Auf den Spuren von Julius Hirsch

| 81 INSTRUMENT ZUR KONTROLLE DER POLNISCHEN BEVÖLKERUNG Zum Zeitpunkt, als das Lager Auschwitz entstand, war die Institution „Konzentrationslager“ bereits seit vielen Jahren ein zentrales Instrument der nationalsozialisti- schen Politik- und Machtdurchsetzung. Unmittelbar nach der Machtübertragung im Januar 1933 bediente sich das NS-Regime improvisierter Lager zurVerfolgung zehntausender früherer Kritiker*innen und Regimegeg- ner*innen. Diese heute als „frühe Lager“ bezeichneten Einrichtungen wiesen mit der Gewalt der Aufseher, Fol- ter und dem (teilweise vertuschten) Mord an einzelnen Häftlingen bereits wesentliche Merkmale der späteren Konzentrationslager auf und dienten neben der Verfol- gung konkreter politischer Gegner vor allemgegenüber der restlichen Bevölkerung als Abschreckung. 5 Es folgte der Aufbau eines Systems von Konzen­ trationslagern unter zentraler Verwaltung der SS, die nach NS-internen Machtkämpfen im Sommer 1934 viele bislang von der SA geführte Konzentrationslager übernahmund ihre Position imMachtapparat des Nati- onalsozialismus gegenüber der SA massiv ausbaute. Einige Standorte wurden in den folgenden Monaten und Jahren geschlossen, andere kamen hinzu. Bis zum Kriegsbeginn entstanden mit Dachau, Sachsenhau- sen, Buchenwald, Flossenbürg, Mauthausen und dem Frauenlager in Ravensbrück sechs Lager, in denen der NS-Staat Gegner*innen verschiedener politischer Spektren,Jüdinnen und Juden,Homosexuelle undwei- tere Feinde der vermeintlichen „Volksgemeinschaft“ inhaftierte, zur Arbeit zwang, folterte und ermordete. Die Lager waren als „kleine Städte des Terrors“ konzi- piert, deren Häftlingszahlen durch jederzeit mögliche Erweiterungen rasch gesteigert werden sollten. 6 Das Stammlager Auschwitz war das siebte Lager in diesem System. Parallel wurden weitere Konzentrati- onslager geplant und gebaut. Der am 4. Mai 1940 als Kommandant des Lagers ernannte Rudolf Höß ver- fügte durch seine Tätigkeit in Dachau und Sachsen- hausen bereits über eine ausgeprägte Erfahrung in der Leitung und Organisation der Lager. Die Struktur der Lagerverwaltung war in allen Lagern einheitlich organi- siert. 7 Am20.Mai 1940 trafen 30 deutsche Häftlinge in Auschwitz ein, die zuvor als „Befristete Vorbeugehäft- linge“ in Sachsenhausen inhaftiert waren. Sie wurden als „Funktionshäftlinge“ vorgesehen, um innerhalb der zukünftigen Häftlingsgemeinschaft als verlängerter Arm der SS Führungsaufgaben zu übernehmen. 8 Ab Juni 1940 trafen nun regelmäßig Häftlingstrans- porte ein, die hauptsächlich polnische politische Häftlinge nach Auschwitz brachten. Auch im besetz- ten Polen galt die Funktion eines Konzentrations- lagers, also der Bekämpfung politischer Gegner*in- nen und der Abschreckung gegenüber möglichem Widerstand. Die Aufgabe der ersten ankommenden Gefangenen bestand zunächst im weiteren Auf- und Ausbau des Lagers, von Beginn an fand dies unter extrem schweren Bedingungen statt. Schon zu dieser Zeit hatte Auschwitz eine höhere Sterberate als die genannten Konzentrationslager im alten Reichsge- biet. Von den knapp 20.000 polnischen Häftlingen, die bis zum Jahresbeginn 1942 in das „Stammlager“ Auschwitz I gebracht wurden, starb die Hälfte in dieser Zeit. Durch die zahlenmäßige Dominanz der polnischen Gefangenen unter den Häftlingsgruppen wird diese erste Phase von Auschwitz auch „polnische Phase“ genannt. 9 Im März 1942 richtete die Lager-SS ein spezielles „Frauenlager“ in den Blöcken 1-10 des Stammla- gers ein. Unter den mehreren tausend Frauen befand sich ein großer Anteil Jüdinnen aus der Slowakei. Mit ihrer Deportation nach Auschwitz begannen die aus- schließlich „jüdischen Transporte“ nach Auschwitz, deren Anteil an der Gesamtzahl der Transporte von nun an ständig zunahm.

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