Auf den Spuren von Julius Hirsch

wählt und zu einer isolierten Baracke gebracht. Am nächsten Tag wurden 50 Männer davon fortgebracht. Der SS-Mann, der uns bewachte, erklärte uns, wir seien für das Sonderkommando ausgewählt.Was dies bedeutete, wurde uns erst am nächsten Tag klar, als wir an unserem etwa 2 km entfernten Arbeitsort in Birke- nau ankamen. Hinter einem Birkenwäldchen konnten wir in etwa 100 m Entfernung ein weißes Bauernhaus mit einem Zaun darum sehen. Ich konnte die Fenster und die Tür erkennen und sah Häftlinge, die sich da bewegten, aber es war zu weit weg, um zu erkennen, was sie wirklich dort machten. Unserer Gruppe von 150 Mann wurde befohlen, einen tiefen Graben aus- zuheben, der schon auf dem Erdboden vormarkiert war. Ich nahm an, dass es sich bei dem Graben um einen Panzerabwehrgraben oder um einen Schützen- graben für Artillerie-Posten handeln sollte. Als wir am nächsten Tag ankamen, sagte uns einer von den 50 Häftlingen, die vorher aus unserem Kommando aus- gesondert worden waren, dass in der letzten Nacht vier Gruppen deportierter Juden in dem Bauernhaus vergast worden seinen. (Es war unmöglich für mich, dies zu verstehen, bis ich dann selbst in den folgen- den Tagen Zeuge der Vorgänge wurde.) Nachdem nackte Juden hineingetrieben worden waren, schüt- teten einige der SS-Männer den Inhalt von Büchsen, die mit der Aufschrift „Zyklon“ versehen waren, von oben durch das kleine Fenster in das Bauernhaus.“ 1 Die Toten aus den beiden alten Bauernhäusern wur- den zunächst in Massengräbern verscharrt – als im Sommer 1942 jedoch aufgrund der Hitze die Gräber aufquollen, zwang die SS Häftlinge dazu, die Leichen auszugraben und auf großen Scheiterhaufen oder in Gruben zu verbrennen. Im Frühjahr 1943 schließlich wurde das Morden in den beiden Gebäuden ein- gestellt, das „Rote Haus“ wurde abgerissen. Am 22. März 1943 wurde das Krematorium IV als erstes der neuen Krematorien in Birkenau an die SS übergeben, die anderen folgten bis zum Sommer. Das „Weiße Haus“ wurde nochmal im Sommer 1944 im Zuge der „Ungarn-Aktion“ zur Ermordung von Menschen ver- wendet. Heute befinden sich an beiden Stellen kleine Gedenkorte. 1 Zitiert nach Friedler et al., Zeugen aus derTodeszone, S. 78 f. Eingefriedetes Grundstück am Standort des ehemaligen „Roten Hauses“ mit Gedenktafel, März 2018.

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