54er-Legende Schäfer: "Weltmeister bist du für die Ewigkeit"

Sechs Minuten noch im Wankdorf-Stadion in Bern. Keiner wankt. Auch Hans Schäfer nicht. Der Linksaußen vom 1. FC Köln schlägt eine Flanke in den Strafraum der Ungarn. Der Ball kommt zu Helmut Rahn, der schießt aus dem Hintergrund und trifft ins Tor, Tor, Tor, Tor. Es ist der 4. Juli 1954 und Deutschland zum ersten Mal Weltmeister.

60 Jahre ist das jetzt her, und der DFB feiert das Jubiläum. Am 31. Mai kommen die Sieger von Bern, München und Rom zum "Fest der Weltmeister" nach Düsseldorf. Natürlich auch Schäfer, der noch heute überall auf 1954 angesprochen wird. Weil dieses 3:2 mehr war als ein Sieg in einem Fußballspiel. Die Redakteure Wolfgang Tobien und Gereon Tönnihsen haben den 86-Jährigen in Köln besucht und reden im DFB.de-Gespräch der Woche mit ihm über die Wochen in der Schweiz, über Groupies beim Training und Fanpost aus Fernost.

DFB.de: Ist der 4. Juli im Hause Schäfer ein Feiertag?

Hans Schäfer: Nein, das war er auch nie. Das ist für mich ein Tag wie jeder andere, manchmal vergesse ich ihn sogar. Meine Frau erinnert mich dann daran. Ich mache kein Theater um Sachen, die früher mal waren. Schauen Sie sich in meiner Wohnung um, da finden Sie auch keine Andenken aus meiner Zeit als Fußballer. Was noch vorhanden ist, befindet sich in der Garage. Ich lebe in der Gegenwart, nicht in der Vergangenheit. Jetzt, zum 60. Jahrestag, habe ich viele Einladungen bekommen zu Veranstaltungen, ich habe fast alle abgesagt. Wenn ich überall hingehen würde, wäre ich drei Monate unterwegs. Beim "Fest der Weltmeister" will ich aber unbedingt dabei sein.

DFB.de: Gibt es denn eine Begebenheit oder eine Szene, die Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist vom WM-Turnier 1954?

Schäfer: Keine bestimmte. Generell erinnere ich mich natürlich gerne zurück, das ist doch klar. Ich weiß noch, dass wir nach unserem Sieg Sepp das Bankett im Hotel Belvédère in Spiez hatten. Wir haben gar nicht kapiert, dass wir jetzt Weltmeister waren. Das Bankett war auch so wie immer. Es wurde gegessen, getrunken, wie sonst auch. Und dann sind wir ins Bett gegangen.

DFB.de: Hat wirklich keiner die Korken knallen lassen?

Schäfer: Da war nichts. Heute würde wahrscheinlich vier Wochen gefeiert.

DFB.de: Wie waren die Erwartungen vor der Fahrt zur WM in die Schweiz?

Schäfer: Wir waren froh und stolz, überhaupt dabei zu sein. Da hat ja kein Mensch dran geglaubt, dass wir Weltmeister werden, selbst Herberger nicht. Das konnte man auch gar nicht. Für uns Spieler hieß es: Wenn wir die Vorrunde überstehen, dann ist das schon etwas. Wenn einer von uns vorher gesagt hätte, wir kommen unter die letzten Vier, wäre er für bekloppt erklärt worden. Da waren ja nicht nur die Ungarn. Da waren die Jugoslawen, da waren die Österreicher. Allesamt Weltklasse. Und die haben wir später alle drei im Turnierverlauf besiegt.

DFB.de: Auch einige Spielerfrauen waren nach Spiez gekommen. Durften Sie Ihre Frau überhaupt treffen?

Schäfer: Das hat der "Chef" nicht gerne gesehen. Wenn doch, dann musste der Horst Eckel mit zum Aufpassen. Unsere Frauen waren in die Schweiz gekommen, weil wir gesagt haben: Wir spielen gegen die Türkei, gegen Ungarn, und danach ist das Turnier ziemlich schnell vorbei für uns. Dann können wir direkt dort Urlaub machen und haben eine Menge Fahrtgeld gespart. Aber die Frauen, die in einem Hotel am Ort gewohnt haben, mussten wir dann von Spiel zu Spiel vertrösten. (lacht)

DFB.de: Wenn Herberger zu Ihnen gesagt hätte: "Hans, bitte schicken Sie Ihre Frau nach Hause!" Hätten Sie das dann getan?

Schäfer: Hundertprozentig, wenn er das gewollt hätte, hätte ich meine Frau nach Hause geschickt. Herberger war dominant und zugleich väterlich. Er wusste, wie er einen anpacken musste. Und er hatte klare Vorstellungen. Soll ich Ihnen mal eine Geschichte erzählen?

DFB.de: Gerne.

Schäfer: Wir hatten den letzten WM-Lehrgang in der Sportschule Grünwald. Wir sind mit dem Zug dahin, von 320 Mark brutto im Monat konnte man sich ja kein Auto leisten. Am Bahnhof in München haben wir uns in ein Taxi gesetzt und sind nach Grünwald gefahren. Mit dem Kassierer des DFB haben wir dann die Abrechnung gemacht. Herberger kam zufällig dazu und fragte: "Was macht ihr denn da?" "Wir rechnen unser Fahrtgeld ab." "Was denn für ein Fahrtgeld?" "Zug und Taxi." "Wieso Taxi?" "Vom Bahnhof bis zur Sportschule." "Nix Taxi, ihr nehmt die Straßenbahn." Von der Straßenbahnhaltestelle in Grünwald hätten wir mit unserem Gepäck zur Sportschule laufen sollen. Das Taxigeld haben wir nicht wiederbekommen. So war Herberger.

DFB.de: Wie professionell war die deutsche Mannschaft im Vergleich zu den anderen WM-Teilnehmern?

Schäfer: Jugoslawien hatte Leute wie Cajkovski, Horvat, Beara, die Ungarn hatten Puskás, Kocsis, Czibor, Lóránt, die Österreicher Stojaspal, Happel, Ocwirk - das waren die besten Spieler der Welt, alles Profis. Uns kannte keiner. Wir nicht mal Halbprofis, Vertragsspieler halt. Beim 1. FC Köln haben wir damals dreimal in der Woche trainiert, abends von acht bis zehn. Am Tag haben wir gearbeitet, ich war damals als kaufmännischer Angestellter im Einkauf des Kaufhofs beschäftigt. Nach der Arbeit bin ich mit der Straßenbahn zum Training. Mit der Nationalmannschaft hatten wir besagten Lehrgang in Grünwald. Mehr war nicht drin. Was aber die Einstellung anging, standen wir den anderen in nichts nach.

DFB.de: Im Zusammenhang mit dem WM-Sieg 1954 fällt immer der Begriff "Geist von Spiez". Was genau hat es damit auf sich?

Schäfer: Das war eine besondere Stimmung in der Mannschaft. Wir waren alles einfache Leute, da ist keiner ausgeschert, keiner hat sich für etwas Besseres gehalten. Der Teamgeist war unsere große Stärke, das wusste auch Herberger.

DFB.de: Nach dem Auftaktsieg gegen die Türkei hat Trainer Herberger vor dem Spiel gegen die Ungarn die Mannschaft auf sieben Positionen umgestellt. Was genau war der Grund? Heute wird ja mitunter sogar erzählt, das sei schon ein Schachzug im Hinblick auf das mögliche Endspiel gewesen.

Schäfer: Das ist aber nicht so. Herberger war klar, dass wir gegen die Ungarn im Normalfall keine Chance haben würden. Deshalb hat er einige Leute geschont, damit die im entscheidenden Spiel gegen die Türkei fit sind. Das war für uns auch nachvollziehbar.

DFB.de: Und was haben die gesagt, die dann acht Treffer von den Ungarn hinnehmen mussten?

Schäfer: Nach so einer Niederlage freut sich natürlich keiner. Aber Herberger hat allen vermittelt, warum er das so gemacht hatte. Wir waren nicht nur elf, wir waren 22. Jeder war froh, dass er überhaupt dabei war. Jeder hatte auch seine Aufgabe zu erfüllen, und wenn es die war, einen anderen Spieler zu ersetzen, weil der geschont wurde, dann war das eben so. Einen, der in so einer Situation querschießt, den kann man nicht gebrauchen, und wenn er noch so gut ist.

DFB.de: Nach diesem 3:8 gab es teilweise wütende Reaktionen aus der Heimat. Gerade Herberger wurde stark angegangen. Wie hat die Mannschaft das aufgenommen?

Schäfer: Darüber haben wir gelacht, das hat uns nicht aus der Ruhe gebracht. Wir hatten doch damit gerechnet, dass wir gegen die Ungarn verlieren würden. Ob jetzt 1:4 oder 3:8 - entscheidend war, dass wir im Entscheidungsspiel gegen die Türkei 7:2 gewonnen haben. Das war unsere Antwort.

DFB.de: Herberger hat vor dem Turnier entschieden, wer mit wem das Zimmer teilt. Den feinfühligen Fritz Walter hat er mit dem lebenslustigen Helmut Rahn zusammengelegt, Sie mit Horst Eckel. Wie kam es dazu?

Schäfer: Das weiß ich im Detail gar nicht mehr. Aber der Horst und ich waren Freunde, deshalb lag das nahe. Wir haben auch später immer zusammengewohnt. Das passte einfach. Wir hätten aber auch nicht widersprochen, wenn der "Chef" es anders entschieden hätte.

DFB.de: Haben Sie sich den Lauterern als Sohn eines Pfälzers besonders verbunden gefühlt?

Schäfer: Ja, mein Vater kam aus Alsenz, das ist gut eine Stunde von Kaiserslautern entfernt. Ihn hat es 1924 nach Köln verschlagen. Und deshalb hatte ich zu den Lauterern immer eine gute Verbindung, sei es nun zum Fritz oder zum Ottmar Walter. Die wussten auch, dass ich ein halber Pfälzer bin.

DFB.de: Fritz Walter galt auf und neben dem Spielfeld als Führungspersönlichkeit der Mannschaft. Was machte ihn so besonders?

Schäfer: Ich habe noch nie einen so guten Fußballer gesehen, der so bescheiden war. Von seiner Sonderstellung hat er nie Gebrauch gemacht. Herausgehoben hat er sich nur auf dem Platz, er war ein Vorbild als Mitspieler, hat sich immer für andere eingesetzt. Er hatte eine natürliche Autorität an sich. Er brauchte nicht viele Worte, das lag ihm auch nicht so. Aber alle haben sich zu 100 Prozent hinter ihm eingereiht. Fritz war der überragende Fußballer in unserer Mannschaft und die größte Persönlichkeit, auch mit Herberger ein Herz und eine Seele.

DFB.de: Und wie war Ihr Verhältnis zum Bundestrainer?

Schäfer: Erstklassig, einwandfrei. Er hat mich ja nicht umsonst zu drei Weltmeisterschaften mitgenommen, zweimal als Kapitän. 1962 wollte ich eigentlich nicht mehr, aber Herberger hat mich dann überzeugt. Ich weiß es noch, eines Morgens stand der Herberger bei mir zu Hause an meinem Bett, wirklich wahr. Ich wache auf, schaue ihn und sage: "Chef, was machen Sie denn hier?" "Ich will dich holen." "Wie, holen?" "Zur Nationalmannschaft, morgen geht es los." Ein Länderspiel habe ich vor Chile noch gemacht, dann ging es zur WM.

DFB.de: Er konnte offensichtlich gut überzeugen.

Schäfer: Und wie! Zunächst einmal zeichnete ihn aus, dass er ein absoluter Fachmann war. Er hat Fußball gelebt, war ja auch selbst Nationalspieler gewesen. Für uns Spieler war er wie ein kleiner Gott, er stand über den Dingen. Seine Vorträge waren immer klug und inhaltsreich, allein schon deshalb hatten wir großen Respekt vor ihm. Er war einfach eine Persönlichkeit, unantastbar und unnachahmlich. Der einzige Trainer, den ich erlebt habe, der fachlich an ihn herankam, war Hennes Weisweiler. Nicht umsonst war er ein Schüler von Sepp. Sie waren meine wichtigsten Trainer.

DFB.de: Zurück zum Turnier: Max Morlock hat immer gesagt, nicht das Finale gegen Ungarn sei das schwierigste WM-Spiel gewesen, sondern das Viertelfinale gegen Jugoslawien. Sehen Sie das auch so?

Schäfer: Da hat er recht. Dieses Spiel hätten wir 0:5 verlieren müssen. Die Jugoslawen haben uns an die Wand gespielt, Pfosten und Latte getroffen. Toni Turek hat super gehalten. Horvat hat ein Eigentor geschossen, "Boss" Rahn kurz vor Schluss das 2:0 gemacht, und so haben wir das Ding tatsächlich gewonnen. Ich erinnere mich noch, wie Tschik Cajkovski nach dem Spiel vor der Kabine stand und seine Stürmer nicht reinlassen wollte, der hatte einen knallroten Kopf, so wütend war der.

DFB.de: Und nach dem 6:1 im Halbfinale gegen Östereich...

Schäfer: ... haben wir gedacht, jetzt sind wir die Allergrößten. Gegen diese tolle Mannschaft hatten wir uns nicht so viel ausgerechnet. Und dann putzen wir die 6:1. Danach war uns klar: Gegen Ungarn haben wir nichts mehr zu verlieren. Hätte es im Finale eine Niederlage gegeben, wären wir in der Heimat genauso empfangen worden, wie es dann nach dem Sieg der Fall war. Davon bin ich überzeugt.

DFB.de: Hatten Sie Ehrfurcht vor den Ungarn oder gar Angst vor einer erneuten Blamage?

Schäfer: Wir hatten Respekt, das sollte man vor jedem Gegner haben. Aber Ehrfurcht und Angst, so etwas gibt es im Fußball nicht. Puskás, Kocsis oder Hidegkuti, das waren doch ganz normale Menschen, nicht anders als heute Messi oder Ronaldo.

DFB.de: Stimmt es, dass im deutschen Team die Zuversicht stieg, als es am Finaltag zu regnen begann?

Schäfer: Ja, das stimmt. Das war unser Wetter, "Fritz-Walter-Wetter" hat man es ja später genannt. Bei Regen kamen wir immer besser zurecht, die Ungarn konnten ihr Kombinationsspiel nicht so aufziehen wie gewohnt. Wir haben im Scherz gesagt: "Männer, da kann nichts mehr schiefgehen."

DFB.de: Und dann stand es nach acht Minuten schon 0:2.

Schäfer: Ja, aber für mich stand es weiter 0:0. Ungarn war die Übermannschaft. Wenn wir gegen dieses Team angefangen hätten, uns wegen zwei Gegentoren verrückt zu machen, hätten wir keine Chance gehabt. Die hatten vier Jahre kein Spiel verloren. Natürlich hatten wir auch das Glück, dass Max Morlock schnell das 1:2 gemacht hat, bevor die Ungarn noch eines nachlegen konnten. Dann wäre es wohl aus gewesen.

DFB.de: War es aber nicht.

Schäfer: Nein, der Anschlusstreffer hat uns gezeigt, dass etwas geht. Die Ungarn dachten, sie könnten uns auseinandernehmen. Und als wir dann ausgeglichen hatten, da konnten sie nicht mehr so hochschalten, wie sie wollten. Schon in der Halbzeit haben wir gesagt: "Jetzt hauen wir sie weg." Wir hatten wirklich Mumm - und sind dafür belohnt worden.

DFB.de: Wie ging es dann weiter?

Schäfer: Wir haben natürlich gejubelt. Der Fritz hat den Pokal entgegengenommen. Aber was wir geleistet hatten, das war uns erst klar, als wir zurück nach Deutschland kamen.

DFB.de: Wie war das?

Schäfer: Wir kamen mit dem Zug nach Deutschland. Als wir in Singen in den Bahnhof einfuhren, waren da Menschen, so weit das Auge reichte. Und das war auf den anderen Bahnhöfen genauso, bis wir dann in München ankamen. Auch da wurden wir gefeiert. Am nächsten Tag sind wir alle nach Hause gefahren, wieder mit der Bahn. Flugzeug war zu teuer. Mein Vereinskamerad Paul Mebus und ich saßen in einem Abteil, und fast keiner hat uns angesprochen. Als wir aber Köln erreichten, konnten wir fast gar nicht aus dem Zug steigen. Bis zum FC-Klubhaus sind es vom Hauptbahnhof sechs, sieben Kilometer. Wir saßen in Cabrios und wurden gefahren. Und überall auf der ganzen Strecke standen rechts und links Menschen und haben gewunken.

DFB.de: Hatten Sie in der Zeit auch Groupies, also weibliche Verehrerinnen?

Schäfer: Wenn es die gegeben hat, dann spreche ich nicht drüber. (lacht) Es gab ein paar Liebesbriefe und Frauen, die meinetwegen zum Training gekommen sind. Aber ich war ja gerade frisch verheiratet.

DFB.de: Haben Sie zu dem Zeitpunkt schon die gesellschaftlichen Dimensionen wahrgenommen, die dieser Sieg mit sich brachte? Manche Historiker sprechen gar von der "wahren Geburtsstunde der Bundesrepublik Deutschland".

Schäfer: Uns war bewusst, dass wir viel für den deutschen Fußball getan hatten. Die Bedeutung für unser Land bemerkten wir erst mit der Zeit. Das hat Kreise gezogen, die wir zunächst nicht mal erahnen konnten. Deutschland trat durch unseren Erfolg wieder positiv in Erscheinung. Das war wichtig, der Krieg war ja erst neun Jahre vorbei. So haben wir das Deutschland-Bild im Ausland verbessert. Und auch dem Selbstwertgefühl der Deutschen hat dieser Titelgewinn sehr gutgetan. Ich merke das heute noch: Egal, wo ich hinkomme, immer werde ich auf '54 angesprochen, auch 60 Jahre später noch. Weltmeister bist du eben für die Ewigkeit.

DFB.de: Ist das manchmal anstrengend?

Schäfer: Nein. Wenn es mir zu viel wird, dann gehe ich und trinke ein paar Kölsch. (lacht)

DFB.de: Dann hat der Titel also Ihr Leben verändert.

Schäfer: Vor allem hat er es erleichtert. Als Weltmeister ist man wer. Das ist einfach so. Diese WM war und ist einfach in allen Köpfen, weil sie so einmalig war. Weil sie in dieser Zeit passierte und keiner das erwartet hatte. 1954 überstrahlt alle anderen Titel.

DFB.de: Sind Sie nach dem WM-Sieg noch immer mit der Straßenbahn zum Training gefahren?

Schäfer: Ja sicher, alles ganz normal. Das lag aber auch daran, dass ich noch keinen Führerschein hatte, den habe ich erst 1956 gemacht. Ein Kölner Autohändler hatte mir nach der WM ein VW Cabrio geschenkt. Damit bin ich dann später gefahren.

DFB.de: Kommt heute noch Fanpost?

Schäfer: Jeden Tag und aus aller Welt. Neulich erst hat mir ein Chinese geschrieben, dass er ein großer Fan von mir ist und gerne ein Autogramm hätte. Der wusste alles von mir und meiner Karriere.

DFB.de: Sie haben sich immer gegen den Begriff "Wunder von Bern" gewehrt. Warum eigentlich?

Schäfer: Weil es kein Wunder ist. Wir sind auch keine Helden. Man ist kein Held, wenn man ein Fußballspiel gewinnt. Wir waren einfach gute Fußballer, die wunderbar harmoniert und sicherlich einen großen Erfolg gefeiert haben. Da war Glück und ganz sicher auch Können dabei. Aber Helden, das sind für mich Leute, die ihr Land verteidigen, oder Feuerwehrleute, die in ein brennendes Haus rennen, um Menschen zu retten.

DFB.de: Als Deutschland 1974 den WM-Titel geholt hat, waren Sie nicht mehr im Fußballgeschäft. Haben Sie sich in die Spieler 20 Jahre nach Bern hineinversetzen können?

Schäfer: Ja sicher, ich habe mich natürlich sehr gefreut und auch an unser Spiel damals gegen Ungarn gedacht. Ich saß beim Finale in München auf der Tribüne und habe mitgefiebert. Es war ein packendes Spiel. Wobei man ehrlicherweise sagen muss, dass die Holländer mit Cruyff und Neeskens sehr stark waren und es auch nicht unverdient gewesen wäre, wenn sie gewonnen hätten. Zum Glück ist es nicht so gekommen.

DFB.de: 1990 standen gleich vier Kölner im WM-Aufgebot. Auch für Sie etwas Besonderes?

Schäfer: Das war eine tolle Sache für die Jungs, der FC war damals eine der besten Mannschaften Deutschlands. Wir haben hochverdient gegen Argentinien in Rom gewonnen, das weiß ich noch. Und von den Kölnern hatten besonders Illgner, Häßler und Littbarski großen Anteil daran.

DFB.de: Wenn Deutschland Weltmeister wurde, stand immer mindestens ein FC-Spieler auf dem Platz. Heißt das im Umkehrschluss, dass Joachim Löw nach Brasilien unbedingt wieder einen mitnehmen muss?

Schäfer: Am liebsten fünf. (lacht) Denn das würde heißen, dass wir eine gute Mannschaft haben, die, sollten wir aufsteigen, im nächsten Jahr auch in der Bundesliga bestehen kann.

DFB.de: Oder "reicht" Lukas Podolski?

Schäfer: Ich würde mich freuen, wenn der Poldi das packt. Er ist ein Kölner durch und durch und ein richtig guter Junge. Ich mag ihn sehr. Er müsste noch mehr in Erscheinung treten und zeigen, was für ein klasse Spieler er ist. Denn allein sein linker Fuß ist Gold wert, diese Schusstechnik ist einmalig.

DFB.de: Sie haben sich nach Ihrer Karriere mehr und mehr aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Warum?

Schäfer: Ich bin nie gerne aufgefallen, hatte lieber meine Ruhe. Ich brauche das alles nicht mehr. Mittlerweile habe ich Probleme mit den Knien und dem Rücken. Auto- und Radfahren geht immerhin noch. Ich habe einen Hometrainer und fahre auch viel durch den Grüngürtel. Das tut mir gut, ich habe gerade erst ein neues Fahrrad geschenkt bekommen.

DFB.de: Als Sie 70 waren, haben Sie gesagt: "Mit 105 will ich mit einem Glas Kölsch in der Hand an der Theke sterben." Ist das noch immer Ihr Plan?

Schäfer: (lacht) Etwas Schöneres kann es doch gar nicht geben. Aber vielleicht erst mit 110.

DFB.de: Für unsere jungen Leser: Wie findet man Sie auf Facebook?

Schäfer: Gar nicht, damit habe ich nichts zu tun. Ich weiß, was das ist, mir ist der direkte Kontakt aber immer noch lieber.

Das meinen DFB.de-User:

"Sehr geehrter Herr Schäfer, Sie und Ihre Mannschaftskameraden waren Helden!!! Das Finale von Bern war aus meiner Sicht die Geburtsstunde der Bundesrepublik Deutschland!" (Andreas Mohr, Itzehoe)

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Sechs Minuten noch im Wankdorf-Stadion in Bern. Keiner wankt. Auch Hans Schäfer nicht. Der Linksaußen vom 1. FC Köln schlägt eine Flanke in den Strafraum der Ungarn. Der Ball kommt zu Helmut Rahn, der schießt aus dem Hintergrund und trifft ins Tor, Tor, Tor, Tor. Es ist der 4. Juli 1954 und Deutschland zum ersten Mal Weltmeister.

60 Jahre ist das jetzt her, und der DFB feiert das Jubiläum. Am 31. Mai kommen die Sieger von Bern, München und Rom zum "Fest der Weltmeister" nach Düsseldorf. Natürlich auch Schäfer, der noch heute überall auf 1954 angesprochen wird. Weil dieses 3:2 mehr war als ein Sieg in einem Fußballspiel. Die Redakteure Wolfgang Tobien und Gereon Tönnihsen haben den 86-Jährigen in Köln besucht und reden im DFB.de-Gespräch der Woche mit ihm über die Wochen in der Schweiz, über Groupies beim Training und Fanpost aus Fernost.

DFB.de: Ist der 4. Juli im Hause Schäfer ein Feiertag?

Hans Schäfer: Nein, das war er auch nie. Das ist für mich ein Tag wie jeder andere, manchmal vergesse ich ihn sogar. Meine Frau erinnert mich dann daran. Ich mache kein Theater um Sachen, die früher mal waren. Schauen Sie sich in meiner Wohnung um, da finden Sie auch keine Andenken aus meiner Zeit als Fußballer. Was noch vorhanden ist, befindet sich in der Garage. Ich lebe in der Gegenwart, nicht in der Vergangenheit. Jetzt, zum 60. Jahrestag, habe ich viele Einladungen bekommen zu Veranstaltungen, ich habe fast alle abgesagt. Wenn ich überall hingehen würde, wäre ich drei Monate unterwegs. Beim "Fest der Weltmeister" will ich aber unbedingt dabei sein.

DFB.de: Gibt es denn eine Begebenheit oder eine Szene, die Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist vom WM-Turnier 1954?

Schäfer: Keine bestimmte. Generell erinnere ich mich natürlich gerne zurück, das ist doch klar. Ich weiß noch, dass wir nach unserem Sieg Sepp das Bankett im Hotel Belvédère in Spiez hatten. Wir haben gar nicht kapiert, dass wir jetzt Weltmeister waren. Das Bankett war auch so wie immer. Es wurde gegessen, getrunken, wie sonst auch. Und dann sind wir ins Bett gegangen.

DFB.de: Hat wirklich keiner die Korken knallen lassen?

Schäfer: Da war nichts. Heute würde wahrscheinlich vier Wochen gefeiert.

DFB.de: Wie waren die Erwartungen vor der Fahrt zur WM in die Schweiz?

Schäfer: Wir waren froh und stolz, überhaupt dabei zu sein. Da hat ja kein Mensch dran geglaubt, dass wir Weltmeister werden, selbst Herberger nicht. Das konnte man auch gar nicht. Für uns Spieler hieß es: Wenn wir die Vorrunde überstehen, dann ist das schon etwas. Wenn einer von uns vorher gesagt hätte, wir kommen unter die letzten Vier, wäre er für bekloppt erklärt worden. Da waren ja nicht nur die Ungarn. Da waren die Jugoslawen, da waren die Österreicher. Allesamt Weltklasse. Und die haben wir später alle drei im Turnierverlauf besiegt.

DFB.de: Auch einige Spielerfrauen waren nach Spiez gekommen. Durften Sie Ihre Frau überhaupt treffen?

Schäfer: Das hat der "Chef" nicht gerne gesehen. Wenn doch, dann musste der Horst Eckel mit zum Aufpassen. Unsere Frauen waren in die Schweiz gekommen, weil wir gesagt haben: Wir spielen gegen die Türkei, gegen Ungarn, und danach ist das Turnier ziemlich schnell vorbei für uns. Dann können wir direkt dort Urlaub machen und haben eine Menge Fahrtgeld gespart. Aber die Frauen, die in einem Hotel am Ort gewohnt haben, mussten wir dann von Spiel zu Spiel vertrösten. (lacht)

DFB.de: Wenn Herberger zu Ihnen gesagt hätte: "Hans, bitte schicken Sie Ihre Frau nach Hause!" Hätten Sie das dann getan?

Schäfer: Hundertprozentig, wenn er das gewollt hätte, hätte ich meine Frau nach Hause geschickt. Herberger war dominant und zugleich väterlich. Er wusste, wie er einen anpacken musste. Und er hatte klare Vorstellungen. Soll ich Ihnen mal eine Geschichte erzählen?

DFB.de: Gerne.

Schäfer: Wir hatten den letzten WM-Lehrgang in der Sportschule Grünwald. Wir sind mit dem Zug dahin, von 320 Mark brutto im Monat konnte man sich ja kein Auto leisten. Am Bahnhof in München haben wir uns in ein Taxi gesetzt und sind nach Grünwald gefahren. Mit dem Kassierer des DFB haben wir dann die Abrechnung gemacht. Herberger kam zufällig dazu und fragte: "Was macht ihr denn da?" "Wir rechnen unser Fahrtgeld ab." "Was denn für ein Fahrtgeld?" "Zug und Taxi." "Wieso Taxi?" "Vom Bahnhof bis zur Sportschule." "Nix Taxi, ihr nehmt die Straßenbahn." Von der Straßenbahnhaltestelle in Grünwald hätten wir mit unserem Gepäck zur Sportschule laufen sollen. Das Taxigeld haben wir nicht wiederbekommen. So war Herberger.

DFB.de: Wie professionell war die deutsche Mannschaft im Vergleich zu den anderen WM-Teilnehmern?

Schäfer: Jugoslawien hatte Leute wie Cajkovski, Horvat, Beara, die Ungarn hatten Puskás, Kocsis, Czibor, Lóránt, die Österreicher Stojaspal, Happel, Ocwirk - das waren die besten Spieler der Welt, alles Profis. Uns kannte keiner. Wir nicht mal Halbprofis, Vertragsspieler halt. Beim 1. FC Köln haben wir damals dreimal in der Woche trainiert, abends von acht bis zehn. Am Tag haben wir gearbeitet, ich war damals als kaufmännischer Angestellter im Einkauf des Kaufhofs beschäftigt. Nach der Arbeit bin ich mit der Straßenbahn zum Training. Mit der Nationalmannschaft hatten wir besagten Lehrgang in Grünwald. Mehr war nicht drin. Was aber die Einstellung anging, standen wir den anderen in nichts nach.

DFB.de: Im Zusammenhang mit dem WM-Sieg 1954 fällt immer der Begriff "Geist von Spiez". Was genau hat es damit auf sich?

Schäfer: Das war eine besondere Stimmung in der Mannschaft. Wir waren alles einfache Leute, da ist keiner ausgeschert, keiner hat sich für etwas Besseres gehalten. Der Teamgeist war unsere große Stärke, das wusste auch Herberger.

DFB.de: Nach dem Auftaktsieg gegen die Türkei hat Trainer Herberger vor dem Spiel gegen die Ungarn die Mannschaft auf sieben Positionen umgestellt. Was genau war der Grund? Heute wird ja mitunter sogar erzählt, das sei schon ein Schachzug im Hinblick auf das mögliche Endspiel gewesen.

Schäfer: Das ist aber nicht so. Herberger war klar, dass wir gegen die Ungarn im Normalfall keine Chance haben würden. Deshalb hat er einige Leute geschont, damit die im entscheidenden Spiel gegen die Türkei fit sind. Das war für uns auch nachvollziehbar.

DFB.de: Und was haben die gesagt, die dann acht Treffer von den Ungarn hinnehmen mussten?

Schäfer: Nach so einer Niederlage freut sich natürlich keiner. Aber Herberger hat allen vermittelt, warum er das so gemacht hatte. Wir waren nicht nur elf, wir waren 22. Jeder war froh, dass er überhaupt dabei war. Jeder hatte auch seine Aufgabe zu erfüllen, und wenn es die war, einen anderen Spieler zu ersetzen, weil der geschont wurde, dann war das eben so. Einen, der in so einer Situation querschießt, den kann man nicht gebrauchen, und wenn er noch so gut ist.

DFB.de: Nach diesem 3:8 gab es teilweise wütende Reaktionen aus der Heimat. Gerade Herberger wurde stark angegangen. Wie hat die Mannschaft das aufgenommen?

Schäfer: Darüber haben wir gelacht, das hat uns nicht aus der Ruhe gebracht. Wir hatten doch damit gerechnet, dass wir gegen die Ungarn verlieren würden. Ob jetzt 1:4 oder 3:8 - entscheidend war, dass wir im Entscheidungsspiel gegen die Türkei 7:2 gewonnen haben. Das war unsere Antwort.

DFB.de: Herberger hat vor dem Turnier entschieden, wer mit wem das Zimmer teilt. Den feinfühligen Fritz Walter hat er mit dem lebenslustigen Helmut Rahn zusammengelegt, Sie mit Horst Eckel. Wie kam es dazu?

Schäfer: Das weiß ich im Detail gar nicht mehr. Aber der Horst und ich waren Freunde, deshalb lag das nahe. Wir haben auch später immer zusammengewohnt. Das passte einfach. Wir hätten aber auch nicht widersprochen, wenn der "Chef" es anders entschieden hätte.

DFB.de: Haben Sie sich den Lauterern als Sohn eines Pfälzers besonders verbunden gefühlt?

Schäfer: Ja, mein Vater kam aus Alsenz, das ist gut eine Stunde von Kaiserslautern entfernt. Ihn hat es 1924 nach Köln verschlagen. Und deshalb hatte ich zu den Lauterern immer eine gute Verbindung, sei es nun zum Fritz oder zum Ottmar Walter. Die wussten auch, dass ich ein halber Pfälzer bin.

DFB.de: Fritz Walter galt auf und neben dem Spielfeld als Führungspersönlichkeit der Mannschaft. Was machte ihn so besonders?

Schäfer: Ich habe noch nie einen so guten Fußballer gesehen, der so bescheiden war. Von seiner Sonderstellung hat er nie Gebrauch gemacht. Herausgehoben hat er sich nur auf dem Platz, er war ein Vorbild als Mitspieler, hat sich immer für andere eingesetzt. Er hatte eine natürliche Autorität an sich. Er brauchte nicht viele Worte, das lag ihm auch nicht so. Aber alle haben sich zu 100 Prozent hinter ihm eingereiht. Fritz war der überragende Fußballer in unserer Mannschaft und die größte Persönlichkeit, auch mit Herberger ein Herz und eine Seele.

DFB.de: Und wie war Ihr Verhältnis zum Bundestrainer?

Schäfer: Erstklassig, einwandfrei. Er hat mich ja nicht umsonst zu drei Weltmeisterschaften mitgenommen, zweimal als Kapitän. 1962 wollte ich eigentlich nicht mehr, aber Herberger hat mich dann überzeugt. Ich weiß es noch, eines Morgens stand der Herberger bei mir zu Hause an meinem Bett, wirklich wahr. Ich wache auf, schaue ihn und sage: "Chef, was machen Sie denn hier?" "Ich will dich holen." "Wie, holen?" "Zur Nationalmannschaft, morgen geht es los." Ein Länderspiel habe ich vor Chile noch gemacht, dann ging es zur WM.

DFB.de: Er konnte offensichtlich gut überzeugen.

Schäfer: Und wie! Zunächst einmal zeichnete ihn aus, dass er ein absoluter Fachmann war. Er hat Fußball gelebt, war ja auch selbst Nationalspieler gewesen. Für uns Spieler war er wie ein kleiner Gott, er stand über den Dingen. Seine Vorträge waren immer klug und inhaltsreich, allein schon deshalb hatten wir großen Respekt vor ihm. Er war einfach eine Persönlichkeit, unantastbar und unnachahmlich. Der einzige Trainer, den ich erlebt habe, der fachlich an ihn herankam, war Hennes Weisweiler. Nicht umsonst war er ein Schüler von Sepp. Sie waren meine wichtigsten Trainer.

DFB.de: Zurück zum Turnier: Max Morlock hat immer gesagt, nicht das Finale gegen Ungarn sei das schwierigste WM-Spiel gewesen, sondern das Viertelfinale gegen Jugoslawien. Sehen Sie das auch so?

Schäfer: Da hat er recht. Dieses Spiel hätten wir 0:5 verlieren müssen. Die Jugoslawen haben uns an die Wand gespielt, Pfosten und Latte getroffen. Toni Turek hat super gehalten. Horvat hat ein Eigentor geschossen, "Boss" Rahn kurz vor Schluss das 2:0 gemacht, und so haben wir das Ding tatsächlich gewonnen. Ich erinnere mich noch, wie Tschik Cajkovski nach dem Spiel vor der Kabine stand und seine Stürmer nicht reinlassen wollte, der hatte einen knallroten Kopf, so wütend war der.

DFB.de: Und nach dem 6:1 im Halbfinale gegen Östereich...

Schäfer: ... haben wir gedacht, jetzt sind wir die Allergrößten. Gegen diese tolle Mannschaft hatten wir uns nicht so viel ausgerechnet. Und dann putzen wir die 6:1. Danach war uns klar: Gegen Ungarn haben wir nichts mehr zu verlieren. Hätte es im Finale eine Niederlage gegeben, wären wir in der Heimat genauso empfangen worden, wie es dann nach dem Sieg der Fall war. Davon bin ich überzeugt.

DFB.de: Hatten Sie Ehrfurcht vor den Ungarn oder gar Angst vor einer erneuten Blamage?

Schäfer: Wir hatten Respekt, das sollte man vor jedem Gegner haben. Aber Ehrfurcht und Angst, so etwas gibt es im Fußball nicht. Puskás, Kocsis oder Hidegkuti, das waren doch ganz normale Menschen, nicht anders als heute Messi oder Ronaldo.

DFB.de: Stimmt es, dass im deutschen Team die Zuversicht stieg, als es am Finaltag zu regnen begann?

Schäfer: Ja, das stimmt. Das war unser Wetter, "Fritz-Walter-Wetter" hat man es ja später genannt. Bei Regen kamen wir immer besser zurecht, die Ungarn konnten ihr Kombinationsspiel nicht so aufziehen wie gewohnt. Wir haben im Scherz gesagt: "Männer, da kann nichts mehr schiefgehen."

DFB.de: Und dann stand es nach acht Minuten schon 0:2.

Schäfer: Ja, aber für mich stand es weiter 0:0. Ungarn war die Übermannschaft. Wenn wir gegen dieses Team angefangen hätten, uns wegen zwei Gegentoren verrückt zu machen, hätten wir keine Chance gehabt. Die hatten vier Jahre kein Spiel verloren. Natürlich hatten wir auch das Glück, dass Max Morlock schnell das 1:2 gemacht hat, bevor die Ungarn noch eines nachlegen konnten. Dann wäre es wohl aus gewesen.

DFB.de: War es aber nicht.

Schäfer: Nein, der Anschlusstreffer hat uns gezeigt, dass etwas geht. Die Ungarn dachten, sie könnten uns auseinandernehmen. Und als wir dann ausgeglichen hatten, da konnten sie nicht mehr so hochschalten, wie sie wollten. Schon in der Halbzeit haben wir gesagt: "Jetzt hauen wir sie weg." Wir hatten wirklich Mumm - und sind dafür belohnt worden.

DFB.de: Wie ging es dann weiter?

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Schäfer: Wir haben natürlich gejubelt. Der Fritz hat den Pokal entgegengenommen. Aber was wir geleistet hatten, das war uns erst klar, als wir zurück nach Deutschland kamen.

DFB.de: Wie war das?

Schäfer: Wir kamen mit dem Zug nach Deutschland. Als wir in Singen in den Bahnhof einfuhren, waren da Menschen, so weit das Auge reichte. Und das war auf den anderen Bahnhöfen genauso, bis wir dann in München ankamen. Auch da wurden wir gefeiert. Am nächsten Tag sind wir alle nach Hause gefahren, wieder mit der Bahn. Flugzeug war zu teuer. Mein Vereinskamerad Paul Mebus und ich saßen in einem Abteil, und fast keiner hat uns angesprochen. Als wir aber Köln erreichten, konnten wir fast gar nicht aus dem Zug steigen. Bis zum FC-Klubhaus sind es vom Hauptbahnhof sechs, sieben Kilometer. Wir saßen in Cabrios und wurden gefahren. Und überall auf der ganzen Strecke standen rechts und links Menschen und haben gewunken.

DFB.de: Hatten Sie in der Zeit auch Groupies, also weibliche Verehrerinnen?

Schäfer: Wenn es die gegeben hat, dann spreche ich nicht drüber. (lacht) Es gab ein paar Liebesbriefe und Frauen, die meinetwegen zum Training gekommen sind. Aber ich war ja gerade frisch verheiratet.

DFB.de: Haben Sie zu dem Zeitpunkt schon die gesellschaftlichen Dimensionen wahrgenommen, die dieser Sieg mit sich brachte? Manche Historiker sprechen gar von der "wahren Geburtsstunde der Bundesrepublik Deutschland".

Schäfer: Uns war bewusst, dass wir viel für den deutschen Fußball getan hatten. Die Bedeutung für unser Land bemerkten wir erst mit der Zeit. Das hat Kreise gezogen, die wir zunächst nicht mal erahnen konnten. Deutschland trat durch unseren Erfolg wieder positiv in Erscheinung. Das war wichtig, der Krieg war ja erst neun Jahre vorbei. So haben wir das Deutschland-Bild im Ausland verbessert. Und auch dem Selbstwertgefühl der Deutschen hat dieser Titelgewinn sehr gutgetan. Ich merke das heute noch: Egal, wo ich hinkomme, immer werde ich auf '54 angesprochen, auch 60 Jahre später noch. Weltmeister bist du eben für die Ewigkeit.

DFB.de: Ist das manchmal anstrengend?

Schäfer: Nein. Wenn es mir zu viel wird, dann gehe ich und trinke ein paar Kölsch. (lacht)

DFB.de: Dann hat der Titel also Ihr Leben verändert.

Schäfer: Vor allem hat er es erleichtert. Als Weltmeister ist man wer. Das ist einfach so. Diese WM war und ist einfach in allen Köpfen, weil sie so einmalig war. Weil sie in dieser Zeit passierte und keiner das erwartet hatte. 1954 überstrahlt alle anderen Titel.

DFB.de: Sind Sie nach dem WM-Sieg noch immer mit der Straßenbahn zum Training gefahren?

Schäfer: Ja sicher, alles ganz normal. Das lag aber auch daran, dass ich noch keinen Führerschein hatte, den habe ich erst 1956 gemacht. Ein Kölner Autohändler hatte mir nach der WM ein VW Cabrio geschenkt. Damit bin ich dann später gefahren.

DFB.de: Kommt heute noch Fanpost?

Schäfer: Jeden Tag und aus aller Welt. Neulich erst hat mir ein Chinese geschrieben, dass er ein großer Fan von mir ist und gerne ein Autogramm hätte. Der wusste alles von mir und meiner Karriere.

DFB.de: Sie haben sich immer gegen den Begriff "Wunder von Bern" gewehrt. Warum eigentlich?

Schäfer: Weil es kein Wunder ist. Wir sind auch keine Helden. Man ist kein Held, wenn man ein Fußballspiel gewinnt. Wir waren einfach gute Fußballer, die wunderbar harmoniert und sicherlich einen großen Erfolg gefeiert haben. Da war Glück und ganz sicher auch Können dabei. Aber Helden, das sind für mich Leute, die ihr Land verteidigen, oder Feuerwehrleute, die in ein brennendes Haus rennen, um Menschen zu retten.

DFB.de: Als Deutschland 1974 den WM-Titel geholt hat, waren Sie nicht mehr im Fußballgeschäft. Haben Sie sich in die Spieler 20 Jahre nach Bern hineinversetzen können?

Schäfer: Ja sicher, ich habe mich natürlich sehr gefreut und auch an unser Spiel damals gegen Ungarn gedacht. Ich saß beim Finale in München auf der Tribüne und habe mitgefiebert. Es war ein packendes Spiel. Wobei man ehrlicherweise sagen muss, dass die Holländer mit Cruyff und Neeskens sehr stark waren und es auch nicht unverdient gewesen wäre, wenn sie gewonnen hätten. Zum Glück ist es nicht so gekommen.

DFB.de: 1990 standen gleich vier Kölner im WM-Aufgebot. Auch für Sie etwas Besonderes?

Schäfer: Das war eine tolle Sache für die Jungs, der FC war damals eine der besten Mannschaften Deutschlands. Wir haben hochverdient gegen Argentinien in Rom gewonnen, das weiß ich noch. Und von den Kölnern hatten besonders Illgner, Häßler und Littbarski großen Anteil daran.

DFB.de: Wenn Deutschland Weltmeister wurde, stand immer mindestens ein FC-Spieler auf dem Platz. Heißt das im Umkehrschluss, dass Joachim Löw nach Brasilien unbedingt wieder einen mitnehmen muss?

Schäfer: Am liebsten fünf. (lacht) Denn das würde heißen, dass wir eine gute Mannschaft haben, die, sollten wir aufsteigen, im nächsten Jahr auch in der Bundesliga bestehen kann.

DFB.de: Oder "reicht" Lukas Podolski?

Schäfer: Ich würde mich freuen, wenn der Poldi das packt. Er ist ein Kölner durch und durch und ein richtig guter Junge. Ich mag ihn sehr. Er müsste noch mehr in Erscheinung treten und zeigen, was für ein klasse Spieler er ist. Denn allein sein linker Fuß ist Gold wert, diese Schusstechnik ist einmalig.

DFB.de: Sie haben sich nach Ihrer Karriere mehr und mehr aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Warum?

Schäfer: Ich bin nie gerne aufgefallen, hatte lieber meine Ruhe. Ich brauche das alles nicht mehr. Mittlerweile habe ich Probleme mit den Knien und dem Rücken. Auto- und Radfahren geht immerhin noch. Ich habe einen Hometrainer und fahre auch viel durch den Grüngürtel. Das tut mir gut, ich habe gerade erst ein neues Fahrrad geschenkt bekommen.

DFB.de: Als Sie 70 waren, haben Sie gesagt: "Mit 105 will ich mit einem Glas Kölsch in der Hand an der Theke sterben." Ist das noch immer Ihr Plan?

Schäfer: (lacht) Etwas Schöneres kann es doch gar nicht geben. Aber vielleicht erst mit 110.

DFB.de: Für unsere jungen Leser: Wie findet man Sie auf Facebook?

Schäfer: Gar nicht, damit habe ich nichts zu tun. Ich weiß, was das ist, mir ist der direkte Kontakt aber immer noch lieber.

Das meinen DFB.de-User:

"Sehr geehrter Herr Schäfer, Sie und Ihre Mannschaftskameraden waren Helden!!! Das Finale von Bern war aus meiner Sicht die Geburtsstunde der Bundesrepublik Deutschland!" (Andreas Mohr, Itzehoe)