PROTOKOLLE Bundestag 2019

17 42. ordentlicher DFB-Bundestag · 3./4. November 2016 · Erfurt Anfang der 90er-Jahre war ich dann in der Otto-Fleck-Schneise dabei, als Fans aus ganz Deutschland vor den Toren des DFB für den Erhalt von Stehplätzen in deutschen Stadien pro- testierten. Damals wollte die UEFA auf breiter Linie durchsetzen, dass Fußball nur noch im Sitzen geschaut werden sollte, weil das angeblich sicherer war. Wie Sie alle wissen, wurde das für internationale Spiele auch beschlossen und gilt bis heute. Die meisten Verbände in Europa schlossen sich dem ebenfalls an. Fast überall wurden Stehplätze abgeschafft, nur – ich staunte wieder – in Deutschland nicht, auch weil der DFB sich die Argumente der Fans zu eigen gemacht hatte. Aus heutiger Sicht sind beide Entscheidungen – die für den Erhalt von Stehplätzen und die für Sozialarbeit mit Fußballfans – ausgesprochen weitsichtig gewesen. Längst beneiden uns die Fußballfreunde aus aller Welt – dank der Stehplätze – um die Atmosphäre in deutschen Sta- dien und die immer noch zumindest einigermaßen erschwinglichen Preise. Auch die Sozialar- beit mit Fans ist trotz aller Probleme, die es nach wie vor gibt, eine große Erfolgsgeschichte. Im Jahr 2004 schaute ich in Berlin auf einem Nebenplatz des Olympiastadions zu, als der neue Bundestrainer Jürgen Klinsmann etwas Ungeheuerliches tat: Er ließ gestandene deut- sche Nationalspieler, empörenderweise auch noch angeleitet von amerikanischen Fitness­ trainern, mit bunten Gummibändern um den Beinen über den Rasen watscheln. – Herr Grin- del hat daran schon erinnert. – Die Reaktionen darauf lagen irgendwo zwischen Empörung und Endzeitstimmung. (Heiterkeit) Wie wir aber heute wissen, begann damals eine Revolution von oben. Jürgen Klinsmann dachte nicht nur das Nationalteam völlig neu, sondern öffnete den Weg für eine dringend notwendige Modernisierung im deutschen Fußball. 2007 schließlich wurde die DFB-Kulturstiftung gegründet, und ich bin von Beginn an Mitglied in ihrem Kuratorium. Ich bin das aus Überzeugung. Es ist nämlich gut, dass es sich der DFB als einziger Fußballverband auf der Welt leistet, kontinuierlich kulturelle Projekte zu unter- stützen, die sich mit Fußball beschäftigen. Vor allem aber zeigt das: Es gibt beim DFB heute ein Bewusstsein dafür, dass Fußball nicht nur Fußball ist, dass Fußball nicht nur das Spiel selber ist, sondern dass dazu eine reiche Kultur gehört, die sich mit allen Facetten des Spiels beschäftigt, und dass der Fußball – gerade seit er so reich ist wie nie – eine soziale Verant- wortung hat. Der DFB agiert inzwischen also quasi mit einem erweiterten Begriff von Fußball. Dabei hat er in den 30 Jahren, die ich überschauen kann, einen gewaltigen Weg zurückgelegt. Ich bin nicht gebeten worden, in die Vergangenheit des deutschen Fußballs zu schauen, son- dern in seine Zukunft. Doch in der Rückschau zeigt sich etwas, das im Blick nach vorne wichtig sein könnte: dass der DFB nämlich dann besonders gut ist, wenn er sich etwas traut. Ich weiß nicht, welche internen Debatten dem Erhalt von Stehplätzen oder der Unterstützung von Fanprojekten vorangingen oder wie groß der Streit darum war, dass Jürgen Klinsmann zusammen mit Oliver Bierhoff die Nationalmannschaft auf den Kopf stellen durfte. Ich ver- mute aber einmal, dass sehr kontrovers debattiert wurde, weil das keine naheliegenden Ent- scheidungen waren. Und wer braucht schon Kultur beim Fußball? Der DFB ist in diesen Fällen nicht populären Instinkten gefolgt und hat mutig entschieden. Und dennoch – zumindest ist das meine Beobachtung – wurde das nicht so auf sein Sympa- thiekonto eingezahlt, wie man es erwarten könnte. Aber warum ist das so? Grußwort Christoph Biermann

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