehen. Aber als der 1. FC Nürnberg dann im Oktober in Chemnitz auftauchte, kamen doch nur 4000 Zuschauer. Mancherorts mag das Wetter auch eine Rolle gespielt haben, die Endrunde wurde zwischen 1. September und 8. Dezember ausgespielt.

Finale kurzfristig um eine Woche verschoben

Vieles war eben noch anders anno 1935 – Eines nicht: die Faszination der Traditionsklubs. Die Fußball Woche schrieb: „So kam das denkbar volkstümlichste Finale zustande.“ Wenn Schalke 04 und der 1. FC Nürnberg in jenen Jahren aufeinandertrafen, hätte es auch um die Goldene Ananas gehen können – das Stadion wäre auf alle Fälle voll gewesen.

So wie an jenem kalten Dezember-Sonntag in Düsseldorf. Das Finale wurde kurzfristig noch um eine Woche verschoben. Eigentlich hätte die Premiere am 1. Dezember stattfinden sollen, doch dann hatten sich Terminschwierigkeiten ergeben. So spielte man eben noch ein wenig tiefer im deutschen Winter, und der erste Pokalsieger wurde deshalb auf Schnee gekürt.

Revanche fürs legendäre Meisterschaftsfinale 1934

Das Finale 1935 stand übrigens im Zeichen der Revanche. Im legendären Finale um die Meisterschaft 1934 hatte Schalke dem Club den Sieg noch in den drei letzten Minuten entrissen, Fritz Szepan und Ernst Kurozza mehrten ihren Ruhm mit Toren in der 88. und 89. Minute.

Im Sommer 1935 hatte Schalke seinen Meistertitel verteidigt, und so stellte sich die Favoritenfrage nicht: Königsblau war mit 29:6 Toren durch den Wettbewerb marschiert und verzeichnete gemeinsam mit dem Club (8:0 gegen Ulm) beim 8:0 gegen SV Kassel auch das Rekordergebnis des ersten DFB-Pokalwettbewerbs.

Die Experten setzen auf Schalke

Als die Nürnberger am Morgen des Endspiels in ihrem Quartier die Sonntagszeitungen lesen, springen ihnen ausnahmslos negative Prognosen entgegen. Die Expertenschar setzt auf Schalke, das in Düsseldorf zudem ein Heimspiel zu haben scheint. Das Häuflein Nürnberger Anhänger kommt sich in der Tat etwas verloren vor im Rheinstadion, das die Interessenten nicht alle fassen kann. 1000 Karten werden noch eiligst nachgedruckt, der Anpfiff wird um zehn Minuten verschoben, bis endlich jeder Karteninhaber auch seinen Platz eingenommen hat.

Das Warten wird zunächst nicht belohnt, die 56.000 sehen ein schwaches Spiel: Die Akteure leiden unter dem heftigen Schneesturm, der sich erst nach einer halben Stunde legt. Es ist so ungemütlich, dass sogar der harte Schalker Otto Tibulski Socken trägt, normal zieht er es vor, barfuß in die Schuhe zu schlüpfen.

Nürnbergs Gußner hat schon in der dritten Minute den Führungstreffer auf dem Fuß, er verzieht jedoch aus drei Metern. Die Knappen dagegen spielen im Schneeregen schwach, nichts zu sehen vom berühmten Schalker Kreisel, dem flüssigen, variantenreichen Kombinationswirbel. Nürnbergs Abel Uebelein wird zum entscheidenden Mann, er klaut Ernst Kuzorra viele Bälle. Zur Pause steht es 0:0, was für den Favoriten beinahe schmeichelhaft ist.

Nürnberg trifft gleich nach der Pause

Und es kommt noch schlimmer. Kaum pfeift der Berliner Schiedsrichter Alfred Birlem wieder an – die Pause wird verkürzt, da man die einbrechende Dunkelheit fürchtet und es noch kein Flutlicht gibt –, nimmt die Überraschung ihren Lauf.

Schon in der 46. Minute kommt Nürnberg nämlich zum 1:0, über den Torschützen wird noch lange gestritten. Max Eiberger berührt einen Schuss von Georg Friedel, der nach dem Spiel auflöst: „Der Muckl hat ihn reingemacht, ich hab´ nur mitgeholfen.“

So führt der Club Max Eiberger in seiner Chronik als Torschützen, in anderen Quellen wie dem Kicker aber ist Georg Friedel der erste DFB-Pokalfinal-Torschütze. Es ist eben die Zeit, als der Fußball noch ein paar Geheimnisse hat.

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„Friedel, der Schalke-Schreck“

Wie dem auch sei, Friedel geht ohnehin nicht leer aus an diesem Tag, denn als Schalke-Keeper Mellange in der 85. Minute einen Gußner-Schuss aus 30 Metern prallen lässt, schlägt Friedel zu. In der Chronik Der Club – 100 Jahre Fußball heißt es dazu: „Friedel, der Schalke-Schreck, ist zur Stelle. Aus vier Metern knallt er das Leder ins Netz. 2:0; der Club ist der erste Deutsche Pokalsieger.“

Auch weil die wütenden Schalker in den restlichen Minuten noch drei Großchancen vergeben und an Torwart Georg Köhl, den sie den „Hauptmann“ nennen, scheitern. Er spielt mit einer damals üblichen Schiebermütze, und im Schneegestöber leistet sie ihm gute Dienste. Dann ist Schluss, und Ernst Kuzorra gratuliert den Siegern als erster, ehe schon von Tschammer aufs Feld eilt und dem Club den Pokal übergibt.

Ohne Triumphmusik vom Lautsprecher, ohne Konfettiregen und ohne Weißbierduschen – und doch ist die Freude nicht geringer, als wenn in heutiger Zeit in Berlin der Pokalsieger gekürt wird. Club-Trainer Richard Michalke sucht noch vor der Siegesfeier die nächste Post und telegrafiert seinem fünf Monate zuvor abgelösten Vorgänger Alfred Schaffer: „Lieber Alfred, das war dein Sieg!“

Die Nacht wird lang

Die Nacht wird lang auf dem Bankett der Sieger, und als der Morgen graut und die ersten Sonderzüge gen Nürnberg starten wollen, ereignet sich eine rührende Szene. Wir lesen in der Club-Chronik über die siegreiche Mannschaft: „Sie brechen mitten in der Siegesfeier im Hotel auf und fahren zum Bahnhof. Dort singen sie zusammen mit ihren Anhängern zwanzig Minuten lang Lieder wie ‚Schalke ade, scheiden tut weh’ oder ‚Von deinem Kreiselspiel/sahen wir gar nicht viel/drum sind jetzt Sieger wir/nicht Schalke null-vier.’ Es wird gesungen und getanzt, die Stimmung ist ausgelassen.“

Dass der Club-Sieg verdient ist, bezweifelt niemand. Der Kicker analysiert: „Das erste Endspiel um den deutschen Vereinspokal wurde zu einem denkwürdigen Ereignis. Die beiden besten deutschen Mannschaften haben sich einen grandiosen, fesselnden Kampf geliefert. Die an diesem Tag bessere Mannschaft hat den verdienten Sieg errungen.“

Die Fußball Woche tröstet die Verlierer: „Und darum, all ihr Schalke-Schwärmer, verlasst euren Meister nicht – denn verlasst euch drauf, er wird wiederkommen!“ Prophetische Worte: Schalke 04 bestreitet auch die beiden kommenden Pokalendspiele, gewinnt den Cup aber erst im dritten Anlauf 1937.

Die Aufstellungen im ersten DFB-Pokalfinale

1. FC Nürnberg: Köhl – Billmann, Munkert – Uebelein I, Carolin, Oehm – Gußner, Eiberger, Friedel, Schmitt, Spieß.

Schalke 04: Mellange – Bornemann, Schweißfurth – Gellesch, Tibulski, Nattkämper – Kalwitzki, Szepan, Pörtgen, Kuzorra, Urban.