Auf den Spuren von Julius Hirsch

Als der Deportationszug mit Julius Hirsch in der Nacht zum 4. März 1943 Auschwitz-Birkenau erreichte, sah das Lager keineswegs so aus, wie es seine Überreste heute vermuten lassen. Dies gilt insbesondere auch für die Orte der Massenvernichtung: Keines der gro- ßen Krematorien II – V auf dem Lagergelände war zu diesem Zeitpunkt in Betrieb, sie befanden sich in unterschiedlichen Bauphasen. Anfang März 1943 wurden zur Ermordung mit Giftgas stattdessen zwei Orte genutzt, die heute kaum bekannt sind: Es handelte sich um zwei alte Bauernhäuser, die etwas außerhalb des Lagergeländes standen und zu improvisierten Gaskammern umgewandelt wurden. Ihre polnischen Eigentümer hatte die SS vertrieben. Genannt wurden die Gebäude Bunker I („Rotes Haus“) und Bunker II („Weißes Haus“), wobei die Namen auf die roten Steine bzw. den weißen Anstrich der ehe- maligen Bauernhäuser anspielten. Ab Frühjahr 1942 wurde das „Rote Haus“ für Vergasungen von bis zu 800 Menschen gleichzeitig benutzt, ab Mitte 1942 dann auch das „Weiße Haus“, welches bis zu 1.200 Menschen fassen konnte. Die Häuser waren als Des- infektions- oder Badehäuser getarnt, um Panik unter den Ankommenden zu vermeiden. In extra Baracken mussten die Menschen sich entkleiden, stellenweise auch stundenlang warten. Ab Sommer 1942 nutzte die SS Lastwagen, umMenschen von der Alten Rampe zur Ermordung zu transportieren, zuvor mussten die Gefangenen den Weg laufen. Wenn Julius Hirsch lebend in Auschwitz-Birkenau ankam, ist er vermut- lich kurz nach der Ankunft an einem dieser beiden Orte ermordet worden. Arnost (Ernst) Rosin, der für kurze Zeit im Sonderkommando eingesetzt war, dann jedoch durch Bestechung die Arbeit wechseln konnte, berichtete über seine Arbeit am „Weißen Haus“: „Zwei Wochen später wurden nach dem Abendappell 200 kräftige Männer aus unserem Transport ausge- VERGESSENE ORTE DER VERNICHTUNG: „ROTES HAUS“ UND „WEISSES HAUS“ DAS DEUTSCHE KONZENTRATIONS- UND VERNICHTUNGSLAGER AUSCHWITZ | 89 Teilnehmende des Workshops an den Grundmauern des „Weißen Hauses“, März 2018.

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