Breitner wird 60: "Habe ein großes Ziel nicht erreicht"

Mit Deutschland war er Weltmeister und Europameister im Fußball, mit Bayern München deutscher Meister und Europapokalsieger. Heute wird er 60 Jahre alt. Paul Breitner spricht im SID-Interview über Karriere, Image, Familie, Papst Benedikt und einen unerfüllten Jugendtraum.

Frage: Herr Breitner, herzlichen Glückwunsch! Jetzt sind Sie ja doch noch ein "Sechziger", nachdem einst aus einem Profivertrag mit dem TSV 1860 München nichts wurde.

Paul Breitner: Da wollte ich nie hin.

Frage: Ihr Förderer Udo Lattek sagt aber, dass er Sie davor bewahrt habe.

Breitner: Richtig ist, dass meine Familie ein sehr gutes Verhältnis hatte zum damaligen Geschäftsführer der Löwen. Er war oft bei uns daheim in Freilassing, machte dabei auch mal ein mündliches Angebot. Schriftlich gab es das nie.

Frage: Dafür aber vom FC Bayern...

Breitner: ...von dem ich immer Fan war. Schon mit vier Jahren fuhr ich auf dem Moped mit meinem Vater von Kolbermoor zu jedem Heimspiel ins Stadion an der Grünwalder Straße. Bei Wind und Wetter, eine gute Stunde hin und wieder zurück.

Frage: Und wie wurden Sie dann dort selbst zum Spieler?

Breitner: Eines Tages stand Manager Robert Schwan vor der Haustür, auf Empfehlung des neuen Bayern-Trainers Lattek. Der Udo kannte mich als Trainer der deutschen Jugendnationalmannschaft, für die er zuvor verantwortlich war. Schwan hatte einen Vertrag, es gab 800 Mark im Monat.

Frage: Sie waren 19 und hatten im Sturm des ESV Freilassing in 101 Jugendspielen 464 Tore geschossen.

Breitner: Außer im Tor habe ich als Fußballer überall gespielt. Rechtsaußen in der Jugend-Nationalelf, linker Verteidiger beim FC Bayern und im Mittelfeld bei Real Madrid.

Frage: Beim FC Bayern haben Sie Anfang der 70er-Jahre die Rolle des stürmenden Verteidigers erfunden.

Breitner: Ich kann mich noch an meine Premiere erinnern, im Februar 1971 in Hannover. Abends zuvor gab es zu Hause einen Anruf von den Bayern. Die wollten, dass ich sofort nachkommen soll. Am nächsten Morgen gegen neun fragt mich Lattek, ob ich Verteidiger spielen könne. Ich sage sofort ja und überlege dann bis zum Anpfiff um 15.30 Uhr, wie ich das hinkriegen soll - Verteidiger, das war für mich ein Horror!

Frage: Und dann?

Breitner: Mein Gegner auf Rechtsaußen bei Hannover 96 hieß Rudi Nafziger, damals Nationalspieler. Mein Plan war: Den greifst du selbst an, jagst ihn übers ganze Feld. Seinerzeit gab es auf der ganzen Welt nur einen Verteidiger, der diese Position so interpretierte, Giancinto Facchetti von Inter Mailand. Und dann hat das auch bei mir funktioniert. Lattek war begeistert, ich hatte meinen Stammplatz.

Frage: Als Spieler wurden Sie für Ihr Laufpensum bewundert. Das ganze Spielfeld rauf und runter, immer volle Pulle.

Breitner: Meine Kondition habe ich mir durch ein tägliches Zusatztraining geholt, schon als Kind mit zwölfeinhalb Jahren. Intervalle, Ausdauer, Sprint, Schussübungen, Technik, das ganze Programm. Mutterseelenallein oder auch gelegentlich mit meinem Vater, Trainer in Freilassing. Das Ergebnis war, dass ich bei der Fußball-WM 1974, als das erstmals gemessen wurde, die besten Ausdauerwerte hatte. Davon profitiere ich noch heute.

Frage: Wovon man sich im Fernsehen auf Sport1 überzeugen konnte, unlängst mit Ihren 70 Minuten beim Spiel der Allstars des FC Bayern gegen Real Madrid.

Breitner: Ich hätte auch noch die vollen 90 Minuten durchspielen können.

Frage: Wie kam es zu dieser Begegnung?

Breitner: Ich betreue die Münchner Allstars.

Frage: Welche Aufgaben haben Sie bei den Bayern sonst noch?

Breitner: Ich bin seit fünf Jahren wieder dabei, als Berater des Vorstandes oder als Chefscout - im Grunde ist das immer das Gleiche, nämlich den einen oder anderen Spieler für Bayern zu beobachten oder repräsentativ für die weltweiten Partner des Vereins tätig zu sein. Offiziell aber bin ich jetzt Marken-Botschafter, ich vertrete die Marke FC Bayern.

Frage: In jungen Jahren haben Sie Sonderpädagogik studiert.

Breitner: Mein Ziel war damals, einmal mit körperlich oder geistig behinderten Menschen zu arbeiten. Heute helfe ich nun ein bisschen mit bei den Special Olympics, der weltweit größten Sportbewegung für Menschen mit geistiger Behinderung.

Frage: Wie kam es zu diesem Engagement?

Breitner: Mein Antrieb dazu ist persönliche Erfahrung. In meiner Gymnasialzeit gab es im Umfeld den einen oder anderen Problemfall. Nachdem ich mich sehr früh mit Philosophie und Psycholgie als meiner ursprünglichen Richtung beschäftigt hatte, war es für mich irgendwann einmal naheliegend, diesen Weg zu gehen.

Frage: Bereuen Sie es, davon abgekommen zu sein?

Breitner: Ich bereue es nicht, es tut mir nur leid. Ich habe ein großes Ziel, das ich mir als junger Mensch gestellt hatte, nicht erreicht. Ich habe andere Ziele erreicht, die mir früher gar nicht so wichtig waren. Ich hatte mich nie damit beschäftigt, Weltmeister werden zu wollen - ich bin einst nach München gegangen, um mir mein Studium zu finanzieren. Und das war mir nur möglich durch den Fußball. Dafür unterschrieb ich einen Zweijahresvertrag. Danach wollte ich Bilanz ziehen: Bist du nur Mittelmaß, gehst du zu einem Amateurverein, da verdienst man auch ein paar Mark, die mein Studium finanzieren - und dann kam alles anders...

Frage: Als Fußballer unumstritten, in der öffentlichen Meinung oft schillernde Persönlichkeit.

Breitner: Schauen Sie - ich wollte mich nie in ein Schema pressen lassen. Als Privatmann muss ich niemandem gerecht werden, keiner soll wissen, wie ich wirklich bin. Nur über den Sport habe ich den Medien Zucker gegeben. So viel, dass sich für mich als Person niemand interessieren sollte. Das war auch ein Antrieb, für Schlagzeilen zu sorgen - je mehr ich Theater machte, um so ruhiger war das für meine Familie.

Frage: Und wie sieht sie aus, die Familie?

Breitner: Meine Frau und ich hatten im Juni 40. Hochzeitstag. Wir haben drei Kinder, die 39-jährige Martina, die 38-jährige Ines und den 30-jährigen Max, dazu drei Enkel im Alter von zwei Monaten, von sieben und zehn Jahren.

Frage: Sie leben in Brunnthal, einem beschaulichen Dorf südöstlich von München.

Breitner: Wir wissen noch immer, wo wir herkommen. Beim TSV Brunnthal habe ich 14 Jahre lang die halbe Dorfjugend trainiert, von 1986 bis 2000, von der F-Jugend bis zur A-Jugend.

Frage: Profi, Trainer, Kolumnist, Buchautor, Repräsentant - was schreiben Sie jetzt unter Berufsbezeichnung ins Anmeldeformular beim Einchecken im Hotel?

Breitner: Ich schreib' Kaufmann rein. Da fragt dann keiner mehr, was ich mache. Und sie brauchen es auch nicht zu wissen.

Frage: Stimmt es eigentlich, dass Sie mit Papst Benedikt verwandt sind?

Breitner: Der Heilige Vater und meine Mutter hatten den gleichen Großvater.

Frage: Und freuen Sie sich auf eine Audienz in Rom?

Breitner: Ich bin weder gläubig, noch habe ich irgendetwas mit einer Kirche zu tun. Ich fühle mich als Christ, bin aber zu meinem 18. Geburtstag aus der Kirche ausgetreten.

[sid]

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Mit Deutschland war er Weltmeister und Europameister im Fußball, mit Bayern München deutscher Meister und Europapokalsieger. Heute wird er 60 Jahre alt. Paul Breitner spricht im SID-Interview über Karriere, Image, Familie, Papst Benedikt und einen unerfüllten Jugendtraum.

Frage: Herr Breitner, herzlichen Glückwunsch! Jetzt sind Sie ja doch noch ein "Sechziger", nachdem einst aus einem Profivertrag mit dem TSV 1860 München nichts wurde.

Paul Breitner: Da wollte ich nie hin.

Frage: Ihr Förderer Udo Lattek sagt aber, dass er Sie davor bewahrt habe.

Breitner: Richtig ist, dass meine Familie ein sehr gutes Verhältnis hatte zum damaligen Geschäftsführer der Löwen. Er war oft bei uns daheim in Freilassing, machte dabei auch mal ein mündliches Angebot. Schriftlich gab es das nie.

Frage: Dafür aber vom FC Bayern...

Breitner: ...von dem ich immer Fan war. Schon mit vier Jahren fuhr ich auf dem Moped mit meinem Vater von Kolbermoor zu jedem Heimspiel ins Stadion an der Grünwalder Straße. Bei Wind und Wetter, eine gute Stunde hin und wieder zurück.

Frage: Und wie wurden Sie dann dort selbst zum Spieler?

Breitner: Eines Tages stand Manager Robert Schwan vor der Haustür, auf Empfehlung des neuen Bayern-Trainers Lattek. Der Udo kannte mich als Trainer der deutschen Jugendnationalmannschaft, für die er zuvor verantwortlich war. Schwan hatte einen Vertrag, es gab 800 Mark im Monat.

Frage: Sie waren 19 und hatten im Sturm des ESV Freilassing in 101 Jugendspielen 464 Tore geschossen.

Breitner: Außer im Tor habe ich als Fußballer überall gespielt. Rechtsaußen in der Jugend-Nationalelf, linker Verteidiger beim FC Bayern und im Mittelfeld bei Real Madrid.

Frage: Beim FC Bayern haben Sie Anfang der 70er-Jahre die Rolle des stürmenden Verteidigers erfunden.

Breitner: Ich kann mich noch an meine Premiere erinnern, im Februar 1971 in Hannover. Abends zuvor gab es zu Hause einen Anruf von den Bayern. Die wollten, dass ich sofort nachkommen soll. Am nächsten Morgen gegen neun fragt mich Lattek, ob ich Verteidiger spielen könne. Ich sage sofort ja und überlege dann bis zum Anpfiff um 15.30 Uhr, wie ich das hinkriegen soll - Verteidiger, das war für mich ein Horror!

Frage: Und dann?

Breitner: Mein Gegner auf Rechtsaußen bei Hannover 96 hieß Rudi Nafziger, damals Nationalspieler. Mein Plan war: Den greifst du selbst an, jagst ihn übers ganze Feld. Seinerzeit gab es auf der ganzen Welt nur einen Verteidiger, der diese Position so interpretierte, Giancinto Facchetti von Inter Mailand. Und dann hat das auch bei mir funktioniert. Lattek war begeistert, ich hatte meinen Stammplatz.

Frage: Als Spieler wurden Sie für Ihr Laufpensum bewundert. Das ganze Spielfeld rauf und runter, immer volle Pulle.

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Breitner: Meine Kondition habe ich mir durch ein tägliches Zusatztraining geholt, schon als Kind mit zwölfeinhalb Jahren. Intervalle, Ausdauer, Sprint, Schussübungen, Technik, das ganze Programm. Mutterseelenallein oder auch gelegentlich mit meinem Vater, Trainer in Freilassing. Das Ergebnis war, dass ich bei der Fußball-WM 1974, als das erstmals gemessen wurde, die besten Ausdauerwerte hatte. Davon profitiere ich noch heute.

Frage: Wovon man sich im Fernsehen auf Sport1 überzeugen konnte, unlängst mit Ihren 70 Minuten beim Spiel der Allstars des FC Bayern gegen Real Madrid.

Breitner: Ich hätte auch noch die vollen 90 Minuten durchspielen können.

Frage: Wie kam es zu dieser Begegnung?

Breitner: Ich betreue die Münchner Allstars.

Frage: Welche Aufgaben haben Sie bei den Bayern sonst noch?

Breitner: Ich bin seit fünf Jahren wieder dabei, als Berater des Vorstandes oder als Chefscout - im Grunde ist das immer das Gleiche, nämlich den einen oder anderen Spieler für Bayern zu beobachten oder repräsentativ für die weltweiten Partner des Vereins tätig zu sein. Offiziell aber bin ich jetzt Marken-Botschafter, ich vertrete die Marke FC Bayern.

Frage: In jungen Jahren haben Sie Sonderpädagogik studiert.

Breitner: Mein Ziel war damals, einmal mit körperlich oder geistig behinderten Menschen zu arbeiten. Heute helfe ich nun ein bisschen mit bei den Special Olympics, der weltweit größten Sportbewegung für Menschen mit geistiger Behinderung.

Frage: Wie kam es zu diesem Engagement?

Breitner: Mein Antrieb dazu ist persönliche Erfahrung. In meiner Gymnasialzeit gab es im Umfeld den einen oder anderen Problemfall. Nachdem ich mich sehr früh mit Philosophie und Psycholgie als meiner ursprünglichen Richtung beschäftigt hatte, war es für mich irgendwann einmal naheliegend, diesen Weg zu gehen.

Frage: Bereuen Sie es, davon abgekommen zu sein?

Breitner: Ich bereue es nicht, es tut mir nur leid. Ich habe ein großes Ziel, das ich mir als junger Mensch gestellt hatte, nicht erreicht. Ich habe andere Ziele erreicht, die mir früher gar nicht so wichtig waren. Ich hatte mich nie damit beschäftigt, Weltmeister werden zu wollen - ich bin einst nach München gegangen, um mir mein Studium zu finanzieren. Und das war mir nur möglich durch den Fußball. Dafür unterschrieb ich einen Zweijahresvertrag. Danach wollte ich Bilanz ziehen: Bist du nur Mittelmaß, gehst du zu einem Amateurverein, da verdienst man auch ein paar Mark, die mein Studium finanzieren - und dann kam alles anders...

Frage: Als Fußballer unumstritten, in der öffentlichen Meinung oft schillernde Persönlichkeit.

Breitner: Schauen Sie - ich wollte mich nie in ein Schema pressen lassen. Als Privatmann muss ich niemandem gerecht werden, keiner soll wissen, wie ich wirklich bin. Nur über den Sport habe ich den Medien Zucker gegeben. So viel, dass sich für mich als Person niemand interessieren sollte. Das war auch ein Antrieb, für Schlagzeilen zu sorgen - je mehr ich Theater machte, um so ruhiger war das für meine Familie.

Frage: Und wie sieht sie aus, die Familie?

Breitner: Meine Frau und ich hatten im Juni 40. Hochzeitstag. Wir haben drei Kinder, die 39-jährige Martina, die 38-jährige Ines und den 30-jährigen Max, dazu drei Enkel im Alter von zwei Monaten, von sieben und zehn Jahren.

Frage: Sie leben in Brunnthal, einem beschaulichen Dorf südöstlich von München.

Breitner: Wir wissen noch immer, wo wir herkommen. Beim TSV Brunnthal habe ich 14 Jahre lang die halbe Dorfjugend trainiert, von 1986 bis 2000, von der F-Jugend bis zur A-Jugend.

Frage: Profi, Trainer, Kolumnist, Buchautor, Repräsentant - was schreiben Sie jetzt unter Berufsbezeichnung ins Anmeldeformular beim Einchecken im Hotel?

Breitner: Ich schreib' Kaufmann rein. Da fragt dann keiner mehr, was ich mache. Und sie brauchen es auch nicht zu wissen.

Frage: Stimmt es eigentlich, dass Sie mit Papst Benedikt verwandt sind?

Breitner: Der Heilige Vater und meine Mutter hatten den gleichen Großvater.

Frage: Und freuen Sie sich auf eine Audienz in Rom?

Breitner: Ich bin weder gläubig, noch habe ich irgendetwas mit einer Kirche zu tun. Ich fühle mich als Christ, bin aber zu meinem 18. Geburtstag aus der Kirche ausgetreten.