"Gaudi-Bursch" und Torwart wider Willen: Sepp Maier wird 70

Ob er der Beste war, wird sich objektiv nie feststellen lassen. So wie niemand sagen kann, welcher Sommer der schönste war. Der Erfolgreichste aber war er allemal und der Volkstümlichste noch dazu. Sepp Maier ist in mancherlei Hinsicht noch immer die Nummer 1. Historiker Udo Muras porträtiert den Welt- und Europameister anlässlich seines 70. Geburtstags.

Torwart wollte er nie werden. Bloß um seinem Trainer zu gefallen, stellte er sich in der Stunde der Personalnot ins Tor des TSV Haar bei München, eigentlich sah sich Sepp Maier eher als großer Torjäger. Doch seinem Trainer war die turnerische Begabung des Stürmers nicht entgangen und was sprach schon gegen einen gelenkigen Torwart? Viele große Torwartkarrieren begannen seltsamerweise so oder so ähnlich, weil gerade Kinder Toreschießen als den eigentlichen Sinn des Fußballs sehen. Und weil sie sich austoben wollen statt nur herumzustehen.

Maier immerhin stellte fest, dass es ihm einen Heidenspaß machte, sich in den Dreck zu werfen – zum Leidwesen der Mutter. Zitat Maier: "Am schönsten fand ich es, wenn es ordentlich geregnet hatte, wenn ich mich im Morast richtig suhlen konnte." Das allerdings mit dem Hintergedanken, auf diesem Wege neue Klamotten zu bekommen, weil er es leid war, die des älteren Bruders aufzutragen – wie es in den ersten Jahren der Nachkriegszeit üblich war bei den einfachen Leuten.

Nützliches Kindheitstrauma

Mit 15 also fing sie an, die grandioseste Torwartkarriere des deutschen Fußballs - und wenn er es auch widerwillig tat zu Beginn, so machte er es mit vollstem Einsatz. Ursache seines Ehrgeizes, der ihn sein Leben lang ausgezeichnet hat, sei ein traumatisches Kindheitserlebnis gewesen. Das schrieb er in seiner ersten Biographie "Ich bin doch kein Tor", die kurz nach seinem Abschiedsspiel am 3. Juni 1980 fertig geworden war.

Der kleine Sepp nämlich hatte bei einer Theateraufführung in der Schule vor Aufregung seinen Text vergessen, was das Auditorium sichtlich amüsierte, während er zu heulen begann. "Damals habe ich mir in meinen winzigen Dickschädel gesetzt: Nie wieder würde ich mich auslachen lassen." Nein, lieber wollte er bewundert werden und selbst lachen.

Unvergessene Entenjagd im Olympiastadion

Zum Lachen brachte er andere trotzdem, aber nicht aus Spott. Sepp Maier war und ist das, was die Bayern einen "Gaudi-Bursch" nennen. Er durfte auch inoffizieller Spaß-Rekordhalter des deutschen Fußballs sein. Funktionären band er beim Bankett die Schnürsenkel unter dem Tisch zusammen, Journalisten packte er Ziegelsteine in die Tasche, und Millionen kennen die Bilder von seiner Entenjagd im Münchner Olympiastadion, die bei keinem Rückblick auf 50 Jahre Bundesliga fehlten. Wie oft er aus Trainingslagern ausgebüchst ist, wird er selbst nicht mehr wissen – aber kein Trainer hat es ihm je verübelt, sofern er es denn erfahren hat.

Mit Uli Hoeneß floh Maier 1974 aus Malente nach Hamburg ins Hotel der Frauen und weil die Bremse kaputt ging, fuhr er mit angezogener Handbremse zurück, was schöne Blasen zu Tage förderte. Schön erfuhr es erst viel später. Schon 1968 wurde Maier mit Ersatzkeeper Horst Wolter in Santiago de Chile zum Fassadenkletterer auf der Flucht vor Schön. Vier Meter sprangen sie in die Tiefe – nie kam es heraus. Mit Franz "Bulle" Roth ging er trotz Verbots des gestrengen Branco Zebec zum Schwimmen und mit der ganzen Bayern-Elf nach Zapfenstreich in eine Disco. Als Trainer Udo Lattek plötzlich hereinkam, verschwand Maier unter dem Tresen, wo er "ewig und drei Tage hätte bleiben können, es war ja die Zeit der Miniröcke".

Wie der Gaudi-Bursch zum Weltklasse-Torhüter wurde

Als er vor einem Spiel in Madrid eine Sonnenbrille am Flughafen kaufte, machte er einem Reporter weis, er habe eine Sehschwäche und trage im Spiel schon länger Kontaktlinsen. Prompt stand in der Zeitung: "Maier spielt in Madrid mit Haftschalen." Das war mal eine "Exklusivgeschichte" – monatelang war der Reporter noch sauer auf den Sepp. Auch DFB-Physiotherapeut Adi Katzenmaier war ein paar Tage verstimmt über den Hasen, den ihm der damalige Torwarttrainer Maier bei der WM 1990 in den Arztkoffer gepackt hatte. Nur einmal hatte ein Streich böse Folgen; Noch als Kind klaute Maier mit seinen Freunden von einem Sägewerk Holzbalken, um sich Tore zu basteln. Der Vater half ihnen, weil er sah, wie sie sich abschleppten. Da sie erwischt wurden, verlor der Vater seinen Job und blieb vier Jahre arbeitslos, "und das alles nur wegen meiner Leidenschaft für den Fußball".

Trotz der verpatzten Theaterpremiere hatte er das Talent zum Comedian und wurde nicht ganz zu Unrecht mit Karl Valentin verwechselt, den er auch dank äußerer Ähnlichkeit phantastisch zu imitieren wusste. Auch ohne den Fußball wäre der Sepp wohl ein Liebling der Massen geworden, aber zum Glück ließen sich seine Talente vereinbaren. Der Gaudi-Bursch wurde ein Weltklasse-Torhüter.

Entdeckt wurde Maier ausgerechnet nach einem Spiel, in dem er zwölf Tore kassiert hatte – gegen die zweite Jugendmannschaft des FC Bayern. Deren Trainer Rudi Weiß machte ihm noch auf dem Platz ein Angebot. Überliefert ist folgender Dialog: Weiß: "Wie heißt denn Du?" Maier: "Ich bin der Herr Maier." Weiß: "Schmarrn. Deinen Vornamen will ich wissen." Maier: "Sepp. Aber wenn Sie meinen, dass ich mich jetzt von Ihnen auslachen lasse... Ich bin gar kein Torwart." Weiß: "Weißt Du was? Ohne Dich hätten die Haarer 25:0 oder 30:0 verloren. Willst Du nicht zum FC Bayern kommen?" Maier: "Aber ich bin doch ein Feldspieler, der beste Stürmer von Haar." Weiß: "Du bist der geborene Torwart. Du hast die Reflexe und den Instinkt." Man ging auseinander ohne Entscheidung, der Sepp wollte es sich überlegen. Das war 1959.

1960: Erste DFB-Nominierung

Nun nahmen die Dinge ihren Lauf. Natürlich überlegte er es sich und ging zu den Bayern, wo er schon im ersten Jahr dermaßen auf sich aufmerksam machte, dass er bereits 1960 den Bundesadler trug: Helmut Schön berief ihn in die Juniorennationalmannschaft. Da und in München schon an seiner Seite: der ein Jahr jüngere Franz Beckenbauer, der Maier auch dabei behilflich war, seine erste Freundin zu finden, die schließlich seine erste Frau werden sollte.

Vier Wochen nach seinem Bundesligadebüt im August 1965 war Maier, gerade 21, schon unter der Haube und verließ die elterliche Wohnung. Er zog zur Braut nach Anzing, was deshalb von Bedeutung ist, weil sein Spitzname, den er sich selbst gab, alsbald "die Katze von Anzing" lautete.

Die Glücksmomente rissen nicht ab im Leben des jungen Sepp Maier. Er geriet mitten in die Phase hinein, in der der FC Bayern eine große Hausnummer des deutschen Fußballs wurde. Als Aufsteiger wurden sie 1966 gleich Dritter und Pokalsieger, noch vor dem Finale debütierte er am 4. Mai in Irland in der A-Nationalmannschaft. 94 weitere Spiele sollten folgen, so viele wie kein anderer deutscher Torwart. Die Münchner Himmelsstürmer schwammen weiter auf der Erfolgswelle, die Achse Maier-Beckenbauer-Müller lief wie geschmiert: Zum erneuten DFB-Pokalsieg kam Ende der Saison 1966/1967 der erste Europapokalsieg der Münchner – ein 1:0 gegen die Glasgow Rangers in Nürnberg im Wettbewerb der Pokalsieger.

Ein nächtlicher Angriff und ein Auftritt als Kameramann

In der Nacht vor dem Spiel ereignete sich wieder eine typische Maier-Geschichte. Weil Maier auch im Traum nach Bällen hechtete, griff er nach dem Kopf seines Zimmerpartners Hans Rigotti, der vor Schreck das ganze Hotel weckte. Alles nur weil Trainer Tschik Cajkovski Maier eingetrichtert hatte, dass das Spiel des Gegners auf Flanken angelegt sei, die er möglichst fangen solle. 1969 wurden die Bayern erstmals Meister mit Maier, 1970 spielte er in Mexiko seine erste WM, während er 1966 in England noch auf der Tribüne gesessen hatte – als dritter Torwart.

Im Verein passierte ihm das nie, und das war auch besser so. Maier war kein guter Reservist. Als Bundestrainer Helmut Schön im bedeutungslosen Spiel gegen Albanien Konkurrent Horst Wolter testete, kletterte Maier aus Protest in Dortmund auf das Tribünendach und filmte das Spiel. Es sollte nicht sein letzter Film über die Nationalmannschaft gewesen sein.

Rekord für die Ewigkeit: 13 Jahre kein Spiel verpasst

Bis heute hält Maier einen Rekord für die Ewigkeit – er spielte 13 Jahre ohne Unterbrechung in der Bundesliga. Zwischen dem 20. August 1966 und dem 9. Juni 1979 verpasste er keine Sekunde in 442 Bundesligaspielen (von insgesamt 473). Ersatzmann hinter ihm zu sein, bedeutete im Schatten zu leben. Sie hießen Seifert, Robl, Schrobenhauser oder Licht – und spielten alle nicht. Es gab auch keinen Grund. Ab 1972 stand ein Europameister im Bayern-Tor, ab 1974 ein Weltmeister.

Maiers Glanzparaden in den beiden letzten WM-Spielen gegen Polen und die Niederlande verdankt Deutschland ganz wesentlich den zweiten Titel. Auch der sagenhafte Hattrick im Europacup der Landesmeister (1974 bis 1976) wäre ohne ihn kaum vorstellbar gewesen. Denn die Bayern-Dominanz war nach dem Meister-Hattrick 1974 national zu Ende, auch international standen sie oft mit dem Rücken zur Wand – aber Maier hielt gerade in den Finals gegen Leeds United (1975) oder AS St. Etienne (1976) den Sieg fest.

Maier als Polizist

Im Halbfinale von Madrid betätigte er sich zudem als Polizist und "verhaftete" einen Rowdy, der Gerd Müller niedergeschlagen hatte. Er selbst steckte auch ein paar Knüppelhiebe von richtigen Polizisten ein. Ein Sepp Maier setzte sich eben mit Haut und Haar für seinen FC Bayern ein. Nach Franz Beckenbauers Abschied 1977 rückte er in der Hierarchie ganz nach oben, was ihn im März 1979 in ungekannter Funktion in die Tagesschau brachte. Die Mannschaft hatte gegen den designierten Trainer Max Merkel gemeutert, was Maier als Kapitän dem Präsidenten Wilhelm Neudecker mitteilte. Der war empört: "Wie reden Sie denn mit mir? Sie, Sie... Gewerkschaftsboss."

Neudecker trat zurück, in München war eine Revolution im Gange wie sie der Fußball noch nicht gesehen hatte. Und Maier musste sie der Welt erklären. Er spielte die Rolle ungern, Konflikte hat er immer vermeiden wollen. In eine Intrige war Sepp Maier, der grundehrliche Kerl mit dem Schalk im Nacken, nie verwickelt. Bei ihm wussten alle, woran sie waren und wenn er sauer war, dann auch. Etwa als es um die Abrechnung seines Abschiedsspiels im Juni 1980 ging, als der Verein ihm mehr abziehen wollte, als schriftlich vereinbart. Maier setzte seinen Kopf durch und erntete die Achtung seiner Weggefährten.

Die Karriere endete in einer Linkskurve

Aber wieso überhaupt Abschied? Die große Karriere des Sepp Maier endete in einer Linkskurve. Am 14. Juli 1979 geriet Maiers Wagen bei Aquaplaning von der Fahrbahn ab und kollidierte mit einem anderen, in dem zwei Frauen saßen. "Ich bin gar nicht so schnell gefahren – vielleicht 80 Stundenkilometer – da merkte ich, wie ich die Gewalt über meinen Wagen verlor."

Im Krankenhaus diagnostizierte man nur ein paar Rippenbrüche, aber zu Maiers Glück traute der herbeigeeilte Freund und Neu-Manager Uli Hoeneß den Diagnosen des Wochenenddienstes der Klinik nicht. Hoeneß alarmierte Bayerns Vereinsarzt, und der ordnete die Verlegung in das Krankenhaus Harlaching an, wo die Röntgenbilder einen Lungenriss ergaben. Die Leber hatte sich hineingeschoben. Das Zwerchfell war auch gerissen, und zweieinhalb Liter Blut hatte sich in der Bauchhöhle gesammelt.

Maier: "Der Uli hat mir das Leben gerettet"

"Der Uli hat mir das Leben gerettet", betont Maier bei jedem runden Geburtstag, wenn man ihn zu dieser Zäsur befragt. "Einen Tag länger in Ebersberg mit meinen 'Rippenbrüchen' und es wäre aus gewesen." Aus war es nur mit dem Fußball, was er noch nicht sofort wahrhaben wollte. Die EM 1980 stand auf seinem Programmzettel, außerdem wollte er die 500 Spiele für Bayern vollmachen. "Der Junghans wird hier noch zum Althans", hatte er dem nächsten Nachwuchstorwart schon im Spaß wissen lassen, aber es kam anders. Die aktive Karriere des Sepp Maier hätte sicher ein besseres Ende verdient gehabt, und doch war sie einzigartig erfolgreich.

Weltmeister und Europameister ist er trotzdem noch mal geworden. Als Franz Beckenbauer Teamchef wurde, holte er Maier, der sich bis dahin um seinen Tennispark kümmerte, als Bundestorwart-Trainer zurück in den Kreis der Nationalelf. 1990 war er in Italien Teil des Teams, das den bis dato letzten World Cup nach Deutschland holte. Den Film zum Triumph drehte Sepp Maier; die intimen Aufnahmen aus dem Kreis der Helden von Rom wurden auf dem Berliner Fußballfilmfestival 2012 aufgeführt. Da war er längst nicht mehr Bundestorwarttrainer. Seine Amtszeit war 2004 zu Ende gegangen.

Zum 70. Geburtstag heute sagen wir: Herzlichen Glückwunsch und weiterhin Zufriedenheit und Gesundheit, lieber Sepp.

Seine Titel und Auszeichnungen:


Weltmeister 1974
Europameister 1972
Europapokalsieger 1967 (Pokalsieger), 1974, 1975, 1976 (Landesmeister), Deutscher Meister 1969, 1972, 1973, 1974, Pokalsieger 1966, 1967, 1969, Weltpokalsieger 1976
Fußballer des Jahres 1975, 1977, 1978
Bundesverdienstkreuz 1978

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Ob er der Beste war, wird sich objektiv nie feststellen lassen. So wie niemand sagen kann, welcher Sommer der schönste war. Der Erfolgreichste aber war er allemal und der Volkstümlichste noch dazu. Sepp Maier ist in mancherlei Hinsicht noch immer die Nummer 1. Historiker Udo Muras porträtiert den Welt- und Europameister anlässlich seines 70. Geburtstags.

Torwart wollte er nie werden. Bloß um seinem Trainer zu gefallen, stellte er sich in der Stunde der Personalnot ins Tor des TSV Haar bei München, eigentlich sah sich Sepp Maier eher als großer Torjäger. Doch seinem Trainer war die turnerische Begabung des Stürmers nicht entgangen und was sprach schon gegen einen gelenkigen Torwart? Viele große Torwartkarrieren begannen seltsamerweise so oder so ähnlich, weil gerade Kinder Toreschießen als den eigentlichen Sinn des Fußballs sehen. Und weil sie sich austoben wollen statt nur herumzustehen.

Maier immerhin stellte fest, dass es ihm einen Heidenspaß machte, sich in den Dreck zu werfen – zum Leidwesen der Mutter. Zitat Maier: "Am schönsten fand ich es, wenn es ordentlich geregnet hatte, wenn ich mich im Morast richtig suhlen konnte." Das allerdings mit dem Hintergedanken, auf diesem Wege neue Klamotten zu bekommen, weil er es leid war, die des älteren Bruders aufzutragen – wie es in den ersten Jahren der Nachkriegszeit üblich war bei den einfachen Leuten.

Nützliches Kindheitstrauma

Mit 15 also fing sie an, die grandioseste Torwartkarriere des deutschen Fußballs - und wenn er es auch widerwillig tat zu Beginn, so machte er es mit vollstem Einsatz. Ursache seines Ehrgeizes, der ihn sein Leben lang ausgezeichnet hat, sei ein traumatisches Kindheitserlebnis gewesen. Das schrieb er in seiner ersten Biographie "Ich bin doch kein Tor", die kurz nach seinem Abschiedsspiel am 3. Juni 1980 fertig geworden war.

Der kleine Sepp nämlich hatte bei einer Theateraufführung in der Schule vor Aufregung seinen Text vergessen, was das Auditorium sichtlich amüsierte, während er zu heulen begann. "Damals habe ich mir in meinen winzigen Dickschädel gesetzt: Nie wieder würde ich mich auslachen lassen." Nein, lieber wollte er bewundert werden und selbst lachen.

Unvergessene Entenjagd im Olympiastadion

Zum Lachen brachte er andere trotzdem, aber nicht aus Spott. Sepp Maier war und ist das, was die Bayern einen "Gaudi-Bursch" nennen. Er durfte auch inoffizieller Spaß-Rekordhalter des deutschen Fußballs sein. Funktionären band er beim Bankett die Schnürsenkel unter dem Tisch zusammen, Journalisten packte er Ziegelsteine in die Tasche, und Millionen kennen die Bilder von seiner Entenjagd im Münchner Olympiastadion, die bei keinem Rückblick auf 50 Jahre Bundesliga fehlten. Wie oft er aus Trainingslagern ausgebüchst ist, wird er selbst nicht mehr wissen – aber kein Trainer hat es ihm je verübelt, sofern er es denn erfahren hat.

Mit Uli Hoeneß floh Maier 1974 aus Malente nach Hamburg ins Hotel der Frauen und weil die Bremse kaputt ging, fuhr er mit angezogener Handbremse zurück, was schöne Blasen zu Tage förderte. Schön erfuhr es erst viel später. Schon 1968 wurde Maier mit Ersatzkeeper Horst Wolter in Santiago de Chile zum Fassadenkletterer auf der Flucht vor Schön. Vier Meter sprangen sie in die Tiefe – nie kam es heraus. Mit Franz "Bulle" Roth ging er trotz Verbots des gestrengen Branco Zebec zum Schwimmen und mit der ganzen Bayern-Elf nach Zapfenstreich in eine Disco. Als Trainer Udo Lattek plötzlich hereinkam, verschwand Maier unter dem Tresen, wo er "ewig und drei Tage hätte bleiben können, es war ja die Zeit der Miniröcke".

Wie der Gaudi-Bursch zum Weltklasse-Torhüter wurde

Als er vor einem Spiel in Madrid eine Sonnenbrille am Flughafen kaufte, machte er einem Reporter weis, er habe eine Sehschwäche und trage im Spiel schon länger Kontaktlinsen. Prompt stand in der Zeitung: "Maier spielt in Madrid mit Haftschalen." Das war mal eine "Exklusivgeschichte" – monatelang war der Reporter noch sauer auf den Sepp. Auch DFB-Physiotherapeut Adi Katzenmaier war ein paar Tage verstimmt über den Hasen, den ihm der damalige Torwarttrainer Maier bei der WM 1990 in den Arztkoffer gepackt hatte. Nur einmal hatte ein Streich böse Folgen; Noch als Kind klaute Maier mit seinen Freunden von einem Sägewerk Holzbalken, um sich Tore zu basteln. Der Vater half ihnen, weil er sah, wie sie sich abschleppten. Da sie erwischt wurden, verlor der Vater seinen Job und blieb vier Jahre arbeitslos, "und das alles nur wegen meiner Leidenschaft für den Fußball".

Trotz der verpatzten Theaterpremiere hatte er das Talent zum Comedian und wurde nicht ganz zu Unrecht mit Karl Valentin verwechselt, den er auch dank äußerer Ähnlichkeit phantastisch zu imitieren wusste. Auch ohne den Fußball wäre der Sepp wohl ein Liebling der Massen geworden, aber zum Glück ließen sich seine Talente vereinbaren. Der Gaudi-Bursch wurde ein Weltklasse-Torhüter.

Entdeckt wurde Maier ausgerechnet nach einem Spiel, in dem er zwölf Tore kassiert hatte – gegen die zweite Jugendmannschaft des FC Bayern. Deren Trainer Rudi Weiß machte ihm noch auf dem Platz ein Angebot. Überliefert ist folgender Dialog: Weiß: "Wie heißt denn Du?" Maier: "Ich bin der Herr Maier." Weiß: "Schmarrn. Deinen Vornamen will ich wissen." Maier: "Sepp. Aber wenn Sie meinen, dass ich mich jetzt von Ihnen auslachen lasse... Ich bin gar kein Torwart." Weiß: "Weißt Du was? Ohne Dich hätten die Haarer 25:0 oder 30:0 verloren. Willst Du nicht zum FC Bayern kommen?" Maier: "Aber ich bin doch ein Feldspieler, der beste Stürmer von Haar." Weiß: "Du bist der geborene Torwart. Du hast die Reflexe und den Instinkt." Man ging auseinander ohne Entscheidung, der Sepp wollte es sich überlegen. Das war 1959.

1960: Erste DFB-Nominierung

Nun nahmen die Dinge ihren Lauf. Natürlich überlegte er es sich und ging zu den Bayern, wo er schon im ersten Jahr dermaßen auf sich aufmerksam machte, dass er bereits 1960 den Bundesadler trug: Helmut Schön berief ihn in die Juniorennationalmannschaft. Da und in München schon an seiner Seite: der ein Jahr jüngere Franz Beckenbauer, der Maier auch dabei behilflich war, seine erste Freundin zu finden, die schließlich seine erste Frau werden sollte.

Vier Wochen nach seinem Bundesligadebüt im August 1965 war Maier, gerade 21, schon unter der Haube und verließ die elterliche Wohnung. Er zog zur Braut nach Anzing, was deshalb von Bedeutung ist, weil sein Spitzname, den er sich selbst gab, alsbald "die Katze von Anzing" lautete.

Die Glücksmomente rissen nicht ab im Leben des jungen Sepp Maier. Er geriet mitten in die Phase hinein, in der der FC Bayern eine große Hausnummer des deutschen Fußballs wurde. Als Aufsteiger wurden sie 1966 gleich Dritter und Pokalsieger, noch vor dem Finale debütierte er am 4. Mai in Irland in der A-Nationalmannschaft. 94 weitere Spiele sollten folgen, so viele wie kein anderer deutscher Torwart. Die Münchner Himmelsstürmer schwammen weiter auf der Erfolgswelle, die Achse Maier-Beckenbauer-Müller lief wie geschmiert: Zum erneuten DFB-Pokalsieg kam Ende der Saison 1966/1967 der erste Europapokalsieg der Münchner – ein 1:0 gegen die Glasgow Rangers in Nürnberg im Wettbewerb der Pokalsieger.

Ein nächtlicher Angriff und ein Auftritt als Kameramann

In der Nacht vor dem Spiel ereignete sich wieder eine typische Maier-Geschichte. Weil Maier auch im Traum nach Bällen hechtete, griff er nach dem Kopf seines Zimmerpartners Hans Rigotti, der vor Schreck das ganze Hotel weckte. Alles nur weil Trainer Tschik Cajkovski Maier eingetrichtert hatte, dass das Spiel des Gegners auf Flanken angelegt sei, die er möglichst fangen solle. 1969 wurden die Bayern erstmals Meister mit Maier, 1970 spielte er in Mexiko seine erste WM, während er 1966 in England noch auf der Tribüne gesessen hatte – als dritter Torwart.

Im Verein passierte ihm das nie, und das war auch besser so. Maier war kein guter Reservist. Als Bundestrainer Helmut Schön im bedeutungslosen Spiel gegen Albanien Konkurrent Horst Wolter testete, kletterte Maier aus Protest in Dortmund auf das Tribünendach und filmte das Spiel. Es sollte nicht sein letzter Film über die Nationalmannschaft gewesen sein.

Rekord für die Ewigkeit: 13 Jahre kein Spiel verpasst

Bis heute hält Maier einen Rekord für die Ewigkeit – er spielte 13 Jahre ohne Unterbrechung in der Bundesliga. Zwischen dem 20. August 1966 und dem 9. Juni 1979 verpasste er keine Sekunde in 442 Bundesligaspielen (von insgesamt 473). Ersatzmann hinter ihm zu sein, bedeutete im Schatten zu leben. Sie hießen Seifert, Robl, Schrobenhauser oder Licht – und spielten alle nicht. Es gab auch keinen Grund. Ab 1972 stand ein Europameister im Bayern-Tor, ab 1974 ein Weltmeister.

Maiers Glanzparaden in den beiden letzten WM-Spielen gegen Polen und die Niederlande verdankt Deutschland ganz wesentlich den zweiten Titel. Auch der sagenhafte Hattrick im Europacup der Landesmeister (1974 bis 1976) wäre ohne ihn kaum vorstellbar gewesen. Denn die Bayern-Dominanz war nach dem Meister-Hattrick 1974 national zu Ende, auch international standen sie oft mit dem Rücken zur Wand – aber Maier hielt gerade in den Finals gegen Leeds United (1975) oder AS St. Etienne (1976) den Sieg fest.

Maier als Polizist

Im Halbfinale von Madrid betätigte er sich zudem als Polizist und "verhaftete" einen Rowdy, der Gerd Müller niedergeschlagen hatte. Er selbst steckte auch ein paar Knüppelhiebe von richtigen Polizisten ein. Ein Sepp Maier setzte sich eben mit Haut und Haar für seinen FC Bayern ein. Nach Franz Beckenbauers Abschied 1977 rückte er in der Hierarchie ganz nach oben, was ihn im März 1979 in ungekannter Funktion in die Tagesschau brachte. Die Mannschaft hatte gegen den designierten Trainer Max Merkel gemeutert, was Maier als Kapitän dem Präsidenten Wilhelm Neudecker mitteilte. Der war empört: "Wie reden Sie denn mit mir? Sie, Sie... Gewerkschaftsboss."

Neudecker trat zurück, in München war eine Revolution im Gange wie sie der Fußball noch nicht gesehen hatte. Und Maier musste sie der Welt erklären. Er spielte die Rolle ungern, Konflikte hat er immer vermeiden wollen. In eine Intrige war Sepp Maier, der grundehrliche Kerl mit dem Schalk im Nacken, nie verwickelt. Bei ihm wussten alle, woran sie waren und wenn er sauer war, dann auch. Etwa als es um die Abrechnung seines Abschiedsspiels im Juni 1980 ging, als der Verein ihm mehr abziehen wollte, als schriftlich vereinbart. Maier setzte seinen Kopf durch und erntete die Achtung seiner Weggefährten.

Die Karriere endete in einer Linkskurve

Aber wieso überhaupt Abschied? Die große Karriere des Sepp Maier endete in einer Linkskurve. Am 14. Juli 1979 geriet Maiers Wagen bei Aquaplaning von der Fahrbahn ab und kollidierte mit einem anderen, in dem zwei Frauen saßen. "Ich bin gar nicht so schnell gefahren – vielleicht 80 Stundenkilometer – da merkte ich, wie ich die Gewalt über meinen Wagen verlor."

Im Krankenhaus diagnostizierte man nur ein paar Rippenbrüche, aber zu Maiers Glück traute der herbeigeeilte Freund und Neu-Manager Uli Hoeneß den Diagnosen des Wochenenddienstes der Klinik nicht. Hoeneß alarmierte Bayerns Vereinsarzt, und der ordnete die Verlegung in das Krankenhaus Harlaching an, wo die Röntgenbilder einen Lungenriss ergaben. Die Leber hatte sich hineingeschoben. Das Zwerchfell war auch gerissen, und zweieinhalb Liter Blut hatte sich in der Bauchhöhle gesammelt.

Maier: "Der Uli hat mir das Leben gerettet"

"Der Uli hat mir das Leben gerettet", betont Maier bei jedem runden Geburtstag, wenn man ihn zu dieser Zäsur befragt. "Einen Tag länger in Ebersberg mit meinen 'Rippenbrüchen' und es wäre aus gewesen." Aus war es nur mit dem Fußball, was er noch nicht sofort wahrhaben wollte. Die EM 1980 stand auf seinem Programmzettel, außerdem wollte er die 500 Spiele für Bayern vollmachen. "Der Junghans wird hier noch zum Althans", hatte er dem nächsten Nachwuchstorwart schon im Spaß wissen lassen, aber es kam anders. Die aktive Karriere des Sepp Maier hätte sicher ein besseres Ende verdient gehabt, und doch war sie einzigartig erfolgreich.

Weltmeister und Europameister ist er trotzdem noch mal geworden. Als Franz Beckenbauer Teamchef wurde, holte er Maier, der sich bis dahin um seinen Tennispark kümmerte, als Bundestorwart-Trainer zurück in den Kreis der Nationalelf. 1990 war er in Italien Teil des Teams, das den bis dato letzten World Cup nach Deutschland holte. Den Film zum Triumph drehte Sepp Maier; die intimen Aufnahmen aus dem Kreis der Helden von Rom wurden auf dem Berliner Fußballfilmfestival 2012 aufgeführt. Da war er längst nicht mehr Bundestorwarttrainer. Seine Amtszeit war 2004 zu Ende gegangen.

Zum 70. Geburtstag heute sagen wir: Herzlichen Glückwunsch und weiterhin Zufriedenheit und Gesundheit, lieber Sepp.

Seine Titel und Auszeichnungen:


Weltmeister 1974
Europameister 1972
Europapokalsieger 1967 (Pokalsieger), 1974, 1975, 1976 (Landesmeister), Deutscher Meister 1969, 1972, 1973, 1974, Pokalsieger 1966, 1967, 1969, Weltpokalsieger 1976
Fußballer des Jahres 1975, 1977, 1978
Bundesverdienstkreuz 1978