Auf den Spuren von Julius Hirsch

AUS OŚWIĘCIM WIRD AUSCHWITZ Nach dem Überfall Nazi-Deutschlands auf Polen am 1. September 1939 erreichte die Wehrmacht bereits am 4. September die polnische Stadt O ś wi ę cim, die fortan den Namen Auschwitz trug (wie bereits zur Zeit ihrer Zugehörigkeit zum Kaiserreich Österreich-Un- garn zwischen 1772 und 1918). In O ś wi ę cim lebten zu diesem Zeitpunkt knapp 14.000 Menschen, gut die Hälfte davon waren Jüdinnen und Juden. Die Stadt Auschwitz wurde mit dem Ziel der „Germanisierung” der westpolnischen Gebiete (Ostoberschlesien, Dan- zig-Westpreußen, Wartheland) dem Territorium des Deutschen Reiches angegliedert. 1 Die in Auschwitz lebenden Jüdinnen und Juden waren von Beginn an mit der antijüdischen Politik des Deutschen Reiches konfrontiert: Zwangsarbeit und die Gefahr von willkürlichen Verhaftungen und Stra- fen waren allgegenwärtig. Auschwitz wurde zunächst zu einem Zufluchtsort für Jüdinnen und Juden aus den westlicheren Gebieten und hatte im Frühjahr eine der größten jüdischen Gemeinden der Region. Deutsche Verwaltungsbeamte, Geschäftsleute und Treuhänder begannen rasch mit dem Aufbau einer deutschen Verwaltung im sogenannten Ostober- schlesien und betrieben dabei eine massenhafte Ent- eignung polnischer und vor allem jüdischer Betriebe. Zur speziellen Situation in den annektierten Gebieten schreibt Sybille Steinbacher: „Politischer Korruption war im eroberten Land, anders als im Altreich, freier Lauf gelassen. Persönliche Bereicherung entwickelte sich hier rasch zum Gewohnheitsrecht. Erpressung, Bestechlichkeit, Unterschlagung und viele andere Formen des Missbrauchs staatlicher Macht gras- sierten, ohne dass dem entgegenzuwirken versucht wurde.“ 2 Mit dieser Situation waren freilich auch die nichtjüdischen Pol*innen in der Stadt konfrontiert. Anfang 1940 suchte Heinrich Himmler, der Reichs- führer SS, im gesamten östlichen Grenzgebiet nach geeigneten Orten für die Errichtung von Konzentra- tionslagern für politische Gegner*innen. Unter einer Auswahl unterschiedlicher Orte fiel seine Wahl auf Auschwitz, wo auf dem Gelände einer ehemaligen polnischen Kaserne, die später als Auswandererlager genutzt wurde, ab April 1940 das Konzentrationslager Auschwitz errichtet wurde. Dieser Teil des späteren Lagerkomplexes wird als „Stammlager“ bezeichnet, später auch als Auschwitz I. Zur Mitwirkung am Bau zwang die SS u.a. 300 jüdische Männer aus der Stadt, insgesamt waren mehrere hundert große und kleine deutsche Firmen bei den Bauarbeiten eingebunden. 3 Die jüdische Bevölkerung des ehemaligen O ś wi ę cim konnte zunächst in der Stadt bleiben, sie wurde jedoch auf engem Raum im Bereich der Altstadt zusammen- gepfercht. Unter ständiger Bedrohung durch die Deut- schen mussten die Jüdinnen und Juden der Stadt Auschwitz häufig Zwangsarbeit leisten; ihre Gemein- deinstitutionen, so auch die große Synagoge in der heutigen Berek-Joselewicz-Straße, wurden zerstört. Mit der Entscheidung zum Ausbau des Lagerkom- plexes im Frühjahr 1941 und der damit geplanten Ansiedlung weiterer Reichsdeutscher, besonders ver- bunden mit dem späteren Bau einer großen Produk- tionsstätte des IG-Farben-Konzerns aus Frankfurt am Main, entstanden Pläne zum großflächigen Umbau von Auschwitz zur „Musterstadt“. Das frühere O ś wi ę- cim sollte zum „Bollwerk des Deutschtums“ und zum Vorzeigeprojekt deutscher Siedlungsbestrebungen im Osten Europas werden. Für die jüdischen Bewohner*innen der Stadt bedeu- tete dies die Ausweisung. Am 26. Januar 1941 wurde von den deutschen Behörden beschlossen, sie in die umliegenden Ghettos von Bendsburg (B ę dzin), Kre- nau (Chrzanów) und Sosnowitz (Sosnowiec) zu depor- tieren. Bis zum April 1941 wurde die Stadt Auschwitz „judenrein“. Viele der aus Auschwitz deportierten Jüdinnen und Juden wurden später nur wenige Kilo- meter von ihrer vorherigen Heimatstadt entfernt in den Gaskammern von Auschwitz-Birkenau ermordet. 4

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