"Fußball kann Hemmnisse und Barrieren abbauen"

Integration - ein Thema, über das dieser Tage viele Menschen in Deutschland sprechen. Und Integration ist auch der Anlass für den Besuch von Dr. Theo Zwanziger am Mittwoch in der Universität Oldenburg.

Anlässlich der Eröffnungsfeierlichkeiten des An-Instituts "Integration durch Sport und Bildung" macht der DFB-Präsident im DFB.de-Interview deutlich, welchen Beitrag der Sport möglicherweise zur Lösung der Integrationsproblematik leisten kann - und warum sich Fußball manchmal sogar zum Vokabellernen eignet.

DFB.de: Herr Dr. Zwanziger, der Anlass Ihres Besuches in Oldenburg könnte aktueller kaum sein. Die ganze Nation spricht derzeit über das Thema Integration. Was versprechen Sie sich vom neuen "An-Institut" der Universität Oldenburg?

Dr. Theo Zwanziger: Hauptziel dieser sehr erfreulichen Einrichtung ist es, die Integration benachteiligter Kinder und Jugendlicher mit Migrationshintergrund durch Bewegung und Sport voranzutreiben. Das An-Institut befasst sich also exakt mit der Thematik, die in der aktuellen Diskussion oft als ein Lösungsansatz für die Integrationsproblematik in Deutschland genannt wird.

DFB.de: Wie kam es dazu, dass sich das An-Institut, das auch vom DFB gefördert wird, mit dieser Idee befasst?

Zwanziger: Die Eröffnung des Instituts ist die konsequente Fortsetzung eines Projektes, das seinen Ursprung im Oldenburger Stadtteil Ohmstede hat. Der Sportpädagoge Ulf Gebken startete hier vor zehn Jahren ein durch den DFB finanziertes Programm zur sozialen Integration von Mädchen durch Fußball. Um Mädchen mit Migrationshintergrund für den Sport zu begeistern, initiierte er Mädchenfußball-AGs an Grundschulen, Schulturniere und in Kooperation mit Schule und Sportverein die Qualifizierung weiblicher Jugendlicher zu Fußball-Assistentinnen. Mittlerweile läuft dieses Projekt unter den Namen "Fußball ohne Abseits" in ganz Deutschland und wird von sieben Landesregierungen gefördert.

DFB.de: Mit dem gewünschten Erfolg?

Zwanziger: Ja, eine wissenschaftliche Überprüfung hat deutlich gemacht, dass Fußball einen großen Beitrag zur Integration in Deutschland leisten kann. Deshalb bin ich sehr glücklich darüber, dass das Land Niedersachen und die Universität Oldenburg den Gedanken aufnehmen, dieses Ziel intensiv verfolgen und ihm eine wissenschaftliche Grundlage geben.

DFB.de: Bei der WM in Südafrika hatte fast die Hälfte aller deutschen Nationalspieler einen Migrationshintergrund. Dies wird in der aktuellen Diskussion immer als Musterbeispiel für gelungene Integration genannt. Die integrative Kraft des Fußballs scheint also mittlerweile er- und anerkannt?

Zwanziger: Erkannt ja, anerkannt noch nicht überall und endgültig. Meiner Meinung nach wird der Fußball noch zu wenig genutzt, um die Hemmschwellen zwischen Migranten und Deutschen weiter aufzulockern. Gerade an Schulen, an denen viele Kinder mit Migrationshintergrund sind, müsste noch viel mehr mit der integrativen Kraft unseres Sports gearbeitet werden.

DFB.de: Wie sehen sie als DFB-Präsident persönlich die aktuelle Diskussion um das Thema Integration?

Zwanziger: Integration hat viel mit Nehmen und Geben zu tun. Die Menschen der so genannten Mehrheitsgesellschaft in Deutschland müssen gegenüber den Mitbürgern mit Migrationshintergrund aufgeschlossen sein. Sie müssen respektvoll mit deren Traditionen und Kulturen umgehen. Andererseits haben sie auch ein Recht darauf, dass Kriminalität, Gewalttätigkeit und vor allem auch Integrationsunwilligkeit durch den Staat klar geahndet werden. Das ist zunächst einmal die Grundlage für erfolgreiche Integration, an der der Fußball und der DFB wenig ändern können.

DFB.de: Was kann der Sport tun?

Zwanziger: Die Aufgabe des Sports ist es, die ausgestreckte Hand einer großen Mehrheit von Migranten und Migrantinnen aufzunehmen und zu versuchen, diese besser zu verstehen und sich mit ihnen zu verständigen. Dafür sind drei Faktoren wichtig: Erstens die Sprache, zweitens die Sportart, vor allem Teamsport, und drittens die öffentliche Präsentation von Vorbildern, bei denen die Integration in die Gesellschaft gelungen ist.

DFB.de: Also so, wie es die deutsche Nationalmannschaft mit Spielern wie Özil, Khedira, Podolski oder Klose tut?

Zwanziger: Genau das meine ich. In diesem Bereich hat der Fußball wirklich Großartiges geleistet. Allerdings muss ich zugeben, dass wir im Frauenbereich noch lange nicht so weit sind. Hier ist die Quote von Spielerinnen mit Migrationshintergrund deutlich geringer.

DFB.de: Woran liegt das?

Zwanziger: An den Traditionen und Sitten der Religionen, denen die Mädchen mit Migrationshintergrund oft angehören. So ermutigen beispielsweise türkische Eltern ihre Söhne nachdrücklich dazu, Fußball zu spielen. Bei den Töchtern ist das nicht der Fall. Oftmals werden sie sogar daran gehindert.

DFB.de: Muss der DFB dort ansetzen?

Zwanziger: Genau. Das jedoch setzt voraus, dass Fußball an der Basis, vor allem in den Schulen, noch intensiver genutzt wird. Zum Beispiel zum Erlernen der deutschen Sprache.

DFB.de: Wie soll das denn funktionieren?

Zwanziger: Beispielsweise so, wie es bereits 1874 geklappt hat. Der Braunschweiger Lehrer Konrad Koch nutzte schon damals den Schulsport zum Erlernen der englischen Sprache. Er ließ seine Schüler Fußball spielen, also eine damals in Deutschland noch unbekannte Sportart. Da es noch keinen fußballspezifischen Wortschatz in Deutsch gab, mussten seine Schüler eben die englischen Begriffe benutzen. So entwickelten sie ganz nebenbei ein Sprachgefühl für die englische Sprache.

DFB.de: Also Fußball als Vokabeltraining?

Zwanziger: Ja, so ähnlich. Was ich damit sagen will, ist, dass der Fußball nicht nur Menschen jeglicher Herkunft zusammenbringt - er schafft ab und an auch Sprachfähigkeit. Wenn auf dem Platz der eine Spieler nur deutsch und der andere nur türkisch spricht, so ist es dennoch möglich, die Sprache des Fußballs wechselseitig zu verstehen. Bei Kindern zwischen vier und sechs Jahren wird so durch Fußball eine erste Grundlage dafür gelegt, die Scheu vor der fremden Sprache, vor dem Miteinanderreden, vor dem Deutschlernen zu verlieren. Wenn es uns also gelingt, flächendeckend an den Grundschulen in Deutschland Fußball zu spielen, so werden wir sehen, dass dadurch eine Menge Hemmnisse und Barrieren abgebaut werden, weil im Sport eben viele Dinge anders sind.

DFB.de: Aber Fußballspielen in der Schule schafft auch neue Problemfelder, oder? Gerade wenn unterschiedliche Kulturen aufeinandertreffen.

Zwanziger: Natürlich kann der Fußball nicht alle Integrationsprobleme lösen, vielleicht schafft er sogar sportspezifische Konfliktfelder. Plötzlich gilt es, den andersgläubigen und fremden Gegner sowie Entscheidungen des Schiedsrichters zu respektieren. Es geht um Gewinnen und Verlieren. Das kann zu zwischenmenschlichen Problemen führen. Diese pädagogisch und verantwortungsbewusst zu begleiten, ist sicher eine weitere Herkulesarbeit, vor der wir stehen. Aber wir sollten dennoch erst mal vernünftig den ersten Schritt machen. Und der heißt für mich klar und deutlich: möglichst viel durch Fußball an Grundschulen erreichen.

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Integration - ein Thema, über das dieser Tage viele Menschen in Deutschland sprechen. Und Integration ist auch der Anlass für den Besuch von Dr. Theo Zwanziger am Mittwoch in der Universität Oldenburg.

Anlässlich der Eröffnungsfeierlichkeiten des An-Instituts "Integration durch Sport und Bildung" macht der DFB-Präsident im DFB.de-Interview deutlich, welchen Beitrag der Sport möglicherweise zur Lösung der Integrationsproblematik leisten kann - und warum sich Fußball manchmal sogar zum Vokabellernen eignet.

DFB.de: Herr Dr. Zwanziger, der Anlass Ihres Besuches in Oldenburg könnte aktueller kaum sein. Die ganze Nation spricht derzeit über das Thema Integration. Was versprechen Sie sich vom neuen "An-Institut" der Universität Oldenburg?

Dr. Theo Zwanziger: Hauptziel dieser sehr erfreulichen Einrichtung ist es, die Integration benachteiligter Kinder und Jugendlicher mit Migrationshintergrund durch Bewegung und Sport voranzutreiben. Das An-Institut befasst sich also exakt mit der Thematik, die in der aktuellen Diskussion oft als ein Lösungsansatz für die Integrationsproblematik in Deutschland genannt wird.

DFB.de: Wie kam es dazu, dass sich das An-Institut, das auch vom DFB gefördert wird, mit dieser Idee befasst?

Zwanziger: Die Eröffnung des Instituts ist die konsequente Fortsetzung eines Projektes, das seinen Ursprung im Oldenburger Stadtteil Ohmstede hat. Der Sportpädagoge Ulf Gebken startete hier vor zehn Jahren ein durch den DFB finanziertes Programm zur sozialen Integration von Mädchen durch Fußball. Um Mädchen mit Migrationshintergrund für den Sport zu begeistern, initiierte er Mädchenfußball-AGs an Grundschulen, Schulturniere und in Kooperation mit Schule und Sportverein die Qualifizierung weiblicher Jugendlicher zu Fußball-Assistentinnen. Mittlerweile läuft dieses Projekt unter den Namen "Fußball ohne Abseits" in ganz Deutschland und wird von sieben Landesregierungen gefördert.

DFB.de: Mit dem gewünschten Erfolg?

Zwanziger: Ja, eine wissenschaftliche Überprüfung hat deutlich gemacht, dass Fußball einen großen Beitrag zur Integration in Deutschland leisten kann. Deshalb bin ich sehr glücklich darüber, dass das Land Niedersachen und die Universität Oldenburg den Gedanken aufnehmen, dieses Ziel intensiv verfolgen und ihm eine wissenschaftliche Grundlage geben.

DFB.de: Bei der WM in Südafrika hatte fast die Hälfte aller deutschen Nationalspieler einen Migrationshintergrund. Dies wird in der aktuellen Diskussion immer als Musterbeispiel für gelungene Integration genannt. Die integrative Kraft des Fußballs scheint also mittlerweile er- und anerkannt?

Zwanziger: Erkannt ja, anerkannt noch nicht überall und endgültig. Meiner Meinung nach wird der Fußball noch zu wenig genutzt, um die Hemmschwellen zwischen Migranten und Deutschen weiter aufzulockern. Gerade an Schulen, an denen viele Kinder mit Migrationshintergrund sind, müsste noch viel mehr mit der integrativen Kraft unseres Sports gearbeitet werden.

DFB.de: Wie sehen sie als DFB-Präsident persönlich die aktuelle Diskussion um das Thema Integration?

Zwanziger: Integration hat viel mit Nehmen und Geben zu tun. Die Menschen der so genannten Mehrheitsgesellschaft in Deutschland müssen gegenüber den Mitbürgern mit Migrationshintergrund aufgeschlossen sein. Sie müssen respektvoll mit deren Traditionen und Kulturen umgehen. Andererseits haben sie auch ein Recht darauf, dass Kriminalität, Gewalttätigkeit und vor allem auch Integrationsunwilligkeit durch den Staat klar geahndet werden. Das ist zunächst einmal die Grundlage für erfolgreiche Integration, an der der Fußball und der DFB wenig ändern können.

DFB.de: Was kann der Sport tun?

Zwanziger: Die Aufgabe des Sports ist es, die ausgestreckte Hand einer großen Mehrheit von Migranten und Migrantinnen aufzunehmen und zu versuchen, diese besser zu verstehen und sich mit ihnen zu verständigen. Dafür sind drei Faktoren wichtig: Erstens die Sprache, zweitens die Sportart, vor allem Teamsport, und drittens die öffentliche Präsentation von Vorbildern, bei denen die Integration in die Gesellschaft gelungen ist.

DFB.de: Also so, wie es die deutsche Nationalmannschaft mit Spielern wie Özil, Khedira, Podolski oder Klose tut?

Zwanziger: Genau das meine ich. In diesem Bereich hat der Fußball wirklich Großartiges geleistet. Allerdings muss ich zugeben, dass wir im Frauenbereich noch lange nicht so weit sind. Hier ist die Quote von Spielerinnen mit Migrationshintergrund deutlich geringer.

DFB.de: Woran liegt das?

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Zwanziger: An den Traditionen und Sitten der Religionen, denen die Mädchen mit Migrationshintergrund oft angehören. So ermutigen beispielsweise türkische Eltern ihre Söhne nachdrücklich dazu, Fußball zu spielen. Bei den Töchtern ist das nicht der Fall. Oftmals werden sie sogar daran gehindert.

DFB.de: Muss der DFB dort ansetzen?

Zwanziger: Genau. Das jedoch setzt voraus, dass Fußball an der Basis, vor allem in den Schulen, noch intensiver genutzt wird. Zum Beispiel zum Erlernen der deutschen Sprache.

DFB.de: Wie soll das denn funktionieren?

Zwanziger: Beispielsweise so, wie es bereits 1874 geklappt hat. Der Braunschweiger Lehrer Konrad Koch nutzte schon damals den Schulsport zum Erlernen der englischen Sprache. Er ließ seine Schüler Fußball spielen, also eine damals in Deutschland noch unbekannte Sportart. Da es noch keinen fußballspezifischen Wortschatz in Deutsch gab, mussten seine Schüler eben die englischen Begriffe benutzen. So entwickelten sie ganz nebenbei ein Sprachgefühl für die englische Sprache.

DFB.de: Also Fußball als Vokabeltraining?

Zwanziger: Ja, so ähnlich. Was ich damit sagen will, ist, dass der Fußball nicht nur Menschen jeglicher Herkunft zusammenbringt - er schafft ab und an auch Sprachfähigkeit. Wenn auf dem Platz der eine Spieler nur deutsch und der andere nur türkisch spricht, so ist es dennoch möglich, die Sprache des Fußballs wechselseitig zu verstehen. Bei Kindern zwischen vier und sechs Jahren wird so durch Fußball eine erste Grundlage dafür gelegt, die Scheu vor der fremden Sprache, vor dem Miteinanderreden, vor dem Deutschlernen zu verlieren. Wenn es uns also gelingt, flächendeckend an den Grundschulen in Deutschland Fußball zu spielen, so werden wir sehen, dass dadurch eine Menge Hemmnisse und Barrieren abgebaut werden, weil im Sport eben viele Dinge anders sind.

DFB.de: Aber Fußballspielen in der Schule schafft auch neue Problemfelder, oder? Gerade wenn unterschiedliche Kulturen aufeinandertreffen.

Zwanziger: Natürlich kann der Fußball nicht alle Integrationsprobleme lösen, vielleicht schafft er sogar sportspezifische Konfliktfelder. Plötzlich gilt es, den andersgläubigen und fremden Gegner sowie Entscheidungen des Schiedsrichters zu respektieren. Es geht um Gewinnen und Verlieren. Das kann zu zwischenmenschlichen Problemen führen. Diese pädagogisch und verantwortungsbewusst zu begleiten, ist sicher eine weitere Herkulesarbeit, vor der wir stehen. Aber wir sollten dennoch erst mal vernünftig den ersten Schritt machen. Und der heißt für mich klar und deutlich: möglichst viel durch Fußball an Grundschulen erreichen.