Dr. Theo Zwanziger: "Eine herausragende Arbeit, die einen neuen Standard setzt"

Anlässlich der Veröffentlichung der Studie „Fußball unterm Hakenkreuz – Der DFB zwischen Sport, Politik und Kommerz“ und der Stiftung des "Julius Hirsch Preises" äußerte sich der Geschäftsführende DFB-Präsident Dr. Theo Zwanziger im aktuellen Interview.

Frage: Herr Dr. Zwanziger, der DFB hat heute in Berlin die Studie „Fußball unterm Hakenkreuz – Der DFB zwischen Sport, Politik und Kommerz“ der Öffentlichkeit vorgestellt. Was sind die Hintergründe dieser Studie?

Dr. Theo Zwanziger: Die Studie behandelt eine Zeit, in der sich viele gesellschaftliche Gruppen einem Regime unterworfen haben, das eine Menschen verachtende Ideologie verfolgt hat. Die Frage nach dem „Warum?“ muss sich jeder Einzelne stellen. Im Besonderen gilt dies aber für gesellschaftlich relevante Gruppen oder Verbände. Als solchen betrachten wir uns. Wir haben die Verantwortung, uns unserer Vergangenheit zu stellen. Deshalb wurde diese Studie in Auftrag gegeben.

Frage: Dem DFB war bei seinem 100-jährigen Jubiläum im Jahr 2000 vorgeworfen worden, er hätte sich mit seiner Verbandsgeschichte zwischen 1933 und 1945 nicht intensiv auseinandergesetzt...

Dr. Theo Zwanziger: Dieser Vorwurf wurde seinerzeit im unmittelbaren Vorfeld unserer Jubiläumsfeierlichkeiten in der Tat erhoben. Wir haben aber nie gesagt, dass wir uns unserer Vergangenheit nicht stellen wollen. Im Rückblick wäre es möglicherweise besser gewesen, sich schon im Rahmen unseres damaligen Jubiläumsbuches intensiver darum zu kümmern. Dies ist Mitte der neunziger Jahre, als das Buch konzipiert wurde, so nicht bedacht worden. Das muss man akzeptieren. Es war jedenfalls nie unsere Absicht, vor der Verantwortung davon zu laufen. Wir haben alle Archive offengelegt, haben Kontakte zu Verbänden im In- und Ausland vermittelt. Zudem legen wir Wert darauf, dass die Gutachter der Studie nicht von uns bestellt wurden.

Frage: Die Aufarbeitung wurde verfasst von Dr. Nils Havemann unter der wissenschaftlichen Leitung von Prof. Klaus Hildebrand. Wie kam der Kontakt zustande?

Dr. Theo Zwanziger: Wir kamen im Jahr 2000 recht schnell zu der Überzeugung, unsere Verbandsgeschichte von unabhängiger Seite erforschen zu lassen. Deswegen wandten wir uns mit der Bitte um fachliche Unterstützung an den Verband der Historiker Deutschlands. Herr Prof. Johannes Fried, der damalige Vorsitzende des Verbandes empfahl uns dann Herrn Prof. Hildebrand von der Universität Bonn, über den schließlich der Kontakt zu Herrn Dr. Havemann hergestellt wurde. Nachdem die beiden Historiker uns bestätigen konnten, dass noch genügend auswertbare Quellen vorliegen, haben wir die Studie dann in Auftrag gegeben.

Frage: Mit insgesamt 473 Seiten liegt nun ein sehr umfangreiches Werk vor. Wie ist Ihr Eindruck von der Arbeit?

Dr. Theo Zwanziger: Meiner Meinung nach ist es eine herausragende Arbeit, die einen neuen Standard in der Forschung zu diesem Thema setzt. Besonders die umfangreiche Quellenbasis aus über 40 Archiven ist einzigartig. Was die fachlichen Schlüsse angeht, so überlasse ich sie der Forschung. Wir gehen davon aus, dass mit der Aufarbeitung im Rahmen der Studie die Grundlage zu weiteren wissenschaftlichen Schlussfolgerungen nun gelegt ist. Für den DFB ist es jetzt wichtig, aus den Ergebnissen zu lernen und Folgerungen für die Zukunft zu ziehen.

Frage: Das DFB-Präsidium hat nach Vorlage der Arbeit inzwischen die Stiftung eines Preises in Erinnerung an den ehemaligen deutschen Nationalspieler Julius Hirsch, der als Jude im KZ Auschwitz ermordet wurde, beschlossen. Was sind die Hintergründe?

Dr. Theo Zwanziger: Das Schicksal des Julius Hirsch – damals von Medien und seinen Fans in Karlsruhe nur „Juller“ genannt – darf nicht in Vergessenheit geraten. Es ist erschütternd, sich vorzustellen, dass einem Menschen – vorher noch umjubelt wegen seiner Tore – vom einen auf den anderen Tag auf der Straße ausgewichen wird, er gleichsam zum Insekt degradiert wird. Auch unsere Fußballer haben offenbar einer solchen Unmenschlichkeit nicht widerstanden. Mit dem Preis wollen wir dazu beitragen, dass so etwas nie wieder in Deutschland passiert. Wir möchten unsere gesellschaftliche Plattform nutzen, um vor rassistischen, fremdenfeindlichen und extremistischen Erscheinungsformen jeder Art zu warnen und zugleich unseren Mitgliedern, überall, wo sie uns begegnen, zurufen: Vergesst nicht, sondern wehret den Anfängen! Ich bin sehr froh, dass wir mit dem FC Bayern München im Dezember einen sehr würdigen Preisträger auszeichnen können. Dem Verein gelingt es seit Jahrzehnten, seine herausragende Stellung auch dazu zu nutzen, sich glaubwürdig für die Völkerverständigung zu engagieren. Das Friedensspiel gegen eine israelisch-palästinensische Auswahl im Juli in der Allianz Arena war ein großartiges Ereignis, das nun zurecht mit gewürdigt wird.

Frage: Welche Maßnahmen sind noch geplant?

Dr. Theo Zwanziger: Wir werden ein wissenschaftliches Symposium veranstalten. Es soll am 07./08. April nächsten Jahres in der Evangelischen Akademie Bad Boll stattfinden. Dort wird die Rolle der Verbände und Vereine während der Zeit des Nationalsozialismus eingehend diskutiert. Wir wollen aber auch die Brücke in die Gegenwart schlagen: Wie ist der Sport seit 1945 mit seiner Vergangenheit umgegangen? Wie können Vereine und Verbände heute aus dieser Vergangenheit lernen? Die Auseinandersetzung darf und wird mit Abschluss der Studie nicht vorbei sein. Gemeinsam mit der Jury des Julius Hirsch Preises wollen wir im Präsidium sehr verantwortlich beraten, wie wir unseren früheren jüdischen Mitgliedern gedenken und sie in angemessener Weise ehren können.

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Anlässlich der Veröffentlichung der Studie „Fußball unterm Hakenkreuz – Der DFB zwischen Sport, Politik und Kommerz“ und der Stiftung des "Julius Hirsch Preises" äußerte sich der Geschäftsführende DFB-Präsident Dr. Theo Zwanziger im aktuellen Interview.



Frage: Herr Dr. Zwanziger, der DFB hat heute in Berlin die Studie „Fußball unterm Hakenkreuz – Der DFB zwischen Sport, Politik und Kommerz“ der Öffentlichkeit vorgestellt. Was sind die Hintergründe dieser Studie?



Dr. Theo Zwanziger: Die Studie behandelt eine Zeit, in der sich viele gesellschaftliche Gruppen einem Regime unterworfen haben, das eine Menschen verachtende Ideologie verfolgt hat. Die Frage nach dem „Warum?“ muss sich jeder Einzelne stellen. Im Besonderen gilt dies aber für gesellschaftlich relevante Gruppen oder Verbände. Als solchen betrachten wir uns. Wir haben die Verantwortung, uns unserer Vergangenheit zu stellen. Deshalb wurde diese Studie in Auftrag gegeben.



Frage: Dem DFB war bei seinem 100-jährigen Jubiläum im Jahr 2000 vorgeworfen worden, er hätte sich mit seiner Verbandsgeschichte zwischen 1933 und 1945 nicht intensiv auseinandergesetzt...



Dr. Theo Zwanziger: Dieser Vorwurf wurde seinerzeit im unmittelbaren Vorfeld unserer Jubiläumsfeierlichkeiten in der Tat erhoben. Wir haben aber nie gesagt, dass wir uns unserer Vergangenheit nicht stellen wollen. Im Rückblick wäre es möglicherweise besser gewesen, sich schon im Rahmen unseres damaligen Jubiläumsbuches intensiver darum zu kümmern. Dies ist Mitte der neunziger Jahre, als das Buch konzipiert wurde, so nicht bedacht worden. Das muss man akzeptieren. Es war jedenfalls nie unsere Absicht, vor der Verantwortung davon zu laufen. Wir haben alle Archive offengelegt, haben Kontakte zu Verbänden im In- und Ausland vermittelt. Zudem legen wir Wert darauf, dass die Gutachter der Studie nicht von uns bestellt wurden.



Frage: Die Aufarbeitung wurde verfasst von Dr. Nils Havemann unter der wissenschaftlichen Leitung von Prof. Klaus Hildebrand. Wie kam der Kontakt zustande?



Dr. Theo Zwanziger: Wir kamen im Jahr 2000 recht schnell zu der Überzeugung, unsere Verbandsgeschichte von unabhängiger Seite erforschen zu lassen. Deswegen wandten wir uns mit der Bitte um fachliche Unterstützung an den Verband der Historiker Deutschlands. Herr Prof. Johannes Fried, der damalige Vorsitzende des Verbandes empfahl uns dann Herrn Prof. Hildebrand von der Universität Bonn, über den schließlich der Kontakt zu Herrn Dr. Havemann hergestellt wurde. Nachdem die beiden Historiker uns bestätigen konnten, dass noch genügend auswertbare Quellen vorliegen, haben wir die Studie dann in Auftrag gegeben.



Frage: Mit insgesamt 473 Seiten liegt nun ein sehr umfangreiches Werk vor. Wie ist Ihr Eindruck von der Arbeit?



Dr. Theo Zwanziger: Meiner Meinung nach ist es eine herausragende Arbeit, die einen neuen Standard in der Forschung zu diesem Thema setzt. Besonders die umfangreiche Quellenbasis aus über 40 Archiven ist einzigartig. Was die fachlichen Schlüsse angeht, so überlasse ich sie der Forschung. Wir gehen davon aus, dass mit der Aufarbeitung im Rahmen der Studie die Grundlage zu weiteren wissenschaftlichen Schlussfolgerungen nun gelegt ist. Für den DFB ist es jetzt wichtig, aus den Ergebnissen zu lernen und Folgerungen für die Zukunft zu ziehen.



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Frage: Das DFB-Präsidium hat nach Vorlage der Arbeit inzwischen die Stiftung eines Preises in Erinnerung an den ehemaligen deutschen Nationalspieler Julius Hirsch, der als Jude im KZ Auschwitz ermordet wurde, beschlossen. Was sind die Hintergründe?



Dr. Theo Zwanziger: Das Schicksal des Julius Hirsch – damals von Medien und seinen Fans in Karlsruhe nur „Juller“ genannt – darf nicht in Vergessenheit geraten. Es ist erschütternd, sich vorzustellen, dass einem Menschen – vorher noch umjubelt wegen seiner Tore – vom einen auf den anderen Tag auf der Straße ausgewichen wird, er gleichsam zum Insekt degradiert wird. Auch unsere Fußballer haben offenbar einer solchen Unmenschlichkeit nicht widerstanden. Mit dem Preis wollen wir dazu beitragen, dass so etwas nie wieder in Deutschland passiert. Wir möchten unsere gesellschaftliche Plattform nutzen, um vor rassistischen, fremdenfeindlichen und extremistischen Erscheinungsformen jeder Art zu warnen und zugleich unseren Mitgliedern, überall, wo sie uns begegnen, zurufen: Vergesst nicht, sondern wehret den Anfängen!

Ich bin sehr froh, dass wir mit dem FC Bayern München im Dezember einen sehr würdigen Preisträger auszeichnen können. Dem Verein gelingt es seit Jahrzehnten, seine herausragende Stellung auch dazu zu nutzen, sich glaubwürdig für die Völkerverständigung zu engagieren. Das Friedensspiel gegen eine israelisch-palästinensische Auswahl im Juli in der Allianz Arena war ein großartiges Ereignis, das nun zurecht mit gewürdigt wird.





Frage: Welche Maßnahmen sind noch geplant?



Dr. Theo Zwanziger: Wir werden ein wissenschaftliches Symposium veranstalten. Es soll am 07./08. April nächsten Jahres in der Evangelischen Akademie Bad Boll stattfinden. Dort wird die Rolle der Verbände und Vereine während der Zeit des Nationalsozialismus eingehend diskutiert. Wir wollen aber auch die Brücke in die Gegenwart schlagen: Wie ist der Sport seit 1945 mit seiner Vergangenheit umgegangen? Wie können Vereine und Verbände heute aus dieser Vergangenheit lernen? Die Auseinandersetzung darf und wird mit Abschluss der Studie nicht vorbei sein. Gemeinsam mit der Jury des Julius Hirsch Preises wollen wir im Präsidium sehr verantwortlich beraten, wie wir unseren früheren jüdischen Mitgliedern gedenken und sie in angemessener Weise ehren können.